Cover-Bild Die Geschichte der Baltimores
24,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Piper
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 512
  • Ersterscheinung: 02.05.2016
  • ISBN: 9783492057646
Joël Dicker

Die Geschichte der Baltimores

Roman
Andrea Alvermann (Übersetzer), Brigitte Große (Übersetzer)

Bis zum Tag der Katastrophe gab es zwei Goldman-Familien. Die Baltimore-Goldmans und die Montclair-Goldmans. Die »Montclairs« sind eine typische Mittelstandsfamilie, kleines Haus im unschicken New Jersey, staatliche Schule für Marcus, den einzigen Sohn. Ganz anders die Goldmans aus Baltimore: Man ist wohlhabend und erfolgreich, der Sohn Hillel hochbegabt, der Adoptivsohn Woody ein Sportass erster Güte. Als Kind ist Marcus hin- und hergerissen zwischen Bewunderung für diese »besseren« Verwandten und Eifersucht auf ihr perfektes Leben. Doch Hillel und Woody sind seine besten Freunde, zu dritt sind sie unschlagbar, zu dritt schwärmen sie für das Nachbarsmädchen Alexandra - bis ihre heile Welt eines Tages für immer zerbricht. Acht Jahre danach beschließt Marcus, inzwischen längst berühmter Schriftsteller, dass es Zeit ist, die Geschichte der Baltimores aufzuschreiben. Aber das Leben ist komplizierter als geahnt, und die »Wahrheit« über ihre Familie scheint viele Gesichter zu haben.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2018

Lesehighlight

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Marcus Goldman ist Schriftsteller. Gerade plant er einen neuen Roman und hat sich nach Florida zurückgezogen. Doch ständig kommen Erinnerungen in ihm hoch, an seine Familie, an eine Katastrophe die die ...

Marcus Goldman ist Schriftsteller. Gerade plant er einen neuen Roman und hat sich nach Florida zurückgezogen. Doch ständig kommen Erinnerungen in ihm hoch, an seine Familie, an eine Katastrophe die die Familie seines Onkels Saul heimsuchte, an eine vergangene Beziehung, an sein eigenes Leben – am Ende wird der Roman, an dem er schreibt, von all dem handeln.

Bereits mit „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ konnte der Autor mich überzeugen. Marcus Goldman spielt übrigens auch dort eine wesentliche Rolle. Die Erzählweise ist gleich geblieben, mit vielen Zeit- und Perspektivewechseln erzählt der Autor eine Geschichte, die sich dem Leser erst nach und nach gänzlich erschließt. Ich finde das sehr spannend, es bedarf aber einiger Aufmerksamkeit beim Lesen, die verschiedenen Stränge nicht außer Acht zu lassen, die erst am Ende alle verknüpft sind und dann erst das Gesamtbild ergeben. Dabei geht es dem Leser wie dem Protagonisten, der auch erst nach und nach die Wahrheit erfährt, vieles stellt sich für ihn – und den Leser – am Ende anders dar, als zunächst gedacht.

Die titelgebenden Baltimores sind Verwandte Goldmans, die in Baltimore leben. Er selbst und seine Eltern leben in Montclair und sind daher die Montclairs. Dieser Unterschied ist wesentlich. Die Balitmores sind Onkel Saul, Tante Anita, deren Sohn Hillel und Woody, ein Junge, den Saul und Anita aufgenommen haben, und der bald zur Familie gehört. Ihre Geschichte ist es, die hier erzählt wird, der Autor als Verwandter ist ihnen sehr verbunden, und hat viel Zeit mit den Baltimores verbracht.

Man lernt die Charaktere gut kennen, aber auch sie erschließen sich erst nach und nach, Marcus und mit ihm der Leser wird viele Überraschungen erleben, und manch einen Charakter am Ende mit anderen Augen sehen. Manches kommt einem vielleicht etwas überspitzt vor, aber nichts unwahrscheinlich.

Es ist hohe Erzählkunst, die der Autor hier abliefert, immer das Gesamtwerk im Auge zu behalten, sich nicht zu verzetteln, alles logisch herzuleiten und dem Leser einen spannenden Roman zur Verfügung zu stellen, diesen dabei nicht zu überfordern, aber auch nicht zu langweilen – das kann der Autor in der Tat perfekt. Nebenbei bringt er den Leser noch dazu, sich den Kopf zu zerbrechen, was gewesen sein könnte, und manches vielleicht sogar zu erraten. Ich bin sehr gespannt auf sein nächstes Werk, mit dem er sich vielleicht endgültig in die Riege meiner Lieblingsautoren schreiben wird.

Mich hat der Roman begeistert, ich konnte ihn kaum aus der Hand zu legen. Wer bereit ist, aufmerksam zu lesen, sich nicht nur auf mehrere Perspektiven, sondern auch mehrere Zeitebenen einzulassen, auf einen Roman, der nicht chronologisch erzählt wird, und der im Laufe der Erzählung manches auf den Kopf stellt, der erhält hier ein sehr lohnenswertes Werk, das ich absolut empfehlen kann, und dem ich gerne volle Punktzahl gebe.

Veröffentlicht am 29.05.2018

Die glückliche Jugend eines friedlichen Amerikas

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„Die Katastrophe des Lebens. Es gab immer Katastrophen, es wird immer Katastrophen geben, und das Leben geht trotzdem weiter. Katastrophen sind unvermeidlich. Sie haben im Grund keine große Bedeutung. ...

„Die Katastrophe des Lebens. Es gab immer Katastrophen, es wird immer Katastrophen geben, und das Leben geht trotzdem weiter. Katastrophen sind unvermeidlich. Sie haben im Grund keine große Bedeutung. Wichtig ist nur, wie wir sie überwinden.“


Inhalt


Marcus Goldman, erfolgreicher Schriftsteller, verarbeitet in diesem Buch seine eigene Lebensgeschichte oder zumindest die seiner glorreichen Kindheit und Jugend. Gemeinsam mit seinem Cousin Hillel und Woodrow, dem Ziehsohn der Familie Goldman verbringt er unvergleichliche Tage in Baltimore. Die drei Halbwüchsigen sind eine richtige Gang, sie teilen alles, unterstützen sich wo sie können und holen aus dem Gegenüber stets das Beste raus. Gemeinsam gehen sie durch dick und dünn und sind wahre Brüder im Herzen. Marcus steckt voller Bewunderung für den intelligenten Hillel und den Footballstar Woody und würde am liebsten seine eigene Familie gegen ein Leben an der Seite seiner Cousins eintauschen. Aber Marcus bleibt immer ein bisschen außen vor, muss wieder fahren, wenn die Ferien zu Ende gehen und das Anwesen seines geliebten Onkels Saul zumindest für eine Weile verlassen. Rückblickend erzählt er nun, warum die Goldmans aus Baltimore in seinen Augen so wunderbar waren aber auch, wie die Bilderbuchfamilie ihrem Untergang geweiht war, wie bald alle Mitglieder ums Leben kamen und eine Katastrophe das ganze Universum eines Menschen auf den Kopf stellen kann. Denn in der Gegenwart ist Marcus der Einzige, der Bilanz ziehen kann und in seinem Buch eine Versöhnung zwischen Menschen herstellt, die sich zu sehr liebten und zu wenig gönnten, um miteinander unbeschwert durchs Leben gehen zu können.


Meinung


Dies war mein erster Roman des prämierten Autors Joel Dicker, der auch mit diesem, seinem zweiten Roman monatelang auf den Bestsellerlisten vertreten war und ich habe ihn gern gelesen. Mit leichter Erzählstimme und äußerst genau gezeichneten Charakteren vermag er es, eine wirkliche Geschichte zu erschaffen, die obgleich ihrer fiktiven Seite, dennoch ein äußerst realistisches Familienporträt entwirft.


Auf gut 500 Seiten darf der Leser in die Welt des Marcus Goldman eintauchen, hinein in ein glückliches Idyll mit großartigen Menschen und liebevollen Elternhäusern. Die kleinen Gesten, die zahlreichen Handlungspunkte, die netten Gespräche, all das zeichnet diesen Roman aus. Immer fühlt man sich kurzweilig und gut unterhalten, nie wird es langweilig, nie unvorstellbar, sondern stets scheint das Leben selbst der Autor des Buches gewesen zu sein. Und obwohl die Handlung sehr willkürlich und oft in Zeit und Raum springt, passt auch dieser Schachzug zum Text, denn dadurch das Marcus eine Art übergeordnete Erzählperspektive vertritt, stellt sich der Leser darauf ein, von ihm nur stückchenweise die ganze Wahrheit offenbart zu bekommen. Die Anfangs erwähnte Katastrophe zeichnet sich erst im zweiten Drittel des Buches ab und auch die Vorgeschichte der Vergangenheit kommt erst dann ans Tageslicht.


Und so gern, wie ich dieses Buch auch gelesen habe, so gibt es zwei Punkte, die mich nicht vollends überzeugen konnten. Zum ersten ist es eine gewisse Banalität der Geschehnisse, denn eigentlich erfährt man hier nur von einer Freundschaft, an deren Erhalt der Zahn der Zeit nagte, die Menschen betraf, die sich verändert haben und nicht mehr wie die einstigen Teenager heere Träume hegten. Dafür benötigt man aber keine 500 Seiten Text, das kann man kürzer uns straffer erzählen. Auch die Katastrophe an sich, ist so typisch amerikanisch, dass sie mich schon wieder stört, weil sie ins Klischee verfällt. Auch die Tatsache, dass es anscheinend ewig dauert, bis man den Kern der Erzählung erreicht, hat mir nicht sonderlich gefallen und letztlich stört mich vor allem eins: es ist ein bitterer Einzelfall, eine Tragödie nur für die Baltimores, ein hausgemachtes Problem, eine recht willkürliche Sache, die mir über das Buch hinaus nur wenig Ansatzpunkte für weitere Gedankengänge offenbart. Man klappt die Geschichte zu und wird sie wieder vergessen, es ist alles gesagt, alles vergeben, alles vergessen und die Menschen, die damit leben müssten, sind tot.


Der Text hat mich darüber hinaus immer wieder an einen Film erinnert, ich könnte mir vorstellen, dass diese Geschichte als Spielfilm weit mehr in Erinnerung bleiben könnte, als in Textform. Dort würden auch die Rückblenden und Vorausgriffe besser wirken und die Charaktere könnten zur Höchstform auflaufen.


Fazit


Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen unterhaltsamen Familienroman über eine amerikanische Familie, deren Traum von der glorreichen Zukunft im Sand verläuft. Hier findet man eine interessante Story, Protagonisten mit Herzblut und spannende Hintergründe. Menschlich gesehen konnte mich diese Geschichte nicht bewegen, blieb mir zu oberflächlich und erhebt auch nicht den Anspruch mehr vermitteln zu wollen. Sie wirkt eher beispielhaft und durchaus persönlich, doch es ist die Art und Weise der Erzählung, die hier überzeugt, wenn auch nur so lange, wie man liest. Mir hätte sie generalistischer und weniger detailliert noch etwas besser gefallen. So bleibt es die Geschichte der Baltimores, die es nicht mehr gibt.

Veröffentlicht am 21.09.2016

Großartiges Porträt einer Familie -mit allen Höhen und Tiefen und Geheimnissen

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Zum Buch:

Alles dreht sich um eine Katastrophe, die 2004 geschehen ist. Der Protagonist Marcus Goldmann schreibt darüber im Jahr 2012. Aber die Rückblicke reichen bis 1989 zurück, um die Geschichte der ...

Zum Buch:

Alles dreht sich um eine Katastrophe, die 2004 geschehen ist. Der Protagonist Marcus Goldmann schreibt darüber im Jahr 2012. Aber die Rückblicke reichen bis 1989 zurück, um die Geschichte der Baltimores zu erzählen und dem Leser zu erklären, wie es zu der Katastrophe kommen konnte.
Als Kind verbringt Marcus seine Ferien und verlängerten Wochenenden in Baltimore, um mit seinen beiden Cousins das perfekte Dreiergespann zu bilden. Denn in Baltimore ist Marcus' Meinung nach alles besser. Die Familie seines Onkels Saul Goldmann ist sehr reich, lebt in einem schicken Viertel in einem riesigen Haus, hat Angestellte und teure Autos. Sein Onkel ist gütig und intelligent und seine Tante Anita warmherzig und elegant. Der junge Marcus kann nicht umhin, die Goldmanns aus Baltimore (die Baltimores) mit seiner ganz und gar durchschnittlichen Familie zu vergleichen und ertappt sich dabei, wie er manchmal seine Eltern "betrügt", weil er lieber ein Baltimore wäre.
Doch aller Luxus ist nicht so wichtig, wie die Zeit, die er mit seinen beiden besten Freunden verbringen kann. Zusammen mit Hillel und Woody wird er schwerelos und unbesiegbar. Sie verbringen unbeschwerte Momente zusammen und teilen alles -auch ihre Liebe zu Alexandra Neville, einem älteren Mädchen aus der Nachbarschaft.
Doch langsam beginnt eine Entwicklung, die schließlich in der Katastrophe münden wird, die alles für immer verändert.
Marcus beginnt acht Jahre nach der Katastrophe, die Geschichte seiner Familie aufzuschreiben und dabei zu hinterfragen und zu verarbeiten. In den diversen Rückblicken erhalten wir neue Informationen, sehen die Dinge in einem anderen Licht und entdecken Details, die den drei Jungen von damals verborgen blieben, die sie noch nicht verstehen konnten.
Und wieder einmal zeigt sich, dass nicht immer alles so ist, wie es auf den ersten Blick scheint, und dass jeder seine eigene Wahrheit hat.



Meine Meinung:

Dieses Buch hatte es wahrscheinlich nicht leicht mit mir. Ich habe "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" so geliebt und konnte es kaum erwarten, dass zweite Buch von Joel Dicker zu lesen. Aber dementsprechend hoch waren auch meine Erwartungen. Und unwillkürlich habe ich dann beim Lesen dieses Buch mit dem Erstlingswerk verglichen -und wurde nicht enttäuscht. Zwar können die Baltimores nicht ganz an das erste Meisterwerk heranreichen, aber eben nur ganz knapp.

Joel Dicker kreiert hier ein weiteres Mal sehr plastische, echte Charaktere. Sie haben Ecken und Kanten, machen Fehler und gerade das macht sie so nah und menschlich. Sie lieben, leiden, sind neidisch, verzeihen -und als Leser erlebt man das alles mit ihnen, denn Dicker zieht uns so sehr in seine Geschichte hinein, bringt und die Personen so nah, dass man gar nicht anders kann, als all ihre Gefühle mit ihnen zu empfinden.

Dabei behält er auch seinen herrlich unaufgeregten, eleganten und verzaubernden Schreibstil, der mich schon bei "Harry Quebert" so begeistert hat.

Auch dieses Buch wird wieder in mehreren Zeitebenen erzählt. Das ist hier allerdings nicht ganz so gut gelungen, wie bei dem ersten Buch.
Am Anfang war ich oft ein bisschen verloren und musste wieder zurückblättern, um mich an den Jahreszahlen zu orientieren. Aber dann findet man doch recht schnell in die Geschichte.

Alles dreht sich um diese eine große Katastrophe. Schon auf den ersten Seiten wird sie erwähnt und erst ganz zum Schluss erfahren wir, worum es sich dabei handelt. Allerdings wird während des ganzen Romans immer wieder Bezug auf "die Katastrophe" genommen. Dieses Stilmittel empfinde ich normalerweise als etwas billige Masche zum Spannungsaufbau. Doch bei Dicker hatte ich diesen Eindruck nur ganz selten und auch nur ganz leicht. Irgendwie hat er es mit seinem brillanten Schreibstil geschafft, sogar dieses Stilmittel gut umzusetzen. Aber ich finde, das hätte er eigentlich gar nicht nötig. Denn wer Geschichten so grandios erzählen kann, der braucht eigentlich keinen extra Trick zum Spannungsaufbau.

Neben den Zeitsprüngen und dem Verweis auf die Katastrophe ist mein einziger kleiner Kritikpunkt, dass ich die Person des Marcus Goldman als nicht ganz konsequent weiterentwickelt empfunden habe. Wir erfahren in "Die Geschichte der Baltimores" viel über seine Jugend. Doch diesen jungen Marcus konnte ich nicht ganz in Einklang bringen mit dem Bild, was ich in dem ersten Buch von ihm gemacht habe.
Aber innerhalb des zweiten Buches sind die Entwicklungen der Charaktere und auch ihrer Beziehungen zueinander absolut stimmig, nachvollziehbar und glaubwürdig.

Richtig gut gefallen hat mir die Entwicklung der Geschichte. Wir erfahren viel aus dem "aktuellen" Leben von Marcus Goldmann, aber auch aus seiner Vergangenheit. Wir bekommen Szenen aus seiner Jugend geschildert, wie er sie damals wahrgenommen hat, aber der ältere Marcus reflektiert die Geschehnisse von damals auch.
Und nach und nach entblättert sich vor dem Leser die Geschichte der Goldmanns, zweier sehr unterschiedlicher Familien. Und immer dann, wenn man sich gerade eine Meinung gebildet hat, gibt Dicker eine neue Sicht auf die Dingen, die den Leser wieder alles hinterfragen lassen.
Sehr gelungen fand ich die subtile Darstellung, dass, wenn die Geschichte einer Familie erzählt wird, es nicht DIE eine, gültige Wahrheit gibt, sondern das eben jeder seine eigene Sicht, seine eigene Wahrheit hat.


Fazit:

Insgesamt ist es wirklich ein hervorragendes Buch, dass nur ganz knapp hinter dem Meisterwerk "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" zurückbleibt.
Es ist wahrscheinlich gemein, dieses Buch mit seinem Vorgänger zu vergleichen, da es ein unglaublich hoher Vergleichsmaßstab ist. Und dennoch schneidet "Die Geschichte der Baltimores" sehr gut ab. Es ist ein schön geschriebenes, spannendes Buch, das ich uneingeschränkt empfehlen kann.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Das ist mein Jahreshighlight

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Zum einen sind da die Goldmans aus Montclair. Die Eltern leben gutbürgerlich mit ihrem halbwüchsigen Sohn Marcus in einem kleinen Haus. Zum anderen sind da die Goldmans aus Baltimore, die über Geld und ...

Zum einen sind da die Goldmans aus Montclair. Die Eltern leben gutbürgerlich mit ihrem halbwüchsigen Sohn Marcus in einem kleinen Haus. Zum anderen sind da die Goldmans aus Baltimore, die über Geld und mehrere prächtige Anwesen verfügen und hochangesehen und geschäftlich erfolgreich sind.

Marcus ist von Kindheit an unzufrieden mit seinem Leben in Montclair. Seine Eltern erscheinen ihm langweilig und kleinbürgerlich. Er verbringt all seine Ferien bei den reichen Verwandten in Baltimore und sehnt sich danach, Teil dieser Familie zu sein. Da ist der joviale, kluge Onkel Saul, den er fast wie einen Helden verehrt, die wunderschöne sanfte Tante Anita, für die er kindliche Liebe empfindet und nicht zuletzt sein hochintelligenter Cousin Hillel und der Ziehsohn der Baltimores, der liebenswerte Woody, die ihm beide bald zu besten Freunden werden. Die drei Jungen gehen miteinander durch dick und dünn, stehen einander bei und beflügeln sich gegenseitig. Marcus sieht für sich und seine Freunde eine glorreiche Zukunft. Er selbst als berühmter Schriftsteller, Hillel als erfolgreicher Anwalt und Woody als Profi-Footballer.

Aber eine große Katastrophe zerstört schließlich diese auf den ersten Blick perfekt erscheinende Familienidylle und Marcus Goldman braucht viele Jahre, bis er herausgefunden hat, was wirklich passiert ist. Er beschließt ein Buch über seine Familie zu schreiben, auch um über die tragischen Geschehnisse hinwegzukommen.

Die Geschichte entwickelt sich über einen Zeitraum von gut 20 Jahren und wechselt zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Von Anfang an weiß man, dass irgend ein Unglück über die Familie hereingebrochen ist, so dass danach nichts mehr ist wie vorher. Dabei erzählt Dicker fast immer aus der subjektiven Sicht von Marcus und weicht nur ein einziges Mal aus dramaturgischen Gründen davon ab, damit der Leser alle Einzelheiten der lange angekündigten Katastrophe erfährt. Man nähert sich diesem Ereignis sozusagen von zwei Seiten und reflektiert einmal mit dem Wissen des erwachsenen Marcus die Geschehnissen im Rückblick und rätselt andererseits mit der Unwissenheit des noch jugendlichen Marcus. Dadurch wirkt die Handlung wie ein groß angelegtes Puzzle, welches Stück für Stück vor dem Betrachter ausgebreitet wird und erst durch immer mehr Teile die nötige Schärfe und Klarheit bekommt.

Im Laufe seines Erwachsenwerdens blickt also Marcus – gemeinsam mit dem geneigten Leser - immer besser hinter die ihm anfangs so strahlende und heile Fassade der Goldmans und muss erkennen, dass auch sie menschliche Schwächen hatten, wie alle anderen. Ja, wahrscheinlich sind sie sogar von Allem ein bisschen mehr gewesen. Nicht nur klüger und reicher, nicht nur liebevoller und intelligenter, sondern auch neidischer und eifersüchtiger, unsicherer und naiver.
Schon nach wenige Seiten war mir klar, dass "Harry Quebert" – Dickers erfolgreifcher erster Roman - keine Eintagsfliege war. Joel Dicker kann einfach erzählen und fabulieren. Und er versteht, es einen Spannungsbogen aufzubauen, obwohl er sich jede Menge Zeit für die Familiengeschichte lässt und allen Figuren viel Platz gibt und kleinste, scheinbar unwichtige Begebenheiten so unterhaltsam schildert, dass mir keine Zeile zu viel war. Die Art, wie er den Leser in die große Familie der Goldmanns einführt, wie er deren Charaktere herausarbeitet und durch geschickte Zeitenwechsel nur in kleinen Häppchen und anfangs zarten Andeutungen beschreibt, was wirklich vorgefallen ist, ist ganz großes Kino und seine sprachlichen Qualitäten sind brilliant aber auf eine wohltuende Weise unprätentiös.

Schnell sind mir die drei Jungen – und auch die Nachbarstochter Alexandra – ans Herz gewachsen und ich habe harmonische abenteuerliche Ferien mit ihnen verbracht, erste Erfolge mit ihnen gefeiert, die erste Liebe mit ihnen entdeckt. Aber auch das Buhlen um die Gunst des anderen, die schicksalshaften Verwicklungen, die fürchterlichen Missverständnisse, die es in jeder Familie gibt, habe ich miterlebt und mit ihnen gebangt. Unglaublich geschickt, wie Dicker von Anfang an die Katastrophe als kleine schwarze Wolke über der Familie schweben und sie nach und nach zu einem schweren Unwetter heranwachsen lässt, dass am Ende die Baltimores mit Haut und Haaren verschlingt.

Was für ein kraftvolles, perfekt inszeniertes Buch! Was für ein Finale! Was für ein Schluss!

Ich bin total geplättet. Einerseits sprachlos, andererseits von dem Wunsch, es mit anderen zu teilen, übervoll. Schön auch, das Dicker das Buch mit einem versöhnlichen und fast heiteren Bogen zu einem klugen Ende bringt.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Joël Dicker - was für ein grandioser Erzähler!

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Gebundene Ausgabe: 512 Seiten
Verlag: Piper (2. Mai 2016)
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3492057646
Originaltitel: Le Livre de Baltimore
Preis: 24,00€
auch als E-Book und als Hörbuch erhältlich

Joël Dicker ...

Gebundene Ausgabe: 512 Seiten
Verlag: Piper (2. Mai 2016)
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3492057646
Originaltitel: Le Livre de Baltimore
Preis: 24,00€
auch als E-Book und als Hörbuch erhältlich

Joël Dicker – was für ein grandioser Erzähler!

Inhalt:
Saul Goldman lebt mit seiner Familie in Baltimore, ist reich und im Beruf erfolgreich. Sein Bruder Nathan hat es nicht so weit gebracht. Seine Familie führt ein eher durchschnittliches Leben in Montclair. Doch sein Sohn Marcus verbringt stets die Ferien bei seinen Cousins in Baltimore, wo die drei Jungs eine eingeschworene Gemeinschaft bilden. Marcus bewundert und beneidet seine reichen Verwandten. Doch später wird er erkennen, dass nicht alles Gold ist, was glänzt.

Meine Meinung:
Der Ich-Erzähler Marcus Goldman ist derselbe Protagonist wie in Joël Dickers erstem Roman „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“. Die Handlung baut aber nicht auf diesem auf, sodass man „Die Geschichte der Baltimores“ auch ohne Vorkenntnisse lesen kann.

Für mich war das vorliegende Werk das erste Buch dieses Autors, wird aber garantiert nicht das letzte bleiben, denn Joël Dicker hat mich mit Leichtigkeit von seinem Können überzeugt. Kaum hatte ich zu lesen begonnen, war ich auch schon ganz in die Geschichte dieses Familienclans vertieft. Joël Dicker versteht es wie kaum ein anderer, die Neugier des Lesers ständig anzustacheln und ihn mit kleinen Häppchen an Informationen zu versorgen, gerade so viel, um die nötige Spannung zu erhalten.

Schon gleich zu Beginn erfahren wir, dass es zu einer Katastrophe kommen wird. An diese Katastrophe arbeitet sich der Autor von zwei Seiten heran, einmal aus der Vergangenheit und einmal aus der Gegenwart. Zwischen beiden Zeitebenen wechselt die Erzählung ständig hin und her. Anfangs musste ich mich dabei höllisch konzentrieren, aber bald bereitete mir der Wechsel keine Probleme mehr.

Joël Dicker entblättert dabei Kapitel für Kapitel, Schicht für Schicht die Geschichte der Baltimores, also der Familie Goldman aus Baltimore. Dabei ist nichts so, wie es zunächst scheint. Marcus ist anfangs noch ein Kind und verklärt vieles, was er mit den Baltimores erlebt, bzw. durchschaut es einfach nicht. In der Gegenwart ist er Anfang dreißig, die Katastrophe liegt acht Jahre zurück und nach und nach erkennt er, wie es dazu gekommen ist.

Joël Dickers Roman besticht durch tiefgründige Charaktere, die man einfach mögen muss und die von einer enormen Leidenschaft und Liebe geprägt sind. Dicker beweist dabei eine sehr gute Beobachtungsgabe. Die Figuren erscheinen so plastisch, als würden sie neben einem stehen. Ich habe mit ihnen gebangt, geliebt und gelacht. Ich hatte Herzrasen beim Lesen und habe den Atem angehalten, so gefesselt war ich von dieser Geschichte.

Fazit:
Ein grandioser Roman über Familienbande, Freundschaft und Loyalität, über Liebe, Eifersucht und Neid und über das Glück, mit dem zufrieden zu sein, was man hat. Außergewöhnlich packend erzählt.

★★★★★

Ich bedanke mich ganz herzlich beim Piper Verlag für das Rezensionsexemplar, das mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde.