Cover-Bild Auszeit
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19,00
inkl. MwSt
  • Verlag: hanserblau in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 176
  • Ersterscheinung: 26.07.2021
  • ISBN: 9783446261952
Hannah Lühmann

Auszeit

Roman
„Ich bin noch nicht alt, ich habe noch Zeit. Ich brauche nur Luft, Luft und Abstand, ich muss die Dinge ordnen, und das kann ich jetzt. Je weiter ich laufe, desto klarer sehe ich.“

In einer Ferienhütte im Bayerischen Wald trauert Henriette um ihr ungeborenes Kind. Als draußen die Schatten länger werden und die Tage kürzer, bringt ein Freund ungeahntes Unheil mit sich.
Verführerisch und mit schmerzhafter Präzision seziert Hannah Lühmann die Träume und Ängste einer Generation um die dreißig, die alles zu haben scheint, aber der sich das Glück doch immer entzieht.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.07.2021

Am Scheitelpunkt

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Henriette, die Ich-Erzählerin in "Auszeit", steckt mit Mitte 30 in einer handfesten Lebenskrise. Vordergründig ist eine nur wenige Monate zurückliegende Abtreibung dafür verantwortlich, doch die Probleme ...

Henriette, die Ich-Erzählerin in "Auszeit", steckt mit Mitte 30 in einer handfesten Lebenskrise. Vordergründig ist eine nur wenige Monate zurückliegende Abtreibung dafür verantwortlich, doch die Probleme reichen bis ins verbummelte Kulturwissenschafts-Studium zurück und manifestieren sich aktuell in der festgefahrenen Dissertation zum Thema „Der Werwolf und seine Kulturgeschichte“:

"Mir fehlt auf elementare Weise der innere Antrieb. […] Ich wünschte, ich könnte sagen, ich wäre erst seit dem Frühjahr so. […] Aber es war schon immer so. Es fühlt sich nur schlimmer an." (S. 85)

Ganz anders ist ihre langjährige Freundin Paula: dem Leben zugewandt trotz schwerer Schicksalsschläge, spirituell, zupackend, empathisch:

"Paula ist im Leben, ich bin es nicht. Ich bin in meinem Kopf." (S. 14)

Ortswechsel als Therapie
Kurzerhand verordnet Paula Henriette eine gemeinsame herbstliche Auszeit in einer abgelegenen bayerischen Hütte. Dort soll sie die Seele baumeln lassen, mittels Yoga, Reiki und Waldspaziergängen zur Ruhe kommen und die Schreibblockade lösen.

Tatsächlich erscheinen die Probleme mit dem Abstand zu Berlin zunächst lösbarer, doch dreht sich die Gedankenspirale in Henriettes Kopf weiter. Sie reflektiert ihre Beziehung zu Tobias und den „Sex, der eigentlich keiner war“ (S. 139), ihre Bewunderung für die Lebenserfahrung dieses einige Jahre älteren Familienvaters, der ihr zuhörte, sie aber auch manipulierte. Die ungeplante Schwangerschaft erschien ihr zunächst „als wäre in meinem Inneren ein Licht angeschaltet worden“ (S. 99), trotzdem hat sie „eine Entscheidung gegen die Natur getroffen, gegen meine Natur“ (S. 134) und leidet darunter, deshalb nicht trauern zu dürfen:

"Das Recht, um das Kind zu trauern, habe ich verwirkt." (S. 55)

Mit dem Eintreffen von Tom, Paulas On-Off-Beziehung, wird aus dem Duo ein Trio. Ein neuer Takt muss gefunden werden – mit überraschenden Folgen.

In Teilen autobiografisch
Auch wenn die 1987 geborene Hannah Lühmann mit ihrer Protagonistin Henriette die Erfahrung eines Schwangerschaftsabbruchs teilt und seit ihrer Kindheit eine Grusel-Faszination für Werwölfe hegt, kann sie doch ansonsten nicht viel mit der zögerlichen Romanfigur verbinden. Wer wie sie mit Mitte 30 nach einem Philosophie- und Kulturjournalismus-Studium bereits für die FAZ, die Süddeutsche Zeitung, die Zeit und andere renommierte Presseorgane gearbeitet hat, nun als stellvertretende Ressortleiterin im Feuilleton der Welt tätig ist und den ersten Roman im Verlagshaus Hanser veröffentlicht, verzweifelt nicht an den Möglichkeiten dieser Generation, sondern hat sie ergriffen.

Eine neue Autorin mit viel Potential
Ich bin selbst überrascht, dass ich dieses düstere Buch, durch das allerdings - wie durch die stilisierten Äste auf dem hervorragenden Cover - stellenweise Licht dringt, gerne gelesen haben. Dabei kenne ich eher zielstrebige 30-Jährige und hege eine Abneigung gegen sich permanent selbst bespiegelnde, nur fordernde, nie gebende Menschen wie Henriette. Es erging mir hier ähnlich wie beim Roman "Die Glücklichen" von Kristine Bilkau, wo ein Paar in Henriettes Alter, allerdings anderer Lebenssituation, ähnlich erstarrt und leer ist. Die „groteske Unbegrenztheit von allem“, die „Überzahl an Entscheidungen“ und die „Übermacht möglicher Abläufe“ (S. 83) erweist sich als potentieller Hemmschuh dieser Generation.

Hannah Lühmann ist definitiv eine literarische Entdeckung für mich, auf deren weitere Romane ich sehr gespannt bin. Auch wenn ich mich beim Thema ihres schmalen Debütromans lediglich als staunende Zuschauerin fühlte, mochte ich den Schreibstil sehr, die große Dichte, Präzision, Knappheit und Sensibilität.

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Veröffentlicht am 26.07.2021

Vorbereitung eines Wendepunkts

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Es ist Ende Oktober, als die Freundinnen Henriette und Paula sich auf den Weg nach Bayern machen. Der Vorschlag, eine Weile in einer einsamen Hütte im Wald zu verbringen, kam von Paula. Ruhe und Bewegung ...

Es ist Ende Oktober, als die Freundinnen Henriette und Paula sich auf den Weg nach Bayern machen. Der Vorschlag, eine Weile in einer einsamen Hütte im Wald zu verbringen, kam von Paula. Ruhe und Bewegung sollen Henriette dabei helfen, die Abtreibung zu verarbeiten, die sie im Frühjahr vorgenommen hat. Diese will die Zeit vor allem nutzen, um an ihrer Promotion zum Werwolf und seiner Kulturgeschichte zu arbeiten, bei der sie seit langem keine nennenswerten Fortschritte gemacht hat. Als Tom, mit dem Paula seit drei Jahren eine On-Off-Beziehung führt, seinen Besuch ankündigt, verändert sich die Dynamik in der Hütte.

Die Ich-Erzählerin Henriette lernt man kennen, als sie gerade zu ihrem Abtreibungstermin aufbricht. Die Entscheidung zu diesem Schritt fühlt sich für sie an, als würde er ihr wieder neue Möglichkeiten eröffnen. Was sie in diesem Moment noch nicht erahnen kann ist die Trauer, die sie einige Monate später fest im Griff hat. Monate sind vergangen, ohne dass sie etwas erreicht hat und wüsste, wie es für sie weitergehen soll. Ich war gespannt, ob die Zeit in der Hütte ihr neue Klarheit bringen kann.

Der Roman wird in ruhigem Tempo erzählt und konzentriert sich vor allem darauf, ein Psychogramm von Henriette zu erstellen. Ich erhielt Einblick in ihre Überlegungen, wie sie an den aktuellen Punkt gelangt ist. Sie bereut die Abtreibung und weiß nicht, in welche Richtung sie ihr Leben treiben soll. Henriettes Gedanken kreisen vor allem um sie selbst. Paulas Bemühungen, sie auf dem Prozess zu unterstützen, nimmt sie dankbar an, ohne sich zu fragen, wie es dieser ergebt. Für mich wurde immer deutlicher, wie unempfänglich Henriette für die Probleme anderer ist und dass sie ein Charakter ist, der mehr gibt als nimmt.

Dass hier ein Wendepunkt vorbereitet wird spürte ich im Laufe der Lektüre immer deutlicher. Bei Henriettes Arbeit an ihrer Promotion zu Werwölfen geht es unter anderem um das Thema der schmerzhaften Transformation. Hier werden auf der emotionalen Ebene Parallelen zu ihrer eigenen Situation deutlich. Der entscheidende Veränderungsmoment konnte mich schließlich überraschen und wird für Diskussionen sorgen. Was danach passiert, wird in aller Kürze angedeutet, sodass ich als Leserin den Raum hatte, meine eigenen Überlegungen mit einfließen zu lassen.

Veröffentlicht am 26.07.2021

Das Leben, Bürde oder Offenbarung?

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Das magische Blau des Covers zog mich an und da es um Figuren in meinem Alter geht, war die Neugier groß.

In der Geschichte geht es um Henriette, die dringend eine Auszeit braucht. Bei ihrer Dissertation ...

Das magische Blau des Covers zog mich an und da es um Figuren in meinem Alter geht, war die Neugier groß.

In der Geschichte geht es um Henriette, die dringend eine Auszeit braucht. Bei ihrer Dissertation kommt sie einfach nicht weiter und auch sonst beutelt das Leben sie. Wird ihr die Ruhe in der einsamen Hütte gut tun und kann Freundin Paula helfen?

In meinen Augen sollte man beim Lesen der Lektüre in einer stabilen, emotionalen Verfassung sein, denn der Inhalt des Romans zieht einen ganz schön runter.

Frau Lühmann gelingt es hervorragend Generation Y, die alles hat darzustellen. Besonders prägnant und bei Lektüregenuss enorm spürbar die Depression der Hauptfigur. Zu Beginn denkt man noch wie anstrengend Henriette doch ist und dass man nicht gern mit ihr befreundet sein möchte, bis man hinter ihre Mauer schauen darf und immer mehr Verständnis für sie aufbringt.

Während Henriette für mich der Schatten in der Handlung ist, strahlt Freundin Paula so viel Licht und Wärme aus, dass Hoffnung doch noch denkbar ist. Man wünscht sich, dass Henriette von ihrer Freundin doch bitte ein paar Lebensweisheiten annimmt.

Der Roman ist gewiss keine leichte Kost, die man mal so ganz nebenbei liest, denn man wird tief in den Strudel der Depression gezogen und fragt sich: Hätte ich auch so gehandelt? Würde ich bereuen oder nach vorn schauen?

Das Ende hat mich doch etwas überrumpelt und geschockt, aber das Leben ist nun mal kein Kindergeburtstag und fordert auch die Fröhlichsten unter uns, von daher eine interessante Wende.

Fazit: Düster, schmerzhaft und emotional. Wer sich dem gewachsen sieht, wird seinen Nutzen aus der Geschichte ziehen können. Ich habe den Roman gern gelesen und werde die Figuren nicht so schnell vergessen. Gern spreche ich eine Empfehlung aus.

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Veröffentlicht am 21.07.2021

Ein stiller Roman

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Schon seit einer ganzen Weile schreibt Henriette an ihrer Dissertation, oder besser: sie sollte daran schreiben. Denn sie komm nicht wirklich voran, ihre Arbeit scheint ihr abwechselnd faszinierend und ...

Schon seit einer ganzen Weile schreibt Henriette an ihrer Dissertation, oder besser: sie sollte daran schreiben. Denn sie komm nicht wirklich voran, ihre Arbeit scheint ihr abwechselnd faszinierend und völlig belanglos, es findet sich einfach kein roter Faden, dem sie folgen kann. Dann wird sie schwanger, und obwohl sie anfangs große Gefühle hegt für dieses Kind in ihr und sich sehnlich eine Tochter wünscht, treibt sie das Baby ab. Später reist sie mit einer Freundin in eine abgelegene kleine Hütte, um dort wieder zu Atem zu kommen.

Letzteres, der Aufenthalt in der Hütte, ist der Ausgangspunkt der Geschichte; von dort aus eröffnet der Roman dem Leser nach und nach Einblicke in die Vergangenheit, das Puzzle setzt sich langsam zusammen. Viel Handlung gibt es nicht, es ist mehr die Atmosphäre, welche die Autorin kreiert hat, die den Roman auszeichnet. Die Stagnation in Henriettes Leben, ihre Depression, all das spiegelt sich in der Sprache und der Erzählweise wider und wird auf diese Weise nachempfindbar gemacht. Ich konnte mich auch tatsächlich sehr gut hineinfühlen in die Geschichte, das Buch aufzuschlagen war jedes Mal, als senke sich eine dichte Wolke auf einen herab. Alles wirkt merkwürdig gedämpft, fast wie durch Watte hindurch und in Zeitlupe, oder so als sei man noch halb im Schlaf. So wurden die Gefühle und Gedanken der Protagonistin sehr gut transportiert.

Während Henriette in der sie plötzlich umgebenden Ruhe der Hütte versucht, ihrer Depression zu entkommen, sich endlich darüber klar zu werden, was sie möchte, welcher Weg der richtige für sie ist, liest man parallel dazu davon, wie es zu dieser Situation kam, zu ihrer Schwangerschaft, über die sie sich erst freute und die sie am Ende verzweifeln ließ.

Am Ende hat mir dann doch noch das entscheidende Fünkchen gefehlt, davon abgesehen habe ich die Stille des Romans aber sehr genossen.

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Veröffentlicht am 15.07.2021

Dunkle, intensive Tiefe

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„Es kommt mir vor, als würden sich im Leben der allermeisten Menschen die Dinge einfach irgendwie fügen. Nicht zwangsläufig zum Guten, aber sie fügen sich eben, das heißt, sie haben eine gewisse innere ...

„Es kommt mir vor, als würden sich im Leben der allermeisten Menschen die Dinge einfach irgendwie fügen. Nicht zwangsläufig zum Guten, aber sie fügen sich eben, das heißt, sie haben eine gewisse innere Logik, einen Zusammenhang. Nur mein Leben erscheint mir komplett zufällig, wie eine kaum zu bewältigende Leere, eine Fläche, in die ich dringend einen Pfosten einschlagen muss, bevor es zu spät ist.“

Henriette promoviert seit längerem an der Uni, sie schreibt an einer Kulturgeschichte über den Werwolf im internationalen Vergleich. Eigentlich wollte sie nie promovieren, aber „dann habe ich mit allem so lange gebraucht, dass es mir als das einzig Sinnvolle erschien, weiterzumachen.“ Doch sie kommt nicht weiter, Henriettes Leben befindet sich in einem Zustand der Stagnation. „Mir fehlt auf elementare Weise der innere Antrieb. Meine ganze Energie wandert in Gedanken, die nichts mit der Realität zu tun haben. Ich verbringe Stunden damit, Dinge zu planen, die ich genauso gut einfach tun könnte. Mir fällt zu viel zu den falschen Dingen ein.“ Als Henriette ungewollt schwanger wird, hat sie das Gefühl, mithilfe dieses Kindes aus ihrer Depression herauszukommen. „Etwas daran machte mich stolz, es riss mich aus meiner Beliebigkeit, gab mir ein Gefühl der Verantwortung. […] Das Kind […] fügte der Situation einen weiteren Jemand hinzu, der etwas mit mir machen, der mich von außen bearbeiten und mir etwas vorgeben würde.“ Doch als sie den Vater des Kindes über ihre Schwangerschaft in Kenntnis setzt und dieser sie fortan mit Nachrichten bombardiert, kippt Henriettes innere Einstellung ins Entgegengesetzte. Sie entscheidet sich für eine Abtreibung: „Ich fühlte mich stark, auf eine neue, dunkle Weise, ich hatte eine Entscheidung gegen die Natur getroffen, gegen meine Natur. Ich hatte, so fühlte ich mich in diesem Moment, zum ersten Mal in den Lauf der Dinge auf eine Weise eingegriffen, die relevant war. Ich würde ich Zukunft spüren, wo ich anfing und wo ich aufhörte, weil ich, vielleicht zum ersten Mal, wirklich eine Grenze überschritten hatte.“ Doch Henriette soll sich irren, nach der vorgenommenen Abtreibung fällt sie in eine noch dunklere Tiefe als zuvor. Henriettes beste Freundin, Paula, überredet sie zu ein paar Tagen in einer Hütte im bayrischen Wald. Dort stellt sich Henriette ihrer eigenen persönlichen Wahrheit.

Hannah Lühmann ist es mit ihrem kurzen, sehr intensivem Roman gelungen, ein wahrhaftes Bild des psychischen Zustandes einer Frau, die eine Abtreibung vorgenommen hat, zu zeichnen. In nur wenigen Sätzen bringt sie die Trauer und die Unmöglichkeit zur Trauer einer solchen Frau zum Ausdruck. „Um das Kind kann ich in zweifacher Hinsicht nicht trauern: weil ich es getötet habe. Es wäre eine selbstgerechte Trauer, die das Betrauerte verlacht. Und, aber dieser Grund wiegt weniger schwer: weil ich es nicht kannte, das Kind.“ Die Leserin taucht ein in die dunkelste Tiefe einer Frau, die es geben kann. Und es gelingt ihr das fast Unmögliche: Auch jede Frau, die niemals in ihrem Leben abgetrieben hat, ist im Stande zu verstehen, was es bedeutet und was es mit einem macht. Hannah Lühmann ist ohne Zweifel eine große Schriftstellerin, die uns in psychologische Tiefen mitreißt und uns am Ende wieder völlig unerwartet an die Oberfläche rauswirft. Atemlos, bewegt, geläutert. Lediglich das abrupte Romanende mit seinem Abschluss hat mich nicht vollkommen überzeugt. Nur deswegen vergebe ich keine volle Sternebewertung.

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