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Veröffentlicht am 15.09.2016

I don't care about truth ...

DIE WAHRHEIT
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Ich hätte auf mein Bauchgefühl hören sollen, das mir nach der alles andere als spannenden oder auch nur interessanten Leseprobe riet, dieses Buch sein zu lassen. Aber wenn so viele, auch von mir geschätzte ...

Ich hätte auf mein Bauchgefühl hören sollen, das mir nach der alles andere als spannenden oder auch nur interessanten Leseprobe riet, dieses Buch sein zu lassen. Aber wenn so viele, auch von mir geschätzte Rezensenten, über den Erstling der Autorin so geschwärmt haben und sich auch auf dieses Buch so freuten, muss es doch gut sein, dachte ich. Vielleicht lullt sie mit einem Hausfrauenromananfang den Leser ein und dann knallt sie ihm einen fiesen, harten, guten Thriller um die Ohren? Doch Irren ist menschlich, heißt es.

Die Handlung: Sarah ist seit sieben Jahren allein, seit ihr Mann Philipp auf einer Geschäftsreise in Südamerika verschwand. Plötzlich heißt es, er käme zurück, sei gefunden worden, war sieben Jahre lang Entführungsopfer. Doch dann, am Flughafen, der Schock: Das ist nicht ihr Mann, sondern ein Fremder. Und der weiß etwas aus ihrer Vergangenheit, das es ihr unmöglich macht, ihn bloßzustellen. Jetzt muss sie einen Weg finden, sich und ihren achtjährigen Sohn vor dem Mann zu schützen, doch der hat alle Fäden in der Hand, kennt scheinbar alle ihre Geheimnisse.

Bei einem Thriller erwarte ich Spannung, überraschende Ereignisse, Verbrechen, die unter die Haut gehen. Keinesfalls rechne ich mit kaum unterbrochenen inneren Monologen der Hauptperson, schon gar nicht, wenn sie so langweilig ist wie Sarah. Es dauert wirklich und wahrhaftig ganze 73 Seiten, bis überhaupt einmal "der Fremde" auftaucht. Davor durfte man sich durch so interessante Sachen wie Haareabschneiden von Sarah durchquälen, oder ihr Erlebnis bei einer Sonnenfinsternis. Als die eigentliche Handlung einsetzt, beginnt ein Strom unlogischer Gedanken und Verhaltensweisen beider Hauptpersonen, sowohl Sarahs als auch "des Fremdens". Sarah beschreibt ihn übrigens permanent als gefährlich - dieses Gefühl konnte ich nie nachvollziehen, wohingegen mir Sarah durchaus einer Überprüfung durch einen Psychologen hätte wert gewesen wäre. Die Lösung der ganzen Geschichte war so extrem an den Haaren herbeigezogen, dass ich es kaum glauben konnte, und das Buch endete, wie es begann: als Frauenroman mit "dramatischem Hintergrund". In diesem Buch hat mich nichts erreichen können. Nicht die Geschichte, die ich als durchweg unglaubwürdig einschätze, und auch nicht der Schreibstil, der zwar flüssig, aber einfach und mit einer Vorliebe für kurze Sätze daherkam. Stilblüten wie "Es machte mich lächeln" (Einen kurzen Moment dachte ich: Hey, Übersetzer, jetzt hast du aber Mist gebaut - bis mir einfiel, dass es eine deutschsprachige Autorin ist, die wahrscheinlich nicht vom Thüringischen ins Hochdeutsche übersetzt werden muss) rundeten das Buch als etwas ab, das ich persönlich als schlecht einschätze.


Veröffentlicht am 15.09.2016

Der Junge, die alte Frau und die Weltrekorde

Bevor die Welt erwacht
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Der Junge war erst elf. Der Junge war Pfadfinder. Der Junge kümmerte sich um Ona, die alte Frau. Sie ist 104, als die Geschichte beginnt. Oder endet. Denn der Junge ist tot. Eine Krankheit, so unbekannt ...

Der Junge war erst elf. Der Junge war Pfadfinder. Der Junge kümmerte sich um Ona, die alte Frau. Sie ist 104, als die Geschichte beginnt. Oder endet. Denn der Junge ist tot. Eine Krankheit, so unbekannt wie der Name des Jungen, hat ihn so schnell getötet, dass noch alle fassungslos davon sind. Alle: Das sind Ona. Uralt, fragil, und trotzdem so stark, dass man sie bewundern muss. Quinn, der Vater des Jungen. Berufsmusiker, jeden Tag auf einem anderen Gig. Der nie eine wirkliche Beziehung zu seinem Sohn aufbauen konnte, weil er ihn nicht verstand. Und Belle, die Mutter. Die von ihrer Trauer erschlagen wird, gewürgt, geschüttelt, zusammenbricht, wieder aufsteht, neu anfängt. Diese drei sind es, um die die Geschichte kreist, zusammengehalten von dem Jungen, diesem außergewöhnlichen kleinen Jungen, der selbst nach seinem Tod noch ihrer aller Leben beeinflusst und trotz aller Trauer besser macht. Der für Freundschaft sorgt, für Zusammenhalt, für Vertrauen und den Willen, Außergewöhnliches zu schaffen.

Es ist wirklich schwer, eine Rezension zu diesem Buch zu schreiben. Ich fand es genauso außergewöhnlich wie den kleinen Jungen, der mich zutiefst beeindruckt hat durch seine Menschlichkeit, seine Höflichkeit und seine Art, mit dem umzugehen, was ihm gegeben war. Der Schreibstil der Autorin ist so kraftvoll wie ein Fluss, der durch Regenfälle angeschwollen ist, jedoch ohne dessen zerstörerischer Wut. Ihre Charakterzeichnungen haben mich zu denLeuten mitgenommen und ihre Art, die Geschichte zu erzählen, gefesselt, obwohl nicht viel passiert. Irgendwo schrieb jemand, er konnte mit den Tonbandaufnahmen nichts anfangen, weil sie so abgehakt waren, aber genau das war für mich perfekt, weil ich genau vor mir sehen konnte, wie der kleine Junge ernsthaft sein Aufnahmegerät vor Ona legt, lautlos zwischendurch seine Fragen formuliert/gestikuliert und sie immer genau darauf reagiert. Onas Geschichte ist nicht außergewöhnlich, aber die Art, wie sie erzählt wird, macht sie dazu. Bei diesem Buch stimmt das Gesamtpaket, es bekommt vollste Empfehlung für alle, die sich auf was Ruhiges und zum Teil Trauriges, aber auch Hoffnungsvolles einlassen können und wollen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Daumen hoch für Sherwood Holmes

Der Blog des geheimnisvollen Sherwood Holmes
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Sherlock Holmes kennt jeder. Mit Verstand, Lupe, Tatkraft und Mut löst er die schwierigsten Fälle. Für die Opfer von Verbrechen im viktorianischen Zeitalter war er manchmal die letzte Hoffnung. Doch wen ...

Sherlock Holmes kennt jeder. Mit Verstand, Lupe, Tatkraft und Mut löst er die schwierigsten Fälle. Für die Opfer von Verbrechen im viktorianischen Zeitalter war er manchmal die letzte Hoffnung. Doch wen haben wir? Wer schützt uns heutzutage, im Zeitalter von Internet und Social Media? Keine Panik, Sherlock Holmes hat einen Erben. Sein Name ist Sherwood Holmes, und seine Abenteuer veröffentlicht er auf seinem Blog. Tatkräftig unterstützt von seinem Verstand, seiner Lupe, seiner Haushälterin Mrs Hudson und seinem Hamster Dr. Watson gibt es keinen Fall und keinen Verbrecher - nicht mal Möhren-Arty - den er nicht knacken kann. Und bei diesem Abenteuer hat er es nicht nur mit einem, sondern gleich zwei knallharten Fällen zu tun, doch Sherwood Holmes wäre nicht Sherwood Holmes, wenn er nicht sowohl die Diamanten des Millionärs wiederbeschaffen könnte, sondern auch dem Seifenkönig zu helfen wüsste.

Eine coole, kleine Geschichte, die gekonnt einen Kinderkrimi mit ein bisschen viktorianischer "Holmes-Sprache" und Social Media in Form eines Blogs verbindet. Wer die Kurzgeschichten von Conan Doyle kennt, wird sich über die Anspielung einer der Storys dort freuen, wer nicht, wird selbst kniffeln müssen. Die Zeichnungen sind gelungen und es macht Spaß, die Kommentare zu lesen, welche Sherwoods Follower von sich geben. Kurz und knapp: Daumen hoch für Sherwood Holmes!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Wer bist du, wenn du nichts über dich weißt?

Wenn du vergisst
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Ein Mädchen erwacht in einer ihr unbekannten Umgebung. Doch nicht nur die Gegend ist ihr unbekannt, auch sie selbst ist es. Sie kann sich an nichts erinnern, ihr Gedächtnisverlust ist total. Sie hat keinen ...

Ein Mädchen erwacht in einer ihr unbekannten Umgebung. Doch nicht nur die Gegend ist ihr unbekannt, auch sie selbst ist es. Sie kann sich an nichts erinnern, ihr Gedächtnisverlust ist total. Sie hat keinen Namen, keine Vergangenheit, keine Erinnerung. Und dann ist da ein junger Mann, der sich als Elias vorstellt, der sie findet und ins Krankenhaus bringt. Wieso möchte sie sich so gern an ihn klammern? Und was ist mit Niklas, dem jungen Pfleger, der sich so aufopferungsvoll um sie kümmert? Jeder um sie herum scheint mehr über sie zu wissen als sie selbst, und das ändert sich auch nicht, als ihre Eltern gefunden werden. Diese sind ihr ebenso fremd und auch in ihrem Zuhause scheint nichts ihre Erinnerungen anzuregen. Immerhin hat sie jetzt einen Namen: Zoe. Zoe kämpft verzweifelt und mit wachsender Panik um das, was in ihrem Gehirn verschüttet sein muss, und ihre Befürchtung, das etwas Schreckliches passiert sein muss, wird von Tag zu Tag stärker.

Die Geschichte eines mysteriösen Ereignisses, das durch einen Gedächtnisverlust noch mysteriöser wird, ist nicht neu. Und doch zieht sie in diesem Fall sofort herein, denn Heidrun Wagner hat einen wirklich fesselnden Schreibstil, frisch, unverbraucht und mit viel Empathie für ein junges Mädchen ohne Erinnerungen. (Mir hat sie zwischendurch zu viel geheult, aber man hat mir mitgeteilt, dass das verständlich ist in dieser Situation und in dem Alter, also ok.) Ergänzt wird die ohnehin coole Geschichte durch genauso coole Zeichnungen der Illustratorin Miri d'Oro, die einen genialen Spagat zwischen jugendlichem Zeichenstil und klasse Ergänzung zum Text schafft. So wird aus dem Buch fast schon eine Graphic Novel, ohne dass sich der Text irgendwie zu kurz fassen muss, wie es manchmal in GNs der Fall ist. Auf jeden Fall eine tolle, innovative Idee, und da das Ende des Buches mit einem wenn auch fast schon erwarteten Cliffhanger geendet hat, ein Buch, dessen Fortsetzungen ungeduldig erwartet werden.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Der erste Fall für Hugh de Singleton

Verräterische Gebeine
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Herbst 1363. Hugh de Singleton ist ein junger Chirurg, der das Vertrauen von Lord Gilbert, Herr über Bampton Castle, erringen konnte. Als in der Senkgrube des Schlosses Leichenteile gefunden werden, beauftragt ...

Herbst 1363. Hugh de Singleton ist ein junger Chirurg, der das Vertrauen von Lord Gilbert, Herr über Bampton Castle, erringen konnte. Als in der Senkgrube des Schlosses Leichenteile gefunden werden, beauftragt Lord Gilbert ihn mit der Aufklärung der Todesursache. Nach Untersuchung der Knochen ist Hugh schnell klar, dass es sich um Mord handeln muss und er macht sich auf die Suche nach Mörder und Motiv. Es scheint einfach genug. Ein Mädchen, auf das die Beschreibung passen würde, ist verschwunden, und ein junger Mann, der von diesem Mädchen betrogen wurde, hätte Möglichkeit und Tatkraft besessen. Doch nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint - und Hugh ist unerfahren genug, um Fehler zu machen.

Historische Krimis sind cool. Wenn man gleichzeitig in vergangene Zeiten eintauchen kann und dabei Geschichtsunterricht bekommt, ist das genau meins. Und auch hier waren die Voraussetzungen gegeben. Die historische Seite selbst war echt tadellos, man bekam viel über das Leben in der Mitte des 14. Jahrhunderts mit, über die Beziehung der von den Lords abhängigen Bauern und Bürgerlichen, über die Lebensweise und auch über die Arbeit der Ärzte in dieser Zeit. Bei dem Krimianteil jedoch gab es Stolperstellen. Nicht nur, dass Hugh ein paar entscheidende Dinge übersehen hat, die dem Leser ziemlich sofort ins Auge stechen, haben sich einige Dinge nur durch Zufall (oder Gottes Wohlwollen) gelöst, was in einem Krimi ein No-Go ist. Dann wurde zwischendurch Hughs Liebesleben mal kurz angeschnitten und sofort wieder abgewürgt, als hätte der Autor dann doch keine Lust mehr auf dieses Thema gehabt. Die Schreibweise des Buches ist jedoch angenehm und ich habe mich bis auf die erwähnten Kritikpunkte gut unterhalten gefühlt, so dass ich Hugh wahrscheinlich auch ein weiteres Mal begleiten werde.