Das Interview mit Ulrike Gerstner

Was macht eigentlich ein Lektor? Teil 2

Artikel vom 08.08.18

Wie sieht der Arbeitsalltag eines Lektors aus, wie lange arbeitet er an einem Manuskript und wie viel Einfluss hat er auf die Bücher? 

Wir freuen uns sehr, dass wir für den zweiten Teil unserer Magazin-Reihe "Was macht eigentlich ein Lektor?" eine Kollegin vom LYX Verlag gewinnen konnten. Ulrike Gerstner arbeitet seit mehr als acht Jahren bei LYX, vorher war sie als freie Lektorin tätig.

In unserem Interview beantwortet sie 10 Fragen, die wir gemeinsam mit euch gesammelt haben.

© Hans-Christian Sametzki

Wie sieht ein normaler Tagesablauf in dem Beruf aus? Was sind die Hauptaufgaben eines Lektors?

Eindeutig: Kaffee trinken und lesen!
Aber zwischendurch müssen auch noch andere Sachen erledigt werden. ;) Es gibt keinen starr festgelegten Tagesablauf, den kann sich jeder selbst einteilen. Natürlich existieren auch Deadlines, die wir beachten müssen oder wir haben feste Termine für Sitzungen, in denen Abläufe besprochen werden.  Ich regele das mit meiner handgeschriebenen To-do-Liste, die mich vor dem drohenden Chaos bewahrt. Ansonsten, kurz gesagt, versuchen Lektoren Tag für Tag gut verkäufliche Stoffe bzw. Texte zu finden und begleiten den ganzen Prozess vom Rohmanuskript bis hin zum fertigen Buch. Das heißt im Einzelnen, wir schreiben Klappentexte, wie briefen Cover und helfen den Grafikern, sie zu designen. Wir vergeben an externe Kollegen Übersetzungen, Lektorate und Korrektorate. Hin und wieder übernehmen wir das Lektorat am Text selbst. Es ist leider oftmals zeitlich nicht machbar, dass wir alles selbst redigieren. Bei deutschen Autoren begleiten wir die Arbeit an den Manuskripten natürlich trotzdem sehr intensiv. Sowieso stehen wir mit den Autoren in regem Kontakt und sind deren Anlaufstelle für alle Wünsche, Sorgen oder Nöte. Wir nehmen an Tagungen teil und bereiten Präsentationen vor. Wir trinken noch einen Kaffee. Man schnackt mit Kollegen aus anderen Abteilungen, um geplante Maßnahmen gewinnbringend abzuschließen. Wir lesen angebotene Manuskripte (gern auch mal abends oder am Wochenende) und sprechen mit den Kolleginnen darüber. Dann kaufen wir Titel ein, indem wir Angebote abgeben und mit Agenturen verhandeln. Es müssen zudem Außentermine wie Messen oder Conventions wahrgenommen werden. Wir beantworten E-Mails, füllen Verlagssysteme aus, trinken Kaffee, lesen weiter, stöbern nach spannenden Projekten …


Wie lange braucht man ungefähr, um ein Manuskript zu lesen und zu bewerten?

Das kommt im Prinzip auf das eigene Lesetempo an, aber:
Wenn das Buch einfach nur schlecht ist, würde man es eigentlich nach 5 Seiten weglegen, aber man liest noch weiter, um den Eindruck zu untermauern oder zu widerlegen. Wenn einen das Buch jedoch auch nach den ersten 30 Seiten nicht packt, dann weiß man, dass es nix ist. Rockt das Buch allerdings, dann schafft man es, alles in 1 – 2 Tagen durchzulesen.

Können Lektoren auch von zuhause aus arbeiten?

Eindeutig ja, obwohl es unterschiedlich gehandhabt wird in den Verlagshäusern. Bei Lübbe dürfen wir, und das macht die Arbeit am Text dann sehr viel entspannter. Manchmal sitze ich im Schlafanzug vorm Laptop und bin pünktlich am Arbeitsplatz (immer mit Kaffee!). Yay. :D

Liest du die Manuskripte auf Papier oder auf einem Tablet/Laptop, etc.?

In meinen Anfangsjahren (damals, kurz nachdem die Titanic gesunken ist*gg*) haben wir noch sehr viel auf Papier gelesen. Da habe ich auch noch meine Lektorate auf Papier gemacht. Mittlerweile lesen wir fast ausschließlich auf einem E-Reader, und ich lektoriere am Laptop.

Gibt es typische Fehler, die Autoren immer wieder machen, und die dir beim Lektorieren sofort auffallen?

Ja, wenn der Bestechungskaffee oder die Bestechungsschoki fehlen. ;) Aber ernsthaft: Nein, DEN typischen Fehler gibt es eigentlich nicht. Aber es fällt schon auf, wenn Autoren bspw. die Figurenperspektive oder das Show-don’t-tell-Prinzip nicht einhalten, wenn sich Figuren nicht konsistent verhalten, die Geschichte nicht logisch durchdacht ist oder es hölzerne, „weltfremde“ Dialoge gibt. Das muss man immer von Fall zu Fall sehen.   

Wie stark greift ein Lektor in den Stil des Autors ein?

Mein Job als Lektorin ist es, den Stil des Autors mitzutragen. Meine Änderungen zielen darauf ab, genau diesen zu unterstützen, freizulegen und quasi zum Blühen zu bringen. Ich will den Autor nicht verändern oder ihm meinen Geschmack aufdrücken, sondern das Beste aus seinem Text herausholen, ohne seinen Stil zu verfremden oder ihm etwas überzustülpen, was er nicht ist. Vielleicht muss man den Autor auch manchmal einfangen, wenn er sich vergaloppiert. Hin und wieder mache ich vielleicht aber auch zu viel des Guten. Das kann auch schon mal zu Diskussionen führen, und daher ist Arbeit am Text stets ein Miteinander, um das schönstmögliche Ergebnis zu bekommen.

Ist es von Vor- oder Nachteil Bücher zu lektorieren, die nicht dem eigenen Geschmack entsprechen?

Eigentlich sollten Vorlieben keine allzu große Rolle spielen, aber natürlich hat man als Lektor auch favorisierte Genres oder Autoren, auf die man sich vielleicht ein bisschen mehr freut als auf andere. Es kann natürlich sein, dass man vielleicht – bei einem belletristischen Text – etwas weniger mit den Figuren mitfiebert. Aber da man sich intensiv mit dem Text auseinandersetzt, sich viele Tage und Wochen und Monate damit beschäftigt, passiert es irgendwie automatisch, dass einem das ganze Buch ans Herz wächst. Aber das beeinflusst die eigentliche Arbeit am Text nicht: Hier bewahrt man eine professionelle Distanz und bewertet ganz objektiv und ohne Scheuklappen, was getan werden muss.

Gibt es etwas, das dich an deiner Arbeit stört? Wenn ja: Was? Ist es zum Beispiel ein Problem, dass gute Bücher oftmals in der Masse an Neuerscheinungen untergehen?

Das ist tatsächlich etwas, dass ich sehr schade finde, dass manchmal wunderbare Autor*innen nicht „gehört“ werden, obwohl sie es absolut wert sind, gelesen zu werden. Aber das liegt wahrscheinlich in der Natur der Sache, dass in der großen Zahl der Neuerscheinungen nicht jeder beachtet werden kann. Mich stimmt es dann auch oft ein wenig traurig, wenn man mit den Autor*innen so viel Herzblut in das Projekt gesteckt hat und es am Ende doch nicht den finanziellen Erwartungen entspricht. Aber es hat dann ja oftmals wenig mit dem Talent oder der Güte des Textes zu tun, dass es kommt, wie es kommt, sondern es sind Nuancen, die da vielleicht mitentscheiden beim Kauf oder Nicht-Kauf.  Man sollte trotzdem immer mutig und offen für Neues bleiben!

Hat man als Lektor auch eine Assistentin bzw. Sekretärin, die einem gewisse Arbeiten abnimmt, oder macht man alles alleine?

Das wäre durchaus mal ˈne Maßnahme. ;) Allerdings haben wir keine persönlichen Assistenzen, da müssen wir schon selbst ran. Es gibt eine Assistentin – die gute Seele des Teams – die alles kann, alles weiß und uns viele (administrative Dinge) abnimmt. Aber sie ist für alle da und wir teilen alles schwesterlich (auch mit ihr).

Hat man Einfluss auf das Design des Buches? (Cover, etc.)

Ja, haben wir. Wir sind auch ein bisschen die Ideenstifter und bieten den Grundstock, mit dem die Grafiker dann arbeiten. Wir zeigen die Atmosphäre auf, die in dem Buch herrscht. Wir kommunizieren, welcher Stil uns vielleicht vor Augen schwebt. Manchmal hat man schon so konkrete Vorstellungen für ein Cover, die man dem Grafiker direkt mitgibt, damit er sie umsetzt. Deutsche Autoren haben bei uns grundsätzliche Mitspracherecht, bei ausländischen Autoren ist es von Fall zu Fall verschieden. 

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Mitglied seit 12.08.2018

Lesen ist die Tür zu ungeahnten Welten voller Magie

Veröffentlicht am 01.10.2018 um 19:46 Uhr

Sehr schöner Beitrag, hat mir sehr gut gefallen. Ich will später auch einmal Lektorin werden, wenn es mit der Autoren- Karriere nicht klappt ; )
Und da ich schon in eine höhere Klasse gehe, wird die Frage nach der Zukunft und dem "später" immer präsenter.
Gerne mehr solche Artikel ;