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Veröffentlicht am 04.10.2022

Düster, depressiv, deprimierend

Bullauge
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Kay Oleander und Silvia Glaser. Zwei Protagonisten, zwei versehrte Menschen in München. Gibt es eine Verbindung zwischen diesen beiden, dem Polizisten und der ehemaligen Apothekerin? Ist Silvia Glaser ...

Kay Oleander und Silvia Glaser. Zwei Protagonisten, zwei versehrte Menschen in München. Gibt es eine Verbindung zwischen diesen beiden, dem Polizisten und der ehemaligen Apothekerin? Ist Silvia Glaser eventuell sogar die Auslöserin von Oleanders schwerwiegender Verletzung am Rande einer Demo? Kay Oleander ist sich nicht sicher, einiges spricht dafür, anderes dagegen. Die beiden geraten in Kontakt, umschleichen einander, fassen Vertrauen, finden Gefallen und gegenseitigen Halt in ihrer derzeitigen merkwürdig taumelnden Lebensweise. Silvia Glaser gesteht Oleander einen schrecklichen Verdacht, der sich aus ihrem neuen Umfeld ergeben hat und große Auswirkungen haben könnte. Oleander beginnt zu recherchieren und stößt tatsächlich auf die Möglichkeit eines geplanten Anschlags.
Alles ist bei den beiden Protagonisten anders, nach ihren Unfällen, und schnell wird klar, Ani geht es hier nicht um einen Kriminalfall, um eine Ermittlung, nicht mal um die Skizzierung einer extremistischen Gruppierung und schon gar nicht die Darstellung der körperlichen Auswirkungen, die ursächliche physische Versehrtheit von Oleander und Glaser. Es entspinnt sich eine hochinteressante psychologische Betrachtung über Menschen, die den Halt verloren haben im Innen und Außen und nun versuchen ihn wieder zu finden.
Damit ist „Bullauge“ ein typischer Ani. Keine leichte Kost, aber perfekt komponiert, sprachlich ein Hochgenuss und wie immer ein Blick in das tiefste Innere des Menschen. Was bedeutet „Versehrtheit“, was ist da beschädigt worden? Eine Hüfte, ein Auge oder vielleicht doch eher kein greifbares Körperteil und Organ, sondern mehr so das Gefühl, die Sicht auf sich selbst und andere, Wahrnehmung nicht-physisch definiert, dass was das englische „mind“ in diesem Fall viel besser und konkreter beschreibt. Und für den Leser im Grunde genommen mal wieder die Erkenntnis, dass doch eigentlich niemand so ganz unbeschädigt ist. Ob es der Verlust eines Partners ist, durch Tod oder Scheidung, die Belastung eines Berufslebens, Einsamkeit, Orientierungslosigkeit, Angst – alles kann dazu führen, dass der Halt verloren geht, an falschen Stellen gesucht wird, Enttäuschungen und Täuschungen stattfinden.
Fazit: Friedrich Ani ist kein Autor von entspannter Wohlfühl-Lektüre. Aber von hoch spannenden psychologischen Betrachtungen, die immer auch ein bisschen zur Selbstreflexion anregen. Das alles in einem ganz eigenen Stil und sprachlich einfach nur zum Genießen – ich finde es einfach großartig. Und wieder: nur weil Polizisten drin vorkommen, ist es kein Krimi. Wer den erwartet ist vielleicht enttäuscht, aber man bekommt viel mehr, wenn man sich darauf einlässt!

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Veröffentlicht am 05.09.2022

Carter at his best

Blutige Stufen (Ein Hunter-und-Garcia-Thriller 12)
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Wenn die UV-Einheit des Morddezernates des LAPD an einen Tatort gerufen wird, dann ist klar, dass es nicht um bloßen Mord geht, sondern um menschliche Abgründe, unmenschliche Taten. Ultra violent ist keine ...

Wenn die UV-Einheit des Morddezernates des LAPD an einen Tatort gerufen wird, dann ist klar, dass es nicht um bloßen Mord geht, sondern um menschliche Abgründe, unmenschliche Taten. Ultra violent ist keine willkürlich gewählte Bezeichnung für die Einheit um Ermittler Robert Hunter und seinen Partner Carlos Garcia. Die Tatorte einer Mordserie und das Vorgehen des Täters stoßen allerdings neue Türen in puncto Brutalität, Akkuratesse und Perfidität auf. Grausamst zugerichtete Menschen, exakt platzierte Botschaften fast lyrischen Inhaltes bis hin zum Auffinden der Tatorte und letztendlich als fulminanten Höhepunkt das Eintreffen einer letzten Botschaft, die nicht ein Detail der Taten für die Angehörigen der Fantasie überlässt, hinterlassen auch bei den hartgesottensten Ermittlern tiefe Spuren. Hunter und Garcia machen sich auf die fieberhafte Suche nach einem möglichen Zusammenhang zwischen den Opfern, den Zufallstaten können dies nicht sein, nicht bei der Akribie und Pedanterie des Täters: Angst, Schmerz und Tod der Opfer plant er exakt so, wie er es haben will – da ist sich Hunter sicher und macht sich unerbittlich auf Spurensuche zwischen traumatisierenden Tatorten und traumatisierten Angehörigen.
Die Thriller von Chris Carter sind absolut nichts für Zartbesaitete, dessen muss man sich im Vorfeld schon bewusst sein. Da macht auch der zwölfte Band der Reihe um Ermittler Robert Hunter keine Ausnahme, aber was die Extreme dieses Genres angeht, geht es einfach nicht besser!
Es ist zwar bei einigen Bänden wirklich nun schon Jahre her, aber aus der Erinnerung heraus, würde ich sagen, für mich ist dies vielleicht sogar der stärkste Band der Reihe. Nicht der stärkste was die alt bekannten Protagonisten Hunter und Garcia angeht, da gab es einige, die in dieser Hinsicht „mehr“ bedeuteten, den Leser mehr an die beiden band, aber Carters Stil, sein Spannungsbogen, der wirklich wirklich grausame Fall, erreichen hier für mich den absoluten Höhepunkt – ich hoffe es ist ein Plateau und kein Gipfel, bei dem es auf der anderen Seite wieder herunter geht, aber ich freue mich jetzt gerade schon unsagbar auf den nächsten Band und hoffe, dass es dieses Mal nicht zwei Jahre dauert, es sei denn, genau dies macht die Qualität aus, dann darf der Autor sich gerne wieder viel Zeit lassen.
Fazit: ein harter und brutaler Thriller, super spannender Plot, das beste was ich aus diesem Genre seit langem gelesen habe. Wer das mag, ist grundsätzlich bei Chris Carter goldrichtig und somit auch bei diesem super starken 12. Band der Robert-Hunter-Reihe.

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Veröffentlicht am 01.08.2022

Was dauert denn da so lange…?

Rille: Wann ist bald?
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Rille, der kleine Gorilla hat einen spannenden Fund beim Mango-Sammeln gemacht. Ein Ei! Und keine Mama und kein Papa weit und breit! Rille schnappt sich das Ei kurzerhand und nimmt es mit nach Hause. Auch ...

Rille, der kleine Gorilla hat einen spannenden Fund beim Mango-Sammeln gemacht. Ein Ei! Und keine Mama und kein Papa weit und breit! Rille schnappt sich das Ei kurzerhand und nimmt es mit nach Hause. Auch seine Freunde sind ganz aufgeregt, wann schlüpft denn nun etwas aus dem Ei? Und was? Und was muss man denn eigentlich tun, damit es dem Ei gut geht und alles vielleicht ein bisschen schneller geht? Alle haben einen Tipp für Rille und gemeinsam kümmern sie sich, und warten, und warten, und warten… bis es dann endlich soweit ist.
Rille und seine Freunde können dabei aber noch ein bisschen Hilfe gebrauchen. Beim ungeduldigen Warten und sich-kümmern und überlegen, wer denn da wohl schlüpfen wird. Die kleinen Leser werden aktiv in diese Geschichte mit einbezogen und machen einfach mit, bei allem was die Figuren im Buch so anstellen. Das ist zum einen sehr charmant, aber eben auch sehr abwechslungsreich und bestimmt auch lustig und spannend für alle Beteiligten! Ganz nebenbei beschäftigt sich das Buch mit einem ganz schwierigen Kinder-Thema: diese vermaledeiten erwachsenen Zeitangaben, wie bald, gleich, nicht mehr lange und die Langeweile und Geduld, die damit einher gehen. Neben dem Thema an sich, bietet das Buch über einen QR-Code aktiv Hilfe beim Zeitvertreib: Malvorlagen, Spiele etc. sorgen für Abwechslung, wenn mal wieder auf irgendetwas gewartet werden muss.
Die ganzseitigen Illustrationen und die kurzen Texte sind inhaltlich und gestalterisch in meinen Augen altersangemessen und sehr abwechslungsreich gestaltet. Insgesamt ein kunterbuntes und humorvolles Buch, das man gerne vorlesen und betrachten wird. Sehr gelungen!

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Veröffentlicht am 20.07.2022

Die Familie ist alles

Die Familie
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Erst im Laufe der Jahre verstehen Sofia Colicchio und Antonia Russo, was das bedeutet. Was die Familie ist, die sich nicht nur auf die eigene Wohnung beschränkt. Warum es so viele Männer mit Pomade im ...

Erst im Laufe der Jahre verstehen Sofia Colicchio und Antonia Russo, was das bedeutet. Was die Familie ist, die sich nicht nur auf die eigene Wohnung beschränkt. Warum es so viele Männer mit Pomade im Haar gibt, die sich sonntags um den Esstisch drängen – was ihre Väter im Familiengeschäft tun, und warum die Menschen im Viertel Angst vor ihren Vätern zu haben scheinen und neu gewonnene Freundinnen am nächsten Tag plötzlich nicht mehr auf dem Schulhof mit ihnen spielen, sondern Abstand halten. Sie leben fast in einem Paralleluniversum und klammern sich lange Jahre fest aneinander, so unterschiedlich sie auch sind. Sofia, die temperamentvollere, aufbrausende, mit dem Aufblitzen der Gefahr in den Augen und dem ungesunden Vergnügen an der Möglichkeit Rache zu üben und die stillere, introvertiertere Antonia, die einerseits Sofia am Boden hält, aber andererseits ohne den „Aktivposten“ an ihrer Seite vollkommen unsichtbar würde. Sinnbildlich stehen beide Mädchen für ihre Väter, für ihre Mütter, für die Stellung innerhalb der Familie und damit für alles, was ihnen zustößt, wie sich ihre Charaktere entwickeln, welche Männer sie wählen und welchen Weg ihr Leben nimmt. Die Familie und die Tatsache in sie hineingeboren worden zu sein, bedeutet für diese beiden unendlich viel mehr, als es für jeden anderen bedeutet, der wirklich nur eine Familie aus Bluts- und angeheirateten Verwandten um sich schart.
Naomi Krupitsky ist ein Mafia-Roman der ganz anderen Art gelungen. Aus der Sicht von Frauen zu schreiben, die eigentlich außen vor sind, am besten nicht zu viel wissen, in der Küche verschwinden und ansonsten nicht zu viele Fragen zum Geschäftlichen stellen sollten, ist denke ich ungewöhnlich. Das Ganze jedoch noch früher anzusetzen mit zwei kleinen Töchtern, die ihren gesamten Lebensweg noch vor sich haben, der jedoch von Geburt an ein so hohes Maß an Prädestination aufweist, finde ich noch um einiges spannender. Der Fokus liegt daher auch nicht auf den Geschäften, der Gewalt und der generellen Kriminalität der mafiösen Strukturen, sondern auf dem Bewusstwerden der eigenen Position in diesem Gefüge, der Stellung der Väter, der Realisierung dessen, was diese tun, die (Ohn-)Macht der Mütter und schlussendlich dem eigenen Umgang damit. Der Roman liest sich flüssig und man bleibt als Leser die ganze Zeit über nah am Geschehen und mitten in der Geschichte. Sofia und Antonia sind so unterschiedlich, dass man auch im Laufe des Lesens immer mal wieder die Favorisierung wechselt, mal kann man die eine, mal die andere mehr verstehen oder mit ihr fühlen. Es ist ein richtiger „Familienroman“, ohne all das was man eindimensional mit diesem Schlagwort verbinden würde – Romantik, vielleicht sogar Kitsch, Familiengeheimnisse, Menschen, die sich gegen andere verbünden, ein Unglück, das alles ändert. All das gibt es hier nicht im üblichen Sinne und doch ist der Roman voll davon – außer dem Kitsch, den sucht man zurecht vergeblich.
Fazit: volle Punktzahl für eine innovative Idee und die angenehme Erzählweise, kleiner Abzug für kleine Logikfehler oder Ungenauigkeiten, die mich einfach beim Lesen ärgern, wenn ich darüber stolpere: plötzlich ist Saul nicht mehr 15 als er immigrierte, sondern 21, Julia muss ein selten geniales Kind sein, da sie mit gerade mal sechs Jahren die National Geographic liest und noch so ein zwei Kleinigkeiten in dieser Richtung. Fällt nicht super schwer ins Gewicht, mir aber auf.

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Veröffentlicht am 14.06.2022

In meinen Augen zu blass

City on Fire
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Rhode Island, Mitte / Ende der 1980er Jahre. Wie vielerorts hat die organisierte Kriminalität ihre immer etwas auf Messers Schneide balancierenden Absprachen über Einfluss- und Geschäftsbereiche, Tabuzonen, ...

Rhode Island, Mitte / Ende der 1980er Jahre. Wie vielerorts hat die organisierte Kriminalität ihre immer etwas auf Messers Schneide balancierenden Absprachen über Einfluss- und Geschäftsbereiche, Tabuzonen, Respekt und Rivalität halten sich im besten Falle die Waage. Allerdings ist das Gebilde der rivalisierenden Familien – hier wie so oft Italiener und Iren – fragil. Pam ist nicht die erste Frau die einen Krieg auslöst und in Troja standen sich Armeen gegenüber, doch in der Tat löst sie eine Spirale der Gewalt aus bzw. Liam Murphy, der sich an die neue Freundin von Paul Moretti heranmacht. Danny Ryan, Liams Schwager, ist ein eher besonnener Vertreter unter all den schnell explodierenden Hitzköpfen, doch auch er ist untrennbar mit seiner Familie verbandelt und damit ist sein Schicksal auch unmittelbar an das des sich entwickelnden Konfliktes geknüpft. Auswege, die er sieht, zerschlagen sich oftmals im nächsten Moment wieder, das sich abermals die Machtverhältnisse ändern, der Ball wieder im eigenen Feld liegt und er schon wieder vor der nächsten Entscheidung steht: Vernunft oder Familie, Tradition oder Zukunft?
Vor Jahren wurde mir Don Winslow wärmstens empfohlen. Ich habe damals keinen Zugang zu diesem Autor gefunden. Ich war nun unheimlich gespannt, City on Fire zu lesen, denn ich „liebe“ das Thema Mafia, finde Pate 1 und 2 grandios, habe mehrfach die Sopranos gesehen. Das Thema begeistert mich immer wieder und steht für packende, wenn auch in ihren Inhalten brutal, bigott und teils menschenverachtend, Unterhaltung. In meinen Augen kann man einen Mafiafilm immer schauen. Die sind nie wirklich schlecht, selbst wenn sie nicht alle grandios sind. Und ich glaube, City on Fire wäre ein ziemlich guter Film, denn den habe ich mir beim Lesen immer vorgestellt, allerdings leider statt der Romanhandlung, mit der ich zu keinem Zeitpunkt warm wurde. Ich fühlt mich immer außen vor und City on Fire ist deshalb für mich immer irgendwie unnahbar geblieben. Ich habe es zwar ständig als „Bild“ vor mir gesehen, aber tatsächlich eher drehbuchartig, oder dass ich mir dachte, diese oder jene Szene würde im Film so oder so aussehen, aber ich war nie von der Handlung gefesselt. Ich habe sogar ständig verglichen, mit GoodFellas, Scarface, den Sopranos, kam mit den Namen irgendwie so gar nicht klar (habe ich sehr selten) und ganz im Ernst war ich echt froh über die Leseprobe für Band 2 im Anhang – denn so fantastisch wie die Handlung dort als Einstieg in den nächsten Band zusammengefasst wurde, hat erst das für mich alles präsent und „rund“ gemacht. Vorher wäre es mir tatsächlich sehr schwergefallen, die Frage, um was es geht, und wie alles zusammenhing, erschöpfend zu beantworten. Ich finde es immer schade, wenn ein Buch, von dem ich viel erwarte, bei mir nicht zündet, aber so muss ich es hier sagen. Ich habe nach vielen Jahren Don Winslow noch einmal probiert und muss erneut sagen, ich weiß wieder warum ich damals das hochgelobte Tage der Toten nicht zu Ende gelesen habe, ich kann vielleicht mit seinem Stil einfach nicht warm werden. Das ist dann persönliche Geschmackssache, aber es hat mir einfach nicht gefallen und ich fand es persönlich nicht spannend. Der Stil ist nüchtern, berichtend, kalt, aber dadurch für mich ohne Höhen und Tiefen. Eigentlich versteht man unter einer dahin plätschernden Handlung etwas anderes als einen Mafiakrieg. Aber genau das war es für mich, leider.

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