Cover-Bild Das Ministerium des äußersten Glücks
24,00
inkl. MwSt
  • Verlag: S. FISCHER
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 560
  • Ersterscheinung: 10.08.2017
  • ISBN: 9783100025340
Arundhati Roy

Das Ministerium des äußersten Glücks

Roman
Anette Grube (Übersetzer)

In ihrem lange herbeigesehnten Roman »Das Ministerium des äußersten Glücks« führt uns Arundhati Roy, Autorin des Weltbestsellers »Der Gott der kleinen Dinge«, an den unwahrscheinlichsten Ort, um das Glück zu finden. Eine Reihe ausgestoßener Helden ist hier mit ihrem Schicksal konfrontiert, aber sie finden eine Gemeinschaft, sie bilden eine Familie der besonderen Art.

Auf einem Friedhof in der Altstadt von Delhi wird ein handgeknüpfter Teppich ausgerollt. Auf einem Bürgersteig taucht unverhofft ein Baby auf. In einem verschneiten Tal schreibt ein Vater einen Brief an seine dreijährige Tochter über die vielen Menschen, die zu ihrer Beerdigung kamen. In einem Zimmer im ersten Stock liest eine einsame Frau die Notizbücher ihres Geliebten. Im Jannat Guest House umarmen sich im Schlaf fest zwei Menschen, als hätten sie sich eben erst getroffen – dabei kennen sie einander schon ein Leben lang.

Voller Inspiration, Gefühl und Überraschungen beweist der Roman auf jeder Seite Arundhati Roys Kunst. Erzählt mit einem Flüstern, einem Schrei, mit Freudentränen und manchmal mit einem bitteren Lachen ist dieser Roman zugleich Liebeserklärung wie Provokation: eine Hymne auf das Leben.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.12.2017

Saddam Hussein mit rot lackierten Fingernägeln

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"Wo, um Himmels Willen, kann man auf den lackierten Saddam treffen?" wird sich manch einer fragen. Nach der Lektüre von Arundhati Roys Buch "Das Ministerium des äußersten Glücks" kann ich Ihnen verraten, ...

"Wo, um Himmels Willen, kann man auf den lackierten Saddam treffen?" wird sich manch einer fragen. Nach der Lektüre von Arundhati Roys Buch "Das Ministerium des äußersten Glücks" kann ich Ihnen verraten, dass Sie die Antwort genau hier finden werden. Allerdings erst, nachdem Sie schon ziemlich weit gekommen sind, quasi als Belohnung - im wahrsten Sinne des Wortes, finde ich, denn die Lektüre ist überaus lohnenswert.

Anjum ist eine Hijra, ein Mitglied des dritten Geschlechts also, die sich nach einem wechselvollen (Er)Leben in noch nicht allzu hohem Alter auf einen Friedhof zurückzieht und dort ihr eigenes Regime begründet. Und zwar in ganz eigener Manier - über die Jahre hinweg entwickelt sich dadurch eine Art Imperium, das man als Hotel, aber auch als "Ministerium des äußersten Glücks" betrachten kann.

Wie das mit Musa und Tilo, die sich seit ihrer Jugend zueinander hingezogen fühlen, - zwischen ihnen jedoch steht nichts Geringeres als Indien selbst mit all seinen Kräften, Mächten und Wirkungen - zusammenpasst und wie diese zwei Geschichten zu einer einzigen werden, die den Leser mit aller Intensität erfasst, das erfahren Sie erst peu à peu. Ebenso, wie Sie schrittchenweise zu den Figuren geführt werden, Saddam Hussein kennenlernen (glauben Sie mir, er hat wenig mit seinem "Paten" aus dem Irak gemein und die Bekanntschaft mit dem indischen Namensvetter ist weitaus erfreulicher) und alle anderen, die eine Rolle spielen.

Arundhati Roy ermöglicht es ihren Lesern, Indien im vollen Umfang zu spüren: es zu sehen, zu riechen, zu schmecken, zu umarmen, sich davor zu grausen, zu ängstigen, zurückzuweichen, dann wieder mit offenen Armen darauf zuzugehen.

Natürlich muss man sich darauf einlassen können und wollen und ich kann sehr gut verstehen, wenn nicht ein jeder bereit dazu ist. Denn es ist ein Buch, das den Leser fordert: ihn anzieht, dann wieder abstößt, stellenweise verständnislos dastehen lässt, um ihn dann zum Ende hin wieder in ganz zu sich zu holen. Denn man muss wirklich bis zum Schluss, also über fünfhundert Seiten lang, durchhalten, bis alle Enden zusammengefügt werden und neben brutalen und auch widerwärtigen Szenen (ehrlicherweise sei gesagt, dass sie neben mindestens ebenso vielen bewegenden und anrührenden Darstellungen stehen) auch noch - vor allem zum Ende hin - einige Tipp- und Flüchtigkeitsfehler ertragen, die aber in der nächsten Auflage sicher korrigiert sein werden.

Aber eines wird ganz klar: einen so abgerundeten Roman, in dem sich alle, aber wirklich alle Enden zusammenfügen, habe ich selten gelesen und ich wundere mich nicht, dass die Autorin, die sich hier als Perfektionistin in allerbester Hinsicht präsentiert, für diesen Roman nach ihrem Erfolg von "Der Gott der kleinen Dinge" so lange Jahre brauchte: eine so gewaltige Geschichte braucht Zeit: zum Entstehen, zum Verstehen (ja, auch für den Schreibenden selbst), zum Ausfeilen, zum Vermitteln, zum Abrunden und möglicherweise noch für einiges mehr, auf das ich nicht komme, da ich Großes nicht in solch kraftvolle Worte fassen kann wie diese begnadete Göttin der großen Dinge (Schriftstellerin, Autorin - diese Wörter kamen mir angesichts des Werkes unpassend vor). Denn dies ist ein Werk für die Literaturgeschichte, für kommende Jahrhunderte. Natürlich nicht für jeden, da Arundhati Roy eine Menge Mißstände auf eine Weise anprangert, die sicher nicht jedem zupass kommt, die polarisiert und es sich beileibe nicht einfach macht damit.

Ich kann mir vorstellen, dass es für sie ein hartes Stück Arbeit war, diese Geschichte zum Leben zu erwecken in dem Sinne wie es für Eltern ein schweres Stück Arbeit ist, ihr Kind großzuziehen und im besten Sinne eigenverantwortlich und selbständig in die Welt zu lassen. Denn genau das hat sie jetzt getan: das Buch auf uns, auf ihre Leser losgelassen und nun muss sie zusehen, was daraus wird. Und wie ein intelligenter, anspruchsvoller Mensch mit starkem Willen und eigenem Stil wird auch dieses Buch nicht jedermanns Sache sein.

Nun, ich für meinen Teil habe es lieben gelernt und nehme es sehr gerne in meine (Bücher)Familie auf, ich werde es hegen und pflegen, immer wieder darin blättern und mich von Anjum, Saddam, Musa, Tilo, Miss Jebeen, Zainab und den anderen auf meinem weiteren Lebensweg begleiten lassen.

Ähnlich wie in "Hotel New Hamphire" von John Irving, meinem Lieblingsroman, geben sich hier die schrägen, teilweise warmherzigen, teilweise anderweitig unvergesslichen Figuren ein Stelldichein.

Sie werden gemeinsam mit dem Buch einen festen Platz in meinem Regal - und meinem Herzen - erhalten!

Veröffentlicht am 11.08.2017

Aufwühlende Story

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Meine Meinung

Diese facettereiche Geschichte entführt uns in ein Indien, dessen Hintergrund ich so noch nicht kennengelernt habe. Die Intensität, mit der die Autorin verschiedene Themen behandelt hat, ...

Meine Meinung

Diese facettereiche Geschichte entführt uns in ein Indien, dessen Hintergrund ich so noch nicht kennengelernt habe. Die Intensität, mit der die Autorin verschiedene Themen behandelt hat, bringen einem Land und Leute ein ganzes Stück näher.
Im Focus steht erst mal Aftab. Er ist als Zwitter zur Welt gekommen. Der Weg, zu seiner wahren Identität, ist weit und steinig. Eine Operation und Medikamente helfen ihm, sein Denken und Fühlen als Frau auszuleben. Nun ist sie Anjum, eine bezaubernde Person, die ich zu schätzen gelernt habe. Anjum ist eine Frau, die für jeden Menschen ein offenes Ohr hat. Ihr käme niemals der Gedanke, einen Menschen abzuweisen. Sie verlässt ihr Elternhaus und zieht in ein Kwabgah, um mit anderen Hijras zu leben. Nach ein paar Jahren merkt sie, dass sie einen neuen Weg einschlagen muss und zieht auf einen Friedhof. Die dort entstandenen Geschäfts- und Wohnideen haben mich erstaunt und zum Schmunzeln gebracht. Das wäre bei uns undenkbar.

Die Passagen rund um den Friedhof haben mich erstaunt. Ich mag Friedhöfe gern; möchte jedoch auf keinem leben. Ich finde den Gedanken gruselig, mit den Verstorbenen unter einem Dach zu wohnen. Die Gemeinschaften, die dort entstanden sind, haben jedoch etwas familiäres. Ein Zufluchtsort für viele Menschen, die anders sind. Skurrile Persönlichkeiten und Kämpfer integrieren sich ab dem 2. Kapitel immer mehr in das Geschehen.

Politische Konflikte kommen in Roys Werk groß zu tragen. Das Jantar Mantar in Delhi ist ein Komplex, wo Menschen für ihren Glauben- und politischen Überzeugungen, eintreten. Hier begegnet dem Leser viel Fanatismus. Dies jedoch nicht immer im negativen Sinne. Hungerstreiks und rohe Gewalt sind an der Tagesordnung. Gut durchdachte Pläne, verbessern jedoch wiederum das Leben des einen- oder anderen und lassen Freundschaften entstehen.
Ich habe ja schon viel in den Medien über die Unruhen in Indien und dem Orient gehört/gelesen. In dieser Geschichte war es für mich jedoch etwas Anderes. Ich habe die Menschen persönlich kennengelernt. Habe die Ungerechtigkeiten hautnah miterlebt, welchen sie dort ausgesetzt waren. Habe mir Sorgen um ein Baby gemacht, welches mitten in diesem Trubel ausgesetzt wurde. Die verschiedenen Kasten in Indien erlauben nicht jedem Menschen ein würdiges Leben zu führen.

Teilweise bedient sich die Autorin einer sehr derben Ausdrucksweise. Ich empfand das nicht als störend, da diese Fäkalien-Ausdrücke stets die momentane Situation exakt wiederspiegelten.
Die Brutalität des Terrors brachte mich oft an meine Grenzen. Der Gedanke, dass dies tagtäglich im wahren Leben der Fall ist, lässt einem kalte Schauer über den Rücken laufen. Das Sterben der Krähen im Prolog wurde sehr beeindruckend geschildert. Raffiniert bringt die Autorin damit Umweltprobleme zur Sprache. Vor allem den falschen Umgang, den wir mit Tieren haben. Unser Konsumverhalten wird uns vor Augen geführt.
Die Bezeichnungen vieler indischer Namen und Orte haben meinen Lesefluß oftmals erheblich gestört. Ich habe nach dem ersten Kapitel gemerkt, dass "Das Ministerium des äußersten Glücks" kein Buch zum schnell lesen ist. Die vielen Namen und Begebenheiten fordern vollste Konzentration. Mit jedem Kapitel fügen sich die Ereignisse immer mehr zu einem Ganzen zusammen.
Auch für hintergründigen Humor hat die Autorin einen Platz eingeräumt. Ich musste bei einigen Szenen lachen. Mein Kopfkino war gute 500 Seiten voll aktiviert.


Mein Fazit

Arundhati Roy hat ein Buch geschrieben, das man nicht schnell mal weg liest. Es will Wort für Wort gelesen und verstanden werden. Es handelt sich um Geschehnisse, deren Wahrheitsgehalt einem Geschichtsbuch alle Ehre machen. Ich habe sämtliche Orte und Begebenheiten nachgeschlagen.
Das Ganze hat sie mit Schicksalen verwoben, die uns hautnah Ängste, Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit und Gewalt miterleben lassen. Doch auch Liebe, Freundschaft und die Bereitschaft, selbst aktiv zu werden. Familientragödien und Geheimnisse verpassen der Story zusätzlich Spannung. Einen besonderen Einblick bekommen wir von den Hijras und ihren Platz in der Gesellschaft. Wunderbare Landschaften und Gebäude vermitteln einem ein Bild von Tausendundeine Nacht. Leider hinderten mich verschiedene religiöse Konflikte und politische Unruhen daran, dieses märchenhafte Bild aufrecht zu erhalten. Kaschmir steht im Mittelpunkt der Ereignisse.
Arundhati holt den Leser ab und begibt sich mit ihm auf eine abenteuerliche Reise. Der Schreibstil mutet stellenweise poetisch an. Wunderbare Zitate erhöhen den Lese-Genuss. Vulgäre Ausdrücke haben ihre Berechtigung. Das wunderschöne Cover passt hervorragend zur Geschichte. Ich muss mich nun von vielen wunderbaren Menschen verabschieden. Aber, ich komme wieder. Ich werde das Buch nochmal lesen.


Eine Empfehlung von mir an alle, die Indien kennen- oder kennenlernen möchten.



Meine Lieblingszitate



>>Er, ein Revolutionär, gefangen im Geist eines Buchhalters. Sie, eine Frau, gefangen im Körper eines Mannes.<< (Seite 160)

>>Sie schmiegte sich an ihn an.: >>Wab! Was für ein Mann.<< Er drückte ihr Brust. Sie schlug ihm auf die Hand. >>Nicht. Sie kosten ein Vermögen. Ich zahle immer noch die Raten ab.<< (Seite 179)

>>Ich schwöre beim Leben meiner Kinder - sie reiten auf einem Pferd davon. Zwei Freaks mit einem Sack voller Plüschtiere, die auf einem verdammten weißen Pferd in den Nebel davonreiten.<< (Seite 264)





Danke Arundhati Roy

Veröffentlicht am 19.12.2018

Identität

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Inhalt:

Auf einem Friedhof in der Altstadt von Delhi wird ein handgeknüpfter Teppich ausgerollt. Auf einem Bürgersteig taucht unverhofft ein Baby auf. In einem verschneiten Tal schreibt ein Vater einen ...

Inhalt:

Auf einem Friedhof in der Altstadt von Delhi wird ein handgeknüpfter Teppich ausgerollt. Auf einem Bürgersteig taucht unverhofft ein Baby auf. In einem verschneiten Tal schreibt ein Vater einen Brief an seine 5-jährige Tochter über die vielen Menschen, die zu ihrer Beerdigung kamen. In einem Zimmer im ersten Stock liest eine einsame Frau die Notizbücher ihres Geliebten. Im Jannat Guest House umarmen sich im Schlaf fest zwei Menschen, als hätten sie sich eben erst getroffen – dabei kennen sie einander schon ein Leben lang.

Meine Meinung:

Dieses Buch ist ein wirkliches Highlight - ehrlich, berührend und schockierend.

Der Schreibstil der Autorin ist großartig und umfasst alles, was man für ein gutes Buch benötigt und um den Leser mit der Geschichte zu ergreifen.
Das Lesen haben mir jedoch die indischen Begriffe und Namen sehr erschwert. Dies ist keine Lektüre für zwischendurch. Man sollte sich dafür Zeit nehmen, verinnerlichen und recherchieren - und vor allem nicht aufgeben und der Geschichte die Zeit am Anfang geben, die es braucht um einen Einstieg zu finden.

Ich habe dieses Buch während einer Leserunde gelesen und war sehr dankbar über jeden Hinweis, Tipp und Hintergrundinformationen - davon gibt es nämlich jede Menge sehr interessante und hilfreiche.

Das Glossar am Ende ist sehr von Notwendigkeit, jedoch sind natürlich nicht alle Begriffe des Buches aufgeführt.

>Sie fragte sich, wie eine nicht freigelassene Seele, eine seelenförmige Lunge auf einem Scheiterhaufen aussehen mochte. Wie ein Seestern vielleicht. Oder ein Tausendfüßler. Oder wie ein getupfter Falter mit einem lebendigen Körper und Flügeln aus Stein - armer Falter -, hintergangen, niedergehalten von genau den Körperteile, mit deren Hilfe er fliegen sollte.<< (ZITAT)

Die Sprache ist malerisch und sehr detailliert, sodass die ganze Geschichte sehr authentisch und ehrlich beim Leser übermittelt wird.

Das schlichte einfache Cover passt perfekt - kein "Schnickschnack".

Mit ihrem Buch "Der Gott der kleinen Dinge" - was auch ein absolut großartiges Werk der Autorin ist - kann man dieses Buch jedoch nicht vergleichen. "Das Ministerium des äußersten Glücks" ist anders und vermutlich der anspruchsvollste Roman, den ich bisher gelesen habe.

Veröffentlicht am 31.08.2017

Eine Geschichte, die man sich erarbeiten muss, was sich aber lohnt

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Diese Geschichte hat mich an meine Grenzen geführt; nicht aufgrund des hohen sprachlichen Niveaus sondern aufgrund der Komplexität. Zu Beginn gab es so viele offene Fragen und lose Enden, aber ab einem ...

Diese Geschichte hat mich an meine Grenzen geführt; nicht aufgrund des hohen sprachlichen Niveaus sondern aufgrund der Komplexität. Zu Beginn gab es so viele offene Fragen und lose Enden, aber ab einem gewissen Zeitpunkt gab es mit jedem weiteren Kapitel Erklärungen und Zusammenhänge wurden erkennbar.
Auch emotional hat mich das Buch sehr mitgenommen. Hierzu hat sicherlich auch die detaillierte und intensive Schilderung durch die Autorin beigetragen. Es gibt so viel Armut, Leid, brutale Gewalt, Hinterhältigkeit und Korruption, aber zwischendurch gibt es auch Hoffnungsschimmer, Mitgefühl und Liebe.
Teilweise fühlte ich mich von den vielen Informationen überfrachtet, zumal mir diese Vielschichtigkeit innerhalb der Bevölkerungs- und Glaubensgruppierungen nur rudimentär bekannt waren.
Als Manko empfand ich die vielen eingefügten indischen Begriffe und Gedichte, die meinen Lesefluss gestört haben. Hilfreich hierbei war das am Ende eingefügte Glossar.
Insgesamt ein Buch, das wahrlich nicht leicht zu lesen ist – man muss sich darauf einlassen. Ich hatte das Glück es in einer Leserunde lesen zu dürfen, was mir durch Hinweise und Erklärungen der anderen Teilnehmer sehr beim Verständnis geholfen hat.

Veröffentlicht am 18.08.2017

Zwischen Kriegen, Gräbern und guten Freunden

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„Der Augenblick war so kurz wie ein Herzschlag. Aber das war unwichtig. Wichtig war, dass er existierte. Es war ein himmelweiter Unterschied, ob man in der Geschichte präsent war, oder ob man darin abwesend ...

„Der Augenblick war so kurz wie ein Herzschlag. Aber das war unwichtig. Wichtig war, dass er existierte. Es war ein himmelweiter Unterschied, ob man in der Geschichte präsent war, oder ob man darin abwesend war, völlig aus der Geschichte herausgeschrieben.“

Inhalt

Indien ist ein Land voller Absurditäten, voller Einwohner mit kreativen Ideen, voller Proteste und Konflikte auf den Straßen aber auch ein Land der Besonderheiten, der bescheidenen Ansprüche und der Aufrichtigkeit zwischen Menschen mit reinem Herzen. So beginnt Anjum, ein anfangs recht einsames Leben, aus der Not heraus auf einem Friedhof. Sie schläft zwischen Gräbern, kommuniziert mit den Besuchern des Friedhofs und beginnt, aus ihrer Misere eine stabile Lebenssituation zu schaffen, indem sie ein „Gästehaus“, eine Art Pension aufbaut, in der Fremde willkommen sind und wo es keinen Unterschied macht, woher man kommt, was man ist, wer man sein möchte und wohin einen der Weg führen wird.

Bald ist Anjum bekannt und ihr Freundeskreis wächst. Sie beherbergt Menschen mit einer bewegten Vergangenheit aller Altersgruppen und urteilt nicht über deren Leben. Gemeinsam mit Anjum entdeckt der Leser viele Geschichten über das Leid eines Landes, die Zerbrechlichkeit der Liebe, die Unbeständigkeit der Zeit, die Willkür des Lebens und die Gewaltverbrechen Einzelner an einer scheinbar hilflosen Minderheit. Doch zwischen den Grabsteinen erblüht auch die Hoffnung, die Zuversicht deren, die trotz ihres Schicksals an ein Morgen glauben und die sich einfach nicht unterkriegen lassen.

Meinung

Nach zwanzig Jahren hat die indische Preisträgerin Arundhati Roy ihren zweiten Roman veröffentlicht. Nach ihrem Erfolg mit „Der Gott der kleinen Dinge“ schließt sie nun ein monumentales Zeugnis der inneren Situation ihres Landes an, in dem sie eine Geschichte erzählt, die so besonders und aufwühlend geschrieben ist, dass sie sich ins Gedächtnis einbrennt und Lust darauf macht, sie ein zweites Mal aus einer anderen Perspektive, mit mehr Hintergrundwissen und anderen Vorstellungen zu lesen.

Tatsächlich handelt es sich bei diesem Roman um ein äußerst intensives, komplexes Leseerlebnis mit zahlreichen Namen, diversen Gedichtzeilen, einzelnen Erzählungen und einer Gesamtkomponente, die sich erst nach gut der Hälfte des Werkes erahnen lässt. Es gibt einen roten Faden, an dessen Rändern Menschen mit dramatischen Schicksalen, Ereignisse mit unbeschreiblichen Gewaltszenen und Weisheiten aus einer fremden Kultur stehen. Und erst nachdem man glaubt, diesen Faden fast verloren zu haben, schwingt sich die Erzählung zu Neuem auf und verrät plötzlich das, was man verzweifelt gesucht hat. Erst in der zweiten Buchhälfte wird der Leser mit dieser Geschichte vertraut, die laut Klappentext „in Scherben liegt“.

Dieses Buch prägt sich ein, es hinterlässt Spuren und Fragen, es ist wie ein Vorhang, der sich kurz öffnet um ein Szenario zu zeigen, welches voller Bilder und Emotionen ist und er schließt sich bald schon wieder um die Gedankengänge des Lesers anzuregen. Gerade dieses anspruchsvolle, sprachlich auf hohem Niveau angesiedelte Experiment, bringt den Zusatznutzen für Literaturbegeisterte.

Dennoch erfordert das Lesen höchste Konzentration und in gewisser Weise auch die Bereitschaft, sich auf vollkommen fremde Situationen und Menschen einzulassen, die so rein gar nichts mit dem eigenen Leben gemeinsam haben. Das fiel mir besonders schwer, weil es keinen Protagonisten gab, mit dem ich mich hätte identifizieren können und weil das Denken hier so universell ist wie der Glaube, die Politik und die Gesamtheit der Welt. Eine Beurteilung kann man nur in Ansätzen schreiben, jeder wird hier etwas anderes finden aber jeder kommt auf seine Kosten.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne, für diesen Roman, der auf mich wie ein Manifest wirkt, den ich nicht wirklich ins Herz geschlossen habe, der mich aber zutiefst bewegt hat und in seiner schriftstellerischen Form absolut überzeugen konnte. Dieses Buch trifft man irgendwann wieder, in einer anderen Situation, vielleicht mit anderen Ansichten und tieferen Bezügen zum Land selbst. Ein Buch zu dem man auch sagen könnte: „Man sieht sich immer zweimal im Leben.“ Und dessen Nutzwert, jedes Mal auf einer anderen Schwelle stehen wird. Hier hilft nur eins – selberlesen!