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Veröffentlicht am 04.05.2020

Zu groß gedacht, die Spannung fehlt

Die Frequenz des Todes
1

„Die Frequenz des Todes“ ist nach „Auris“ der zweite Band der gleichnamigen Reihe von Vincent Kliesch nach einer Idee von Sebastian Fitzek. Wissen aus Teil eins ist meiner Ansicht nach zwingend erforderlich. ...

„Die Frequenz des Todes“ ist nach „Auris“ der zweite Band der gleichnamigen Reihe von Vincent Kliesch nach einer Idee von Sebastian Fitzek. Wissen aus Teil eins ist meiner Ansicht nach zwingend erforderlich. Es wird zwar ein unabhängiger Fall behandelt, aber die Erlebnisse aus Band eins spielen eine sehr große Rolle für die Motivation und Situation der Charaktere.

Bei der Berliner Feuerwehr geht ein Notruf ein. Das Baby der Anruferin ist verschwunden und überall ist Blut. Bevor ihr Name oder ihr Aufenthaltsort ermittelt werden kann, bricht der Anruf allerdings ab. Der forensische Phonetiker Matthias Hegel wird hinzugezogen, doch er braucht die Hilfe von der True-Crime-Podcasterin Jula Ansorge. Ihr Interesse, mit ihm zusammenarbeiten, ist nach den letzten gemeinsamen Erlebnissen allerdings sehr gering.

Das Buch ist in viele, kurze Kapitel von durchschnittlich fünf bis sechs Seiten unterteilt, was das Vorankommen erleichtert, da man immer denkt „Ach, ein Kapitel geht noch!“. Die Perspektiven wechseln zwischen mehreren Charakteren, was die Identifikation mit einzelnen Personen erschwert, aber die Handlung gerade in der zweiten Hälfte gut voranbringt.

Die erste Hälfte ist leider sehr zäh. Es gibt wenig konkrete Fortschritte in der Ermittlung und das persönliche Tauziehen zwischen Hegel und Jula steht im Mittelpunkt. Der Phonetik-Aspekt ist interessant und einzigartig und hat mich bereits vor dem ersten Teil in seinen Bann gezogen. Negativ aufgefallen ist mir aber ein Kapitel in dem sehr ausführlich auf die fachlichen Aspekte der Phonetik eingegangen wird. Das mag grundsätzlich interessant sein, hat mich in seiner Ausführlichkeit und Wortwahl aber ermüdet.
Richtige Spannung kommt erst im Finale auf und das reicht einfach nicht für einen guten Psychothriller. Die Auflösung der Basis-Geschichte ist früh vorhersehbar. Dennoch ziehe ich hierfür nicht allzu viele Punkte ab, denn es ist trotzdem ein wohl überlegter Ausgang und kein künstliches Rumreißen der Ergebnisse wir in Band eins.

Das ganz große Problem liegt für mich darin, dass der Fall nur das Fundament für eine größere Rahmenhandlung bieten soll. Eine grundsätzlich gute Idee wird so zurechtgebogen, sodass eine noch bösere, erstaunlichere Geschichte darübergelegt werden kann, um diese vermutlich in kommenden Bänden weiter zu verfolgen. Auf künstliche Art und Weise werden vergangene Fälle und Personen, sowie neue Nebencharaktere dazu gedichtet, ohne dass die Leser*innen eine Beziehung dazu knüpfen könnten. Die Fakten werden hingeworfen, sind zu akzeptieren und gut zu merken, denn sonst macht das fragile Konstrukt schnell keinen Sinn mehr.

Zusammenfassend komme ich zu 3 von 5 Sternen. Vincent Kliesch hätte besser daran getan, sich voll auf die Geschichte des Klappentexts zu fokussieren und diese spannend auszuarbeiten. Dass er das kann, zeigt „Auris“. Unter dem Zwang eines „Großen Falls“ leidet sie Spannung einer ursprünglich tollen Idee. Ich bin mir nicht sicher, ob ich weitere Bände der Reihe lesen werde.

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Veröffentlicht am 07.04.2020

Intensiv und mitreißend

All Saints High - Die Prinzessin
1

Mit „All Saints High – Die Prinzessin“ startet L.J. Shen ihre Spin-Off Trilogie der „Sinners of Saint“-Reihe. In jedem Band geht es um die Kinder der ehemaligen Hotholes – Vorwissen ist allerdings nicht ...

Mit „All Saints High – Die Prinzessin“ startet L.J. Shen ihre Spin-Off Trilogie der „Sinners of Saint“-Reihe. In jedem Band geht es um die Kinder der ehemaligen Hotholes – Vorwissen ist allerdings nicht zwingend erforderlich.

Protagonistin des ersten Bands ist Daria Followhill, die Geschichte ihrer Eltern Jamie und Melody erschien lediglich als ebook Novella und Hörbuch unter dem Titel „Rough Love“. Nach außen hin hat sie alles: Geld, gutes Aussehen und viele Freunde. Doch sie ist so eifersüchtig auf Sylvia Scully mit der sie zum Ballett geht, dass sie mit vierzehn deren Zukunft zerstört. Auch einige Jahre später fühlt sie sich noch schuldig und versucht diese Schuld an Sylvias Bruder Penn zu tilgen, der ein Dach über dem Kopf braucht. Penn hatte viele Jahre Zeit, seinen Hass auf Daria zu schüren, aber das Kribbeln zwischen ihnen können beide nicht ignorieren.

Vorab: Das Buch startet mit einer Triggerwarnung: „Dieses Buch enthält Darstellungen von körperlicher und sexueller Gewalt, die triggern können.“

Das Cover ist mir direkt aufgefallen. Vor allem aber deswegen, weil rosa gar nicht meine Farbe ist. Hier könnte es natürlich (wenn man Klischees folgt) die Farbe zu „Prinzessin“ sein, also trotz allem passend gewählt. Als ich dann aber den Titel und die Autorin gelesen habe, wusste ich sofort, dass das Buch auf meine Wunschliste kommt, denn die „Sinners of Saint“-Reihe habe ich geliebt! Wenn man dem Cover von „All Saints High – Die Prinzessin“ einen genaueren Blick zuwirft, erkennt man in der Mitte auch den Rauch, welcher langsam in den Titel strömt: ein vertrautes Motiv aus der ersten Reihe. Besonders gefällt mir allerdings die Symbolik bei der Gestaltung des Titels. Die Schriftart ist klar und gradlinig – das wird in Darias sozialer Schicht und auch vor allem beim Ballett von ihr erwartet. Der Rauch, hier ihre Eifersucht oder vielleicht auch neue Einflüsse (z.B. Penn), bringt einen Bruch hinein. Es wird versucht die ursprüngliche Linie beizubehalten, aber es ist dennoch nicht mehr wie vorher. Für solche Botschaften durch ein einziges Cover liebe ich LYX.

L.J. Shen versteht es wie keine andere, gleichzeitig schön und traurig zu schreiben. Ihre Worte geben dem Leser schon einen tieferen Blick in die Seele der Charaktere, denn in allem, was diese wahrnehmen, schwingen auch ihre Gefühle mit. Ihre Charaktere sind immer etwas melancholisch, zum Teil düster und die leicht philosophische Art wie sie ihre Gefühle beschreibt, hebt ihre Bücher einfach von allen anderen Liebes-/YA-Romanen da draußen ab.

Ein absolutes Highlight sind für mich die Zitate zu Beginn jedes Kapitels. Sie sind so emotional und ehrlich und vermitteln die Gefühle einer Hassliebe hervorragend. Auch die wechselnden Perspektiven zwischen Daria und Penn lassen diese Gefühle auf jeder Seite neu auflodern, sodass sie beim Lesen immer intensiv wahrzunehmen sind. Was romantische Aspekte betrifft, findet Shen genau die richtige Balance zwischen Kitsch und Realität, wodurch die Situationen glaubwürdiger sind.

Sehr gelungen finde ich insgesamt, wie man zu Beginn erst nach und nach Darias genaue Situation kennenlernt. Es ist interessant, laufend etwas Neues zu erfahren und wirkt viel natürlicher, als wenn die Protagonistin auf den ersten fünf Seiten direkt ihre ganze Lebensgeschichte darlegt. Auch Darias Sprachstil gefällt mir, er ist altersgemäß und dadurch authentisch.

Daria ist eine sehr interessante Protagonistin. Sie sehnt sich so sehr nach der Anerkennung ihrer Mutter und ist dabei von Eifersucht getrieben. Ihr ist klar, was richtig und was falsch ist, aber sie kann trotzdem nicht anders handeln. Sie ist in der Lage darüber zu reflektieren und ihr Tun verfolgt sie noch lange. Diese Ambivalenz fasziniert mich. Daria tut den Leser*innen einfach nur leid, denn sie weiß sich nicht anders zu helfen, fühlt sich alleine und verlassen und, trotz aller rationalen Argumente, fühlt sie sich nicht genug geliebt und niemals den Ansprüchen ihrer Mutter genügend.

Penn liebt seine Schwester und hat keine Impulskontrolle - eine gefährliche Kombination, denn er neigt zu gewalttätigen Ausbrüchen, wenn er sie bedroht sieht. Sein Beschützerinstinkt ist generell sehr ausgeprägt. Somit ist sein Hass auf Daria die einzige logische Konsequenz, denn sie hat seiner Schwester geschadet und dadurch auch ihn verletzt. Gleichzeitig ist Penn aber auch unberechenbar: Auf der einen Seite hat die Begegnung mit Daria ihn nachhaltig beeindruckt, auf der anderen Seite entschließt er sich bewusst, sie zu hassen. Diese Hassliebe ist eine perfekte Grundlage für ein bewegendes Auf und Ab der Gefühle. Beim Lesen wird man nicht schlau aus Penn, was aber kein Nachteil ist, denn die Geschichte ist so weniger vorhersehbar.

Ein kleiner Kritikpunkt ist das Ende. Man kennt es von der Autorin bereits, dass sie es im Epilog etwas übertreibt. Es wird ein Bild von einer „perfekten Welt“ gemalt, die zum einen übertrieben ist, weil jede Handlung die nächste überbieten und immer noch etwas draufgesetzt werden muss, und zum anderen einen Großteil der echten Beziehungen nicht wiederspiegelt.

L.J. Shen holt wirklich das Optimum an Spannung und Spannungen aus der Situation raus. Ich wollte unbedingt weiterlesen und hatte gleichzeitig Angst davor. Die Gefühle der Charaktere sind immer unglaublich intensiv, die Handlung ist mitreißend und es ist häufig nicht vorhersehbar, was als nächstes geschieht. Ihre Charaktere sind so verletzlich, etwas düster, etwas melancholisch und dabei wahnsinnig nahbar.

Ich bin absolut begeistert von dem Buch, sodass ich zu 5 von 5 Sternen komme und Band zwei („Der Rebell“, ET 28.07.2020) und drei („Der Verlorene“, ET 21.12.2020) unmittelbar auf meine „kaufen und sofort lesen“-Liste setze.

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Veröffentlicht am 06.05.2019

Gefühlvolle Geschichte – vorhersehbar aber unterhaltsam

Up All Night
1

Mit „Up All Night“ von April Dawson ist der erste Teil ihrer gleichnamigen Dilogie erschienen. „Next to you“ erscheint als Finale am 31.10.2019. Die Bücher sind in sich abgeschlossene Geschichten, viele ...

Mit „Up All Night“ von April Dawson ist der erste Teil ihrer gleichnamigen Dilogie erschienen. „Next to you“ erscheint als Finale am 31.10.2019. Die Bücher sind in sich abgeschlossene Geschichten, viele Charaktere tauchen allerdings in beiden Bänden auf.

In „Up All Night“ geht es um Taylor Jensen, die an einem einzigen Tag ihren Job und ihr Auto verliert, sowie ihren Freund beim Fremdgehen erwischt. Völlig aufgelöst begegnet sie ihrem Kindheitsfreund Daniel Grant, in dessen WG ein Zimmer frei ist. Nach diesem Tag voller Enttäuschungen will Taylor allerdings nichts mehr von Männern hören und schon gar nicht mit einem zusammenwohnen, der ihrem Herz zu nahe kommen könnte. Doch Dan versichert ihr, dass er homosexuell sei. Während Taylor ihr Leben langsam wieder in Ordnung bringt, fühlt sie sich allerdings immer mehr zu ihrem guten Freund hingezogen.

Das Cover ist wirklich traumhaft. Die Farbtöne sind sehr schön gewählt, es sieht ein bisschen wie eine Morgendämmerung aus. Das erste Licht, welches die Skyline von New York berührt – das lädt zum Träumen ein. Mir gefällt, dass die Stadt nur unten am Rand zu sehen ist und nicht zu viel vom Cover einnimmt. Richtig auffallend sind auch die einzelnen Lichtpunkte, die ein wenig wie Glitzerpartikel aussehen. Zum Zeitpunkt meiner Rezension habe ich das Buch noch nicht live gesehen, aber auch das elektronische Bild zieht mich schon magisch an.

Von April Dawson hatte ich zuvor noch nichts gelesen, obwohl „Still Broken“ seit den ganzen überwältigenden Kritiken schon lange auf meiner Wunschliste steht. „Up All Night“ hat mir daher den ersten Einblick in ihr Schreiben gegeben. Direkt positiv ist mir dabei aufgefallen, dass sie sehr zielgerichtet schreibt. Es wird nicht viel Drumherum beschrieben, sondern sehr klar eine Geschichte erzählt. Das findet man in dem Genre selten, aber es gefällt mir wirklich gut. Es macht es dem Leser einfach, der Geschichte zu folgen, wenn die Gedanken der Protagonisten und die des Lesers nicht andauernd zu Nebensächlichkeiten abdriften. Taylors furchtbarer Tag wird sehr schnell abgehandelt. Das gefiel mir gut, denn man weiß ja durch den Klappentext schon, was passiert und es ist immer etwas zäh, wenn ein Autor das dann nochmal auf 100 Seiten ausrollt. Hier ging es schnell in die eigentliche und neue Geschichte über – top!

Meine Beziehung zu den Charakteren hat während des Lesens eine Entwicklung durchgemacht. Taylor hat zu Beginn direkt mein Herz erobert. Sie ist wahnsinnig stark und tough! Sie buckelt vor niemanden und bleibt sich selbst treu. Wirklich eine umwerfende Person und ein Vorbild für jede Frau. Irgendwann kam bei mir allerdings ein Punkt, an dem ich sie immer weniger leiden konnte. Sie war so blind und naiv, dass ich es schon nicht mehr niedlich oder witzig finden konnte. Ihre grundsätzliche Persönlichkeit fand ich nach wie vor toll, aber es kam dann häufiger vor, dass ich beim Lesen ihrer Gedanken oder Handlungen die Augen verdreht habe.

Dan machte ab der ersten Seite einen sympathischen Eindruck, ist hilfsbereit und tatsächlich – abgesehen von seiner Optik – der nette Junge von nebenan. Sobald es zwischen Taylor und Dan anfing zu prickeln, war es für mich jedoch etwas schwierig den heißen Typen und den netten Nachbarn in derselben Person zu sehen. Das liegt vermutlich daran, dass es in diesem Genre meistens nur genau diese zwei Charaktere gibt: zum einen die gut aussehenden Männer mit Sixpack, die arrogant oder zumindest sehr selbstsicher sind. Sie sind dabei nicht zwingend unfreundlich (sonst wäre wohl niemand von ihnen unser Bookboyfriend), aber eben auch nicht so sympathisch und bodenständig wie Archetyp Nummer zwei: der gute Freund oder der „Junge von nebenan“. Daniel ist weder der eine, noch der andere, sondern irgendwie beide zugleich. Das ist nach vielen gelesenen Liebesromanen sehr ungewohnt, aber gleichzeitig unheimlich erfrischend. Mit steigender Zahl der gelesenen Kapitel, ist auch meine Zuneigung zu ihm gestiegen und ich bin immer besser mit den zwei Facetten, die er vereint, zurechtgekommen.

Wo es kein Auf und Ab für mich gab, sondern von der ersten Seite an nur Liebe, sind die Nebencharaktere. Vor allem Addison, Daniels Schwester, und Grace, die Mitbewohnerin, sind wundervolle Personen, die ich selbst gerne meine Freundinnen nennen wollen würde. Sie sind grundverschieden, aber beide sehr individuell und authentisch konzipiert.

Zum Spannungsverlauf muss man ganz ehrlich sein: die Geschichte ist von Anfang an vorhersehbar. Es gibt keine Überraschungen und nur zwischendurch ein paar Szenen, die man so nicht unbedingt erwartet hat, die aber auch für die grundsätzliche Handlung nicht essentiell wichtig waren. Dies ändert jedoch nichts daran, dass mich das Buch sehr gut unterhaltet hat und ich diese gefühlvolle Geschichte genossen habe. Dennoch gibt es hierfür einen kleinen Punktabzug, sowie für Taylors teilweise wirklich unglaubhafte Naivität, sodass ich zu 4 von 5 Punkten komme. „Next to you“ wandert mit sofortiger Wirkung auf meine Wunschliste, denn ich freue mich riesig darauf, mehr von Addison zu lesen, die ich bereits in mein Herz geschlossen habe.

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Veröffentlicht am 29.03.2018

Zäher Start, grandioses Finale

The Woman in the Window - Was hat sie wirklich gesehen?
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„The Woman in the Window“ von A. J. Finn ist Doktor Anna Fox. Sie leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, die sich in schwerer Agoraphobie – Platzangst - manifestiert. Sie kann seit Monaten ...

„The Woman in the Window“ von A. J. Finn ist Doktor Anna Fox. Sie leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, die sich in schwerer Agoraphobie – Platzangst - manifestiert. Sie kann seit Monaten das Haus nicht verlassen, nimmt viele Medikamente zu sich und genauso viel Alkohol. Zudem leidet sie sehr unter der Trennung von ihrem Mann und ihrer Tochter. Ihre Tage verbringt sie vor allem damit, ihre Nachbarn zu beobachten. Besonders die neue Familie gegenüber weckt ihr Interesse. Als sie dort eines Abends einen Mord beobachtet, will sie zu Hilfe eilen. Doch nachdem ihre Phobie sie vor dem Haus in die Ohnmacht zwingt, glaubt ihr niemand, was sie gesehen hat. Halluzinationen unter Medikamenten und Drogen, oder ist doch etwas Wahres an ihren Beobachtungen?

A. J. Finn schreibt die Geschichte aus Annas Ich-Perspektive. Der Leser erlebt so direkt mit, wie Annas Krankheit ihre Gedanken bestimmt und ihr Leben beherrscht. Zu Beginn ist noch nicht klar, was die posttraumatische Belastungsstörung ausgelöst hat und erst nach und nach wird durch Rückblicke aufgelöst, was genau passiert ist. Die Beschreibungen ihrer Gefühle und Gedanken sind für den Leser beklemmend, doch man wird auch sehr neugierig, wie es zu all dem kam. Früh manifestiert sich eine Ahnung, aber einige Details bleiben lange im Verborgenen, sodass dieser Erzählstrang seine Anziehungskraft nicht verliert.

Allgemein sind die Kapitel sehr kurz gehalten, was das Lesen sehr angenehm macht, kann man doch eben ein paar Seiten lesen und findet dann wieder eine gute Stelle zum Pausieren. Gerade am Anfang war dies wichtig, denn dort entwickelt sich die Handlung eher langsam weiter. Natürlich möchte man wissen, was Anna passiert ist, aber der Mord und die Frage, ob er real ist oder nicht, spielt zu Beginn noch keine Rolle. Auch nach dem Ereignis kommt die Aufklärung zunächst schleppend voran. Zum Ende hin nimmt die Spannung dann allerdings rasant Fahrt auf. Es gibt einige ungeahnte Wendungen, die in einem grandiosen Finale enden, sodass die letzten 50 Seiten nur so dahinfliegen. Insgesamt hätten es aber ruhig circa 100 Seiten weniger sein können.

Einen zu großen Teil nimmt auch Annas Leidenschaft, die schwarz-weiß Thriller, ein. Für Fans dieses Genres sicherlich ein interessanter Zusatz. Es werden allerdings so viele Szenen, Details und Dialoge aus diesen Filmen wiedergegeben, dass es für Leser, die damit weniger anfangen können, zwischendurch etwas mühsam verläuft. Man ertappt sich dabei, diese Szenen flüchtiger zu lesen, was nicht der Sinn in einem Roman sein kann.

Besonders gut gefallen hat mir, dass am Ende des Buches alle offenen Fragen beantwortet werden. Es gibt keine losen Enden und die vormals unstimmigen Punkte und Ungewissheiten fügen sich zu einem logischen Ganzen zusammen. Das ist ein Anspruch, den nicht immer alle Bücher für mich erfüllen können. Bei dieser Geschichte denkt der Leser am Ende aber, dass alles zusammenpasst und kann die Buchdeckel zufrieden zuklappen.

Insgesamt eine hervorragende, wenn auch nicht neue, Idee mit unvorhersehbaren Ereignissen. Der Spannungshöhepunkt am Ende kann allerdings nicht vollständig über den langsamen Start und die teils zähe Mitte hinwegtrösten. Daher 4 von 5 Sternen.

Veröffentlicht am 23.02.2018

Spannende Handlung, Charaktere unsympathisch

Totenweg
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„Totenweg“ von Romy Fölck ist der erste Band einer bislang auf vier Teile ausgelegten Reihe rund um das ungleiche Ermittlerduo Bjarne Haverkorn und Frida Paulsen.

Vor 18 Jahren wurde Fridas beste Freundin ...

„Totenweg“ von Romy Fölck ist der erste Band einer bislang auf vier Teile ausgelegten Reihe rund um das ungleiche Ermittlerduo Bjarne Haverkorn und Frida Paulsen.

Vor 18 Jahren wurde Fridas beste Freundin Marit erdrosselt in einem alten Viehstall gefunden und Frida weiß etwas darüber. Während sie die ganzen Jahre schwieg, kann der damalige Leiter der Mordkommission, Haverkorn, sich nicht von diesem Cold Case lösen. Als in Fridas Heimatdorf ein Überfall stattfindet, führt das die junge Polizistin und den kurz vor der Pensionierung stehenden Ermittler wieder zurück in die Vergangenheit, zurück nach Deichgraben. Nicht nur die Erinnerungen der beiden werden schmerzhaft wieder aufgefrischt, auch der Täter scheint noch nicht mit der Geschichte abgeschlossen zu haben.

Die Kapitel werden in unregelmäßigem Wechsel aus der Perspektive von Frida und Haverkorn geschildert. In Fridas Abschnitten sind zum Teil Absätze in Form von Erinnerungen aus ihrer Kindheit eingewoben. Diese passen immer hervorragend zu den aktuellen Ereignissen, sodass sich der Leser wirklich vorstellen kann, dass Frida sich in genau dem Moment daran erinnert.

Die Handlung ist bis zum Höhepunkt sehr spannend umschrieben. Es werden einige falsche Fährten gelegt, sodass die Zusammenhänge nicht direkt offensichtlich sind. Das ist für mich das wichtigste bei einem Krimi. Großer Kritikpunkt ist allerdings der Höhepunkt selbst. Eine entscheidende Szene wird nur kurz aus Fridas Erinnerung zusammengefasst, anstatt, dass der Leser das Geschehen wenige Minuten früher live miterlebt. Dadurch ist sehr viel Spannung verloren gegangen und der Höhepunkt für mich wirkungslos verpufft.

Ein weiterer negativer Aspekt waren für mich die Charaktere. Es gibt einen Nebencharakter, den ich sehr interessant und sympathisch finde, welcher aber nur auf rund fünf Seiten vorkommt. Soweit kein Problem, es ist ja auch bewusst nur ein Nebencharakter. Alle anderen allerdings, sei es die beiden Protagonisten, deren Freunde oder Familie, fand ich absolut unsympathisch. Ich bin mit niemandem warm geworden, sodass ich, bis auf Frida und Haverkorn, zwischendurch jeden in Verdacht hatte, etwas mit dem Mord und / oder dem Überfall zu tun zu haben. Aber auch Frida mochte ich einfach nicht. Sie blieb immer distanziert und kühl, ich hatte nie das überzeugte Gefühl, dass sie jemanden wirklich mag oder jemandem vertraut. Haverkorn war zwar emotional, wenn er an seinen alten Fall und sein vermeintliches Versagen dachte, ich konnte mit ihm allerdings nicht so richtig mitfühlen und dass, obwohl der Leser noch eine sehr traurige Geschichte über ihn erfährt. Auch mit ihm war ich einfach nicht auf einer Wellenlänge, ich konnte mit dem Schicksal von beiden nicht mitfiebern.
Das tut mir sehr leid, weil Romy Fölck selbst eine sehr sympathische Person ist. Vielleicht ist es aber auch eine regionale Begebenheit und mein rheinischer Charakter beißt sich mit den authentisch beschriebenen nordischen Gemütern.

In die Beschreibung der Marsch-Region, der dortigen Menschen und ihrem Wesen hat die Autorin sehr viel Gefühl und Detailliebe einfließen lassen. Ich kann absolut nicht beurteilen, ob ihre Darstellung authentisch und gelungen ist, aber man merkt auf jeder Seite, wie sie die Region liebt und wie viel es ihr bedeutet, dieses ganz spezielle Lebensgefühl von dort oben im Norden für jeden Leser zu veranschaulichen, egal wo er oder sie lebt. Mit diesen „Regionalkrimis“, die im deutschen Krimi-Markt seit längerem sehr im Trend liegen (so meine Wahrnehmung), kann ich allgemein wenig anfangen. Für eine gut erzählte, spannende Geschichte ist der Handlungsort für mich austauschbar, solange der Autor die Stimmung gut rüberbringt. Das ist Rom Fölck gelungen und mit welcher Leidenschaft sie „ihre“ Region vertritt ist bemerkenswert. Doch wie gesagt ist es vielleicht genau diese authentische Beschreibung, welche die Charaktere für mich leidenschaftslos macht.

Somit treffen zwei entscheidende Punkte aufeinander: Es gibt im Krimi für mich nichts Wichtigeres als eine spannende, nicht zu offensichtliche Handlung und Verkettung von Fährten. Dies ist Romy Fölck hervorragend gelungen. In einem Roman allgemein geht es für mich hingegen nicht ohne mindestens einen Charakter, den ich mag, mit dem ich mich identifizieren kann und den ich gerne begleite. Diesen gab es nicht. Insgesamt konnte mich „Totenweg“ leider nicht überzeugen, somit komme ich zu 3 von 5 Sternen.

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