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Veröffentlicht am 01.06.2019

Auf nach Nordschweden (oder doch zuerst nach Schwäbisch Gmünd?)...

Kuckuckssohn
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Auf nach Schweden (oder doch zuerst nach Schwäbisch-Gmünd?) ...

Den Tipp für dieses Buch habe ich beim „Rezi-Stöbern“ bei LovelyBooks gefunden: er hörte sich nach einem schönen, leichten und „fluffigen“ ...

Auf nach Schweden (oder doch zuerst nach Schwäbisch-Gmünd?) ...

Den Tipp für dieses Buch habe ich beim „Rezi-Stöbern“ bei LovelyBooks gefunden: er hörte sich nach einem schönen, leichten und „fluffigen“ Roman an, der nicht zu liebeslastig oder gar kitschig schien – genau danach stand mir der Sinn! Und ich wurde keineswegs enttäuscht...
Von der Geschichte möchte ich nicht allzu viel schreiben, da es einige nette überraschende und unvorhergesehene Wendungen gibt: Der Fabrikat Traugott Gebhard ist verstorben, bei der Testamentseröffnung erfährt die schockierte Familie, dass in Schweden ein erwachsener „Kuckuckssohn“ lebt. Göran ist auch im Testament bedacht, da Traugott von ihm wusste, aber auf Wunsch der Mutter keinerlei Kontakt zu ihm gehabt hat (Traugott hatte vor Jahrzehnten eine Liebesbeziehung zu einer Schwedin, die aber die Beziehung zu Gunsten von Traugotts deutscher Familie beendete). Traugotts Frau ist bereits verstorben, aber die beiden Söhne reagieren mit Empörung und Unglauben. So ist die Ausgangslage des Buches...
Mir hat gut gefallen, wie authentisch die beiden Autorinnen Simone Dorra und Ingrid Zellner ihre Personen herausgearbeitet haben, ich hatte bald das Gefühl, sie gut zu kennen und an ihren Gesprächen teilzuhaben. Einige waren mir sympathisch, andere wiederum nicht – eben so, wie im richtigen Leben...
Der Stil ist locker und angenehm zu lesen, genau wie es für mich bei einem „Wohlfühl-Buch“ sein sollte. Klar, das Ende war etwas absehbar, aber jeder andere Schluss hätte mich enttäuscht – und er war für mich realistisch und nicht kitschig-verspielt!
Was mich aber ganz besonders fasziniert hat: die wirklich wunderbaren Landschaftsbeschreibungen des schwedischen Lapplands um die Stadt Kiruna, auch habe ich viel über das Leben, Traditionen und Gebräuche der Samen erfahren. Da liest man viel Liebe zur Gegend und den Bewohnern heraus. Ich bekam bei den (sommerlichen – nicht den winterlichen!) Beschreibungen immer stärker Lust, mich in ein Flugzeug zu setzen, um nach Kiruna zu fliegen...
Aber wir erfahren quasi „en passant“ auch einiges über die Stadt Schwäbisch Gmünd und das dortige Staufer-Festival – ehrlich: ich hatte bisher noch nie von diesem Kulturereignis gehört und nach eifrigen „gegoogle“ bin ich bestens über den „Verein Staufersaga e.V.“ informiert – vielleicht ein weiteres Reiseziel (wenn es denn bloß nicht so voll wäre...)?
Eine Einschränkung muss ich allerdings machen: von allein hätte ich mir dieses Buch nie gekauft, dass Cover hätte mich ziemlich abgeschreckt – vermutlich hätte ich es nicht mal in die Hand genommen... Ich bin zwar nicht unbedingt ein „Cover-Typ“, aber so ein unpassende Titelbild ist mir selten untergekommen...
Aber insgesamt ein schönes, entspannendes Buch, dass mir viele freudige Lesemomente geschenkt hat, ich habe es gern gelesen und kann es deshalb natürlich weiterempfehlen!

Veröffentlicht am 19.05.2019

Das Leben der Schönaus 1935 - 1957

Des Lebens labyrinthisch irrer Lauf
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Von Natur aus bin ich beim zweiten Teil eines Familienromans etwas skeptisch: kann die Autorin den hohen Standard des 1. Buches „Bürgerin aller Zeiten“ beibehalten? Aber hier waren meine Sorgen vollkommen ...

Von Natur aus bin ich beim zweiten Teil eines Familienromans etwas skeptisch: kann die Autorin den hohen Standard des 1. Buches „Bürgerin aller Zeiten“ beibehalten? Aber hier waren meine Sorgen vollkommen unbegründet…
Auch mit Band 2 ist der Autorin Heike Wolf ein großartiges Werk gelungen: mit Sachlichkeit, Empathie, intensiver Recherchearbeit und in einem wundervollen, eindringlichen Schreibstil leitet sie uns Leser gekonnt durch die Zeit von 1935 bis 1957. Wir dürfen wieder regen Anteil am Leben der Familie Schönau in Leipzig nehmen.
Die drei bekannten Schönau-Kinder haben sich vollkommen unterschiedlich entwickelt (ja, so etwas kommt in den besten Familien vor): Lotte hat geheiratet und versucht mit allen Mitteln ihre Familie vor der Außenwelt zu schützen und geht deshalb häufig den Weg der drei Affen („Nichts, sehen, nichts hören, nichts sagen“), Dorchen schlägt nach leidvollen und teils traumatischen Erfahrungen einen vollkommen anderen Weg ein und Heinrich hat seine politische Heimat in der NSDAP gefunden und macht Karriere bei der SS.
Wir erleben die Geschichte wieder durch die Hauptprotagonistin Lotte, ihr Mann Richard teilt uns seine Gedanken und Erfahrungen durch Gespräche entweder mit Lotte, Dorchen oder anderen (besonders erwähnenswert finde ich hier ein Gespräch mit seinem Schwiegervater Wilhelm 1941, S. 210 ff) oder durch Briefe mit. Sehr betroffen war ich von einem Brief aus dem „Kessel von Stalingrad“, von dem Richard weiß, dass er nicht durch die Zensur gehen wird, u.a. schreibt er: „Der Kessel wird immer enger und wie es enden wird, ist abzusehen. Ich weiß, was man Euch erzählt – Heldenmut, Opferbereitschaft, Kampf bis zum Letzten. Glaub‘ es nicht. Wir sind keine Helden. Wir kämpfen, weil wir keine andere Wahl haben und weil der Größenwahnsinnige, der gemütlich und sicher in seiner warmen Wolfsschanze sitzt, beschlossen hat, dass Rückzug nicht in Frage kommt. Ganz gleich, was Du hören wirst, wir wurden eiskalt geopfert und im Stich gelassen.“ (S. 243)
Bei den Bombennächten von Leipzig sind wir an Lottes Seite, kämpfen uns mit ihr durch die zerstörte Stadt, sorgen uns um Richard, mit ihren Augen sehen das Einrücken der Besatzungsnächte, zuerst die Amerikaner, dann die Russen, erleben die Repressalien „der Russen“ in der Zeit bis zur Gründung der DDR, hören von der Staatsideologie der DDR – schlichtweg: wir nehmen teil an ihrem Leben, wie bei einer guten Bekannten.
De Rahmenhandlung beider Bücher ist die Vorbereitung und Durchführung von Lottes 80.Geburtstag am 9.November 1989 – ein geschickter Coup der Autorin, gerade dieses Datum zu wählen.
Geschichtsinteressierte Leser kennen vermutlich die reinen Fakten der „dunkelsten Zeit deutscher Geschichte“, aber durch den Roman von Heike Wolf nehmen wir persönlich und intensiv Anteil, fühlen uns „inmitten“ dieser wichtigen Zeit, die auch für uns „mit der Gnade der späten Geburt“ nicht vergessen sein darf.
Wilhelm Schönau ist ein großer Goethe-Fan (wie man heute sagen würde), die Autorin offensichtlich auch, da beide Bücher Goethe-Zitate zum Titel haben, deshalb werde ich hier auch mit einem Goethe-Zitat enden: „Schreibe nur wie du reden würdest, und so wirst Du einen guten Brief schreiben.“ (Brief an Cornelia Goethe, 7.12.1765). Dies hat Heike Wolf wohl sehr verinnerlicht, aber sie hat das Zitat sehr weit übertroffen: sie hat zwei ausgezeichnete und hervorragende Bücher verfasst, für die ich eine absolute Leseempfehlung geben muss!

Veröffentlicht am 04.05.2019

Was wir Menschen alles von den Bienen lernen können...

Der Honigbus
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Meredith May hat mit ihrem Buch „Der Honigbus“ ein Memoir geschrieben – dieser Ausdruck war mir unbekannt: lt. „Autorenwelt“ ist es „eine non-fiktionale Geschichte. (…) ...fokussiert auf einen besonderen ...

Meredith May hat mit ihrem Buch „Der Honigbus“ ein Memoir geschrieben – dieser Ausdruck war mir unbekannt: lt. „Autorenwelt“ ist es „eine non-fiktionale Geschichte. (…) ...fokussiert auf einen besonderen Abschnitt aus dem Leben der Autorin...“ Als Beispiel für Memoirs wird häufig Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg“ genannt. Tja, da habe ich wieder etwas gelernt, Lesen bildet doch!
1975: Meredith ist 5 Jahre alt, als sich ihre Eltern trennen, ihre Mutter fliegt mit Meredith und ihrem jüngeren Bruder Matthew von der amerikanischen Ostküste nach Kalifornien zu ihren Eltern (Großeltern der Kinder). Meredith stellt hinterher fest: „Irgendwo zehntausend Meter über der Mitte Amerikas hatte sie es aufgegeben, eine Mutter zu sein.“ (S.32) Auch die Großmutter ist leider keine Hilfe für die kleinen Kinder, da sie ausschließlich ihre (wohl schwerst depressive) Tochter im Blick hat. Nur der (Stief-)Großvater bietet Halt und menschliche Wärme, der eher schweigsame Mann zeigt seine Zuwendung über seine Bienen, von denen er zehntausende am Big Sur in Stöcken hält... Durch den Großvater lernt Meredith (und auch wir Leser!) die Welt der Bienen kennen und erkennt Parallelen zu ihrem eigenen – meist einsamen – Leben. „Wenn sie sich verlassen fühlt, zeigen sie ihr, wie man zusammenhält und für einander sorgt. Wenn sie über ihre Mutter verzweifelt, bewundert sie die Bienen dafür, ihre Königin einfach austauschen zu können.“ (vorderer Klappentext)
Folgerichtig sind die Kapitel neben dem Datum (so dass wir gut Merediths Leben verfolgen können) mit kleinen Untertiteln versehen, z.B. „Eine Bienenlektion in Selbsterhaltung“ oder „Eine Bienenlektion in Loyalität“ oder auch „Eine Bienenlektion in Entscheidungsfindung“ usw.
Der Schreibstil ist sehr angenehm und klar und nimmt uns Leser sofort mit: wir leiden, freuen, ärgern und ängstigen uns mit Meredith.
Wir verlassen Meredith 1987, als sie wegzieht, um ein College zu besuchen, diesem Tag hat sie entgegengefiebert... Sie erkennt: „Grandpa und seine Bienen hatten mich durch eine führungslose Kindheit geleitet, mich beschützt und mich gelehrt, ein guter Mensch zu sein.“ (S. 294/295)
In einem Epilog (2015, „Eine Bienenlektion über Hinterlassenschaft“) berichtet die Autorin über ihren weiteren Lebensweg, den Tod des geliebten Großvaters und von ihrem Versprechen, sich seiner Bienen anzunehmen, so dass sie jetzt selbst Imkerin in der 5. Generation ist.
Was für ein wundervolles Buch: trotz aller Traurigkeit und Mitgefühl für Meredith habe ich dieses Buch als sehr hoffnungsvoll und aufbauend empfunden, ich fühlte mich – genau wie Meredith – durch die „Bienenlektionen“ auch getröstet. Dieses Buch hat gute Chancen, zu meinen Lese-Highlights 2019 zu gehören und deshalb von mir selbstverständlich eine klare Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 22.04.2019

Stockhalm kann überall sein - oder: wie sind alle Schweden...

Der Patriot
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Pascal Engman beschreibt in seinem Debütroman, wie es einer rechtsextremen Gruppe gelingen kann, mitten in Stockholm einen Bombenanschlag zu verüben.
Anhand von vier Handlungssträngen (August, Carl, Ibrahim, ...

Pascal Engman beschreibt in seinem Debütroman, wie es einer rechtsextremen Gruppe gelingen kann, mitten in Stockholm einen Bombenanschlag zu verüben.
Anhand von vier Handlungssträngen (August, Carl, Ibrahim, Madeleine) führt er spannungsvoll zum Ereignis hin (und darüber hinaus). Wir Leser stutzen anfangs und fragen uns, was diese vier unterschiedlichen Menschen wohl „verbinden“ mag (ich hatte zwar bald eine Theorie – aber leider war sie so etwas von irrelevant, soviel zu meinem kriminalistischen Instinkt…). Ich lese sehr gern Bücher mit verschiedenen Handlungssträngen, erfahre dadurch mehr von den einzelnen Personen, ihre Ideen und Beweggründe.
Aus Sorge vor (versehentlichen) Spoilern werde ich hier auf die eigentlichen Geschehnisse nicht eingehen, aber mich näher mit der Figur von Carl beschäftigen: „Es hatte etwas Verlockendes, sich auszumalen, wie sein Leben in Biografien oder TV-Dokumentationen dargestellt werden würde.“ (S. 35). Carl hat den Plan, Schweden vor „Überfremdung“ zu retten. Sein erster Schritt ist es, Journalisten zu töten, die in seinen Augen Schweden und das schwedische Volk „verraten“ und denen als Machtinstrument die „Lügenpresse“ zur Verfügung steht. Er kämpft gegen alles „unschwedische“ aus „Liebe zu seinem Land und zu seinem Volk, zu der Nation, die seine Vorväter geschaffen hatten“ (S.43). Er ist sich dabei sicher, dass die Mehrheit der Bevölkerung hinter ihm steht...
Pascal Engman hat sich offensichtlich sehr mit dem rechtsextremistischen Gedankengut auseinandergesetzt – kein Wunder: er war Journalist und hat sich nach massiven rechtspopulistischen Drohungen aus den Journalistenmilieu zurückgezogen (hinterer Klappentext).
Es war für mich teilweise sehr schwere und harte „Kost“, die rassistischen Denkweisen zu lesen, dennoch fand ich die Auseinandersetzung damit ausgesprochen wichtig, denn ich bin mir sicher: hier hat der (zum Glück fiktive) Bombenanschlag in Stockhalm stattgefunden, aber theoretisch hätte die Bombe in jeder europäischen Stadt / Land explodieren können!
Der Thriller, den der Autor um seine (wohl berechtigte) Sorge vor Rechtspopulismus geschrieben hat, ist spannend zu lesen: ich habe teilweise mitgefiebert, war über einige Wendungen entsetzt, über andere angeekelt (in einem Strang finden - m.E. -definitiv zu viele „unnütze“ Morde statt), manchmal auch so überrascht, dass ich vorsichtshalber einige Seiten zurückgeblättert habe, ob ich wirklich alles richtig verstanden habe...
Leider gab es für mich am Schluss einige Logikfehler, ich hatte den Eindruck von „losen Enden“, die vielleicht in einem längeren Epilog hätten geklärt werden können!
Aber nichtsdestotrotz: ein spannender Thriller mit einem sehr ernsten Hintergrund, ich wurde häufig zum Nachdenken angeregt (auch z.B. wie wir uns in bestimmten Situationen wohl verhalten würden) – also: mit kleinen Einschränkungen eine Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 19.04.2019

Ich und die Schönaus...

Bürgerin aller Zeiten
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Ich habe lange über den ersten Satz dieser Rezension nachgedacht: wie kann ich ein Buch beschreiben, dass mich förmlich zwischen seine Seiten aufgesogen hat, mich derart in seinen Bann gezogen hat, dass ...

Ich habe lange über den ersten Satz dieser Rezension nachgedacht: wie kann ich ein Buch beschreiben, dass mich förmlich zwischen seine Seiten aufgesogen hat, mich derart in seinen Bann gezogen hat, dass ich fast das Gefühl hatte, ich würde bei den Schönaus auf dem Sofa sitzen?
Nein, leider ist mir kein passender Satz für dieses lesenswerte Buch eingefallen...
Heike Wolf erzählt mit Anteilen ihrer eigenen Familiengeschichte das fiktive Leben der Leipziger Familie Schönau, beginnend 1913, als die 4-jährige Lotte stolz dem Kaiser zuwinkt. Es sind glückliche Zeiten für Luise und Wilhelm, Lottes Eltern, ihre 2-jährigen Schwester Dorchen und Heinrich, der gerade in diesen Tagen geboren wird. Wilhelm arbeitet gemeinsam mit seinem jüdischen Partner erfolgreich in einer Rechtsanwaltskanzlei. Außerdem gehört Mathilde, das Dienstmädchen, zur Familie: sie ist erfrischend, selten um eine Antwort verlegen und steht Familie Schönau auch in dunklen Zeiten mit Rat und Tat zur Seite.
Die Autorin beschreibt das Familienleben so lebendig, dass das Kopfkino immer surrte (wie gesagt: ich bin kurzfristig bei den Schönaus eingezogen...). Aber es ist ja nicht nur die Geschichte der Schönaus – wir nehmen auch teil an den Gedanken der Eltern beim Kriegsausbruch 1914, sorgen uns um Wilhelm während des Frankreich-Feldzuges, hungern und frieren mit Luise und den Kindern im Winter 1917: „Luise betrachtete ihre älteste Tochter, die in den letzten Wochen so sehr an Gewicht verloren hatte, dass ihre Augen in dem kleinen Gesicht riesig aussahen; die Hunger litt und fror, und sich doch noch mit ihrer wenigen Kraft für den Hund einsetzte. Fast kamen ihr die Tränen.“ (S.102) „Dorchen weinte fast, als sie vor ihrem Teller mit der Steckrübensuppe saß. Die Erbsen und die paar Krümel Ei, die es für jeden gab, hatten alle gierig verzehrt, aber die geringe Menge war kaum der Rede wert.“ (S. 105). Gerade diese Passage hat mich sehr angerührt und betroffen gemacht: hatte ich doch bisher gar nicht richtig realisiert, wie schlecht die Versorgungslage der Menschen in diesem „Hungerwinter 1917“ gewesen ist... Wie schrecklich muss es für eine Mutter sein, ihre kleinen Kinder hungern und frieren zu sehen – und nichts dagegen machen zu können?
Heike Wolf hat es perfekt verstanden, Familien-, deutsche und Weltgeschichte geschickt miteinander zu verknüpfen, so dass viele Ereignisse bis 1933 (Ende des 1.Bandes) für mich die „nackten“ Zahlen und Fakten der Geschichtsbücher ein menschliches Antlitz (oder – WIR kennen ja den Geschichtsverlauf: eine Fratze!) erhielten. Zumindest abschnittsweise wäre dieses Buch eine gute Ergänzung für den Geschichtsunterricht!
Zwischendurch lenkt die Autorin unsere Aufmerksamkeit auf das Jahr 1989, am 9.November wird Charlotte 80 Jahre alt und die Geburtstagsvorbereitungen laufen langsam an...
Der Schreibstil ist aus- und eindrucksvoll, frisch und nuanciert, der Spannungsbogen stets hoch, so dass ich dieses Buch kaum aus der Hand legen konnte.
Ich finde den Titel auch ausgesprochen gut gewählt: Charlotte hat in ihrem Leben (stellvertretend für alle Menschen dieser Jahrgänge) die verschiedensten Staatsformen und zwei Weltkriege erlebt, sie ist tatsächlich eine „Bürgerin aller Zeiten“. Das Cover empfinde ich ebenfalls als sehr passend, vermutlich eines der Familienbilder der Autorin.
Muss ich bei dieser begeisterten Rezension noch extra eine Leseempfehlung aussprechen? Jeder, der an gut recherchierten historischen Familiengeschichten interessiert ist, sollte die Schönaus von der Kaiserzeit bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten begleiten (Band 1)
Spätestens Ende der nächsten Woche werde ich vermutlich wieder bei den Schönaus einziehen, denn zu meinem großen Glück gibt es noch einen 2. Band dieser hervorragenden Familiengeschichte – ich freue mich schon sehr darauf!