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Veröffentlicht am 17.08.2020

Ein leichtes Buch (knapp 300 Gramm) - aber so schwerer Inhalt

Ratten am Bullenhuser Damm
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Mit seinem Buch „Ratten am Bullenhuser Damm“ hat Jürgen Ehlers ein außergewöhnliches, ein ganz besonderes Buch geschaffen!
Auf dem rückwärtigen Cover steht: „WARNUNG Dieses Buch ist kein Kinderbuch, obwohl ...

Mit seinem Buch „Ratten am Bullenhuser Damm“ hat Jürgen Ehlers ein außergewöhnliches, ein ganz besonderes Buch geschaffen!
Auf dem rückwärtigen Cover steht: „WARNUNG Dieses Buch ist kein Kinderbuch, obwohl Kinder darin vorkommen.“ Ja, es kommt so leicht und unbeschwert daher, tatsächlich in „normaler“ Bilderbuchgröße... Aber schon das Cover - und besonders der Vergleich vom vorderen mit dem hinteren Cover macht den Inhalt deutlich: vorn ist ein kleines Mädchen mit Puppe, hinten liegt die Puppe zerbrochen am Boden...
Alles an diesem Buch ist ungewöhnlich: die gesetzte Schrift erinnert an Schreibschrift, die Grafiken (leicht verwischt) sind – bis auf einige sehr schöne Blumenbilder – dunkel und düster, sehr passend zum Text!
Ich zitiere noch einmal das hintere Cover: „Die Geschichte ist ein Beispiel dafür, wofür Menschen fähig sind. Ganz gewöhnliche Menschen." Auch die stilistische Herangehensweise ist beeindruckend „anders“ als in der herkömmlichen Literatur: der Autor lässt den realen Arzt Dr. Alfred Trzebinski die Geschichte der Ermordung der Kinder in der Schule Bullenhuser Damm in Hamburg am 20.4.1945 selbst erzählen – der reale KZ-Arzt erzählt sie fünf Monate nach Kriegsende der fiktiven Carmen, einer 20-jährigen Jüdin, die aus der Außenstelle des KZ Neugraben geflüchtet war. Alfreds „Berichterstattung“ ist sachlich und vollkommen emotionslos – und er badet dabei in Selbstmitleid: „'Ich habe es nicht gewollt,' sagte er“ und ergänzt „Es war ein Befehl und ich habe ihn ausgeführt. So ist das im Krieg. Man bekommt einen Befehl, den muss man ausführen.
Das Buch macht nachdenklich, erschüttert, rüttelt auf, hallt lange nach.... Ich habe auch noch beim 3. Mal Lesen wieder neue Nuancen entdeckt, die mir vorher nicht aufgefallen waren, man spürt förmlich, dass der Autor jedes Wort und jede Grafik (die er selbst verfremdet hat) ganz bewusst eingesetzt hat.
Ich bin mir der Gefahr bewusst, mich zu wiederholen: es ist ein Buch mit einem „Alleinstellungsmerkmal“ - mir ist zumindest kein auch nur ähnliches Buch bekannt.
Ich finde, eine reine Weiterempfehlung von mir reicht für dieses Buch nicht aus, das ist das mindeste, was ich machen kann... Ich wünsche dem Autor von ganzen Herzen, dass sein Buch so bekannt wird, dass es Preise gewinnt – oder wahrscheinlich besser: dass sein Buch so bekannt wird, dass es ganz viele Menschen kaufen und es in sich wirken lassen!

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Veröffentlicht am 13.08.2020

Endlich wieder leben und sich Träume erfüllen können...

Die Wunderfrauen
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„Die Wunderfrauen – alles was das Herz begehrt“ von Stephanie Schuster ist der erste Band einer Trilogie. Der zweite Band soll im Februar 2021, der dritte im Herbst 2021 erscheinen.
Wir begleiten die vier ...

„Die Wunderfrauen – alles was das Herz begehrt“ von Stephanie Schuster ist der erste Band einer Trilogie. Der zweite Band soll im Februar 2021, der dritte im Herbst 2021 erscheinen.
Wir begleiten die vier jungen Frauen Luise, Helga, Marie und Annabel ca. ein Jahr von 1953 bis 1954, sie alle leben in Starnberg. Diese Frauen können unterschiedlicher nicht sein:
• Luise ist auf einem Bauernhof in der Nähe von Starnberg aufgewachsen, sie ist bodenständig und realistisch, ist verheiratet und träumt von einem kleinen Gemischtwarenladen
• Helga ist die rebellische „Tochter aus gutem (sprich: reichem) Haus“, bricht aber vollständig mit ihrem Elternhaus und beginnt eine Ausbildung als Krankenschwester
• Marie ist eine „Vertriebene“, eine Gutsbesitzertocher aus Niederschlesien, sie kann eigentlich nur Reiten und Malen, sie hat keine überlebenden Verwandte und Freunde – und hat auf der Flucht traumatische Erlebnisse gehabt
• Annabel, kommt aus Münster, sie hat während des Krieges einen Arzt geheiratet, der mittlerweile der Chefarzt einer Frauenklinik geworden ist. Sie lebt in einem „goldenen Käfig“ mit Geld und Angestellten, Ihr einziger Lebensinhalt ist ihr Sohn Friedrich
Die Autorin lässt die Frauen jeweils in eigenen Kapiteln ihre Vorgeschichte, ihre Wünsche, Hoffnung und Träume berichten, so dass wir Leser*innen sie gut „persönlich“ kennenlernen. Was mich besonders fasziniert hat: einzelne Begebenheiten erfahren wir quasi „doppelt“, jeweils von zwei Frauen aus ihrer Sicht berichtet – dadurch veränderte sich auch mein Blickwinkel und ich konnte Ereignisse anders (besser?) einordnen. Dieses stilistische Mittel kannte ich bisher nicht…
Mir haben auch die eingestreuten Notizen, Tagebucheinträge, Kochrezepte und Listen von Luise sehr gefallen, für mich hat es das Buch dadurch lebendiger gestaltet!
Auch den Zeitraum und -rahmen halte ich für ideal gewählt: diese Frauen waren wohl alle Ende der 20-er/Anfang der 30-er Jahre geboren, Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus, Erwachsenwerden im Krieg – nun haben sie zum ersten Mal die Möglichkeit einigermaßen selbstbestimmt über ihre Zukunft nachzudenken („einigermaßen selbstbestimmt“: Luise darf den Gewerbeschein für ihren Laden nicht selbst beantragen, dass muss ihr Mann machen und ihr „erlauben“, den Laden zu führen – bis in die 70-er Jahre mussten die Männer noch die Berufstätigkeit ihrer Frauen genehmigen!).
Man merkt dem Roman an, dass Frau Schuster gut und sorgfältig recherchiert hat, ich bin der Meinung, sie hat den damaligen Zeitgeist gut eingefangen und vermittelt ihn plastisch und authentisch.
Einige Schatten des Nationalsozialismus spürt man hinter und über den Fassaden, aber sie schwirren nur… Ich habe natürlich eigene Phantasien entwickelt, aber richtig geklärt werden die Andeutungen bis zum Ende dieses 1. Bandes nicht – ja, klar, es ist eine Trilogie… Aber ich hätte mir gewünscht, dass kleinere Episoden schon aufgedeckt worden wären…
Dies ist mein einziger Kritikpunkt an diesem Buch (und es entsprach natürlich auch dem damaligen Zeitgeist, die politische Vergangenheit nicht näher zu thematisieren, man könnte auch sagen: lieber unter den Teppich zu kehren!). Ansonsten habe ich durch Luise, Helga, Marie und Annabel gute Einblicke in das damalige Leben erhalten, ich fand ihre Entwicklungen sehr spannend und bin neugierig auf ihre zukünftigen Entscheidungen (denn natürlich endet das Buch mit einem fiesen Cliffhanger!).Ich habe mich durch das Buch sehr gut unterhalten gefühlt – ich kann es mit gutem Gewissen weiterempfehlen!

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Veröffentlicht am 26.07.2020

Leiche weg, Oma weg...oder stimmt doch alles nicht?

Ein Mordsgeschenk für Agathe
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„Ein Mordsgeschenk für Agathe“ von Hanna Reet ist die ideale Lektüre für einen Tag im Strandkorb: die Sonne scheint, die Ostseewellen plätschern, die Möwen kreischen, der Blick aufs blaue Meer...Ich habe ...

„Ein Mordsgeschenk für Agathe“ von Hanna Reet ist die ideale Lektüre für einen Tag im Strandkorb: die Sonne scheint, die Ostseewellen plätschern, die Möwen kreischen, der Blick aufs blaue Meer...Ich habe das Buch an einem verregneten Sonntag (mit dem Gedankenspiel, die Heizung anzustellen) gelesen – aber habe durch das Buch Urlaubsfeeling bekommen!
Familie Christiansen will ihrer Mutter/Großmutter/Urgroßmutter Agathe (man achte auf den Namen: Agathe Christiansen!) zum 90. Geburtstag ein ganz besonderes Geschenk machen: zum einen vier Tage Familienurlaub auf einer Ostseeinsel, zum anderen aber auch eine ganz außergewöhnliche Überraschung: „Aber erstens war Udos Idee zu speziell, speziell im Sinne von genial, zweitens war Hermanns Gegenvorschlag, Friseur-Flatrate bis Lebensende, ziemlich uninspiriert, auch ein wenig popelig für einen 90. Geburtstag...“ (S. 9/10): sie schenken Agathe einen Kriminalfall mit Leiche – der Clou dabei: Agathe soll nicht ahnen, dass „der Fall“ fingiert ist... Einheimische und Freunde werden instruiert und übernehmen die verschiedenen Rollen!
Aber es kommt, wie es kommen muss, es läuft alles etwas aus dem Ruder: Agathe reagiert leider keineswegs so, wie es die Familie erwartet, die Pensionswirtin beseitigt einfach Spuren („Sie machte ihre Sache nicht schlecht. Hollywood würde zwar in absehbarer Zeit nicht anrufen, aber für einen deutschen Fernsehfilm reichte ihr Talent bestimmt“, S. 42), die „Leiche“ wird von Familienmitgliedern beim Hefeweizen erwischt und zur Rede gestellt („Wenn Agathe Ihnen hier irgendwo begegnet, ist die ganze Sache etwas witzlos“ S. 39). Aber nicht nur das ständig neue Katastrophen rund um das Geschenk hereinbrechen, an jahrzehntealte Animositäten unter den Familienmitgliedern erinnert man sich plötzlich wieder, Geheimnisse werden entdeckt und bekommen neue Bedeutung... die Familie wird immer hektischer und stolpert von einem Fettnäpfchen (sorry: Fehlernäpfchen) ins nächste... Verwechselungen und Missverständnisse pflastern ihren Weg... Und dann passiert der Super-Gau – aber der wird hier nicht erzählt!
Ich habe mich bei der Lektüre amüsiert, der Schreibstil ist spritzig-locker, ich war immer ganz gespannt, welches „Unglück“ als nächstes passiert... Der Schluss war etwas vorhersehbar, aber er passte - und eine kleine Überraschung war doch noch drin!
Es ist kein „wie-können-wir-die-Welt-retten?“- Buch, aber angenehm und witzig zu lesen, eine schöne Entspannung – und aus diesem Grund von mir mit einer Leseempfehlung versehen!

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Veröffentlicht am 23.07.2020

Eine Frau will eine Manufaktur eröffnen - darf sie das?

Der Tuchfuchs
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Nein, sagt Mr. Weston: „Dasselbe gilt für den Markt. Er sollte sich auf jene beschränken, die seine Gesetze verstehen. Das schließt all jene aus, die nicht in der Lage sind über den eigenen Tellerrand ...

Nein, sagt Mr. Weston: „Dasselbe gilt für den Markt. Er sollte sich auf jene beschränken, die seine Gesetze verstehen. Das schließt all jene aus, die nicht in der Lage sind über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken und das gilt (…) im Besonderen für Frauen.“ (S.48, E-book) Und Mr. Fildes legt nach: „‘Eine Frau kann kein Handwerk erlernen!‘ giftete er. ‚Ihre Fähigkeiten sind naturgemäß anders gelagert als die eines Mannes. Es liegt in ihrem Wesen, zu bewahren, statt zu erwerben. Sie braucht einen Mann, der sie führt. Es fehlt ihr am nötigen Weitblick.‘“ (S.147) Nun denn…
Ellen C. Flynn nimmt uns in ihrem Debutroman „Der Tuchfuchs“ mit nach Manchester in das 18. Jahrhundert. Die oben zitierten Herren vertreten besonders harsch die gesellschaftliche Meinung, aber Gillian Pollett, eine junge Witwe, hat die Webkunst von ihrem Vater gelernt und lässt sich von solchen Vorurteilen nicht beirren. Sie überzeugt letztendlich Aidan Towell, sie zu unterstützen, wobei er auch – gemäßigter – seine Ressentiments hat…
Es gelingt Gillian, ihre Manufaktur zu eröffnen, aber der Tuchhandel in Manchester gleicht im Jahr 1773 einem Haifischbecken: Gerüchte, Konkurrenz, Intrigen, (fast) jeder versucht, dem anderen zu schaden, (fast) jeder kämpft gegen jeden… und John Weston hasst Aidan, weil er sich hochgearbeitet hat und in das Tuchgeschäft eingestiegen ist („Sie wurden geboren, um zu dienen. Ich wurde geboren, um Entscheidungen zu treffen.“ S. 62) Und alles nimmt seinen Lauf…
Es ist sehr spannend zu lesen und da die drei Hauptprotagonisten (Gillian, Aidan und John Weston) in ihrem eigenen Erzählstrang in der Ich-Form berichten, kennen wir ihre Ideen, Gedanken, Sorgen, Hoffnungen, Wünsche und Träume und entsteht eine fast „persönliche“ Beziehung. In den Dialogen findet sich teilweise ein großartiger Wortwitz wieder, so dass ich mehrmals schmunzeln musste. Mir hat auch gut gefallen, dass die Charaktere nicht nur klischeehaft „schwarz“ oder „weiß“ waren, sondern durchaus „Macken“ hatten (manchmal merkten sie es selbst nicht, aber wir Leser*innen!). Aber auch Nebencharaktere waren von der Autorin liebevoll ausgearbeitet, z.B. Agnes, Aidans pragmatische Haushälterin, habe ich ins Herz geschlossen – ebenso wie „Dutch“, Aidans rechte Hand! Der Spannungsbogen ist durchgängig hoch und durch die verschiedenen Ich-Erzähler auch abwechslungsreich!
Manchmal stockt aber leider kurzfristig der Lesefluss, z.B. „Doch in dem gepolsterten Sessel war das unmöglich. Der war gemacht, um darin zu flanieren.“ (S. 196) Hmh, denkt man sich, flanieren… und schaut nach: umherschlendern, umherschweifen – im Sessel? Mir hat auch ein Glossar gefehlt, z.B. könnten die Schwierigkeiten beim Färben etwas ausführlicher beschrieben werden, z.B. warum es so schwierig war, Wolle in grün zu färben… Ich bin relativ sicher in Geschichte, aber zur politischen Situation in England kurz vor der Boston Tea Party 1773 musste ich doch mehrmals passen – auch das könnte in einem Glossar näher erläutert werden! Und wenn ich schon gerade bei „Wünsch Dir was“ bin: im E-Book wäre eine Kapitelübersicht von großem Vorteil…
Aber nun wirklich genug „gemeckert“: insgesamt hat mir das Buch gut gefallen, die Handlung und die Charaktere waren vielseitig ausgedacht, es war spannend und ich habe wieder einmal „nebenbei“ einiges gelernt – und damit haben sich meine Erwartungen an einen historischen Roman erfüllt! Deshalb kann ich das Buch - mit den erwähnten kleinen Einschränkungen - auch wärmstens weiterempfehlen!

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Veröffentlicht am 05.07.2020

Der steinige Weg von Frauen zur Bildung...

Unter den Linden 6
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„Unter den Linden 6“ von Ann-Sophie Kaiser beschreibt die unterschiedlichen Wege dreier Frauen in der Zeit von 1907 – 1915. Anni, Hedwig (beide fiktiv) und Lise (gemeint ist Lise Meitner, eine österreichische ...

„Unter den Linden 6“ von Ann-Sophie Kaiser beschreibt die unterschiedlichen Wege dreier Frauen in der Zeit von 1907 – 1915. Anni, Hedwig (beide fiktiv) und Lise (gemeint ist Lise Meitner, eine österreichische Kernphysikerin, deren Weg hier sehr gut nachempfunden werden kann) treffen sich durch Zufall und es beginnt eine Freundschaft.
Gemeinsam ist ihr Wunsch auf / nach Bildung, während ihre Herkunft kaum unterschiedlicher sein könnte: Lise hat bereits in Wien in Physik promoviert und möchte gern in Berlin bei Max Planck weiterforschen. Hedwig kommt aus einem gutbürgerlichen Haushalt, hat zwar das Abitur, aber Vater und Ehemann lehnen ein Frauenstudium kategorisch ab. Hedwig will einen Sanatoriumsaufenthalt ihres Mannes nutzen und fälscht seine Unterschrift unter die „Erlaubnis“ zum Studieren. Jedoch scheitern beide vorerst an den Gepflogenheiten des universitären Betriebes: „Bei uns in Preußen läuft es so: Sie sind eine Frau und Frauen können an dieser Universität nicht immatrikulieren. Wir sind eine Traditionsuniversität!“ (S.36) Höchstens als Gasthörerinnen sind sie zugelassen – wenn es der Professor erlaubt, deshalb muss dieser Status auch mühsam erkämpft werden… Anni arbeitet als Dienstmädchen und hat sich bisher heimlich durch die Bücherregale ihres Arbeitgebers „gearbeitet“. Sie muss eine neue Stelle in Berlin antreten und hofft, dass ihr neuer „Herr“ auch wieder eine gut ausgestattete Bibliothek besitzt…
Ich habe diese drei Frauen auf ihren Wegen begleitet, habe bei Lise viel über Radioaktivität erfahren (und auch so, dass sogar ich als Physikmuffel einiges verstanden habe!), bei Hedwig einige interessante Neuigkeiten über den Kampf der Frauen auf Bildung, die Frauenbewegung in ihren Gründerjahren (politische Versammlungen waren für Frauen absolut verboten!). Anni war mir besonders sympathisch, da sie den weitesten und beschwerlichsten Weg zur Bildung zu gehen hatte, aber sie verfolgt ihn konsequent und meistert die Hürden.
Der Roman hat mich nachdenklich zurückgelassen: ich habe so selbstverständlich studiert, ohne jemals darüber nachzudenken, dass diese Möglichkeit ein langer und mühsamer Kampf voraus gegangen war, bei dem meine „Vorgängerinnen“ vielen Anfeindungen ausgesetzt waren (hier noch einmal zur Erinnerung: das Frauenwahlrecht wurde erst 1919 erlaubt!). Die Autorin merkt in ihrem Nachwort an: „Allerdings liegt der Frauenanteil unter deutschen Professoren und Professorinnen auch heute – hundert Jahre später – noch bei nicht einmal einem Drittel.“ (S.452)
Der Schreibstil war ausgesprochen flüssig, die Kapiteleinteilung mit der Zuordnung der jeweiligen Protagonistin sehr hilfreich, der Zeit- und Lokalkolorit wunderbar eingefangen (bei einigen Szenen war ich regelrecht „dabei“), aber einige kleine Einschränkungen muss ich leider machen: meiner Meinung nach hätte der Mittelteil etwas gekürzt werden können, so war es teilweise etwas langatmig, zum Schluss nahm die Handlung wieder an Fahrt auf. Für zwei weitere Punkte ist die Autorin nicht unmittelbar verantwortlich: das Cover (das von der Idee her gut zum Buch passt) wirkt verrutscht, die oberste Frauenfigur scheint fast geköpft zu sein, während am unteren Bildrand noch viel freier Platz ist. Und schöne Grüße an das Lektorat: auf S. 268 steht statt „mich dünkt“ (‚dünken‘ veraltet für ‚scheinen‘ – passt perfekt an dieser Stelle) „mich düngt“ – da war ich doch etwas irritiert, auch andere kleine Fehler hatten sich eingeschlichen…
Aber insgesamt hat mir das Buch gut gefallen, ich hatte den Eindruck, dass Frau Kaiser sehr ausführlich und methodisch recherchiert hat und uns dadurch ein lebhaftes Bild der damaligen Zeit zeichnen konnte. Und ich habe wieder eine Menge gelernt… Deshalb: eine klare Weiterempfehlung…

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