Für ein Leben ohne Diät?
Michael Greger ist mir schon länger ein Begriff: How not to die ist wohl sein erster in der Welt der Populärwissenschaft bekannter Titel, der gleichermaßen provokativ betitelt als auch inhaltlich befüllt ...
Michael Greger ist mir schon länger ein Begriff: How not to die ist wohl sein erster in der Welt der Populärwissenschaft bekannter Titel, der gleichermaßen provokativ betitelt als auch inhaltlich befüllt ist. Zu Letzterem kann ich nicht viel sagen, denn ich hatte das Buch schon sehr häufig in der Hand, habe interessante Auszüge gelesen und auch mein Freundes- und Bekanntenkreis hatte bislang sehr viele begeisterte Worte für dieses Buch übrig.
Nachdem ich How not to die im Februar in London wieder einmal in der Hand hatte, und aufgrund der Größe und Dicke und zu wenig Zeit bzw. einem riesigen SUB wieder zurückgelegt habe, kam mir die Leserunde bei der Lesejury zu Gregers zweitem dicken Wälzer gerade recht. How not to diet steht bereits im Titel dem ersten Band nichts nach. Wie man nicht stirbt, wie man keine Diät macht - das klingt beides grundsätzlich erstrebenswert, v.a. wenn man wie ich sehr gerne isst.
Der Aufbau des Buches ist gut strukturiert und nimmt auch den inhaltlich unerfahrenen Leser an die Hand. Erst einmal stellt Greger Probleme bei der Ernährung dar, wobei er dabei auf offensichtliche Aspekte eingeht, wie etwa Fast Food, aber insgesamt einen spannenden historischen Abriss macht, der belegt, wie wir überhaupt hierhin gekommen sind. Im nächsten Schritt erklärt Greger seinen Standpunkt zu gesunder Ernährung, und hier wird es spannend: Mit einfachen Worten und unter Zuhilfenahme zahlreicher Studien zeigt er grundlegende Zusammenhänge zwischen unserem Körper und Ernährung auf. Dabei geht er auf die offensichtlichen Probleme wie Zucker und Salz ein, räumt aber auch mit anderen Mythen auf und rüttelt am Ruf vieler selbstverständlicher und gar nicht so sehr als ungesund angesehenen Lebensmitteln. Auch hier hat Greger für jedes Unterkapitel zahlreiche Studien auf Lager.
Im Weiteren geht es um das optimale Abnehmprogramm und Abnehm-Booster und Greger charakterisiert nochmals verschiedene Mechanismen, die alle grundsätzlich relevant zum Abnehmen sind, aber zunächst unabhängig zueinander stehen, etwa Fettverbrenner, Appetitunterdrücker, Intervallfasten u.v.m.
Insgesamt folgt Michael Greger einem problemlösungsorientierten Raster. Aber ist es das wirklich?
Grundsätzlich gefällt mir populärwissenschaftliche Literatur, denn sie ermöglicht jedem Leser einen möglichst validen Zugang zu wissenschaftlicher Literatur und dem daraus resultierenden Wissen. Dazu benötigt man jedoch einiges an Fingerspitzengefühl, denn gerade Populärwissenschaft darf nicht pauschalisieren oder meinungsbildend sein - und genau hier liegt Gregers Schwachpunkt. Zwar finde ich seinen Schreibstil grundsätzlich geeignet, Leser wachzurütteln und zu motivieren. Dabei schreibt Greger jedoch sehr einseitig und überwiegend polarisierend. Zwar stützt er sich auf zahlreiche Studien, die seine Thesen untermauern, jedoch fehlt mir insgesamt die Gegenperspektive, die zwingend nötig ist, um Gregers Argumente einzuordnen. Und gerade hinsichtlich gesundheitlicher Aspekte finde ich es zwingend notwendig, die Kehrseite der Medaille kennenzulernen.
Dennoch hatte ich das ein oder andere Aha-Erlebnis und habe sehr viel über Ernährung, Verdauung und Verarbeitung gelernt. Besonders hilfreich fand ich hierbei den QR-Code am Ende des Buches, über den man alle von Greger verwendeten Paper abrufen und somit selbst nachlesen bzw. überprüfen kann, was Greger behauptet.
Zurück zum Titel des Buches: Sehr konsequent hält sich Greger daran, bloß nicht zu Diäten zu verleiten, sodass man am Ende der Lektüre zwar zahlreiche Dos und Don'ts kennt, aber keine Anleitung zur Diät bekommt, obwohl man sich insgeheim doch den ein oder anderen Tipp erhofft hätte - und dies ja auch im Untertitel des Buches versprochen wird. So bleibt dem Leser am Ende nur zu überlegen, was man in Sachen Ernährung grundsätzlich tun und lassen kann. Klingt auch erst einmal nett, denn jeder Körper ist anders, weswegen es DIE Diät sicherlich nicht gibt. Problematisch finde ich es jedoch, den Leser quasi mit dem geöffneten Fass alleine zu lassen, denn nicht jeder Leser kann Gregers Argumentationslinien für sich einordnen und reflektieren. So könnten die Abnehm-Booster dazu verleiten, sich was nettes rauszusuchen, was dann aber möglicherweise nicht funktioniert oder - schlimmer noch - zu einer einseitigen Ernährung führt. So sehr Greger seine Leserinnen und Leser zu Beginn also noch an die Hand genommen hat, desto stärker lässt er sie am Ende im Regen stehen. Somit ist das Buch spannend für alle, die sich für Ernährung interessieren und das immerhin 752 Seiten starke Werk gerne auch mal als Nachschlagewerke nutzen möchten. Insgesamt besteht jedoch die Gefahr, dass Leserinnen und Leser ohne Vorwissen keinen Mehrwert finden und zu falschen Schlüssen geleitet werden können.
Für mich war es ein sehr anstrengendes Buch, da es nicht dazu animiert, es in einem durchzulesen, sondern eher ein Nachschlagewerk darstellt, als das ich es auch zukünftig nutzen möchte. Zudem hat mir die Zeit gefehlt, mich mit den Primärquellen auseinanderzusetzen, was ich persönlich sehr schade fand, da durchaus Ungereimtheiten aufkamen, denen ich gerne nachgegangenen wäre. Somit habe ich zwar durchaus einiges Neues erfahren, der erhoffte und häufig suggerierte Aha-Effekt ist in meinem Fall jedoch leider ausgeblieben.