Cover-Bild »Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten« und »Einladung zum Klassentreffen«
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9,50
inkl. MwSt
  • Verlag: Engelsdorfer Verlag
  • Genre: Romane & Erzählungen / Erzählende Literatur
  • Seitenzahl: 119
  • Ersterscheinung: 06.12.2016
  • ISBN: 9783960084082
Martin Schörle

»Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten« und »Einladung zum Klassentreffen«

Zwei Theaterstücke
Der kabaretteske Monolog »Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten« beschert dem geneigten Leser Einblicke in das Leben des Vollblutverwaltungsgenies Hans Fredenbek, der sich in seinem ganz eigenen Gedankengewirr aus Aktenzeichen, Dienstverordnungen, statistischen Erhebungen zusehends verheddert. Es wird deutlich, dass er sich von dem Leben jenseits seines Büros nahezu völlig verabschiedet hat. Vor allem aber wird schonungslos aufgedeckt, dass es zwischen Slapstick und Tragik eine Nahtstelle gibt. Und dass diese Nahtstelle einen Namen hat. Und dass dieser Name Hans Fredenbek ist. Mit einer Lesung aus seinem Stück war Schörle 2008 beim Autorenwettbewerb »Perlen vor die Säue« im Literaturhaus Hamburg erfolgreich (2. Platz von acht Finalteilnehmern aus insgesamt rund 100 eingereichten Beiträgen). Das Stück wurde außerdem im Rahmen der »Hamburger Theaternacht« als offizieller Beitrag des Hamburger Sprechwerks von »Caveman« Erik Schäffler auszugsweise gelesen. - »Einladung zum Klassentreffen« In ihrer Schulzeit hatten Marina und Carsten eine Liebesbeziehung. Nach 20 Jahren soll ein Klassentreffen stattfinden. So meldet sich Carsten, einer der Initiatoren, auch bei Marina, deren Leben nach Schicksalsschlägen zeitweilig aus den Fugen geraten war. Die gemeinsame innige Zeit ist für sie längst Vergangenheit, ein Früher. Aber an Carstens Gefühlen hat sich anscheinend nichts geändert. Sein Anruf weckt auch bei Marina Erinnerungen. Das unverfänglich begonnene Telefonat führt beide in ein Wechselbad der Gefühle ... Inhaltlich eine Liebesgeschichte wagt das Stück den Spagat zwischen Komik & Tragik, Lachen & Weinen. »Einladung zum Klassentreffen« wurde vom Publikum beim Wettbewerb »Stücke Schießen - Neue Dramatik. Neue Autoren. Neue Theatertexte« der Theaterliga zum Gewinnertext gekürt und erreichte bei der Spielplanwahl 2012/2013 des Thalia Theaters Hamburg den 8. Platz.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.03.2021

Zwei höchst unterschiedliche Theaterstücke

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Auch wenn mein letztes Theaterstück schon eine Weile her ist, bin ich doch gut in diese besondere Textform reingekommen. Das kleine Büchlein mit nicht mal 120 Seiten enthält zwei Theaterstücke des Autors ...

Auch wenn mein letztes Theaterstück schon eine Weile her ist, bin ich doch gut in diese besondere Textform reingekommen. Das kleine Büchlein mit nicht mal 120 Seiten enthält zwei Theaterstücke des Autors Martin Schörle. Los ging es mit dem mal witzigen, mal wirren Monolog eines Beamten. Dieser erinnerte mich stellenweise an eine Büttenrede, denn manche der Scherze hätten bei einer Faschingsveranstaltung sicher viele Lacher geerntet. Auch ich musste stellenweise schmunzeln, so ganz meinen Humor hat „Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten“ allerdings nicht getroffen. Zudem machte es mir der Protagonist vor allem durch chauvinistische Aussagen schwer ihn zu mögen. Eine gewisse Komik möchte ich dem Vortrag dennoch nicht absprechen.
Das zweite Theaterstück liest sich deutlich leichter, wirkt auch moderner als das Erste und hat mich so positiv überraschen können. „Einladung zum Klassentreffen“ lebt vom Dialog, welcher ungewöhnlicherweise fast ausschließlich in Form eines Telefongesprächs stattfindet. Gerne würde ich dieses Stück einmal auf einer Bühne erleben, da es mich sowohl inhaltlich als auch sprachlich überzeugen konnte. Da ich dem ersten Stück nicht mehr als drei Sterne geben kann, dem Zweiten dafür 5, gibt es gute 4 Sterne in der Gesamtbewertung.

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Veröffentlicht am 19.02.2021

Herrlich humorvoll und ergreifend emotional

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Zuerst muss ich anmerken, dass sich meine Erfahrung mit Theater (-stücken) auf die obligatorischen Schullektüren und gelegentliche Besuche von Aufführungen benachbarter Dorftheatervereine beschränkt. Die ...

Zuerst muss ich anmerken, dass sich meine Erfahrung mit Theater (-stücken) auf die obligatorischen Schullektüren und gelegentliche Besuche von Aufführungen benachbarter Dorftheatervereine beschränkt. Die zwei Stücke „Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten“ und „Einladung zum Klassentreffen“, waren ein erfrischender (wieder-) Einstieg in dieses Genre.

Jetzt aber erst einmal zu „Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten“:

Bei dem Beamten Hans Fredenbek dreht sich alles um den Beruf. Um Verordnungen und Paragrafen und Formblätter. Der Protagonist ist mit seiner Arbeit verheiratet, denn „[w]er dienstliche Vorgänge entsprechend behandelt, wird auch von ihnen nicht enttäuscht werden“. Er lebt für jedes Detail, für jede Regelung und ist wohl der Inbegriff des preußischen Beamtentums, einer diskriminierten Minderheit, wie er findet.

Während er darüber nachgrübelt, was eine bestimmte Abkürzung in seinem Terminkalender zu bedeuten hat, sinniert er über sein Leben nach und erzählt dem Leser/Publikum diverse Anekdoten. Dabei schweift er immer wieder in irrwitzige Gedankengänge und Überlegungen ab. Er verbreitet in einer gefühlt endlosen Enumeration interessante – aber dennoch vollkommen unnütze – Fakten, die für ihn von größter Bedeutung zu sein scheinen. Obwohl seine abstrusen Überlegungen äußerst realitätsfremd sind, analysiert er die Vorschriften auch hier zu Tode und verhält sich in den absurdesten Situationen vollkommen rational und hat alle geltenden Vorschriften im Kopf.

Neben seinem Beruf scheinen Frauen das zweite zentrale Thema, welches den Protagonisten, unbemerkt, schwer beschäftigt, zu sein. Während er seinen beruflichen Alltag schildert und dabei eine gefühlte Ewigkeit über Radiergummis lamentiert, projiziert er die Erläuterung irgendwann unbemerkt auf Frauen. Seine eigene Frau hätte ihn wohl gerne präsenter und „möchte nicht zum zuständigen Sachbearbeiter [in Ehe Angelegenheiten] durchgestellt werden“. Dabei verwendet er mehr Energie auf die Analyse der „stockfinsteren Grotte“ der weiblichen Seele und erläutert eine detaillierte, absurde Choreografie zum Umwerben einer Frau.

Hätte er nur mal diese Energie zum Entschlüsseln der Abkürzung in seinem Terminkalender genutzt…

Der Autor versteht es mit Sprache und Redewendungen zu spielen. Die Charaktere, wie bspw. der Chef Rauschenberg, werden kreativ und A-K-T-I-V skizziert und lockern mit ihren humorvollen Angewohnheiten die Geschichte auf und bringen den Leser oftmals dazu, wie ein Homann-Gummi (gehässig) zu lachen.

Eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Im Büro des Herrn Fredenbek, in welchem er mit größter Anstrengung versucht akkurat und korrekt jegliche Vorschriften zu befolgen, geht’s zu wie im Theater und das ist herrlich!

Im Gengensatz zum ersten Stück, ist „Einladung zum Klassentreffen“ ganz anders angesiedelt. Während Marina, mittlerweile als Lehrerin tätig und frisch geschieden, gerade im Zug auf dem Weg nach Hause sitzt, erhält sie einen Anruf von ihrem ehemaligen Schulkameraden Carsten, der sie zu einem Klassentreffen einlädt. Während des Telefonats kommen sie auf alte Zeiten zu sprechen und was sie momentan miteinander verbindet. Die Wiederentdeckung längst verjährt geglaubter Gefühle füreinander, veranlasst auch eine Gruppe Mitreisender zum Mitfiebern.

Es handelt sich um eine warmherzige, ergreifende Geschichte über zwei Menschen, die zur richtigen Zeit zusammenfinden. Die Protagonisten erscheinen humorvoll, gewitzt und schlagfertig. Nach dem buchstäblichen „Griff ins Klo“, bezogen auf Marinas Ex-Ehemann, wird der Zuschauer/Leser selbst zur Dame im Nebenabteil und möchte am liebsten seine eigene E-Mail-Adresse hinterlassen, um zu erfahren, wie es bei den Beiden weitergeht. Diese Geschichte, die sich durch den Dialog der beiden herauskristallisiert, wird durch die Zuhörer im Zug, die ihre eigenen, schönen Geschichten miteinbringen, zu etwas ganz Besonderem.

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Veröffentlicht am 22.01.2021

Ein Beamter erzählt

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Inhalt:

Das Buch besteht aus 2 verschiedenen in sich abgeschlossenen Theaterstücken. Im ersten Teil geht es um Hans Fredenbek einem Beamten, der von seinem Leben erzählt. Dabei werden viele Alltagssituationen ...

Inhalt:

Das Buch besteht aus 2 verschiedenen in sich abgeschlossenen Theaterstücken. Im ersten Teil geht es um Hans Fredenbek einem Beamten, der von seinem Leben erzählt. Dabei werden viele Alltagssituationen humorvoll dargestellt.

Die zweite Geschichte handelt von einem bevorstehenden Klassentreffen, wobei Carsten als einer der Organisatoren Marina einladen will und sie dabei auf ehemalige Gefühle zu sprechen kommen.



Mein Kommentar:

Die ist das erste Mal, dass ich ein Buch in Form eines Theaterstückes lese. Ich war zwar zu Beginn ein wenig skeptisch, da ich mir diese Art von Buch so überhaupt nicht vorstellen konnte, aber ich wurde sehr positiv überrascht. Der Autor Martin Schörle schafft es von Beginn an den Leser in seinen Bann zu ziehen und nicht mehr so schnell loszulassen.

Dabei werden die einzelnen Szenen sehr detailliert und genau beschrieben und auch das Bühnenbild wird erklärt, so wie bei einem Drehbuch für die Regie. Man konnte sich die Szenen dadurch richtig gut vorstellen und fühlte sich wie in einem Theater. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass dieses Buch jederzeit gespielt werden könnte. Ich hatte sehr schöne Bilder vor Augen.

Besonders toll fand ich die Tatsache, dass es eine klare Unterscheidung zwischen dem gesprochenen Text und dem Rest gab. So ist der Text „normal“ geschrieben währenddessen die Mimik oder Bewegungen der Darsteller kursiv geschrieben wurden. So hatte man eine klare Trennung und wusste genau, was der Darsteller auf der Bühne auch genau gemacht und wie er sich bewegt oder agiert. das gefiel mir sehr gut und man konnte sich dadurch noch genauer ins Theaterstück hineinversetzen.

Allerdings muss ich auch feststellen, dass dies kein Buch zum Lesen ist nur mal so auf die Schnelle. Man muss sich meiner Meinung nach mit dem Buch auseinandersetzen und es in Ruhe lesen, sonst versäumt man einige Pointen, was wirklich schade wäre.

Das erste Stück ist sehr humorvoll beschrieben und viele Alltagssituationen sind lustig und überspitzt dargestellt. Man kann sich den Beamten sehr gut vorstellen, wie er so auf der Bühne steht und über seinen Radiergummi beginnt zu philosophieren. Wie es zu Beginn des Stückes der Fall ist. Man muss teilweise richtig lachen, da sehr viel Humor, auch schwarzer Humor vorkommt. Ich musste teilweise richtig lachen und fand es amüsant, was Fredenbek, so alles zu erzählen hat.

Die zweite Geschichte ist viel schneller und kürzer als die erste, was ich zwar schade fand, aber es passte meiner Meinung nach sehr gut. Dabei handelt es sich um zwei Klassenkameraden und eine alte Schulliebe, die sich durch die Einladung zu einem Klassentreffen wieder treffen / voneinander hören. Sie telefonieren miteinander und man kann sich als Leser sehr gut die Beiden auch auf der Bühne vorstellen. Ich musste mehrmals lachen, aber ich habe auch mit beiden mitgefiebert. Ich möchte gar nicht allzu viel zur Geschichte selbst sagen, um keine Details zu verraten. Nur so viel sie ist ganz anders aufgebaut als das erste Stück. Und ich habe sie in einem Rutsch durchgelesen, da ich das Buch gar nicht mehr zur Seite legen konnte. So haben mich die Protagonisten eingefangen.



Mein Fazit:

Ein unterhaltsamer und humorvoller Roman, mit 2 Theaterstücken, die wie aus dem Leben gegriffen sind. Es ist nicht nur in dieser Zeit ohne Theater ein toller Ersatz und bringt uns die Bühne nach Hause, sondern es kann zu jederzeit gelesen werden und bietet unterhaltsame Stunden zu Hause.

Ich kann es jedem nur empfehlen, der noch keine Theaterstücke gelesen hat oder wer gerne mal war neues ausprobieren möchte. Es lohnt sich auf jeden Fall.

Ganz liebe Grüße,

Niknak

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Veröffentlicht am 08.11.2020

Vielversprechende Idee mit einigen Schwächen

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Liebe Daisy,
liebe Daffy,
wie schön, euch beide so schnell wieder hier bei mir zu Gast zu haben. Heute einmal mit einem bisher unüblichen Genre für euren Rezensionskanon, oder? Erzählt mir doch einmal, ...

Liebe Daisy,
liebe Daffy,
wie schön, euch beide so schnell wieder hier bei mir zu Gast zu haben. Heute einmal mit einem bisher unüblichen Genre für euren Rezensionskanon, oder? Erzählt mir doch einmal, wie es dazu kam, dass ihr das eBook „Zwei Theaterstücke“ von Martin Schörle gelesen habt.
Daffy
Vor einiger Zeit erreichte uns eine Nachricht des Autors, der uns ein Rezensionsexemplar im Gegenzug für eine ehrliche Rezension angeboten hat. Da theatrale Erlebnisse momentan ja leider eingeschränkt sind, hat uns dieses Angebot doppelt gefreut und wir haben dankend angenommen.
Daisy
Hier möchte ich noch hinzufügen, dass „Zwei Theaterstücke“ 2016 im Engelsdorfer Verlag erschienen ist. Außerdem kann ich mich Daffy nur anschließen und mich beim Autor für dieses Rezensionsexemplar bedanken.

Und worum geht es in diesem Stückeband?
Daisy
Wie der Titel “Zwei Theaterstücke” schon verrät, handelt es sich um zwei Dramen. In “Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten” erleben wir einen fiktiven Arbeitstag eines Beamten. Das zweite Stück heißt “Einladung zum Klassentreffen”. Zwei ehemalige Klassenkameraden führen ein Telefonat, in dem es um zweite Chancen, verpasste Gelegenheiten und Neuanfänge geht.

Das klingt nach zwei spannenden, alltagsnahen Themen. Bleiben wir zunächst beim ersten Stück. Könnt ihr hier noch näher auf Inhalt und Form eingehen?
Daisy
In diesem Stück lernen wir den Beamten Fredenbek kennen. Martin Schörle gibt uns zum Einstieg in das Stück eine kurze Beschreibung des Bühnenbilds, als auch der Figur Fredenbeks. Wir lernen, es handelt sich um einen eher einsamen, skurrilen Mann mittleren Alters. Im Laufe seiner Arbeitsjahre hat er sich wohl zu sehr in seinem Büro und der Bürokratie vergraben und einen offenen Blick für diese Welt verloren hat.
Der Autor lässt seine Figur zerstreut auftreten, wodurch wir in eine komische Szene katapultiert werden. Fredenbek echauffiert sich über das Verschwinden eines Radiergummis und zeigt daraufhin die unterschiedliche Nutzung verschiedener Radiergummis auf. Die Doppeldeutigkeit in dieser Szene festigt zum einen die Figur Fredenbeks als schrullige, engstirnige Persönlichkeit, als auch seine durchaus sexistische (und frustrierte) Seite, die im Laufe des Stückes noch von Bedeutung werden soll.
Daffy
Das Stück ist in Form eines Monologes geschrieben. Dieser ist lediglich von Regieanweisungen und einzelnen Aussagen von anderen Figuren aus dem Off unterbrochen. Wie Daisy schon erwähnte, wird in einem einleitenden Text die Exposition erläutert. Wobei ich mich frage, ob es diesen gebraucht hätte oder ob sich dies aus dem Stück selbst ergibt. Und wenn dem nicht so ist, frage ich mich weiterführend, in welcher Weise diese Information an potentielle Zuschauerinnen und Zuschauer bei tatsächlichen Aufführungen vermittelt würde. Im Programmheft?
Ich muss auch sagen, dass ich die Regieanweisungen inkonsequent fand. Mal waren sie kaum vorhanden, mal extrem restriktiv und es war klar, dass der Autor ein klares Bild vor Augen hatte. Wobei ich sagen muss, dass ich bei Letzteren das größere Problem sehe. Der Autor gibt oftmals unfassbar präzise gewählte Haltungen und Substitute vor; dabei hatte ich das Gefühl, dass er den Rollenerarbeitungsprozess, den einE RegisseurIn und einE SchauspielerIn in diesem Fall vornehmen würden, zu sehr einzuschränken versucht. Richtungen vorzugeben ist wichtig, aber es gibt Passagen, in denen sich das Korsett, das er schreibt, zu eng anfühlt, um einen fruchtbaren künstlerischen Prozess zu erlauben. Ein Prozess, der ganz besonders bei einem Einpersonenstück elementar ist.
Daisy
Wo du das Einpersonenstück ansprichst, Daffy : Es gibt durchaus einen Auftritt von den KollegInnen Fredenbeks. Auf S. 33 kommen diese ins Büro gestürmt, laufen einmal um den Schreibtisch und gehen wieder ab. Später hört das Publikum Stimmen aus dem Off, die mit Fredenbek kommunizieren. (S. 46f.) Hier stellt sich mir die Frage, ob die Möglichkeit bestünde, im Vorfeld mit SprecherInnen im Studio die Textpassagen einzusprechen und während einer potenziellen Aufführung abzuspielen. Außerdem frage ich mich, ob es den Auftritt der KollegInnen tatsächlich braucht, da sie keinen Mehrwert für die Szene bietet. Vorrangig denke ich hier daran, dass ein Theater SchauspielerInnen anstellen würde, damit Stimmen aus dem Off kommen können. Oder würden diese von anwesendem Theaterpersonal gesprochen werden? Die Wirtschaftlichkeit bleibt für mich etwas offen.
Daffy
Ein interessanter Einwand. Ich hatte bei diesen Segmenten tatsächlich sofort an vorab angefertigte Tonaufnahmen gedacht, die auf Stichwort eingespielt werden können. Denn wie du richtig anspricht, wäre es für kein Theaterhaus wirtschaftlich, SchauspielerInnen für solche kurzen Auftritte zu engagieren. Ich könnte mir auch vorstellen, dass der Schauspieler von Fredenbek einen Augenblick aus seiner Rolle schlüpft, um die der anderen Figuren einzunehmen. Wobei hier natürlich untersucht werden müsste, inwiefern dieser Brecht’sche Zugang sich in das restliche Stück einfügt oder deplatziert wirkt. Wobei er durchaus dazu passt, dass die Vierte Wand häufig gebrochen und das Publikum direkt angesprochen wird. Das kann man allgemein mögen oder nicht, es bewegt sich hier jedoch sehr dicht an der Grenze dazu, überstrapaziert zu werden, da es in einer inflationären Häufigkeit verwendet wird.

Nachdem wir das erste Stück nun etwas kennen gelernt haben, wäre es schön, wenn ihr „Einladung zum Klassentreffen“ zusammenfassen könntet.
Daisy
In diesem Stück lernen wir Marina und Carsten kennen. Sie sitzt in der Bahn auf dem Heimweg von der Arbeit, ihn sehen wir zunächst gar nicht, sondern hören ihn nur am Telefon. Beide haben zusammen Abi gemacht und nun soll ein Klassentreffen stattfinden, zu dem Carsten Marina einlädt. Die Lage ist etwas surreal, da wir als LeserInnen/ TheaterzuschauerInnen miterleben, wie beide zum ersten Mal nach zwanzig Jahren miteinander sprechen. Das langsame Antasten an die alte Bekanntschaft, das Sprechen über andere MitschülerInnen, all das lässt uns die Situation langsam durchschauen. Dann lernen wir, dass zwischen den beiden Protagonisten mehr war als nur eine Schulkameradschaft, beide verbindet eine Liebelei.

Es handelt sich ja um zwei Stücke - inwiefern hattet ihr eine unterschiedliche Leseerfahrung bei den beiden?
Daisy
Das ist wirklich eine interessante Frage, weil mein Leseerlebnis bei beiden sehr unterschiedlich war. Von den Seitenzahlen müssten beide Stücke circa gleich lang sein. Ein großer Unterschied ist jedoch direkt zu erkennen: Das erste Stück kommt als geballter Blocksatz, das Zweite besteht aus recht kurzen Sätzen in Dialogform. Dadurch liest sich “Einladung zum Klassentreffen” sehr flüssig und schnell. Als ich es beendet hatte, habe ich dich, Daffy direkt gefragt, wie lang du das Theaterstück einschätzen würdest, wenn es dann auf der Bühne ist.
Daffy
Stimmt, ich erinnere mich. Mir ging es ganz ähnlich. Die Dialogform ließ sich schneller lesen. Einerseits, weil die Seite weniger gefüllt war, andererseits, weil der Schlagabtausch gelungen geschrieben war. Der Dialog las sich flüssig und ich konnte nachvollziehen, wie sich das Gespräch entwickelte. Das ließe sich bestimmt als Einakter von 60 Minuten inszenieren. Was “Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten” angeht, habe ich auch einige Zeit gebraucht. Die Pause, die der Autor geschrieben hat, ist dringend notwendig. Und selbst damit bräuchte es wohl geschickt gesetzte Striche eines geschulten Dramaturgen, um es auf Theaterabendlänge zu kürzen. Aber auf die Striche komme ich gleich nochmal zurück.
Daisy
Ich stimme Daffy zu, im Gegensatz zum zweiten Stück, hatte auch ich ein anderes Leseerlebnis bei “Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten”. Das Stück hatte auf mich den Eindruck eines sehr energischen Vortrags, was mich viele Pausen gekostet hat. Ich musste immer wieder den Schritt aus dem Stück machen und meine Gedanken sammeln. Die Figur des Fredenbek ist sehr intensiv und oftmals moralisch verwerflich.
Daffy
Ich glaube, Letzteres hat bei mir auch maßgeblich das Gefühl von Längen bewirkt. Natürlich braucht es mehr Zeit, um Haltungswechsel und Drehpunkte aufzubauen, wenn der/die DialogpartnerIn und damit der extrinsische Anlass dafür fehlt. Dadurch, dass ich mit der Figur des Fredenbek aber auch so wenig anfangen konnte, weil er von meinem Erfahrungshorizont und meinem Wertesystem so weit weg ist, war ich emotional weniger involviert als dies vielleicht notwendig gewesen wäre. Da hatte es das zweite Stück mit seiner Dialogform schon einfacher, da mehr Figuren vorkamen und es somit größeres Identifikationspotential angeboten hat.

Aus sicherer Quelle weiß ich, dass ihr beide gerne Zeit im Theater verbringt. Wie beurteilt ihr das Potential, das diese Text bergen?
Daisy
Es stand außer Frage, dass wir wohl beide mit genau diesen Gedanken an die Stücke gegangen sind, schließlich verraten sowohl Titel, als auch äußere Form, dass es sich um Dramen handelt. Wir bekommen einen Überblick über die Personen und auch eine Exposition wie die Bühne auszusehen hat.
Somit war die Erwartungshaltung direkt darauf ausgerichtet, die Stücke vor dem inneren Auge auf eine Bühne zu stellen und zu jedem Zeitpunkt zu überlegen, wie die jeweilige Szene aussehen könnte. Von der äußerlichen Betrachtung, könnte ich mir beide Stücke aufgrund ihrer Dynamik auf der Bühne vorstellen.
Daffy
Mir ging es ganz ähnlich. Ich habe die beiden Stücke auch direkt auf einer Bühne gesehen. Wobei ich sagen muss, dass mir das bei Zweiterem leichter gefallen ist, weil es einer klareren Spannungsbogenstruktur mit eindeutigen Wendepunkten in den Beziehungen der Figuren gefolgt ist. Bei Ersterem hatte ich eher das Gefühl, dass es vor sich hinplätscherte. Somit hatte ich dabei größere Schwierigkeiten mir eine packende Inszenierung auszumalen.
Daisy
Dem kann ich nur zustimmen. Ich empfand das zweite Stück als eines, das ein breiteres Publkum ansprechen könnte. Nicht nur, dass wir mehr Figuren auf der Bühne erleben, es findet auch eine Entwicklung statt. Wir lernen Motivationen und Wünsche der Charaktere kennen.
Bei “Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten” haben wir schon über die Form gesprochen. Auch im zweiten Stück gibt der Autor ein mögliches Bühnenbild vor. Was sich mir hier nicht erschließt, ist die Position von Carsten. Steht er durchgehend auf der Seitenbühne und das Publikum hört ihn ausschließlich?
Das kann sehr ermüdend sein und gibt der halbierten Bühne keine Daseinsberechtigung. Wozu sollte das Publikum das ganze Zeit über auf Marinas Wohnung schauen, wenn dieser Platz nicht weiter genutzt wird?
Geschickter wäre es, Carsten im Publikum zu platzieren oder abseits am Bühnenrand, aber für das Publikum jederzeit sichtbar. Dies bietet auch viel mehr Möglichkeiten für schauspielerischen Ausdruck.
Außerdem könnte ich mir eine Drehbühne gut für dieses Stück vorstellen, um mehr Dynamik auf die Bühne zu bekommen. Marina verändert während des Spiels regelmäßig ihren Standort und springt zwischen Gegenwart und vergangenen Ereignissen. Eine Drehbühne könnte all diese Orte darstellen und es müsste nicht umgebaut werden.
Daffy
Nicht, dass ich deine Vorschläge nicht auch spannend fände, aber ich muss tatsächlich gestehen, dass ich mir den zweigeteilten Bühnenraum sehr gut vorstellen konnte. Tatsächlich alles wieder eher abstrahiert als naturalistisch, in seiner Darstellung, aber an sich eine Bühnenhälfte für jede der beiden telefonierenden Figuren. Und sobald wir dann in Marinas Vergangenheit eintauchen, kann Carsten durch Gegenlicht aus dem Fokus gebracht werden. Ich glaube, dass durch Licht auch ohne Umbauten einiges an Abwechslung in den Raum gebracht werden kann.
An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass sich mittlerweile in einer genauen Textanalyse und privaten Diskussionen herausgestellt hat, wie es sein kann, dass wir so unterschiedliche Vorstellungen zu dem Text hatten: Wir haben die Regieanweisung im Bezug auf Carsten anders gelesen. Diese ist leider missverständlich formuliert, so dass die Grammatik des Satzes anmuten lässt, dass Carsten gar nicht für das Publikum sichtbar ist und nicht nur, so wie ich interpretiert habe und es vermutlich intendiert war, nicht erkennbar ist, dass er vor Marinas Wohnung platziert ist.

Da ihr euch die Stücke beide gut bis sehr gut auf der Bühne vorstellen könnt, wäre es doch eine gute Gelegenheit, eine mögliche Bühnenadaption durch zu denken. Wie könntet ihr euch eine Umsetzung vorstellen? Gäbe es Änderungsvorschläge?
Daisy
Ich habe schon angesprochen, dass ich die Figur Fredenbek als problematische empfinde. Der Autor hat mit ihm eine Figur geschaffen, die mithilfe von u.a. diskriminierenden, fremdenfeindlichen und frauenverachtenden Kommentaren, witzig sein soll. Ich denke, hier wäre es hilfreich, wenn ich ein Beispiel nenne, um zu verdeutlichen, was mich an der Figur gestört hat. Auf Seite 19 beginnt eine Szene, in der sich Fredenbek darüber wundert, welche irrsinnigen Gesetze es in Deutschland gibt. So gibt es eine Vorschrift, die das Verhalten bei Überschwemmungen in größeren Städten definiert. Die Vorschrift ist wahrhaftig absurd und birgt ein großes Potenzial, sehr viel Komik auf die Bühne zu bringen. Doch leider wird “zum Wohle der Unterhaltung” - ich setze es bewusst in Anführungszeichen - eine Diskriminierung von Kleinwüchsigen vorgenommen. Davon abgesehen, dass der gewählte Begriff “Liliputaner” (S. 20) eine Diskriminierung darstellt, empfinde ich es als überhaupt nicht notwendig, die Szene auf diese Weise mit “Witz” zu versehen. Mein Vorschlag wäre, dies aus der Szene zu streichen, da sie noch immer einwandfrei funktionieren würde. Die Vorschrift an sich und Fredenbeks Überlegungen, was passieren würde, würden die SchwimmerInnen die Stadtgrenze passieren, ist lustig, sie würde die Schrulligkeit des Beamten nach wie vor darstellen und das Wichtigste: Sie funktioniert ohne Diskriminierung auf einer Theaterbühne.
Daffy
Ich kann mich Daisy nur anschließen. Wie ich bereits erwähnt habe, wäre ich auch maßgeblich für eine Strichfassung, ganz besonders von “Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten”, zu begeistern. Es wird hier, wie du, Daisy, richtig sagst, zu salopp mit sensiblen Themen umgegangen und Witze auf Kosten von Minderheiten gemacht. Ich sage nicht, dass es kein Publikum dafür gäbe - das gibt es. Leider. Aber Theater hat nicht nur einen reinen Unterhaltungs-, sondern auch einen Bildungsauftrag. Somit können derartige Äußerungen, die, wie Daisy ganz richtig ausgeführt hat, einfach ersetzt werden können, ohne dass der Szene Abbruch getan wird, nicht unkommentiert stehen gelassen werden. Selbstverständlich ist es etwas Anderes, arbeitet eine Inszenierung in so einem Fall gegen den Text. Ich habe im Vorfeld schon viel mit Daisy darüber gesprochen und bin noch immer nicht ganz sicher, ob ich es mir vorstellen könnte; aber ein Vorschlag, um subversiv mit dem stark präsenten Sexismus umzugehen, könnte sein, die Rolle des Fredenbek mit einer Frau zu besetzen. Es müsste genauer geprüft werden, inwiefern dies reichen würde, um den Text im Bezug auf Sexismus infrage zu stellen und ob er dennoch funktionieren kann, aber das wäre eine Frage, die ich tatsächlich gerne auf einer Bühne beantwortet sehen würde.
Daisy
Ich könnte mir auch vorstellen, dass ein starker Schauspieler, die Kritik an Fredenbek in sein Spiel integrieren könnte. Wir erleben die Figur beispielsweise bei einem imaginierten Italienurlaub. Auf S. 14f. wird vom Schauspieler ein Absatz auf Italienisch gefordert. Hierfür müsste der Unterschied deutlich werden, wann der Schauspieler als Fredenbek, wie beschrieben, gebrochen Italienisch spicht und wann wie ein Muttersprachler antwortet. Da diese Leistung vom Schauspieler gefordert wird, könnte es auch an anderer Stelle gelingen, die Figur als fragwürdig darzustellen. Wie Daffy schon ansprach, Theater hat den Auftrag, zum Nachdenken anzuregen, Offenheit und Gleichberechtigung in der Kunst zu verarbeiten und zu vermitteln.

Nun haben wir schon viel gehört und mögliche Umsetzungen durchdacht. Könntet ihr noch ein kurzes Fazit ziehen?
Daisy
Zuerst möchte ich betonen, wie viel Freude mir diese Dramenbesprechung bereitet hat. Wir durften zwei unterschiedliche Stücke lesen und uns dazu positionieren. Beide bieten Potential, um auf der Bühne inszeniert zu werden. “Einladung zum Klassentreffen” kann sicher ein breites Publikum ansprechen, da hier ein Alltagsthema besprochen wird und unterschiedliche Identifikationsmöglichkeiten bestehen, sehe ich hier die Möglichkeit für einen kurzweiligen Theaterabend.
Auch “Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten” würde sicher sein Publikum finden. Hier rate ich aber dringend zu einer Überarbeitung. In dieser Fassung würde ich das Stück ungern auf der Bühne sehen, da mich die Diskriminierung, die zum Zwecke der “Komik” eingesetzt wird, stark abschreckt. Es geht nicht darum, eine moralisch einwandfreie Figur des Fredenbeks zu zaubern, es geht mehr darum, der Figur Werte und Moral gegenüber zu stellen, sodass das Publikum der Figur kritisch begegnet. Ohne hier das Ende zu verraten, aber es ist keinerlei Legitimierung, nach allen Seiten zu treten, nur weil man selbst verletzt wurde bzw. sich ungerecht behandelt sieht.
Daffy
Ich möchte mich an dieser Stelle ebenfalls noch einmal beim Autor für das Rezensionsexemplar bedanken. Die Inhalte entsprechen, trotz meiner Leidenschaft für Theater, leider nicht meinem Interessenskanon; analog kann ich mich auch nur bedingt mit den dargestellten Werten identifizieren. Dennoch denke ich, dass die Stücke als Kammerspiele durchaus umsetzbar wären und auch ihr Publikum finden würden - nur bitte hoffentlich in einer überarbeiteten Fassung, die sich nicht auf Minderheiten stützt, um Witze zu machen.

Danke euch beiden für dieses Gespräch.

Anmerkung 08.11.2020
Da es einige Nachfragen zu den von uns angesprochenen Problematiken im Bezug auf “Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten” gab, möchten wir an an dieser Stelle gerne eine detailliertere Analyse hinzufügen.

Sexismus
Auffällig ist etwa der Zugang, den Fredenbek zu jungen Frauen hat, insbesondere zum Mythos der Jungfräulichkeit. Es wird hier über eine Metapher gearbeitet, aber die Aussage bleibt unverändert fragwürdig: „Jungfräulich und rein. Kleine Lolitas. Wie sie daliegen, so unschuldig. Aber das ist es ja gerade! Diese vermeintliche Unschuldige, Unberührte impliziert tatsächlich, gewissermaßen hintergründig, die Aufforderung zuzugreifen. […] Sie kokettieren wie weiße, geschmeidige, unbekleidete Mädchenkörper am Strand.“ (S. 12) Man beachte hier nicht nur die pädophile Richtung, die seine Gedanken einschlagen, sondern auch den unterschwelligen Rassismus. Die Passage führt dann darauf hinaus: „Sie wissen, dass man da nicht widerstehen kann, diese kleinen Luder. Herrgott, ich bin auch nur ein Mann! […] Wo bist du, du Miststück?“ (S. 12) – um das sinngemäß zusammenzufassen: Fredenbek reduziert junge (impliziert minderjährige) Mädchen am Strand auf ihr Äußeres und darauf, ihn verführen zu wollen; etwas, das sie in seinen Augen gleichzeitig zu einem „Miststück“ macht. Typisch misogynes Verhalten.

Ein weiteres Beispiel, das ich gerne darlegen möchte, ist die immer wieder betonte patriarchale Struktur in dem Büro, in dem er arbeitet. Hier bringt eine gewisse Kollegin immerzu die Milch, etwas, das Fredenbek ebenfalls sexuell konnotiert (S. 31); seine Assistentin ist gemäß patriarchaler Strukturen natürlich auch eine Frau (S. 35).
Zumal auch die Frauenfigur der Kollegin, die die Milch bringt, auf ihr Äußeres reduziert wird und Fredenbek es sich herausnimmt, über sie zu urteilen: „Sie schaut recht gut aus für ihr Alter. Sehr gut sogar […] Letzten Sommer […] trug sie ihr blaues Kleid mit den weißen Punkten und das hat mich herausgefordert.“ (S. 31) Hier findet sich wiederum eine Situation, in der eine Frauenfigur objektiviert und auf ein Lustobjekt für Fredenbek reduziert wird. In der folgenden Passage malt dieser sich aus, wie er sie verführen kann; nicht respektvoll, sondern mit eiskalter Berechnung: „Sie spielen den Ergebenen, dabei sind Sie derjenige, der führt. An unsichtbaren Fäden lassen Sie die Puppe tanzen. […] Und sie, meine Damen, schätzen hoffentlich realistisch ein, was da heute Nacht auf Sie zukommt.“ (S. 32) Es handelt sich somit offenkundig um keine gleichberechtigte Beziehung. Der Mann wird hier als Machthabender dargestellt, der die Zügel in der Hand hat, während die Dame nach seiner Pfeife zu tanzen hat. Ähnliches Verhalten legen auch einer von Fredenbeks Klienten gegenüber dessen Ehefrau, welche er somit ebenfalls objektiviert, an den Tag: „[Meine Frau] ist gelenkig und in alle Hinsichten … offen. Da werden Sie viel Spaß haben. Nennen Sie Ort und Zeit zwecks Übergabe von meiner Frau.“ (S. 24).
Ein weiteres Beispiel dafür, dass Frauen in diesem Drama in sämtlichen Lebenslagen sexualisiert wahrgenommen werden, findet sich später: „Eine Frau, die ihre Haarspange öffnet, signalisiert damit unverhohlen ihre … naja egal…“ (S. 37) Manchmal öffnet eine Frau aber auch einfach deshalb ihre Haarspange, weil ihr danach ist und nicht, weil sie einem Mann etwas signalisieren möchte; so schwer diese Erkenntnis in einem Patriarchat zu finden ist, so wahr ist es doch, dass sich nicht sämtliches Handeln von Frauen darum dreht, Männer zu beeindrucken. Wo ich beim Patriarchat bin: Männer, die ihre Machtpositionen ausüben, werden selbstverständlich ebenfalls erwähnt (S. 42).

Auch der Bezug zur Hysterie der Frau, die Freud einst ausgeführt hat, ist gegeben: „Wenn man als Frau nach Jahren […] enthaltsamskeitbedingter Frustration plötzlich die Geborgenheit spürt, die man schon zu lange vermisst … das ist ja auch überwältigend. Da liegen die Nerven blank, das kann man doch verstehen. […] Dieses lodernde Feuer, das einer Frau naturgemäß innewohnt … das muss irgendwann raus!“ (S. 33) Ein wunderbares Exempel dafür, wie Frauen in diesem Drama von Männern abgesondert werden.
Besonders deutlich wird dies auch in der folgenden Passage, die sich mit dem Selbstbild von Frauen und den „Abgründe[n] der weiblichen Seele“ (S. 34) befasst: „Sie passieren essentielle Stationen der weiblichen Seele: die Zelle für Eifersuchtsdramen, die Synapse für Telekommunikationsangelegenheiten (das sogenannte Klatschzentrum), die Notrufsäule für impulsives Einkaufen […]. Sie lassen den Nerv für hysterische Überteibungen, die Bedarfsanmeldungsdrüse für Tupperwareartikel und die Membran für anlassunabhängige Verstimmungen hinter sich.“ (S. 34).
Ich sage nicht, dass solche Überspitzungen kein Potential für Humor bieten können; jedoch werden diese hier ausschließlich auf Kosten weiblicher Klischees und Stereotypen gemacht. Wie schon zuvor erwähnt, bräuchte es hier einen Gegenpol – entweder eine andere Figur oder eben Fredenbek selbst, der auch die männliche Psyche als Kontrast „untersucht“. Doch dies passiert nicht. Im Gegenteil. Es folgt der eindrucksvolle Satz: „Bei Frauen spielt sich alles in der linken Gehirnhälfte ab, Männer haben auch eine rechte.“ (S. 35), der impliziert, dass Frauen eine geringere Gehirnleistung haben als Männer; etwas, das wissenschaftlich keineswegs korrekt ist. Dieser behauptete Unterschied ist jedoch ein wiederkehrendes Motiv z.B.: „Jetzt fragen Sie sich sicher: Woher weiß der das alles … ähm, dass zwischen so grundverschiedenen Dingen wie … Gehirn, Seele und Frau ein Zusammenhang besteht?“ (S. 35), hier wird impliziert, dass Frauen weder ein Gehirn noch eine Seele haben, da diese drei Parteien erst in einen Zusammenhang gebracht werden müssen; Analoges geschieht auch am Ende des Stückes, wenn er zwischen Menschen und seiner Frau differenziert (S. 48).

Diskriminierung
Des Weiteren möchten wir auf die in den Kommentaren an uns herangetragene Aufforderung eingehen, Fredenbek als eine Figur zu betrachten, deren moralisch verwerfliche Äußerungen erst den Charakter formen. Wir möchten darauf hinweisen, dass wir genau das in unserer Besprechung aufgegriffen haben. Zu keinem Zeitpunkt stempeln wir das Stück ab, sondern bieten Möglichkeiten einer Umsetzung auf der Bühne an. Wir bewerten den Text, der uns vorliegt; wir können eine Wertung nicht dahingehend auslegen, wie es werden könnte, wenn der dramaturgische Feinschliff vorgenommen wurde.

An welchen Stellen wäre eine Überarbeitung, in Form von Textänderungen oder dem eben bereits angesprochenen Hinzufügen einer weiteren Figur oder Kommentierens Fredenbeks unserer Auffassung nach erforderlich?
Bereits ausgeführt wurde von uns die Nutzung des Begriffs „Liliputaner“ (S. 20). Der Duden gibt einen besonderen Hinweis: „Die früher übliche Bezeichnung für kleinwüchsiger Mensch gilt heute weitgehend als diskriminierend und sollte nicht mehr verwendet werden.“ (Quelle: https://www.duden.de/rechtschreibung/Liliputaner) Wir empfinden die Szene mit der Überschwemmung durchaus als gelungene Komik, wenn es darum geht, die doch eher absurden Vorgaben des Gesetzes zu befolgen. Die Komik der Szene soll aber offensichtlich vorrangig auf Kosten von kleinwüchsigen MitbürgerInnen passieren, die dann auch noch diskriminiert werden. Es sollte ohne Diskriminierung funktionieren und dafür setzen wir uns ein. Selbiges gilt bei einer weiteren Szene, die Diskriminierung gegenüber körperlichen Behinderungen beinhaltet, die vermutlich für Lacher im Publikum sorgen soll: „Nehmen wir doch nur mal die Kommunikationsmöglichkeiten eines … sagen wir mal … Karl Dall. Die liegen auch nur geringfügig über denen von Goldfischen. Unter Ekstasegesichtspunkten sind sie ihm sogar überlegen. Dennoch hat er es zu etwas gebracht. […] Karl Dall als grüßender Steueroberamtsrat per Fahrrad, also umweltfreundlich, auf dem Weg zur Dienststelle. Darunter in großen Lettern: 'Können diese Augen lügen?'“ (S. 22f.)

Fredenbek präsentiert sich als belehrende Figur. Ob er Statistiken vorträgt oder die korrekte Anwendung von Grammatik und Rechtschreibung predigt. Genau diese Methoden hätten an Stellen zum Einsatz kommen müssen, wenn er selbst moralisch verwerfliche oder politisch inkorrekte Aussagen trifft. Beispielsweise hätte er darauf hinweisen können, dass die korrekte Bezeichnung auf Seite 22 „islamisch“ und nicht „islamistisch“ wäre.
Zusätzlich dazu sollte aus aktuellem Anlass noch einmal hervorgehoben werden, dass die Szene auf Seite 44f. keinerlei Komik unterliegt, die Weiterführung der Szene lässt aber darauf schließen, dass es komisch gemeint sein sollte. Das bedeutet nicht, dass wir das Thema aus der Kunst verbannen möchten - keinesfalls. Es geht uns nur darum, unmissverständlich klar zu machen, dass sensible Themen mit Bedacht inszeniert werden müssen.

Dass sich die Figur des Fredenbek diskriminierend gegenüber Menschen aus Italien äußert und sein Verhalten auch noch für richtig hält, haben wir ebenfalls schon angesprochen und Vorschläge gemacht, wie diese Szene auf der Bühne sensibel umgesetzt werden könnte. Doch derlei systematischer Rassismus steckt in einigen seiner Aussagen. Über einen Kollegen sagt er: „[E]in bissiger, furzender Pumuckl, der seine Bösartigkeit kaschiert, indem er eine samtrote 1001-Nacht-Pluderhose … und spitz zulaufende Schuhe trägt. Sie wissen schon, mit diesem runden Bommel an der Spitze. Ein orientalischer Aggressions-Muck.“ (S. 26) Auch hier wäre eine Fredenbek gegenüber gestellte Figur angebracht, um derartige Äußerungen zu hinterfragen.
Der Text präsentiert sich, wie wir schon ausführten, als Monolog, welcher dem Publikum sicher einiges an Konzentration abverlangt. Bleibt den ZuschauerInnen genügend Zeit, um diesen Gegenpol zu Fredenbek zu bilden und sämtliche politisch inkorrekten Aussagen, gedanklich einzuordnen und zu korrigieren? Kommt das Publikum überhaupt zu Wort? Eine weitere Figur könnte stellvertretend die Stimme des moralischen und feministischen Standpunktes des Publikums sein. Wenn keinerlei Änderungen oder Ergänzungen vorgenommen werden, würde dieser Text zu einem Theaterabend führen, der Diskriminierung, Sexismus und Rassismus das Wort erteilt.

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Veröffentlicht am 25.09.2020

Fast so schön wie live im Theater - Zwei Theaterstücke, die auf höchst amüsante Weise bestens unterhalten!

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Als Allererstes vorneweg: Dies waren die ersten Theaterstücke, die ich gelesen habe, darum habe ich etwas gebraucht, um ganz hineinzutauchen...aber dann war es umso schöner, fast als hätte man die Bretter, ...

Als Allererstes vorneweg: Dies waren die ersten Theaterstücke, die ich gelesen habe, darum habe ich etwas gebraucht, um ganz hineinzutauchen...aber dann war es umso schöner, fast als hätte man die Bretter, die die Welt bedeuten, direkt vor sich :)

In »Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten« geht es hauptsächlich um Fredenbek. Fredenbek ist ein Beamter, der wirklich jedes Klischee erfüllt.

Es ist wirklich höchst amüsant, wie Autor Martin Schörle hier den Berufsstand des Beamten karikiert und dabei kein Vorurteil aus- und kein Auge trockenlässt!

Der gute Fredenbek referiert erstmal ausgiebig über Radiergummis, wobei recht schnell erkennbar wird, dass seine zentralen Gedanken irgendwie immer auch um Frauen und Sex kreisen - typisch Mann eben.

Seine Kollegin Karin Umlauf beflügelt seine Fantasien, aber noch besser als Sex ist es ja, wenn man durch den erfolgreichen buchhalterischen Tagesabschluss VBB errecht - die vollkommene Beamtenbefriedigung! :o))

Auch über seinen Chef und die Kollegen erfahren wir so einiges, beispielsweise, wie AKTIV Rauschenberg ist (um den Weg in sein Büro zu finden) :o))

Fredenbek kommt in seinen Bemühungen, den Tag herumzukriegen, von Höcksken auf Stöcksken und hat mich diverse Male zum Lachen gebracht.


In "Einladung zum Klassentreffen" geht es um Marina, die in einem Zugabteil sitzt und einen Anruf erhält. Von Carsten. Ihrer ersten großen Liebe. Er will sie zum Klassentreffen einladen, oder ist es mehr?!

Marina ertappt sich plötzlich dabei, wie sie Carsten ihre gaze Lebensgeschichte der letzten 20 Jahre erzählt - es geht dabei viel um ihren Ex-Mann und die Gefühle befinden sich im Verlauf des Gesprächs auf einer wilden Achterbahnfahrt.

Carsten ist sehr einfühlsam und hat mir soooo gut gefallen, und es ist fantastisch, wie er sich noch an alles "von damals" erinnert.

Auch die Mitreisenden der Nachbarabteile hören mit und machen sich dazu so ihre Gedanken.

Dieses Stück hat mir noch besser gefallen als der Beamtenplot, weil es eine "richtige" Handlung mit mehreren Personen gab und nicht "nur" einen Monolog.

Auf alle Fälle hat mir die Lektüre sehr unterhaltsame Lesestunden verschafft und ich kann sie gern weiterempfehlen :)

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