Gibt es ein Matriarchart?
Sprachlich ist das Werk überzeugend und klar; Friedericke Oertel verwendet oft mitreißende Worte und lässt den Ort vor unserem geistigen Auge in all seiner Farbigkeit lebendig werden. Auch das Cover ist ...
Sprachlich ist das Werk überzeugend und klar; Friedericke Oertel verwendet oft mitreißende Worte und lässt den Ort vor unserem geistigen Auge in all seiner Farbigkeit lebendig werden. Auch das Cover ist wunderbar leuchtend und stimmt auf diesen Teil Mexikos ein, wo sie ihren Urlaub fernab patriarchalischer Strukturen verbringt, in Juchitán, wo es ein vermeintlich vorherrschendes Matriarchat geben soll.
Sie berichtet über die Situation der dort lebenden Menschen und bringt uns ihre Kultur näher. Das gelingt ihr sehr gut, allerdings ist vieles anders, als sie es sich gedacht hat. Sie findet eine Gesellschaftsform vor, in der Frauen das Sagen haben, und auch ein drittes Geschlecht, die Muxe, gesellschaftlich akzeptiert sind. Die Frauen treiben Handel auf dem Markt, organisieren viele farbenfrohe Feste, die sie selbst untereinander finanzieren. Sie sind eingebunden in jahrhundertealte Traditionen, die einen ganz speziellen Kleiderstil verlangen, und eine Akzeptanz der Tradition ist unbedingt notwendig. Neben der vielen Arbeit betreuen sie ihre Kinder und vererben ihren Grundbesitz an die jüngste Tochter. Politisch spielen sie aber keine Rolle. Vieles empfindet sie als sehr patriarchal, ist mit Widersprüchen und Zweideutigkeiten konfrontiert.
Während ihres Aufenthalts spricht sie mit vielen Einheimischen und liefert Einsichten in diese Gesellschaftsstruktur. Dabei gibt sie auch viel Persönliches preis, das sie zu der zaudernden Frau gemacht hat Oertel hat sehr gut recherchiert und unterbricht ihren Reisebericht immer wieder mit Fakten über das jahrhundertealte Patriarchat und den alten sowie neuesten Forschungsergebnissen zum Matriarchat. Sie setzt sich mit ihren stark verinnerlichten verhaltensmäßigen Anpassungen ans Patriarchat auseinander und erhofft neue Einsichten und Verhaltensänderungen durch ihre Erfahrungen in Juchitán. Immer wieder läßt sie sich von Selbstzweifeln und Gefühlen überrollen.
Dieses persönliche Buch wird aber zu einem Sachbuch gemacht, indem der Lesefluss und ihre Geschichte immer wieder durch sehr viele Quellen und Fakten unterbrochen wird. Mich hat das gestört. Es ist einfach “too much“!
Auch haben mich diverse Fakten an die “woman's lib“- Bewegung der 70er Jahre erinnert. Feminismus und Gendergerechtigkeit sind nicht neu.
Aber man muss sich fragen, was unter Matriarchat zu verstehen ist, denn es gibt keine allgemeine Definition.
Wie sollte nun die ideale Gesellschaft für eine Frau sein? Loslösung von der propagierten perfekten Körperlichkeit, “Gefallsucht“ und Zurücknahme von Gefühlen wie Wut?
Allerdings hat Oertel erfahren müssen, dass die gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen und Muxe in Mexiko hoch sind und sie muss sich fragen, ob die Lebensweise der Zapotekinnen ihnen genug Raum für Eigenständigkeit und Individualität, lässt und das Patriarchat als weltweit vorherrschende
Gesellschaftsform abgeschafft werden kann.
Ich bezweifele es, dass das Leben für Frauen mit einer sehr hohen Mordrate in Mexiko, vorbildlich sein kann. Oertel konnte sich aber einige Anregungen holen.
Das Werk hat mich zum Nachdenken angeregt.Aber für den “Mann auf der Straße“ gibt es zu viele Verweise und Quellen, die von der Problematik ablenken, daher nur 4 Punkte