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Veröffentlicht am 10.09.2022

Bewegende Geschichte!

Das Leben vor uns
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Kristina Gorcheva-Newberry schreibt in ihrem Debütroman über das Leben in Moskau in den Achtzigerjahren.

„wie unsere Obstgärten, die nach jedem dunklen, regnerischen Herbst und kalten, schneereichen ...

Kristina Gorcheva-Newberry schreibt in ihrem Debütroman über das Leben in Moskau in den Achtzigerjahren.

„wie unsere Obstgärten, die nach jedem dunklen, regnerischen Herbst und kalten, schneereichen Winter von Neuem erblühen. Und dann fühlen wir uns wieder jung und sind voller Hoffnung“ (310)

Der Titel des Romans „Das Leben vor uns“ bringt das Thema seiner Handlung genau auf den Punkt: es geht hier um die jungen Menschen, die sich für ihre Zukunft ein besseres Leben erhoffen.

"Unsere Freundschaft war wie die Apfelbäume ringsum." (78)

Anja, die in behüteten Verhältnissen aufwächst und ihre beste Freundin Milka aus einer zerrütteten Familie, die Hauptfiguren dieser Geschichte, verbindet eine tiefe Freundschaft. Sie verbringen viel Zeit miteinander, lernen und träumen zusammen. Vor allem die Welt hinter dem Eisernen Vorhang zieht sie magnetisch an; sie wollen reisen und fremde weite Welt kennenlernen, im Ausland studieren, das Leben in vollen Zügen genießen. Dies alles scheint auf einmal erreichbar zu sein, denn ihre Heimat Sowjetunion befindet sich im Umbruch, geht neuen Zeiten entgegen.

Doch das Schicksal schlägt erbärmlich zu und nur Anja gelingt es, ihre Jugendträume zu erfüllen. Sie geht als Austauschstudentin in die USA, und beginnt dort ein neues Leben. Sie kann jedoch weder ihre Eltern, ihre Freunde noch die alte Heimat vergessen. Als Literaturwissenschaftlerin beschäftigt sich mit der russischen Literatur und der Geschichte des Landes, privat versucht sie die tragischen Erlebnisse ihrer Vergangenheit zu verarbeiten.

Kristina Gorcheva-Newberry, die selbst in Moskau aufgewachsen ist, stellt authentisch das Leben der russischen Gesellschaft dar. Keine Probleme der damaligen unruhigen Zeit sind der Autorin fremd; das beweist sie hervorragend in ihrem Roman. Die Alltagsszenen wirken realistisch, die Romanfiguren mit all ihren Sorgen, Problemen und Träumen lebendig, echt.

Bestechend schön ist die erzählerische Sprache der Autorin, mal poetisch, mal informativ und ständig bewegend.
Ein literarischer Genuss!

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Veröffentlicht am 06.09.2022

Der Krieg endet nicht mit dem Vertrag

Dein Schweigen, Vater
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Brünn im Mai 1945. Der Krieg ist zwar offiziell zu Ende, doch vom Frieden in der Stadt kann keine Rede sein, die angespannte Atmosphäre ist deutlich spürbar.
Paul, Marie und Pavel spielen gerne zusammen; ...

Brünn im Mai 1945. Der Krieg ist zwar offiziell zu Ende, doch vom Frieden in der Stadt kann keine Rede sein, die angespannte Atmosphäre ist deutlich spürbar.
Paul, Marie und Pavel spielen gerne zusammen; sie sind beste Freunde. Sowohl Paul wie auch Pavel würden gerne Marie heiraten; nur sie sind erst zwölf und Marie sechs. Seit neuestem müssen Paul und Marie eine weiße Armbinde mit dem N für Némec tragen, wenn sie nach draußen gehen. Und sie wohnen jetzt nicht mehr in ihrem alten schönen Haus, sondern in einer ihrer Familie zugeteilten Kellerwohnung. Auch für die Kinder ist es keine leichte Zeit, denn sie begreifen nicht, was die neue Lage mit sich bringt. Paul überlegt „wo genau er hingehört und ob er Sieger ist oder Verlierer“. (12)

Am 31. Mai 1945 wurde Pauls Familie aus Brünn vertrieben. Zusammen mit vielen anderen deutschstämmigen Familien wurden sie zu einem 60 Kilometer langen Marsch in Richtung Österreich gezwungen. Es waren alte Menschen, Frauen, Kinder und Kranke dabei; viele haben diesen Fußmarsch, ohne Essen und Wasser, nicht überlebt.

Während des ganzen Lebens ist Paul über die Erlebnisse von damals nicht hinweggekommen. Er schwieg und wollte nie über seine Vergangenheit sprechen. Erst nach seinem Tod versuchen Maria und Uli, Pauls zwei erwachsenen Kinder, das Rätsel um sein Schweigen zu lösen.

Über die Schilderung der Ereignisse in Brünn aus der Sicht des damals zwölfjährigen Paul musste ich immer wieder schmunzeln. Die Bilder des Todesmarsches unter den unmenschlichen Bedingungen konnte ich dagegen nur schwer ertragen. Schonungslos erzählt Susanne Benda über die dramatischen Ereignisse während des Todesmarsches, scheinbar emotionslos schildert sie seine Auswirkungen auf den minderjährigen Paul. Doch es ist von Anfang an klar, dass Paul, genauso wie viele anderen Vertriebenen, diesen Weg „sein Leben lang weitergegangen ist“ (162).

Die bewegenden Bilder dieser Geschichte, die auf wahren Tatsachen beruhen, gehen tief unter die Haut. Im Nachwort erklärt die Autorin die historischen Zusammenhänge und den genauen Verlauf der Vertreibung.

Der Debütroman von Susanne Benda ist somit ein literarisches Zeugnis des Verbrechens, dem viele Unschuldige zu Opfer gefallenen sind. Es ist ein wichtiges Buch, gerade jetzt, in der angespannten, unruhigen Zeit.

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Veröffentlicht am 27.08.2022

Der böse Wolf?

Wo die Wölfe sind
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„Im Wald schlägt ein Herz, das wir nicht sehen können“ (26)

Inti leitet das Projekt der Wiederansiedlung der Wölfe in den schottischen Highlands. In ihrer Kindheit hat ihr Vater die Liebe zur Natur in ...

„Im Wald schlägt ein Herz, das wir nicht sehen können“ (26)

Inti leitet das Projekt der Wiederansiedlung der Wölfe in den schottischen Highlands. In ihrer Kindheit hat ihr Vater die Liebe zur Natur in ihrem Herzen eingepflanzt. Der Wald mit all seinen Bäumen und Wildtieren war schon immer ihr zweites Zuhause. Inti liebt Wölfe und freut sich mit ihrem Projekt zur Verlangsamung des Klimawandels beitragen zu können.

Doch am Ort gibt es viele Gegner des Projekts; die Menschen haben Angst von wilden Tieren, Landwirte und Bauern fürchten um ihre Existenz. Die Lage eskaliert, als ein Farmer wahrscheinlich von Wölfen getötet wurde.
Nicht nur das wissenschaftliche Projekt ist für Inti ein Neuanfang. Sie hofft auch ihr Leben in Schottland neu ordnen, die schlimmen Erlebnisse der Vergangenheit verarbeiten zu können. Dabei steht ihr ihre besondere Gabe: Mirror-Touch-Synästhesie oft im Weg. Denn sie kann alle sinnlichen Eindrücke, wie Schmerz, Berührung oder Gefühle, der anderen Menschen und Tiere körperlich nachempfinden.

Das Hauptthema des Romans „Wo die Wölfe sind“ ist unbestritten die Wiederansiedlung der Wölfe in der freien Natur. Ein Thema, das hochaktuell ist und sowohl viele Befürworter wie auch Gegner hat. Mit viel Empathie beschreibt die Autorin das Leben der Wölfe in der freien Natur, ihre Anpassungsfähigkeit, ihr Sozialverhalten, ihren ausgeprägten Familiensinn. In so Manchem ähneln sich der Wolf und der Mensch, und nicht grundlos fragt man sich bei der Lektüre, wer hier die Bestie ist.

„Manche Sprachen habe keine Worte, und die der Gewalt gehört dazu.“ (54)

Gewalt ist das andere wichtige Thema dieses Buches. Die begleitet einige Protagonisten tagtäglich, und wird nicht immer als solche empfunden oder erkannt. Auch Inti und ihre Schwester Aggie, die nach schlimmen Erlebnissen nicht mehr sprechen kann, müssen mit den Erinnerungen an ihre verhängnisvolle Vergangenheit fertigwerden. Es gibt viele bewegende Szenen im Roman, über die man unbedingt nachdenken muss.

Genossen habe ich die sprachlichen Bilder der Natur in einer wunderschönen, poetischen Sprache dargestellt. Faszinierend und fesselnd ist der Roman, gefühlvoll und emotional seine Handlung mit authentisch wirkenden Protagonisten – ein wahrer Lesegenuss!

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Veröffentlicht am 17.08.2022

Gute Sommerlektüre

Dunkle Gemäuer
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Das ehemalige Siechenhaus in Willstätt wurde zu einem Horrorspielplatz. Nicht nur, weil es dort gerade ein Horrorfilm über den Massenmörder Hildebrandt gedreht wurde, der im Jahre 1421 im Haus sein Unwesen ...

Das ehemalige Siechenhaus in Willstätt wurde zu einem Horrorspielplatz. Nicht nur, weil es dort gerade ein Horrorfilm über den Massenmörder Hildebrandt gedreht wurde, der im Jahre 1421 im Haus sein Unwesen getrieben haben sollte. Sondern, weil Hildebrandts Geist wieder zu spucken begann. Daran glaubten alle am Filmset, denn es gab unzählige unerklärte Zwischenfälle, die dies bezeugen sollten.

Als jedoch die Kamerafrau plötzlich spurlos verschwindet und dann tot im Hauskeller aufgefunden wurde, bekommt der Filmregisseur es mit der Angst zu tun und bittet die Privatdetektivin Suzanne Griesbaum um Hilfe.

„Dunkle Gemäuer“ ist die Fortsetzung der Baden-Krimi-Reihe mit der sympathischen Detektivin Suzanne, die auch diesmal auf die Unterstützung von dem pleitegegangenen Privatdetektiv Henry Marbach setzen muss. Die Ermittlungen der beiden Detektive sind unkonventionell; besonders Suzanne hält sich nicht unbedingt an die geltenden Regeln und Anordnungen der ermittelnden Polizeibeamten.

Henry Marbach ermittelt undercover und übernimmt die Rolle eines Schauspielers am Set. Beide Privatdetektive glauben nicht an einen Geist und nachdem ein weiteres Todesopfer im Haus aufgefunden wurde, scheuen sie kein Risiko mehr und suchen nach dem wahren Täter.
„Dunkle Gemäuer“ ist ein leichter Krimi mit zwei sympathischen Protagonisten, die nicht immer rational handeln. Besonders Suzannes unreife Schwärmerei für Liam, einen komischen Death-Metall Musiker, fand ich aberwitzig.

Auch die übrigen Charaktere sind ungewöhnlich und oft überzeichnet.

Wer bei diesem Krimi viel Spannung und Gänsehautgefühl erwartet, wird enttäuscht sein. Gute Unterhaltung bietet der Roman auf jeden Fall; das gekonnt skizzierte Lokalkolorit, ungewöhnliche Charaktere, viel Witz und Humor überzeugen und sorgen für eine gute Unterhaltung.

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Veröffentlicht am 15.08.2022

Ein Thriller mit Sogwirkung

Flug 416
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Es geschieht gleich am Anfang der Geschichte: die unvorstellbare Forderung des Entführers, das Bild der gefesselten Frau und des 10-jährigen Sohnes, das weinende Baby, das Bedrohung durch einen Komplizen ...

Es geschieht gleich am Anfang der Geschichte: die unvorstellbare Forderung des Entführers, das Bild der gefesselten Frau und des 10-jährigen Sohnes, das weinende Baby, das Bedrohung durch einen Komplizen am Bord des Flugzeuges mit 149 Passagieren – all das prasselt gleichzeitig auf den pflichtbewussten Kapitän und den Ehemann und Vater seiner geliebten Familie. Was wird Bill Hoffman tun? Wem kann er noch vertrauen? Kann er diese schier unmögliche Aufgabe allein bewältigen?

Die Anspannung, Wut, Schmerz und Trauer, die Bill ergreifen, konnte ich vollkommen nachempfinden. Bills Lage scheint aussichtslos zu sein. Trotzdem muss er einen kühlen Kopf bewahren und vernünftig handeln.

T. J. Newman, die jahrelang als Flugbegleiterin gearbeitet hat, versteht es, die Szenen des Kampfes ums Überleben, die sich am Bord des Flugzeugs abspielen, glaubwürdig darzustellen. Mit jeder Seite des Buches wächst die Spannung ins Unermessliche. Die Geschichte wird aus mehreren Perspektiven erzählt, ein Teil der ergreifenden Handlung spielt sich am Boden ab und lässt das Buch nicht aus der Hand legen.

„Flug 416“ – ein großartiger Thriller mit einem atemberaubenden Szenario, gut skizzierten Charakteren und so viel Spannung, dass man sie kaum ertragen kann. Absolut lesenswert!

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