Dieser historische Roman der Wiener Autorin Beate Maly spielt zu Beginn der 20. Jahrhunderts. Wien ist noch die Hauptstadt eines Vielvölkerstaates. Das riesige Habsburgerreich zeigt langsam aber sicher Abnützungserscheinungen. In Wien regiert Bürgermeister Karl Lueger, der mit seinen antisemitischen Aussagen, so manchen Bewohner aus dem Herzen spricht. Die Bevölkerung ist in mehrere Klassen eingeteilt: Hier der Adel und das wohlhabende Bürgertum, dort die armen Fabriksarbeiter, die kaum das nötigste zum Leben haben. Die einen gehen Polo spielen, die anderen suchen in den Abfälle nach Nahrung. Soweit das historische Umfeld.
Lotte Seidl muss, um die Schulden, die die Krankheit des Vaters verursacht haben, nach seinem Tod den bisherigen Haushalt in Mürzzuschlag, einem kleinen Ort an der steirischen Seite des Semmerings, auflösen. Mit wenig Geld und großen Hoffnungen begibt sie sich nach Wien, um eine Stellung anzunehmen. Mit viel Glück ergattert sie, auf Grund ihrer Kenntnisse vom Schifahren und Bergsteigen, einen Job als Verkäuferin bei einer der wenigen selbständigen Geschäftsfrauen Wiens: Bei Mizzi Langer-Kauba in der Kaiserstraße nahe dem Westbahnhof. Mizzi verkauft Reitausrüstung und Reitbekleidung und als sie entdeckt, dass Lotte etwas vom Schifahren versteht, steigt sie, trotz vehementer Ablehnung durch ihren Ehemann, sofort auf Wintersport um.
Die Geschäftsbeziehung der beiden unterschiedlichen Frauen entwickelt sich trotz diverser Auffassungsunterschiede in eine zumindest für MIzzi profitable Richtung. Allerdings ist die Neue immer wieder Anfeindungen von Mila, der Senior-Verkäuferin und Bert, dem faulen Verwandten von Mizzi ausgesetzt. Trotz langer Arbeitstage lernt Lotte den jungen Arzt Jakob Sonnstein kennen, der als schwarzes Schaf seiner reichen, jüdischen Familie gilt. Die Sonnsteins sind Zuckerl-Fabrikanten und die soziale Ader des Arztes, der im Kinderkrankenhaus bis zur Erschöpfung arbeitet, ist ihnen unverständlich. Wenn er wenigstens reiche Privatpatienten behandeln würde, aber nein, verlauste, an Tuberkulose erkrankte Arbeiterkinder sind sein Klientel.
Lotte wird letztendlich Opfer einer von Mila gesponnenen Intrige und verliert, ohne sich rechtfertigen zu können, ihre Stellung bei Mizzi Langer-Kauba.
Meine Meinung:
Beate Maly ist ein buntes Bild der Zeit gelungen, in der einige wenige alles und andere nichts haben. Gut gelungen sind die Lebensumstände der Verkäuferinnen geschildert. Auch der Kampf von Mizzi, die ihr Geschäft de facto gegen den Willen ihres Ehemanns führt, gegen die Windmühlen der öffentlichen Meinung ist gut getroffen. Klasse ist auch Mizzis Erkenntnis, das auch negative Berichterstattung Werbung ist. Hauptsache man spricht über das Geschäft! Witzig finde ich die Szene, in der Mizzi und Lotte ins Warenhaus spionieren gehen und nach Schiausrüstung fragen.
Die sozialkritischen Töne hätten für mich noch ein wenig schärfer sein können. Denn obwohl Lotte lange Arbeitszeiten hat, ist ihr Los gegenüber den Ziegelarbeiterinnen oder Fabriksarbeiterinnen fast schon luxuriös. Sie hat immerhin ein Dach über dem Kopf, mehrere Mahlzeiten am Tag und muss nicht wie andere ihren Körper feil bieten, um auch nur überleben zu können. Auch in der Fabrik von Joseph Mandl gehört sie eher zu den Privilegierten. Allerdings spielt sie diesen Vorteil nie aus, sondern versucht das Los anderer, wie z.B. von Fritz zu verbessern.
Beate Maly hat wieder gründliche Recherchen angestellt, so dass die Leser ein umfassendes Bild von den Lebensumständen der Menschen um die Jahrhundertwende bekommen. Vor allem das Fehlen von Krankenversicherungen und Absicherung der Hinterbliebenen machen einen großen Teil des Elends aus. Das ist auch Jakob klar, der mit seinem Idealismus und seinem Sendungsbewusstsein, auch mittellose Kranke zu behandeln, ständig im Clinch mit seinem Klinikchef liegt
Die Grenzen zwischen den Schichten sind kaum durchlässig. So ist es nur schwer glaubhaft, dass das Mädel vom Land, in die großbürgerliche Familie Sonnstein einheiraten kann. Allerdings, scheint Jakob einer der wenigen Idealisten zu sein, mit dem eine solche Verbindung möglich sein könnte.
Beate Malys Schreibstil ist angenehm zu lesen. Geschickt flicht sie historische Persönlichkeiten wie eben Mizzi Langer-Kauba, deren Ehemann und/oder Mathias Zdarsky ein. Die Charaktere sind recht gut angelegt. Einzig Lotte hätte ein wenig mehr Kontur vertragen können. Mizzi Langer-Kauba hat sich gehörig in den Vordergrund gedrängt.
Der Titel „Lottes Träume“ ist wieder ein bisschen so ein Fall in dem der Verlag das letzte Wort gesprochen hat. Denn eigentlich kommen Lottes Träume gar nicht zur Sprache.
Das Cover möchte ich noch besonders hervorheben. Es gibt im ober Teil eine Berglandschaft und unteren Bildabschnitt eine winterliche Ansicht von Wien wieder. Auch haptisch ist das Buch ein Erlebnis, da der in glitzernden Buchstaben gedruckte Titel, hervorgehoben ist.
Fazit:
Ein historischer Roman aus dem Wien des Fin de Siècle, der die Probleme von berufstätigen Frauen anreißt. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.