Im Interview: Kati Seck über ihr persönlichstes Buch "Die Stille zwischen Himmel und Meer" | 02.10.2017

Kati Seck gewann mit ihren Geschichten aus dem Fantasy-Bereich bereits den Seraph Preis. Mit ihrem neuen Roman „Die Stille zwischen Himmel und Meer" kehrt sie dem Genre den Rücken und zeichnet den Weg einer jungen Frau nach, die gegen alle Widerstände für ihre Lebensfreude kämpft. Im Interview verrät sie, warum dieses Buch ihr bisher persönlichstes ist.

Liebe Kati, du startest gerade im Fantasy-Bereich durch. Mit deinem Roman „Die silberne Königin“ hast du im März den Seraph in der Sparte „Bestes Buch“ gewonnen. Nun hast du dich von dem Fantasy-Genre losgelöst und einen Roman geschrieben. Wieso?

Wenn man Autorin oder Künstler ist, kann man die Ideen, die in einem wachsen, nicht immer kontrollieren. Die Idee rund um Eddas Geschichte und ihr Vorhaben, ans Meer zu fahren, um sich dort ihrer Vergangenheit zu stellen, hat schon lange in mir geschlummert – auch wenn sie eben nichts mit Phantastik zu tun hat. Ich versuche, als Autorin den verschiedenen Genres gegenüber genauso offen und aufgeschlossen zu sein, wie ich es als Leserin auch bin, und meinen Geschichten den entsprechenden Raum zu geben. Und ich freue mich sehr, meine Ideen in beiden Bereichen ausleben zu können, zumal ich glaube, dass meine realistischen und meine phantastischen Bücher gar nicht so unterschiedlich sind. Bei beiden geht es mir um die Charaktere und deren Entwicklungen, um eine poetische, verzaubernde Atmosphäre und das entsprechende Setting dazu.

„Die Stille zwischen Himmel und Meer“ ist ein zarter Wohlfühlroman, der auf leise Art und Weise laut ist. Worum geht es genau?

Es geht um eine junge Frau namens Edda, die als Kind und Heranwachsende etwas Traumatisches erlebt hat: sie wurde als Kind entführt und wuchs in einem verschlossenen Kellerraum auf, ohne dabei zu jemand anderem als ihrer Entführerin Kontakt haben zu dürfen. Edda kann schließlich entkommen. Sie wird aufgepäppelt und durchläuft verschiedene Therapien, um das Erlebte zu verarbeiten und irgendwie Fuß in Wirklichkeit und Alltag zu fassen, aber wie so oft ist das leichter gesagt als getan. Weil sie einigen Ängsten immer noch nicht trotzen kann, z.B. ihrer Angst vor weiten Räumen, vor Unwettern, oder auch vor abgeschlossenen Räumen, es aber so gern möchte, nimmt sie sich vor, allein in den Urlaub zu fahren: ans Meer, wo sie all dem begegnen wird. Dort begegnet sie aber neben all diesen Angstquellen auch Sebastian, einem Mann, der selbst noch mit seiner Vergangenheit kämpft. Diese Begegnung setzt so einiges in Gang …

Es heißt, der Roman ist dein bisher persönlichstes Buch. Die Geschichte von der jahrelang gefangengehaltenen Edda ist sehr traurig und berührend. was genau macht dieses Buch zu deinem Persönlichsten? Wieso ist es dir so wichtig?

Ich denke, Eddas Vergangenheit steht in dem Roman symbolisch für etwas, das uns alle immer wieder heimsucht: dass wir Angst vor irgendetwas haben, ganz egal was, und dass uns diese Ängste daran hindern, so zu leben, wie wir es uns vielleicht erträumen.
Auch Edda ist gelähmt, obwohl sie eigentlich leben möchte. Und irgendwann beschließt sie, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen und nicht länger über sich bestimmen zu lassen. Genau diesen Aspekt finde ich in meiner eigenen Vergangenheit wieder, da ich aus gesundheitlichen Gründen einen Teil meiner Kindheit in Krankenhäusern verbringen musste und mich daher oft selbst vom Leben eingesperrt gefühlt habe. Viele Menschen werden dieses Gefühl kennen, und genau für diese Menschen ist dieser Roman geschrieben; er ist hoffentlich ein kleiner Anstoß, mutig zu sein und nach dem Leben zu greifen.

Edda bleibt nicht alleine, sie lernt Mia kennen, ein Mädchen aus dem Dorf, dessen Eltern gerade eine Scheidung durchmachen. Außerdem natürlich Sebastian mit dem sie sich gezwungenermaßen ein Ferienhaus teilen muss. Was geben speziell diese Personen Edda mit auf den Weg? Wie helfen sie ihr?

Tatsächlich tut Edda sich im Umgang mit Menschen, gerade fremden, oft noch sehr schwer. Sie ist unsicher, weiß nicht recht, wie sie sich richtig verhalten soll oder was man von ihr erwartet. Mia ist ein junges Mädchen, das kein Blatt vor den Mund nimmt, was Edda als sehr befreiend empfindet. Sie muss sich ihr gegenüber nicht verstellen und kann einfach ganz sie selbst sein.
Sebastian hingegen hat mit seiner eigenen Vergangenheit zu tun. Zum ersten Mal begegnet Edda jemandem, der keine Rücksicht auf sie nimmt und sie stattdessen immer und immer wieder mit ihren Ängsten konfrontiert. Er ist eine Herausforderung für sie, der sie sich ständig neu stellen muss.

Du hast eine sehr bildgewaltige Sprache und schaffst es, Beschreibungen lebendig zu machen. Hast du auch manchmal das Gefühl, deine Figuren erwecken zum Leben?

Ich habe auf jeden Fall das Gefühl, manchmal dort zu sein, wo auch die Figuren sind und zu empfinden, was sie auch empfinden. Ich kann Eddas Faszination für das Meer daher vollkommen verstehen und teile sie auch. Es ist mir beim Schreiben unglaublich wichtig, den Leser atmosphärisch an den Ort des Geschehens zu holen und ihn wirklich teilhaben zu lassen. Das funktioniert natürlich am besten, wenn ich mir stilistisch Mühe gebe, den Leser anhand meiner Beschreibungen an die Geschichte heranzuholen, damit er sich alles ganz genau mit seiner eigenen Fantasie vorstellen und sich in die Figuren hineinversetzen kann.

Welche Szene in dem Buch bedeutet dir besonders viel?

Es gibt eine nächtliche Szene zwischen Sebastian und Edda, sozusagen die Schlüsselszene für ihre sich entwickelnde Beziehung zueinander, in der Edda bemerkt, dass er an schlimmen Albträumen leidet. Durch ihre unbeholfene, aber doch empathische Art kann sie zu ihm durchdringen, und sie verbringen die Nacht zusammen, ohne sich zu berühren und sich dennoch nahe zu sein, denn sie verstehen die Ängste des Anderen.

Wieso hast du dir das Meer als besonderes Setting ausgesucht? Glaubst du auch selbst, dass es eine heilende Wirkung auf Menschen hat?

Das glaube ich auf jeden Fall! Ich beobachte immer wieder, wie fasziniert Menschen vom Meer oder wie erholt sie nach einem Urlaub dort sind. Das Meer und der Wind klären die Gedanken, was durchaus befreiend oder heilend wirken kann. Außerdem finde ich, dass kaum etwas inspirierender sein kann als das Meer selbst.

Die Charaktere in deinem Roman sind sehr unterschiedlich. Gibt es eine Figur, der dir besonders ans Herz gewachsen ist und einen, der sehr schwer zu beschreiben war?

Edda ist mir tatsächlich sehr ans Herz gewachsen, finde ich in ihr doch auch Aspekte von mir wieder. Vor allem aber mag ich ihre unbeholfene und gerade daher echte, sympathische Art, mit der sie der Welt begegnet. Sie ist unverstellt und aufgrund ihrer Vergangenheit weiß sie die kleinen Dinge im Leben zu schätzen, die wir im Alltag oftmals vergessen und übersehen. Diese Eigenschaft versuche ich mir persönlich auch immer wieder neu anzueignen.
Schwierig zu beschreiben war Isolde, Eddas Entführerin. Eine solche Figur erfordert vorab Recherche und während des Schreibprozesses ein gewisses Fingerspitzengefühl, um ihre Beweggründe glaubhaft darzustellen. Gerade die komplexe Beziehung zwischen Edda und ihrer Entführerin war dabei eine besondere Herausforderung, denn obwohl Isolde natürlich an schweren psychischen Erkrankungen leidet, die sie dazu veranlassen, ein kleines Kind ihren Eltern zu entreißen, es in einen Keller zu sperren und es jahrelang gefangen zu halten und es mitunter sehr schlecht zu behandeln, war sie die einzige Bezugsperson für Edda in dieser Zeit. Es lag mir daher sehr am Herzen, die starke Gegensätzlichkeit, die in der Beziehung dieser beiden Figuren liegt, irgendwie nachvollziehbar aufzuarbeiten.

Die Themen „eingesperrt sein“ und „Entführung“ sind nicht leicht zu handhaben. Hast du dir spezielle psychologische Hilfe gesucht, um deine Hauptfigur Edda so glaubwürdig darzustellen, wie sie nun ist, oder hast du dich auf dein eigenes Bauchgefühl verlassen?

Es war eine Mischung aus beidem. Ich habe eine Psychologin um Rat gefragt und mir von ihr einige Tipps mit auf den Weg geben lassen, außerdem kann man auch im Internet einiges an Recherchearbeit betreiben, wenn man zum Beispiel an Fälle wie Natascha Kampusch denkt, deren Erfahrungen in Buch- und Filmform verarbeitet wurden. In erster Linie habe ich aber versucht, mich auf mein Einfühlungsvermögen zu verlassen und mir aufgrund dieser Informationen, die ich mir herausgesucht habe, vorzustellen, wie es einem Menschen in einer solchen Situation wohl ergangen ist, was er während einer solchen Gefangenschaft und in Gesellschaft einer psychisch so labilen Frau erdulden und mit welchen Problemen und Ängsten er sich selbst nach einigen Jahren noch beschäftigen muss

© Katharina Ke Fotografie

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