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Veröffentlicht am 16.02.2020

Berührende, emotional geladene Geschichte über menschliche Schicksale und Grausamkeit

Mehr als die Erinnerung
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Das Buch:
Das Buch ist in 41 nicht allzu lange Kapitel eingeteilt. Der Hauptstrang spielt im Jahr 1920, weshalb diese Jahreszahl nur über dem ersten Kapitel zu finden ist. Bei Rückblenden in die Zeit ...

Das Buch:
Das Buch ist in 41 nicht allzu lange Kapitel eingeteilt. Der Hauptstrang spielt im Jahr 1920, weshalb diese Jahreszahl nur über dem ersten Kapitel zu finden ist. Bei Rückblenden in die Zeit des ersten Weltkriegs wird dies extra kenntlich gemacht, sodass der Leser zu jeder Zeit weiß, wo er sich befindet.
Das Cover des Buches hebt sich erfreulich von den heute beinahe standardisierten für historische Romane ab. Es zeigt ein Foto, welches in die Zeit des Romans passt und schon allein deshalb neugierig macht.

Worum geht’s?
Friederike von Aalen führt gemeinsam mit ihrem Vater Dr. Meinhardt auf Gut Mohlenberg eine Einrichtung für psychisch kranke Menschen – im Volksmund Irrenkolonien genannt. Sie kümmert sich rührend um ihre Patienten und ist der Überzeugung, dass es wichtig ist, auch und gerade geistig behinderten Menschen Zuwendung und eine Aufgabe zu geben, damit diese ein lebenswertes Leben haben können. Einer ihrer Patienten ist ihr Ehemann Bernhard, mit dem sie – trotz dass er nach einer Verwundung im ersten Weltkrieg geistig behindert ist – eine tiefe Liebe verbindet.
Nach einem Mord in der Nähe von Gut Mohlenberg wird einer ihrer Patienten – Kuno Pechstein – von Mohlenberg nach Langenhagen in die geschlossene Abteilung verlegt, weil jeder glaubt, dass nur er diesen Mord begangen haben kann. Doch dann geschieht ein zweiter Mord und Friederike beginnt auf eigene Faust Fragen zu stellen und Zusammenhänge zu finden.

Charaktere:
Melanie Metzenthin gelingt es in diesem Buch die perfekte Protagonistin und den ebenso perfekten Antagonist zu erschaffen. Während mir Friederike bereits auf den ersten Seiten überaus sympathisch erschien, bewirkte Dr. Weiß mit seiner distanzierten Art genau das Gegenteil. Zwar war meine Antipathie gegen ihn noch nicht besonders stark, jedoch mochte ich ihn einfach nicht. Er ist unglaublich kalt in seinen Äußerungen. Und selbst wenn man ihm zugutehalten möchte, dass er vielleicht ein persönliches Interesse an Friederike gehabt haben könnte, so kommt selbst dieses Interesse kalt und berechnend beim Leser an.

In diesen beiden Charakteren spiegeln sich die beiden Fraktionen der damaligen Psychologie wieder. Eine Seite setzte auf Fürsorge und gute Behandlung der Patienten, die andere auf Experimente und Verschluss der Menschen. Während am Anfang der Eindruck entsteht, dass alle auf Gut Mohlenberg auf die gleichen Behandlungsmethoden setzen, wird im Laufe der Geschichte klar, dass Dr. Weiß andere, eigene Ziele verfolgt. Er erforscht die Möglichkeit der Manipulation von Menschen. Diese Forschungen – insbesondere seine eingesetzten Mittel – habe ich als so abstoßend empfunden, dass sich bis zum Ende der Geschichte in mir eine tiefe Abneigung gegen diesen Charakter entwickelt hatte.

Neben Friederike sind mir Walter Pietsch – der Neue auf Gut Mohlenberg – und Bernhard – Friederikes Mann – sehr ans Herz gewachsen. Walter wirkte anfänglich etwas ambivalent. Ich wusste nicht genau, ob ich ihn mag oder nicht. Er hatte etwas zu verbergen und das passte mir irgendwie nicht, weil ich befürchtete, dass er die heile Welt auf dem Gut durcheinander bringen würde. Dennoch wirkte er in seinen Gesprächen mit Friederike aufrichtig, was ihm wiederum meine Sympathie einbrachte.

Bernhard hingegen muss man einfach von Anfang an mögen. Obwohl sein Geist während eines Unglücks im Krieg bedauerlichen Schaden genommen hatte, blieb er ein liebenswerter Mensch, der seine Frau über alles liebte. Im Laufe der Handlung entwickelt er sich vorteilhaft und der Leser kann sich in etwa einen Eindruck verschaffen, was für ein beeindruckender Mann er einmal gewesen sein musste. Mir fiel es am Anfang sehr schwer während der Dialoge mit ihm einen erwachsenen Mann vor meinem inneren Auge zu sehen, aber je weiter seine Entwicklung positiv voran schritt, desto wahrscheinlicher wurde das für mich. Im Nachhinein habe ich gedacht, der Autorin ist hier ein echter Geniestreich gelungen… denn sie beschreibt Bernhards anfänglichen Geisteszustand wie den eines 5jährigen. Allein durch seine Handlungsweisen und Dialoge hat sie es dann jedoch geschafft, dennoch den erwachsenen Mann zu zeichnen.

Auch alle anderen Charaktere werden ebenso vor dem inneren Auge lebendig. Hier besonders der arme Kuno. Mit ihm habe ich sehr gelitten, wenngleich ich mir das Ausmaß seines Leidens gar nicht wirklich vorstellen kann.

Schreibstil:
Nachdem ich von Melanie Metzenthin bereits „Die Hafenschwester“ gelesen hatte und sie mich dort mit ihren gründlichen Recherchen und dem plastischen Schreibstil überzeugt hatte, war ich sehr gespannt auf diesen Roman. Und auch hier gelingt es ihr vortrefflich eine Umgebung zeichnen, die dem Leser authentisch erscheint. Mithilfe von vielen Details – ohne detailverliebt oder ausschweifend zu werden – schafft die Autorin ein Bild jener Zeit, die dem Leser real erscheint. Auch dass zu dieser Zeit der Stand als solcher etwas zählt, bleibt dem Leser nicht verborgen; ein Detail, das ich wichtig finde. Eine von Friederikes Patienten ist nämlich die junge Juliane, die aus einer gut situierten Familie stammt und wegen Hysterie behandelt werden soll. Diese Patienten wurden im Allgemeinen anders behandelt als jene aus dem niederen Stand.

Mit ihrem flüssigen Stil zieht einen die Autorin in ihren Roman hinein. Es gibt Erkenntnisse, Wendungen und Spannungsbögen, die es dem Leser kaum ermöglichen, das Buch zur Seite zu legen. Kurzzeitig habe ich mir die Frage gestellt, ob ich eigentlich einen Krimi oder einen Roman lese. Die Ermittlungen, die Friederike anstellt und die Zusammenhänge, die sich am Ende offenbaren, hätten definitiv das Prädikat Krimi verdient!

Historischer Hintergrund:
Melanie Metzenthin ist selbst Psychologin. Sie erzählt in ihrem Buch über „Behandlungsmethoden“ von vor 100 Jahren, die den Leser in einer Art berühren, die alle Facetten an Emotionen zutage fördern können. Das Schlimme an diesen Behandlungsmethoden ist, dass sie tatsächlich so praktiziert wurden, wie die Autorin in ihrem ausführlichen Nachwort beschreibt. So manches Mal habe ich nur dagesessen und mit dem Kopf geschüttelt über die Grausamkeit der Handlungsweisen und über die emotionslosen Äußerungen der Mediziner jener Zeit. Geistig beeinträchtigte Menschen wurden schlimmer als Vieh behandelt und nur allzu oft bekommt man als Leser den Eindruck, dass deren Leben nicht mehr wert war, als dass es zu Experimenten herhalten konnte.

Auch beschreibt Melanie Metzenthin in ihrem Nachwort ausführlich die Benennung der Krankheiten, die sich im Laufe der Zeit doch sehr verändert haben. Was er davon hält, mag jeder Leser selbst beurteilen. Ich hatte nur einen Gedanken im Kopf: Die Politik von heute sollte andere Probleme haben, als die Benennung von etwas, nur damit es politisch korrekt ausgedrückt ist.

Fazit:
Wer dieses Buch liest, sollte sich emotional warm anziehen. Die Autorin zeigt ein sehr dunkles Kapitel Vergangenheit. Und das auf eine Art und Weise, der sich der Leser, steckt er erst einmal in der Geschichte drin, nicht mehr entziehen kann. Es ist ein Buch, das tief berührt und gleichermaßen erschüttert. Ein klares Must-read für alle Fans historischer Romane! 5 von 5 Sternen.

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Veröffentlicht am 16.02.2020

Selbstmordgefährdeter Kapitän ermittelt in Glückstadt

Fortunas Schatten
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Das Buch:
Nachdem ich als erstes den 4. Teil „Tod in der Speicherstadt“ dieser Reihe gelesen hatte und restlos überzeugt war, musste ich ganz unbedingt von vorn anfangen um heraus zu finden, wie Hauke ...

Das Buch:
Nachdem ich als erstes den 4. Teil „Tod in der Speicherstadt“ dieser Reihe gelesen hatte und restlos überzeugt war, musste ich ganz unbedingt von vorn anfangen um heraus zu finden, wie Hauke Sötje zum Inspektor der Kieler Kriminalpolizei werden konnte und was genau ihn immer noch so belastet. Da das Print-Exemplar nicht mehr im Handel verfügbar ist, bedanke ich mich umso mehr bei der Autorin, die mir eines der wenigen Restexemplare zur Verfügung stellte. Ganz herzlichen Dank, liebe Anja, für dieses Lesevergnügen!

Die Kapitel des Buches sind mit Originalnachrichten aus der „Glückstädter Fortuna“ von 1894 – eben dem Jahr, in dem die Geschichte spielt – überschrieben und haben in gewisser Weise einen Bezug zum jeweiligen Kapitel. Dadurch hat der Leser das Gefühl, sich nicht in einer fiktiven Geschichte sondern vielmehr in der ganz realen Welt von 1894 in Glückstadt zu befinden. Mir gefallen diese Schmankerl aus einer längst vergangenen Zeit.

Worum geht’s?
Hauke Sötje – Kapitän und tendenziell selbstmordgefährdet – heuert auf dem Ewer „Alte Möwe“ an um mit harter Arbeit seine Überfahrt nach Glückstadt zu finanzieren. Der alte Kapitän Jenssen des Ewers – ständig betrunken und bekannt dafür, seine Mannschaft um ihre wohlverdiente Heuer zu betrügen – versucht es auch dieses Mal, woraufhin es üble Schlägerei gibt, in dessen Nachgang sich Hauke im örtlichen Gefängnis wiederfindet.
Ausgerechnet Graf von Lahn – Haukes Verteidiger in England, nachdem sein Schiff „Revenge“ mit Mann und Maus untergegangen war – sorgt dafür, dass Hauke umgehend aus dem Gefängnis entlassen wird und hält auch ansonsten schützend seine Hand über ihn. Aber warum? Ehe Hauke sich versieht, ist er als Ermittler im Dienste des Grafen unterwegs und findet nicht nur heraus, was in der Glückstädter Heringsfischerei AG schief läuft.

Charaktere:
Hauke Sötje und Sophie Struwe tun offenbar das, was man als „gegen den Strom schwimmen“ bezeichnen könnte. Sophie, die Tochter des Glückstädter Möbelfabrikanten Hermann Struwe, soll von ihrer Tante Dora verheiratet werden. Allerdings ist Sophie nicht die klassische junge Dame, die still und blöd an der Seite eines gut situierten Bürgers stehen will. Sie denkt lieber selbst und hat nicht viel für die Sittlichkeit besagter Damen übrig – sie fällt ja nicht einmal in Ohnmacht! Sehr zum Unmut ihrer Tante, der langsam die Geduld mit Sophie ausgeht. Mir war Sophie damit überaus sympathisch. Ich habe mehr als einmal geschmunzelt, wenn sie sich wieder einmal aufgelehnt hat und schlagfertig reagierte, womit sie ihre Zuhörer gern in Erstaunen und manchmal auch Widerwillen versetzte.

Hauke mag eben diese Art an Sophie. Und ich mag Hauke! Ich fand seine Gedankengänge dahingehend, dass er dann wohl seinen ehrenhaften Tod noch etwas nach hinten verschieben müsse, um die Aufgabe, die Graf von Lahn ihm auferlegte, zu erfüllen, irgendwie amüsant, wenngleich der Grund hinter seinem Todeswunsch alles andere als das war. Jedoch zeigt dies einen gewissen (schwarzen) Humor. Hauke ist überdies – genau wie Sophie übrigens – sehr klug. Beide können logische Zusammenhänge erkennen, schauen genau hin und haben auch keine Scheu, die Wahrheit auszusprechen. Dies trifft natürlich nicht immer auf die Zustimmung der Bürger der Stadt. Und auch das macht mir die beiden so überaus sympathisch.

Anton Rübcke, der Reviervorsteher der Stadt, war mir auf Anhieb unsympathisch. Ich kann nicht einmal genau sagen, worin das begründet ist. Immerhin tut er ja nur seinen Job. Aber da er so wenig bereit ist, auch nur einmal genauer hinzusehen – es könnte ja schließlich Arbeit bedeuten und überhaupt will er kein Sozialistenpack in seiner Stadt haben – ist er irgendwie abstoßend. Darüber hinaus kann er überhaupt nicht nachvollziehen, warum nun ausgerechnet Hauke Sötje von Werner von Lahn „beschützt“ wird. Schließlich ist Hauke eine Schande für das deutsche Kaiserreich. Vielleicht sind es einfach die Vorurteile und dieses „das war schon immer so“, das meine Antipathie begründet.

All ihren Charakteren haucht Anja Marschall authentisch Leben ein. Als Leser kann man sich gut in sie hineinversetzen, sie sich vorstellen. Es fällt so unglaublich leicht, eine Figur zu mögen oder eben auch nicht und es macht viel Spaß mit Hauke und Sophie mit und gegen die Anderen zu ermitteln. Wirklich gut gefallen hat mir Hinnerk. Er ist Haukes Freund und auch wenn er nur eine Nebenrolle spielte, so ist er mir ans Herz gewachsen – tatkräftig, ehrlich und eben einfach liebenswert, gerade auch mit seiner Eigenart Priem zu kauen und Platt zu schnacken. Zudem vertraut er Hauke zu 100%. Solche Freunde braucht man!

Der Kriminalfall:
Der Kriminalfall an sich bleibt spannend bis zum Schluss. Die Autorin nötigt dem Leser das Miträtseln einfach ab. Zumindest ich habe versucht heraus zu finden, was genau gespielt wird. Zwar hatte ich meinen Verdacht und zumindest der Mittäter war mir auch von Anfang an recht suspekt, dennoch wurde der Täter tatsächlich erst sehr spät entlarvt. Das gefiel mir ausgesprochen gut. Immer wieder gab es Wendungen, mit denen der Leser nicht unbedingt rechnen konnte und das Puzzle setzt sich langsam Stück für Stück zusammen.

Schreibstil:
Der Schreibstil von Anja Marschall ist locker und flüssig zu lesen. Sie schreibt immer mit dieser Prise Humor, die den Kriminalfall nicht ganz so streng und die Charaktere nicht so bierernst erscheinen lässt. Ich mag diese Art zu erzählen sehr. Es finden sich keine Längen und es geht flott voran. Der Leser kann das Buch kaum zur Seite legen, wenn er bemerkt, dass er schon mitten in den Ermittlungen steckt.

Historischer Hintergrund:
Ich habe lange Zeit selbst in Glückstadt gelebt und hatte den Eindruck, dass sich diese beschauliche kleine Stadt seit Ende des 19. Jahrhunderts nicht so sehr verändert haben kann. Während des Lesens fand ich mich immer wieder, wie ich durch die Straßen schlenderte, am Hafen und am Fleet unterwegs war. Anja Marschall verleiht dem historischen Glückstadt noch einmal Leben und jeder der einmal dort war, wird es in diesem Buch wiederfinden. Sie hat sehr gut recherchiert und gibt dem Leser in einem ausführlichen Anhang viele Informationen über ihre Recherchen weiter. Neben dem Personenregister, in dem sie reale historische Personen markierte, gefiel mir die Übersetzung des Plattdeutschen besonders gut. Denn eben diese Sprache macht den Roman besonders authentisch, ist aber nicht jedem Leser geläufig.

Besonders spannend fand ich überdies, dass Anja Marschall Einblick in die Ermittlungsarbeit dieser Zeit gewährt. Als Hauke in der Leichenhalle steht und sich von Dr. Halling erklären lässt, was dieser heraus gefunden hat, erklärt sie damit auch mir, wie weit die damaligen Erkenntnisse bei der Aufklärung waren. Das fand ich nicht nur unterhaltsam sondern überaus interessant.

Fazit:
Ein spannender Auftaktroman mit zwei überaus sympathischen Protagonisten, die man einfach mögen muss, weil sie sich von ihren Schicksalen nicht unterkriegen lassen. Eine Geschichte mit Humor erzählt, in einer lebendigen Stadt des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Großartig! 5 von 5 Sternen.

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Veröffentlicht am 09.02.2020

Zeugnis einer dramatischen Zeit

Bürgerin aller Zeiten
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Das Buch:
Nachdem ich von Heike Wolf bereits den ersten Teil ihrer großartigen Allender-Trilogie gelesen hatte, war ich absolut gespannt auf den ersten Teil der Schönau-Dilogie. Meine Erwartungen waren ...

Das Buch:
Nachdem ich von Heike Wolf bereits den ersten Teil ihrer großartigen Allender-Trilogie gelesen hatte, war ich absolut gespannt auf den ersten Teil der Schönau-Dilogie. Meine Erwartungen waren extrem hoch, da mich die Allenders so unglaublich beeindruckt hatten. Ich wurde nicht enttäuscht!
Das Cover ziert ein authentisches Familienfoto der 3 Schönau Geschwister, womit es aus den heutigen Standard-Covers für historische Romane hervorsticht und belegt, dass die Geschichte auf wahren Begebenheiten beruht. Ein Umstand, der die Geschichte in meinen Augen noch einmal emotionaler macht.
Die Geschichte wird auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen erzählt – einerseits die recht knappen Passagen in 1989 und andererseits die Passagen, die dieses Buch ausmachen, in der Zeit von 1913 bis 1933. Die einzelnen Kapitel sind mit den entsprechenden Jahreszahlen – in 1989 sogar mit kompletten Daten – überschrieben, sodass der Leser stets den Überblick behält, in welcher Zeit er sich gerade befindet.

Worum geht’s:
Am 09.11.1989 wird Charlotte 80 Jahre alt werden. Am 30.09.1989 hört sie in den Nachrichten von den ersten DDR-Flüchtlingen, die offiziell in die BRD ausreisen dürfen und erinnert sich in diesem Zusammenhang an ihre eigene Kindheit in Leipzig.
Charlotte wird 1909 als Älteste von 3 Geschwistern der Familie Schönau in eine ruhige Zeit in Deutschland und in ein liebevolles, gebildetes Elternhaus – der Vater Anwalt und Goethe-Verehrer, die Mutter eine zarte Frau – hineingeboren. Doch nur 5 Jahre später muss Vater Wilhelm in den ersten Weltkrieg ziehen. Die jüngere Schwester Dorothea ist gerade 3 Jahre alt, Bruder Heinrich eben erst geboren. Es bricht eine schlimme, eine überaus schwere Zeit für die Schönaus an, die sie u.a. mithilfe der tatkräftigen, robusten und überaus fürsorglichen Mathilde überstehen. Nach dem Krieg muss die Familie zunächst erst einmal wieder zusammen wachsen, sieht sich jedoch bereits den nächsten Schwierigkeiten gegenüber. Gerade als es aussieht, als würde Deutschland wieder auf die Beine kommen, sich wieder in der Welt etablieren, wird es von den Nazis überrollt.

Charaktere:
Ihre Charaktere schreibt Heike Wolf absolut gekonnt, vielschichtig und so authentisch, dass man als Leser nur allzu oft das Gefühl hat, genau neben einer Figur zu stehen, ihr wie ein Schatten zu folgen und in die beschriebene Situation einzutauchen.
So konnte ich mich stets in die 3 Schönau Kinder – Lotte, Dorchen und Heinrich – hineinversetzen. Ich verstand ihre Sorgen und Nöte, ihre Verhaltensweisen. Es war für mich z.B. überaus nachvollziehbar, dass Lotte, die sehr an ihrem Vater Wilhelm hängt, diesem stürmisch in die Arme läuft, als er auf Fronturlaub nach Hause kommt, während Dorchen und Heinrich sich benehmen als stünden sie einem Fremden gegenüber. Tun sie ja auch! Eine solche Situation zu beschreiben, sodass ich als Leser zwar die Traurigkeit Wilhelms fühlen und absolut verstehen kann, aber mich gleichzeitig auch in die beiden Kinder hineindenken kann, ist großartig. Und so füllt Heike Wolf all ihre Figuren mit Leben, mit Charakter. Jede Figur – unabhängig davon, ob es eine Hauptfigur wie Charlotte ist oder ein Nebencharakter – ist ein Unikat, hat ihre ganz eigenen Züge und lebt vor dem inneren Auge des Lesers. So ist es möglich, sie zu lieben und sie zu verabscheuen, mit ihnen zu leiden, sich zu freuen oder zu weinen, so wie die Figuren im Buch es tun. Die Autorin schafft es immer wieder, dass man als Leser glaubt, es mit Freunden zu tun zu haben.

Im Fall der Augusta – Charlottes Oma – ist es sogar passiert, dass ich sie zunächst überhaupt nicht ausstehen konnte, später sehr viel Sympathie für sie empfand und am Ende nicht mehr wusste, ob ich sie nun mag oder nicht. Ich fand ihre antisemitischen Äußerungen bereits weit vor dem ersten Weltkrieg abstoßend und ich konnte nicht verstehen, warum sie ihre Familie nicht mehr unterstützt. Sie erschien mir egoistisch und kalt. Im Krieg hat sie jedoch bewiesen, dass ihre Entscheidungen vielleicht kalt erscheinen mögen, aber auf jeden Fall sinnvoll und der Situation angepasst waren. Ich konnte sie so gut verstehen, als sie versuchte, ihre Tochter Amalie – Charlottes Tante – zum Arbeiten anzuhalten um den Unterhalt für ihre Familie zu verdienen, da auch deren Mann im Krieg war. Dann wieder traf sie Entscheidungen über die Köpfe vieler anderer hinweg, die ich nicht nachvollziehen konnte und die mich den Kopf schütteln ließen. Als sie starb, war ich traurig. Sie fehlte mir in der Familie.

Ganz anders ist Mathilde, Haushälterin und Kindermädchen der Familie. Sie ist burschikos und rustikal, muss bisweilen auch schwere Entscheidungen treffen, aber sie ist klug und liebevoll. Bei ihr steht stets das Wohl der Familie im Vordergrund. Als die Schönaus kein Geld mehr haben, arbeitet sie sogar ohne Lohn. Sie hat mich überaus beeindruckt und mit ihrem schrägen Dialekt, den die Autorin so herrlich geschrieben hat, ist sie mir fast sofort ans Herz gewachsen – und dass, obwohl ich diesen Dialekt gar nicht mag. Ich hörte sie jedoch förmlich im Ohr, wann immer sie etwas sagte. Von Mathilde hatte ich ein sehr klares Bild vor Augen.

Charlotte ist schon ein recht besonnenes Kind, das ihre jüngere Schwester Dorchen hin und wieder bremsen muss, denn Dorchen ist demgegenüber ein Wirbelwind, fast draufgängerisch. Das ändert sich auch nicht, als aus den Kindern junge Mädchen und später junge Frauen werden. Auch hier gibt es wieder eine Situation, die so nachvollziehbar und herzerweichend war, dass es mir die Tränen in die Augen trieb. Eines Nachts vergriffen sich Dorchen und Charlotte an den Wintervorräten um sich einmal satt zu essen. Ich konnte es so gut verstehen, hatten sie doch immer Hunger. Hier war Dorchen die treibende Kraft und Charlotte wollte sie davon abhalten, aber der Hunger war stärker. Am nächsten Morgen hatten sie ein schlechtes Gewissen, doch weder Mathilde noch Luise haben sie dafür bestraft. Es war so unglaublich emotional und hallt so tief nach, dass ich selbst am Gemüseregal beim örtlichen Kaufmann an sie denken musste, weil Steckrüben – die von allen gehasst wurden, weil es das Einzige war, was es zu essen gab – gerade im Angebot waren.

Diese Charaktere können nur als Beispiele dienen. Man muss das Buch lesen um jeden von ihnen kennenzulernen. Und es ist ganz klar, den einen mag man, den anderen nicht. Dazu verändern sich die Charaktere im Laufe der Zeit zum Teil drastisch vor dem Hintergrund des persönlichen Schicksals und der politischen Lage. Manche Veränderung ist überaus angenehm, andere sind erschreckend. Und eben diese Veränderungen machen die Geschichte lebendig, lassen den Leser Verständnis, Widerwillen, vielleicht auch Zuneigung fühlen – ja fühlen! Die Charaktere berühren einen unweigerlich!

Schreibstil:
Heike Wolfs Schreibstil ist brillant! Sie schreibt bildgewaltig ohne sich in Details zu verlieren, sie lässt das Leipzig (und alle anderen Orte) Anfang des 20. Jahrhunderts glaubhaft vor dem inneren Auge auferstehen; sie zeigt es dem Leser und spricht nicht nur darüber. Den Ausspruch „Don’t say, show it!“ befüllt die Autorin mit Leben!

Wenn ich einen Roman lese, in dem ich Dinge finde, die zu einem bestimmten Landstrich gehören, finde ich das überaus charmant. Auch Heike Wolf hat solche Schmankerl genutzt. So nennt Wilhelm Charlotte liebevoll „mein Modschekiebschn“ (mein Marienkäfer). Es drückt so viel mehr aus als herkömmliche Sätze.
Wilhelms Liebe zu Goethe verpackt die Autorin geschickt in Dialogen, in denen er sich gern bestimmter Goethe-Zitate bedient und in liebevollen Neckereien in der Familie, wenn er es nicht tut. Und der Familienhund heißt sicherlich auch nicht umsonst Mephisto.

Einen Zeitsprung von 1918 nach 1922 schreibt Heike Wolf sehr geschickt, indem sie die Trennung der Ereignisse durch eine Passage in 1989 herbeiführt, in der die fast 80jährige Charlotte ihrer Großnichte aus dieser Zeit berichtet. So bleibt nichts auf der Strecke und dennoch kann diese Geschichte gekonnt unterbrochen und an anderer Stelle weiter geführt werden.

Der Leser des ersten Teils muss sich darauf gefasst machen, dass er den zweiten Teil unbedingt lesen will. Es bleiben nämlich Fragen offen, deren Antwort man nicht ohne weiteres selbst herleiten kann. Heike Wolf macht neugierig auf mehr und das auf eine sehr charmante Art und Weise – mit kleinen Andeutungen, die eben die Lust auf Teil 2 wecken.

Historischer Hintergrund:
Ich weiß, dass die Autorin stets gründlich recherchiert. Insofern ist der historische Hintergrund nachvollziehbar und belegt. Dennoch steht dieser nicht im Vordergrund, sondern ist stets die Kulisse für die Geschichte, die die Autorin erzählt. Fakten werden nicht oberlehrerhaft präsentiert sondern vielmehr in die Geschichte verwoben – ganz so, als sind sie ein Teil von ihr. Es macht auf diese Art und Weise viel Spaß nicht nur die Geschichte der Familie Schönau zu lesen sondern ganz nebenbei auch noch etwas zu lernen.

Fazit:
Ein großartiges Buch, das mich als Leser alle Emotionen, derer ein Mensch fähig ist, durchleben ließ. Es hat mich zu Tränen gerührt und mit einer Wärme für einige Charaktere erfüllt, die unglaublich ist. Der zweite Teil ist Pflichtlektüre, denn es bleiben einige Fragen für diesen zweiten Teil übrig – gekonnt offen gelassen! Must read – nicht nur für Fans von historischen Romanen! 5 von 5 Sternen.

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Veröffentlicht am 26.01.2020

Hm… was soviel heißt wie „großartig“

Snöfrid aus dem Wiesental (1). Die ganz und gar unglaubliche Rettung von Nordland
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Das Buch:
Es handelt sich bei diesem Buch um das Erste über den etwas grummeligen, auf jeden Fall aber sprechfaulen Snöfrid aus dem Wiesental, der eigentlich am liebsten seine Ruhe hat. Fakt ist, dass ...

Das Buch:
Es handelt sich bei diesem Buch um das Erste über den etwas grummeligen, auf jeden Fall aber sprechfaulen Snöfrid aus dem Wiesental, der eigentlich am liebsten seine Ruhe hat. Fakt ist, dass man alle Bücher unabhängig voneinander lesen kann. Wer jedoch den Snöfrid noch nicht kennt, fängt wohl besser mit diesem Teil an… Der kleine Kerl, der das Cover ziert, hat mein Herz quasi im Sturm erobert und mit ziemlicher Sicherheit hätte ich im Buchladen zugegriffen und nach dem Studium des Klappentextes und der ersten Seiten das Buch mitgenommen.
Das Buch besteht aus 30 relativ kurzen Kapiteln, von denen jedes mit einer zusammenfassenden Überschrift überschrieben ist. Es kann in einem Rutsch oder auch kapitelweise gelesen werden und ist geeignet z.B. als Gute-Nacht-Lektüre gelesen zu werden.

Worum geht’s?
Der Snöfrid rettet mehr zufällig einem Feenmännchen das Leben und fortan stehen beste Sahne für seinen Haferbrei und Brennholz für seinen Ofen bereit, wann immer der Snöfrid seine Höhle verlässt. Zunächst hält er dies für einen Zufall, bis es eines Tages an seiner Tür klopft – und das auch noch bei Dunkelheit. Snöfride lieben ihre Ruhe, sie gehen bei Dunkelheit schlafen und sie reden überhaupt nicht gern. Aber hier macht der Snöfrid, aus ihm selbst unerfindlichen Gründen, eine Ausnahme und findet sich kurze Zeit später in einem überhaupt nicht ruhigen Abenteuer wieder, in dem ihm viele seltsame Gestalten begegnen, er eine Prinzessin und eigentlich ein ganzes Land retten muss und einen Freund findet…

Charaktere:
Ich liebe Snöfrid! Eigentlich ist er ja ein ganz ruhiger Geselle, der es überhaupt nicht leiden kann, wenn etwas oder jemand seine Ruhe stört. Da er nicht gern spricht, ist sein meist gebrauchter Satz „Hm“… Gut, dass der Erzähler der Geschichte meistens weiß, was das genau bedeutet. Und so hmt sich Snöfrid auf direktem Weg in das Herz seiner kleinen und großen Leser. Darüber hinaus ist ein Snöfrid alles andere als dumm und so ist er der genau richtige Held und Abenteurer für eine Geschichte wie diese. Man muss ihn einfach mögen, mit ihm mitfiebern und bangen und sich die ganze Zeit fragen, ob er am Ende das Nordland retten kann.

Auch alle anderen Figuren sind liebevoll geschrieben mit ihren ganz eigenen Fähigkeiten und Eigenarten. Das Schöne an diesen Figuren ist, dass es dem Autor gelingt dem Leser das Gefühl zu geben, dass keine dieser Figuren fehlen darf. Jede ist ebenso wichtig wie die Andere – egal wie groß oder klein sie ist.

Schreibstil:
Andreas H. Schmachtl bedient sich eines ganz eigenen Schreibstils – er erzählt! Und zwar so, als würde der Leser ihm gerade in diesem Moment gegenüber sitzen und ihm zuhören. Er spricht seine Leserschaft direkt an und er erzählt seine Geschichte so, als hätte er sie vor kurzem gerade selbst erlebt. Oder anders gesagt, sie wurde ihm erzählt, von jenen, die dabei waren bzw. es wissen müssen, wie es wirklich war und er erzählt sie nun weiter. Ich finde diese Art der Erzählung großartig, sie macht diese Geschichte überaus lebendig und man fühlt sich selbst mittendrin.
Überdies hat er Wortkreationen entwickelt, die möglicherweise von einem Kind stammen können. Dummerdings ist so ein Wort, das man im gewöhnlichen Sprachgebrauch nicht als alltäglich empfindet. Auch nutzt er die Verneinung. Etwas ist eben NICHT so… Darüber hinaus bringt der Autor kleine Details, über die er früher im Buch erzählte, zu einem späteren Zeitpunkt wieder in Erinnerung, womit er es schafft den Leser in der Geschichte zu halten, denn auch hier spricht er den Leser direkt an z.B. mit Formulierungen „… wie wir ja bereits wissen“ oder er kündigt etwas an mit Formulierungen wie „… aber darauf kommen wir später zurück.“
Seine Geschichte erzählt er spannend und nimmt sich auch die Zeit, Dinge zu erklären, ohne dass es oberlehrerhaft wirkt. So lernt der Leser z.B. warum Rentiere im Schnee gut laufen können, wohingegen der Snöfrid so seine Probleme damit hat.

Am Ende des Buches hatte ich ein bisschen das Gefühl, dass sowohl „Der Herr der Ringe“ als auch „Harry Potter“ als Inspiration für diese Geschichte gedient haben können. Es gibt einige Parallelen, die diesen Schluss zulassen. Aber trotz dieser Parallelen ist und bleibt Snöfrid eine Kindergeschichte, die überhaupt nichts Gruseliges an sich hat, dafür aber jede Menge Abenteuer und Heldentum.

Illustrationen:
Die Illustrationen sind liebevoll gezeichnet. Sie nehmen keinen furchtbar großen Raum im Buch ein, aber sie sind so platziert und gestaltet, dass sich der kleine wie der große Leser eine Vorstellung davon machen kann, was sich der Autor dabei gedacht hat. Durch z.B. große, runde Nasen werden Figuren niedlich und damit liebenswert. Selbst die schrecklichen Trolle sind in der Illustration nicht angsteinflößend. Mir gefallen die Bilder und oft genug musste ich sie mir etwas genauer anschauen, während ich die Geschichte las. Auf den oberen 1 bis 2cm einer jeden Seite wiederholt sich ein Bild vermutlich von Wiesental – das Zuhause des Snöfrid. Damit erscheinen die Seiten bunt, kindgerecht, aber nicht überfrachtet mit Bildern. Der Text überwiegt, was mir sehr gefällt.

Eignung für Kinder:
Die Geschichte ist perfekt geeignet – sowohl für jene, die sie sich vorlesen lassen, als auch jene, die bereits selbst lesen können. Der Umfang des Buches könnte für jüngere Leser noch etwas einschüchternd sein, sodass sich ein gemeinsames Lesen anbietet, aber ich denke spätestens am dem 3. Lesejahr sollte diese Geschichte auch allein gelesen werden können. Das gemeinsame Lesen könnte jedoch den Spaß an der Geschichte deutlich erhöhen.

Fazit:
Eine tolle Geschichte mit Parallelen in die Welt vom „Herrn der Ringe“ und „Harry Potter“, eine Geschichte voller Abenteuer und Heldentum und ganz viel Spaß beim Lesen und Vorlesen. Eine Kindergeschichte, die einfach gut ist! 5 von 5 Sternen.

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Veröffentlicht am 26.01.2020

Fakten, Fakten, Fakten

Der Tote im Fleet
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Das Buch:
Es handelt sich bei diesem Buch um den ersten Teil einer mehrteiligen Serie von Verbrechen im historischen Hamburg. Wir befinden uns im Jahr 1847 – 5 Jahre nach dem großen Brand von 1842, bei ...

Das Buch:
Es handelt sich bei diesem Buch um den ersten Teil einer mehrteiligen Serie von Verbrechen im historischen Hamburg. Wir befinden uns im Jahr 1847 – 5 Jahre nach dem großen Brand von 1842, bei dem große Teile der Innenstadt dem Feuer zum Opfer fielen.
Das Cover zeigt ein historisches Bild der Stadt Hamburg und hebt sich damit von heute üblichen Covers erfreulich ab. Auch der Klappentext trifft genau mein Interesse an Hamburgs Geschichte. Im Anhang befindet sich ein recht ausführlicher Epilog, in dem der Autor dem Leser Einblick in die belegbaren Fakten der Geschichte gewährt.

Worum geht’s?
Commissarius Hendrik Bischop wird eines Nachts zu einem Fleet gerufen, aus dem ein Toter geborgen wird, in dessen Taschen sich zwei Ziegelsteine gefunden werden und im Futter seines Mantels befinden sich Reste eines amtlich aussehenden Papiers. Niemand weiß, wer der Tote ist und was es mit den gefundenen Indizien auf sich hat. Eine Jagd nach der Identität des Toten und den Todesumständen durch die Hamburger Politik beginnt.

Charaktere:
Zitat S. 149: „Das personelle Geflecht hatte undurchschaubare Züge angenommen“. Genau dieser Gedanke, den Hendrik Bischop etwa zur Hälfte der Geschichte hat, dominiert auch meine Meinung zu diesem Buch. Der Leser wird mit so vielen Namen – zumeist historisch belegt – konfrontiert, dass es schwer fällt den Überblick zu behalten. Überdies sticht keiner der Charaktere tatsächlich heraus oder wird sonderlich tief gezeichnet. Das finde ich schade, denn gerade der Commissarius, welcher eine fiktive Person darstellt, hätte es meiner Ansicht nach verdient, dass man als Leser so etwas wie eine Verbindung zu ihm aufbaut. Hendrik Bischop hat es nämlich zwischen den ganzen Bauherren und Politikern wahrlich nicht leicht. Zudem fühlt er sich zur Tochter seines besten Freundes hingezogen. Aber auch diese Verbindung bleibt eher blass und unspektakulär.

Deshalb fällt es mir in diesem Fall sehr schwer, besonders viel über die eine oder andere Figur zu sagen. Ich kann noch nicht einmal feststellen, ob ich jemanden besonders mochte oder auch nicht, da mir tatsächlich kein Charakter tatsächlich nahe ging.

Historischer Hintergrund:
Der historische Hintergrund der Geschichte ist belegt und im Internet nachzuvollziehen. Mich hat die Geschichte mehr als nur einmal animiert nachzuschauen, was es mit den erwähnten Bauten und Zusammenhängen auf sich hat. Dies mag auch daran liegen, dass mir die Hamburgische Geschichte ohnehin sehr gefällt. Durch die Menge an Informationen, die der Autor dem Leser anbietet, ist es jedoch auch hier schwierig den Überblick zu behalten.

Gefallen hat mir jedoch, dass sich der Autor zunutze gemacht hat, dass die Brandursache nie wirklich aufgeklärt werden konnte. Dies hat zur Folge, dass sich der Leser Gedanken darüber macht, ob es sich möglicherweise – aufgrund der gelieferten Fakten – um Brandstiftung gehandelt haben könnte. Gesagt wird es so deutlich natürlich nie, aber zwischen den Zeilen findet man das ein oder andere Indiz.

Ebenfalls spannend finde ich den Umstand, dass viele der erwähnten Namen heute auf Straßenschildern in Hamburg zu finden sind, was eine weitere Suche im Internet interessant macht, sofern man sich für die Geschichte der Stadt interessiert.

Schreibstil:
Aufgrund der oben genannten Fakten liest sich der Roman ein bisschen wie ein Sachbuch, was mich als Leser in Erwartung eines Romans enttäuscht. Auch der Schreibstil des Autors erscheint etwas trocken und eben sehr sachlich, sodass kaum einmal etwas Stimmung aufkommt. Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass die Stadt Hamburg 5 Jahre nach dem Brand eher grau in grau gewesen sein muss. Dies allerdings kann ich mir kaum vorstellen, denn auch nach dieser großen Katastrophe gab es Freizeitangebote, die der Autor auch selbst erwähnt.

Auffällig ist, dass der eigentliche Kriminalfall um den Toten aus dem Fleet eher im Hintergrund stattfindet – auch das stellt Hendrik Bischop irgendwann fest. Die Politik und die Wirtschaft dieser Zeit, die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Deputationen und die Familien- und Standesklüngeleien hingegen stehen weit im Vordergrund.

Fazit:
Die politische und wirtschaftliche Geschichte Hamburgs aus der Zeit nach dem großen Brand dominiert diese Geschichte meiner Ansicht nach zu sehr. Die Aspekte, die einen Roman, einen Krimi ausmachen kommen dahingehend zu kurz und der Leser kann sich nicht wirklich mit den Charakteren anfreunden. Wer Sachbücher mag, könnte diesen Roman als gute Lektüre empfinden, wer einen klassischen Krimi erwartet, dürfte enttäuscht werden. 2 von 5 Sternen.

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