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Veröffentlicht am 15.09.2016

Banker, Pfauen, Nepp am Leser

Der Pfau
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Dieses Buch scheint ja die Nation (zumindest die lesende) zu spalten. Während die einen es als amüsante, very british Entdeckung des Jahres feiern, steht die andere Hälfte mit einem großen Fragezeichen ...

Dieses Buch scheint ja die Nation (zumindest die lesende) zu spalten. Während die einen es als amüsante, very british Entdeckung des Jahres feiern, steht die andere Hälfte mit einem großen Fragezeichen im Gesicht da und stellt die Frage aller Deutschlehrer, welche alle Schüler hassen: Was wollte uns die Autorin (und auch der Verlag, wenn wir schon dabei sind) mit diesem Geschreibsel sagen?

Ich verwende bewusst das Wort Geschreibsel, denn ernst nehmen kann ich das Ganze nicht. Der Inhalt ist in wenigen Worten zusammengefasst: Ein altes Schloss in Schottland, das wegen seiner hohen Kosten von seinen adligen Besitzern als Erholungsort vermietet wird, beherbergt ein paar Banker, die dort ein Wochenende für Teambildungsmaßnahmen verbringen sollen. Ein Pfau dreht durch (wahrscheinlich hat er das Buch vorher gelesen, dann wäre mir das auch passiert an seiner Stelle) und geht auf alles los, was blau ist, macht das Auto der Chefin der Banker kaputt, der Herr des Hauses erschießt ihn und versucht, diese Tatsache vor fast allen zu verbergen.

Hört sich nicht spannend ist? Ist es auch nicht. Muss es ja nicht mal, wir haben es schließlich nicht mit einem Krimi oder auch nur irgendeiner Art von Lektüre zu tun, bei der Spannung aufkommen soll oder muss. Dann kann doch wenigstens der Schreibstil überzeugen? Fehlanzeige. Meine Mutter, die Stichpunkte für eine Einkaufsliste erstellt, hat denselben leiernden und einschläfernden Ton drauf, der dieses Buch auszeichnet. Nun gut, aber dann sicherlich die Personen - bestimmt zeichnen die sich durch Tiefe, Charakter oder wenigstens Sympathie aus? Sagen wir mal so: Die interessanteste Person war der Pfau, und der wurde ja ziemlich zeitig gekillt. Die sich daraus ergebenden "Spannungen" und "Verwicklungen" ergaben immerhin eine gute Einschlafhilfe.

Machen wir es also wie Goethe und sagen: Jetzt steh' ich da, ich alter Tor, und bin so klug als wie zuvor. Das ist in der heutigen Zeit vielleicht grammatikalisch nicht sonderlich korrekt, aber immer noch faszinierender als ein Roman, der nichts aussagt, sich durch permanente indirekte Rede und völlige Banalität auszeichnet: Buchpreis, du bist ganz nah!

Veröffentlicht am 15.09.2016

100 % Witz, Sarkasmus und Gesellschaftskritik

Die Känguru-Chroniken (Känguru 1)
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Erst mal vorneweg: Ich habe zwar das Buch, aber am besten ist es, sich das Ganze als Hörbuch anzuhören. Marc-Uwe Kling liest selbst, und er liest grandios. Und jetzt zu der schwierigen Aufgabe zu beschreiben, ...

Erst mal vorneweg: Ich habe zwar das Buch, aber am besten ist es, sich das Ganze als Hörbuch anzuhören. Marc-Uwe Kling liest selbst, und er liest grandios. Und jetzt zu der schwierigen Aufgabe zu beschreiben, WAS er eigentlich liest. Nun ja, es sind alles mehr oder weniger zusammenhängende, extrem amüsante, manchmal auch in der Kehle steckenbleibende Lacher verursachende Kurzgeschichten von vielleicht maximal zwei, drei Seiten.

Kling erzählt von seinem Mitbewohner, eben diesem Känguru, das den Chroniken seinen Namen gab. Es stand eines Tages vor seiner Tür (Allein schon die erste Geschichte: Es klingelt ... Zum Brüllen komisch!) und wollte sich eigentlich nur Mehl ausleihen. Und Eier. Und Butter. Und ... eine Pfanne. Ein Bett. Ach, es zog einfach mal bei ihm ein. Ist sehr links angehaucht, zumindest meistens und kann aber auch den Kapitalisten raushängen lassen, wenn es will. Kling erzählt diese Geschichten so leicht und locker, dass man sich selbst wünscht, bei jedem Klingeln möge ein Känguru vor der Tür stehen und sich irgendwas ausleihen wollen. Er gibt sowohl dem Känguru als auch sich selbst sehr gute Stimmen, die sich hervorragend voneinander unterscheiden lassen und auch eventuell auftretende andere Personen erhalten ihre eigene Person und Stimme.

Er macht sich lustig über diverse Angewohnheiten, Meinungen, Personengruppen, doch nie unter der Gürtellinie (und wenn, dann war's das Känguru!). Seine Gesellschaftskritik geht unter die Oberfläche, und noch während man lacht, denkt man sich manchmal: F...k, eigentlich sollte ich weinen. Aber es ist dann doch zu witzig, als dass man sich mehr als Lachtränen abwischen müsste.

Also: kaufen, hören, amüsieren und vielleicht manchmal sogar durchdenken.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Das schwere Erbe der Vorfahren

Holmes und ich – Die Morde von Sherringford
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Bevor ich auf das Buch eingehe, wieder einmal etwas vorneweg: Der Klappentext ist völliger Much. Und der Titel erst recht. Wer zum Teufel denkt sich so einen totalen Humbug aus? Der englische Titel A study ...

Bevor ich auf das Buch eingehe, wieder einmal etwas vorneweg: Der Klappentext ist völliger Much. Und der Titel erst recht. Wer zum Teufel denkt sich so einen totalen Humbug aus? Der englische Titel A study in Charlotte ist so viel cooler, subtiler und spielt vor allem auf das Original an. Und es gibt zwar jede Menge MordVERSUCHE, aber durchgezogen wurde "nur" ein einziger. Derjenige, der für Klappentext und Titel verantwortlich ist, hat also seine Hausaufgaben nicht gemacht, Schande über ihn/sie.

Nachdem ich das losgeworden bin, ab zum Buch. Tatsächlich handelt es sich um die Nachfahren von Holmes und Watson. Sehr faszinierend finde ich, dass hier diese Familien wirklich existieren und das als relativ normal angesehen wird. So begegnen sich eines Tages James "Jamie" Watson und Charlotte Holmes "zufällig" in Sherringford, einer Eliteschule, die zwar nicht mit den allerbesten zu vergleichen ist, aber kurz dahinter steht. Und sie schlittern nicht nur in einen Mordfall, sondern sind auch gleich die heißesten Verdächtigen. Wurde doch ausgerechnet der Junge umgebracht, der ihnen beiden Ärger bereitet hatte. (Wobei das in Charlottes Fall noch sehr milde ausgedrückt ist.)

Rein vom Fall mitsamt seinen Verstrickungen her ist er jetzt nicht die Neuerfindung des Genres, aber das muss er auch nicht. Er lebt von der Dynamik zwischen Charlotte und Jamie, die sich tatsächlich mit Holmes und Watson ansprechen. Und Watson fungiert zwar auch als der Chronist der Geschichte (vom Epilog abgesehen), aber er ist keine Randfigur. Natürlich zieht er nicht dieselben Schlüsse wie Holmes - niemand tut das, immerhin hat sie im zarten Alter von zehn ihren ersten großen Fall gelöst. Aber er ist ein cleverer, sympathischer, sportlicher und loyaler Freund, auf den jeder stolz sein könnte, ihn an seiner Seite zu wissen. Dass er manchmal Aggressionsprobleme hat, macht ihn noch menschlicher. Im Gegensatz zu ihm frönt Charlotte der alten Leidenschaft ihres Vorfahrens, den Drogen. Das ist manchmal ein bisschen zu sehr auf die Spitze getrieben, andererseits habe ich noch nie welche genommen und kann das nicht ausreichend beurteilen.

Mir ging die Entwicklung der "best friends ever" ein bisschen zu schnell, ebenso gewisse Schlussfolgerungen oder die enorm einflussreiche Familie Holmes war einen Hauch "too much". Ansonsten habe ich mich sehr gut unterhalten gefühlt und hoffe, dass wir noch mehr von Charlotte und Jamie, Verzeihung, von Holmes und Watson lesen werden.

Veröffentlicht am 21.04.2024

Junge Autorin

Die Vermesserin der Worte
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Was macht eine Autorin mit Schreibblockade? Richtig. Sie sitzt vor leeren Dokumenten und kann ihre Rechnungen nicht mehr zahlen. Ida weiß nicht mehr weiter, seit sie ihre Worte verloren hat. Da kommt ihr ...

Was macht eine Autorin mit Schreibblockade? Richtig. Sie sitzt vor leeren Dokumenten und kann ihre Rechnungen nicht mehr zahlen. Ida weiß nicht mehr weiter, seit sie ihre Worte verloren hat. Da kommt ihr eine Anzeige, dass jemand nach einer Haushälterin sucht, gerade recht und sie begibt sich nach Waldbruch, um dort in einem abgeschiedenen Haus der älteren Ottilie zur Hand zu gehen. Ottilie hat sich vor Jahrzehnten mit den Dörflern überworfen, ist einsam und leidet bereits unter Demenz. Doch Ida stellt fest, dass sie und dieses stille, einsame Haus eine berührende Geschichte zu erzählen haben und dass sie, Ida, dadurch nicht nur (die richtigen) Worte findet, sondern mehr: ein Leben. Mehrere Leben. Und Versöhnung.

Eigentlich bin ich niemand mit einer Begeisterung für reine Literatur und schon gleich gar nicht mag ich ruhige, sanfte Geschichten. Eigentlich. Denn hier wurde ich beinahe von Seite 1 an abgeholt. Die Autorin erzählt uns eine Art modernes Märchen. Eines, in dem Liebe manchmal nicht genug ist, eines vom Ausbrechen, vom Erleben, vom Zurückkehren, vom Wiederfinden, vom (Wieder)verlieren. Aber am Ende ist es eine Geschichte über Menschlichkeit. Über das, was uns ausmacht, über kleine und große Schritte und dass man manchmal auch Menschen einfach nicht helfen kann. Die Sprache ist ruhig und poetisch und nimmt sich trotz weniger Seiten Zeit zum Entwickeln. Ein paar Ausreißer in dem allgemein unkitschigen Stil muss ich bemängeln, aber das ist Maulen auf hohem, auf sehr hohem Niveau. 4.5/5 Punkten.

Veröffentlicht am 20.04.2024

Low & Order

Lakestone Campus of Seattle, Band 1: What We Fear (SPIEGEL-Bestseller mit Lieblingssetting Seattle)
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Marlow ist ein IT-Genie, das sich dank ihrer Hackerfähigkeiten in ein Konto einhacken konnte, um somit die teure Herz-OP für ihren kleinen Bruder bezahlen zu können. Als sie erwischt wird, rettet sie ausgerechnet ...

Marlow ist ein IT-Genie, das sich dank ihrer Hackerfähigkeiten in ein Konto einhacken konnte, um somit die teure Herz-OP für ihren kleinen Bruder bezahlen zu können. Als sie erwischt wird, rettet sie ausgerechnet der Leiter des Lakestone Campus vor dem Knast, weil er ihr außergewöhnliches Talent erkennt. Low darf also an einer Elite-Uni studieren, wo sie den Literaturstudenten Zack kennenlernt, der nicht sprechen kann. Zwischen Studium und Sozialstunden, die Low ableisten muss, kommen sie sich näher. Doch Low hat eine bewegte Vergangenheit als Hackerin hinter sich und das Darknet vergisst so schnell nicht.

Ich fand die Idee vielversprechend, weil man Hackerinnen nicht allzu oft in New Adult sieht. Und anfangs war es auch noch wirklich nett; alle Leute waren hochanständig und das Loveinterest endlich mal kein toxisches A...och, der die Frau wie Dreck behandelt. Allerdings wurde die Geschichte bald zu ausschweifend, ohne vom Fleck zu kommen. Natürlich ist es schön, dass Marlow anständig ist, die ihren kleinen Bruder retten und ihrem neuen Freund mit einer neuen App helfen will. Aber die ewigen Wiederholungen machen es nicht spannender und spätestens ab der Hälfte musste ich mich geradezu zwingen, nicht nur die Seiten zu überfliegen. Dann hatte ich große Hoffnung, wenigstens einen gescheiten (Hacker)Showdown zu erleben. Jetzt habe ich nicht gerade einen Atomschlag erwartet, aber ein Kindertischfeuerwerk, das lahm "Puff" macht hätte es jetzt auch nicht sein müssen. Zumal mir - ehrlich gesagt - die Motive von Alias total sympathisch waren. Alles in allem ist das keine Reihe, die ich weiterverfolgen werde.