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Veröffentlicht am 11.08.2019

Dystopie eines intelligenten Autors

Handbuch zur Rettung der Welt
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Die Welt der Literatur hat aktuell einige Vertreter des Genres »Dystopie« auf Lager, die zum Teil sehr intensive und nachvollziehbare Diskussionsgrundlagen der weiteren Gesellschaftsentwicklung bieten ...


Die Welt der Literatur hat aktuell einige Vertreter des Genres »Dystopie« auf Lager, die zum Teil sehr intensive und nachvollziehbare Diskussionsgrundlagen der weiteren Gesellschaftsentwicklung bieten und damit auch das eine oder andere aktuelle Problem anzuprangern vermögen. Gerade im populären Jugend- und Science-Fiction-Bereich haben sich Geschichten gefunden, die in ihren Verfilmungen wahre Blockbusterformate annahmen – man bedenke zum Beispiel nur die »Tribute von Panem« oder »Divergent«. Gespickt mit Special Effects und einer für meinen Geschmack viel zu großen Portion Gewalt hat man es geschafft, ein großes Publikum zu erreichen.
Ich bin geneigt, diese Herangehensweise als »industriell-kommerziellen« Weg zu bezeichnen.
Jedoch haben große Denker und Persönlichkeiten der Literatur auch andere, weniger profitorientierte Wege gefunden, den heutigen Raubbau mit Mensch und Natur anzusprechen, etwa Jostein Gaarders »2084« oder das Aussteigermonument »Into the wild«.
Heute möchte ich aber von einem weiteren, großartigen Werk berichten, das ein Kollege jüngst im Verlag Twentysix veröffentlichte. Michael E. Vieten legte seine Vorstellung einer künftigen Gesellschaft als »Handbuch zur Rettung der Welt« auf – besser gesagt: Er malte sich aus, wie die Welt aussehen könnte, wenn wir weiter Raubbau auf Kosten unserer Zukunft betrieben. Wie die Menschen zu leben gezwungen wären, wenn der zu erwartende Gesamtzusammenbruch tatsächlich stattfindet.
Dabei bewies Herr Vieten ein umfangreiches Wissen über globale wirtschaftliche Zusammenhänge, volkswirtschaftliche Zukunftsmodelle und nicht zuletzt über die menschliche Psyche. Wenn der Leser also in eine Welt eintaucht, deren industrielle Entwicklung verschwunden ist und dabei einen verseuchten Planeten voller ums Überleben kämpfender Menschen hinterließ, dann wird die Entwicklung hierzu in den Erzählungen des älteren Protagonisten Josh durchaus nachvollziehbar vermittelt. Dabei wirkt dieses Buch jedoch nie belehrend, nie mit dem erhobenen Zeigefinger ins Gehirn bohrend, wie bei manch anderem Vertreter dieses Genres. Nein, eher wird man zum Nachdenken angeregt – etwas, was die heutige Menschheit durchaus einmal versuchen könnte und sollte.
Im Verlauf des Buches, insbesondere am Anfang, kommt es zu der einen oder anderen Gewaltszene, die die Verrohung durch das Fehlen einer höheren Ethik bei der neuen Lebensweise zeigen soll; diese Szenen werden aber nicht explizit ausgebaut und keinesfalls werden Grausamkeiten in irgendeiner Form verherrlicht (was bei anderen Vertretern des Genres häufig der Fall ist und bei mir stets dazu führt, das Lesen eines solchen Buches abzubrechen; im vorliegenden Buch konnte ich sie überblättern).
Unterm Strich regt dieses Buch sehr zum Nachdenken an. Der Spannungsbogen ist gekonnt ausgebaut und man ist ständig auf den weiteren Verlauf der Geschichte gespannt.
Es verbleibt die Empfindung, es mit einem großen Stück hochwertiger Literatur zu tun zu haben. Und mit einem hervorragenden, intelligenten Schriftsteller, der weiß, wovon er schreibt.

Veröffentlicht am 11.08.2019

Nett, aber auch nicht mehr ...

Treffen sich zwei Träume. Beide platzen.
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Ich trage seit ein paar Jahren Bart. Um genau zu sein: seit ich die Windpocken hatte. So weit, so gut. In diesen wenigen Jahren habe ich gefühlte 127812 mal das Video »rostrotkupferbraunbronze« von Patrick ...

Ich trage seit ein paar Jahren Bart. Um genau zu sein: seit ich die Windpocken hatte. So weit, so gut. In diesen wenigen Jahren habe ich gefühlte 127812 mal das Video »rostrotkupferbraunbronze« von Patrick Salmen geschickt bekommen. Und ja, ich musste lachen. 127812 mal. Auch wenn mir die Sprache teils zu derb ist – so ist sein Humor manchmal –, es ist schlichtweg famos, wie viele Einfälle man zu so einem vermeintlich simplen Thema haben kann. Doch ob sich damit ein Buch füllen lässt? Ich war zunächst skeptisch.
Nun möchte ich vornewegschicken, dass es sich bei diesem Buch nicht um einen Roman handelt. Auch ist es nicht die bloße Ausarbeitung eines Bühnenprogramms. Wie soll man dieses Buch beschreiben ...? Man stelle sich einen alten Kumpel vor, der gerne Witze erzählt, Kurzgeschichten schreibt und dem zu jedem Thema ein blöder Spruch einfällt. Meine Freunde haben jetzt wohl mich vor Augen ... Jedenfalls fühlt sich Salmens neues Buch genau so an, als würde dieser Freund in meinem Wohnzimmer sitzen und mich zutexten. Daher konnte ich es nicht auf einen Rutsch lesen. Es ist eher so einer Art Lektüre, die man in der Badewanne liest, ab und an mal lacht oder schmunzelt, und wenn dann die Hände runzelig werden und man aus der Wanne klettert, in die Eukalyptuspfütze auf dem Wannenrand platziert. Schräg irgendwie, lustig oft, nervig manchmal, zu derb auch zuweilen, aber vor allem: nicht erwachsen. Und das ist gut.

Veröffentlicht am 11.08.2019

Tolle Idee!

Literatur 2 go
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Die Texterin und Autorin Barbara Schilling machte sich jüngst daran, einen Querschnitt durch die deutsche Literatur zu generieren, der das heroische Ziel verfolgt, in nur je fünf Minuten über ein großes ...

Die Texterin und Autorin Barbara Schilling machte sich jüngst daran, einen Querschnitt durch die deutsche Literatur zu generieren, der das heroische Ziel verfolgt, in nur je fünf Minuten über ein großes Werk zu informieren.
Nun mag der Althumanist sagen, dies sei nicht ausreichend, um sich dem Studium großer Romane, Tragödien oder Entwicklungsgeschichten zu widmen. Da hat er recht der Herr Humanist, und sitzt ganz allein in seiner Bibliothek, sich darüber wundernd, dass die heutige Jugend den »Zauberberg« mit Hogwarts gleichsetzt. Und »Thomas Mann« eher als Ausruf des Entsetzens gilt, weil besagter Thomas wieder einmal das Smartphone nicht rechtzeitig an die Stromversorgung angeschlossen hat und nun die grausame handylose Stunde beginnt, deren Inhalt niemand mehr zu füllen versteht.
Daher wage ich nun, dem humanistischen Freund der ausufernden Sekundärliteratur zu widersprechen, und stelle mich auf die Seite der Kollegin Schilling. Dorthin also, wo es nützlich scheint, sich einen kurzen Überblick über die »Ansichten eines Clowns« zu bilden, bevor man entscheidet, ob man dieses Werk in seinem vollen Umfang lesen möchte. Warum tue ich das? Weil ich mich beim Durchforsten deutscher Klassiker selten so amüsiert habe, wie beim Lesen des Werkes »Literatur 2 go«. Hauptmann und Kafka, Böll und Schiller in Kürze zusammengefasst, dabei die Essenz des Werks bis ins Mark eingekocht, so scheint es ein Leichtes, den Kerngedanken zu erfassen. Zumal ich die allermeisten besprochenen Klassiker bereits in voller Länge gelesen hatte. Gewissermaßen fühlte es sich wie ein altes Fotoalbum an, das man zur Hand nimmt, um vergangene Momente in den Sinn zurückzuholen. Emotional durchlebt man auch dann den gesamten Urlaub – ins Mark gekocht – von neuem. Klasse!

Veröffentlicht am 11.08.2019

Große Literatur

Das havarierte Gewissen
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Matthias Schneider-Dominco hat mit der Novelle »Das havarierte Gewissen« sein Erstlingswerk in belletristischen Gewässern vom Stapel laufen lassen und macht dabei eine ausgesprochen gute, maritim-historische ...

Matthias Schneider-Dominco hat mit der Novelle »Das havarierte Gewissen« sein Erstlingswerk in belletristischen Gewässern vom Stapel laufen lassen und macht dabei eine ausgesprochen gute, maritim-historische Figur. Dem Anspruch als Musikwissenschaftler und Philologe entsprechend ist seine sprachliche Fahrrinne tief und intelligent, jedoch für jeden zu meistern. Weit ab von irgendwelchen Hobbyjachten schippert dieses kleine Schwergewicht mit großem Tiefgang hinaus in den Ozean der großen Literaten und muss sich dabei keineswegs mit dem Kielwasser anderer begnügen. Doch genug der maritimen Metaphern.
Matthias Schneider-Dominco gehört zu meinen persönlichen Favoriten, wenn es um anspruchsvolle, hochwertige Literatur geht. Dass er in vorliegendem Werk tatsächlich die Novelle als Textart wählte, empfinde ich als großen Wurf. Denn dadurch konnte die kriminalistische Handlung der unerlaubten Ladungslöschung in seiner vollen Wucht erzählt werden und der Leser wird schlichtweg von der Wortwahl mitgerissen und vermag ein Gefühl für Epoche, Mensch und Autor zu bekommen.
Ein schönes Stück Literatur, die es in dieser Form heutzutage leider nur noch selten gibt.