Cover-Bild Simulating the Mind II
23,80
inkl. MwSt
  • Verlag: Shaker
  • Genre: keine Angabe / keine Angabe
  • Seitenzahl: 266
  • Ersterscheinung: 08.01.2021
  • ISBN: 9783844078015
Dietmar Dietrich

Simulating the Mind II

Psychoanalyse, Neurologie, Künstliche Intelligenz: ein Modell
Band der Reihe "Berichte aus der Medizinischen Informatik und Bioinformatik"
Das erklärte Ziel des Autors ist es zu zeigen, wie über Erkenntnisse der Psychoanalyse, der Neurologie und der Computertechnik ein einheitliches Modell von Psyche und Körper zu entwickeln ist. Ein solches Modell erlaubt einerseits die Prüfung psychologischer und gesellschaftlicher Theorien auf naturwissenschaftlicher Basis mit Hilfe von Simulationsexperimenten. Andererseits kann das nach den funktionalen Strukturen des menschlichen Gehirns und der Psyche erarbeitete Modell die Basis für Systeme der Künstlichen Intelligenz bieten. Das können Systeme mit kognitiven Fähigkeiten sein, die Menschenleben retten, Energie einsparen, die Sicherheit auf Flughäfen gewährleisten, in der Altersversorgung und im medizinischen Bereich unterstützend wirken, die also, allgemein gesprochen, unser Leben auf breiter Basis einschlägig vereinfachen.

Dieses Produkt bei deinem lokalen Buchhändler bestellen

Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.04.2021

Ein Muss für Psychoanalytiker von morgen und psychologisch interessierte Naturwissenschaftler

0

Das Buch berichtet vom Grundlagenforschungsprojekt aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz „Simulating the Mind“ (SiMA). Dieses Projekt hat zum Ziel, das menschliche Nervensystem durch Simulationen ...

Das Buch berichtet vom Grundlagenforschungsprojekt aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz „Simulating the Mind“ (SiMA). Dieses Projekt hat zum Ziel, das menschliche Nervensystem durch Simulationen nachzubilden, um dadurch für verschiedene Anwendungen dessen Fähigkeiten emulieren zu können. Das Projekt basiert dabei auf dem Paradigma, das Nervensystem (bzw. das Gehirn) als ein Informationsverarbeitungssystem (bzw. Computer) zu verstehen.
Dieser Ansatz wird damit bei den meisten psychoanalytischen und auch neurowissenschaftlichen Lesern Widerstände provozieren: die sogenannte Computermetapher hat ja sowohl als Mittel zur Propagierung verschiedener Umstrittener Annahmen und Sichtweisen wie auch als Gegenstand kritischer Auseinandersetzung mittlerweile eine lange Geschichte. Aber genau hier kann das Buch überzeugen, denn Dietrich macht unmissverständlich klar, dass er Computer nicht als Metapher heranzieht, sondern eben als ein Paradigma versteht, um das Gehirn und dessen Psyche zu verstehen. Das bedeutet, dass Dietrich die Voraussetzung aufstellt, dass das Nervensystem konsequent als Informationssystem betrachtet und beschrieben werden muss. Die Konsequenzen, die Dietrich im Verlaufe des Buches herausarbeitet, sind verblüffend. Es zeigt sich z.B., dass Sigmund Freuds Metapsychologie aus naturwissenschaftlicher Sicht der richtige Ansatz ist, um das Nervensystem und dessen Psyche zu verstehen; etwas was selbst Psychoanalytiker heutzutage meist nicht glauben.

Um das dem Leser verständlich zu machen, muss dieser in die Grundlagen der Computertechnik und Informationstheorie eingeführt werden. Dietrich, der in diesem Bereich ein ausgewiesener Fachmann ist, gelingt es, den Leser gekonnt Schritt für Schritt in die Grundlagen der Computertechnik und Informationstheorie einzuführen. Gleichwohl muss gesagt sein, dass diese Passagen (Kapitel 4 und 5) für den Einen oder Anderen, der kein großes naturwissenschaftliches Vorwissen mitbringt, nicht unbedingt leicht zu verstehen sind; was aber der Schwierigkeit des Inhalts und nicht der Erklärweise geschuldet ist.
Auf diesen Grundlagen aufbauend erläutert Dietrich in der Folge, was die Konsequenzen sind, wenn man die technisch-wissenschaftlichen Grundsätze des Computeringenieurwesens auf den Gegenstand des Gehirns anwendet. Allen voran die Notwendigkeit, mit einer funktionalen und holistischen Beschreibung der Psyche zu beginnen, die über Simulationen empirisch geprüft und immer weiter verfeinert wird. Die Metapsychologie Freuds kommt hier ins Spiel, weil sie die einzige psychologische Theorie ist, die die Kriterien erfüllt, die die Informationstheorie an eine psychologische Beschreibung stellt, und damit empirisch überprüfbar ist. Im Zuge dieser Erläuterungen beschreibt Dietrich dann mit zunehmender Genauigkeit das Modell, das bis hierhin im Projekt SiMA ausgearbeitet wurde. Dieses Modell basiert nicht ausschließlich auf Freuds Metapsychologie, sondern greift auch die Emotionstheorie von Antonio Damasio sowie Theorien von Alexander Luria und Mark Solms auf, wodurch dieses Modell, nebenbei gewissermaßen, verschiedene Theorien verschiedener Neurowissenschaftler miteinander in einem Modell vereinigt.
Das abschließende Kapitel ist dann ein Ausblick darauf, welche Fragen das Projekt aufwirft und wie das Projekt, das als „unendliche Geschichte“ bezeichnet wird, weiter gehen könnte: für Dietrich hat das Projekt keine abschließenden Antworten gefunden sondern gewissermaßen die naturwissenschaftliche Erforschung der menschlichen Psyche erst eröffnet. Hier vermittelt das Buch eine ungemeine Aufbruchsstimmung und öffnet den Blick für eine Reihe von Fragen, die das Projekt aufwirft, aber auch für viele ungeahnte technische Möglichkeiten, die auf dessen Grundlage verwirklicht werden könnten.

Als Schwächen des Buches müssen einige Kinderkrankheiten von Erstauflagen aufgezählt werden: Vereinzelte ins Leere verweisende Querverweise oder falsche Verweise auf Abbildungen, sich wiederholende Absätze und vereinzelte Schreibfehler. Das verlangt vom Leser leider an der einen oder anderen Stelle, aufmerksam zu lesen, welche Abbildung mit einem Verweis gemeint ist. Gleichwohl besticht das Buch insgesamt mit einem gut verständlichen Aufbau und einer klaren Erklärweise, in der Fachbegriffe und Konzepte gut erläutert werden. Zudem vermeidet es Dietrich konsequent, in irgendeine Form von Dogmatismus abzugleiten, was im Bereich der Erforschung des Gehirns und der Psyche leider sehr vielen Autorinnen und Autoren passiert; gleichzeitig macht er macht aber auch seine eigenen Überzeugungen transparent und bezieht zu verschiedenen kontroversen Fragen eine klare Position.

Für allgemein naturwissenschaftlich geschulte Personen, mit Interesse an Fragen der Psyche, ist das Buch eine sehr gute Einführung in die Grundlagen der freudschen Psychoanalyse, wie man sie von Psychoanalytikern selbst leider vergeblich suchen wird.
Für Neurowissenschaftler ist dies ein sehr wichtiges Buch, weil man hier eine kritische Perspektive auf die heutige vorherrschende Forschungsmethoden und Denkweisen in der Neurowissenschaft erhält, bei gleichzeitiger Erläuterung einer alternativen naturwissenschaftlichen
Vorgehensweise.
Für Psychoanalytiker ist dieses Buch eine Pflichtlektüre, weil man eine Interpretation der Metapsychologie erhält, die es erlaubt selbige in Anschluss an die modernen Naturwissenschaften zu bringen – etwas wovon Freud seines Lebens überzeugt war, dass es eines Tages gelingen würde. Man darf hoffen, dass zukünftige Generationen von Psychoanalytikern es schaffen werden, eine fruchtbare Kooperation auf Augenhöhe mit Naturwissenschaftlern zu finden, die der Psychoanalyse jene Anerkennung einbringen würde, die sie verdient. Für eine solche Kooperation hat Dietrich mit SiMA die Grundlage gelegt und mit diesem Buch eine Einführung zu dieser geschrieben, die den Leser mit der Vorfreude zurücklässt, dieses Projekt weiterzuführen.