Rebellion und Selbstfindung – düster, spannend, mit Informationsdefizit und Logikschwächen
Dies ist ein abgeschlossener dystopischer Nahe-Zukunft-Thriller inklusive Rebellion. Thematisiert werden Änderungen am Klima und am Essverhalten, ein mächtiger Lebensmittelkonzern, genmanipulierte Bienen ...
Dies ist ein abgeschlossener dystopischer Nahe-Zukunft-Thriller inklusive Rebellion. Thematisiert werden Änderungen am Klima und am Essverhalten, ein mächtiger Lebensmittelkonzern, genmanipulierte Bienen und der Einfluss von Technik (z. B. Drohnen), Künstlicher Intelligenz und sozialen Medien.
Der Einstieg weckte bei mir positive Assoziationen zu Tribute von Panem (Suzanne Collins), c23 (Ralph Edenhofer), Die Optimierer (Theresa Hannig) und Hologrammatica (Tom Hillenbrand).
Es gibt zwei kapitelweise wechselnde Erzählperspektiven: Die fünfzehnjährige Waise Paksha im Main-Gebiet und der geheimnisvolle Kurierfahrer Marti in Delhi.
Stärken: Vielversprechender Einstieg. Interessante Themen und viele futuristische Eindrücke. Rätsel sowie Figuren mit mysteriösem Hintergrund animieren zum Nachdenken und Spekulieren. Reizvolle Verortung in Deutschland und Indien im Jahr 2158. Auflockernder Humor (z. B. Hund). Flüssig lesbar. Gelungenes Zusammenführen der Handlungsstränge. Unterhaltsam und spannend. Schnell gelesen, weil ich wissen wollte, wie sich alles entwickelt, zusammenfügt und auflöst.
Schwächen: Zu wenig reflektiert, zu einseitig, zu wenig Hintergrundinformation zum Weltenbau, zu Abläufen und zu Figuren. Irgendwie fühlte ich mich ständig gedrängt, welche Meinung ich einnehmen soll. Beispiele:
- Es bleibt unverständlich, was an den Galionsfiguren der Rebellion so toll sein soll. (Ruhm entspringt leider Ereignissen von vor dem Buchstart.) Zuneigung ist einfach da. Es irritiert, dass Anhänger ihr Leben riskieren auf Basis unbestimmter Phrasen. Alltägliche Missstände sind lückenhaft (intensiv und unaufdringlich dargestellt z. B. in Die Geschichte der Bienen (Maja Lunde)).
- Versorgungslage, Druckmittel (z. B. Waffen, Auswirkungen des Streiks) und Ziele der an die Spartakusbewegung erinnernden Rebellion bleiben lange offen. Klärungen erfolgen nur teilweise.
- Influencer, soziale Medien und Kommunikationstechnik sind toll und unmanipulierbar.
- Künstliche Intelligenz im Jahr 2158 (!) agiert dumm, z. B. limitierte Aufmerksamkeitsspanne.
- Man kann nur vermuten, wie eingesetzte Technik funktioniert bzw. was sie bewirkt. Ständig werden Displays bedient. Erläuterungen im Text oder ein Glossar hätten geholfen.
- Die Identifikation der Nebenfiguren fällt schwer. Ein Personenverzeichnis wäre hilfreich.
Die Autorin ist offensichtlich Indien-Fan, erzeugt mystischen Flair und propagiert selbstbewusste Frauen.
Der Weltenbau fasziniert anfangs, kratzt dann aber zu sehr an der Oberfläche, um Kenner des Genres zu begeistern. Es war mir zu viel Heroismus, Influencer-Lobhudelei und “Klimakirche“. Dabei missfällt, dass die „Guten“ schlechte Vorbilder sind. Um Denkanstöße zu generieren, wäre es wertvoll gewesen, ein gelungenes Beispiel für futuristischen Städtebau, Industrie und Zusammenleben gegenüberzustellen.
Fazit: Moderne, coole Handlung mit Rätseln und individuellen Hauptfiguren in einem reizvollen Umfeld, bei dem einiges zu oberflächlich bleibt oder gewollt wirkt. Weil ich trotz stilistischer und inhaltlicher Kritik doch viel Freude beim Lesen hatte, vergebe ich knappe vier Sterne.