Klug, innovativ, fesselnd - Kopfkino mit tollem SF-Cyberpunk-Weltenbau
Die vier Protagonisten sind junge Erwachsene, trotzdem ist dies kein banales Jugendbuch. Kapitelweise wechselnd schlüpft man in ihre Wahrnehmungen, Gedanken- und Gefühlswelten, die je nach Lebenslage und ...
Die vier Protagonisten sind junge Erwachsene, trotzdem ist dies kein banales Jugendbuch. Kapitelweise wechselnd schlüpft man in ihre Wahrnehmungen, Gedanken- und Gefühlswelten, die je nach Lebenslage und Vergangenheit ganz unterschiedlich ausgestaltet sind. Die Ausführungen versprühen Tiefe und Individualität, sind philosophisch angehaucht, lassen Sympathisieren, Identifikation und Mitfühlen zu. Gespräche wirken stimmig. Mehrere Figuren bergen potentiell verhängnisvolle Geheimnisse. Okijen und Flover sind meine Favoriten. Auch die Nebenfiguren finde ich gelungen.
Der Weltenbau gefällt mir gut. Er hat aufgrund unbewohnbar gewordener Erdteile und der Bedrohungslage durch „Cyber-Zombies“ einerseits dystopische Züge. Andererseits gibt es utopische Elemente, z. B. grüne Städte, Umweltbewusstsein, Abkehr von religiös motiviertem Fanatismus. Punkige Ideen wie z. B. Cyborg-Körperteile und -Tiere bilden sowohl liebevolle Details als auch elementare Bestandteile der Geschichte. Andras Blickwinkel auf ihr neuartiges Umfeld gerät besonders faszinierend.
Die Autorin Marie Graßhoff hat wunderbare Stilmittel eingesetzt, um die Welt im Jahr 2101 und die Charaktere greifbar zu machen: Zwischen den Kapiteln gibt es prägnante Exkurse, z. B. Auszüge aus militärischen Vermerken zu Anfängen, Analysen und Gegenmaßnahmen zum „Virus“, Personalakten der Protagonisten zuzüglich einer Schwarz-Weiß-Zeichnung, Interviews.
Marie Graßhoff gelingt perfekt der Spagat zwischen hohem Tempo, Action, Charakter- und Handlungstiefe und stimmungsvoller Atmosphäre. Für mich ein Lese-Highlight im Jahr 2020. Beim Verschlingen des Buches wurde ich oft angenehm überrascht und habe intensive Eindrücke mitgenommen.
Band 1 von 3 endet mit Wow-Effekten und einem fiesen Cliffhanger.