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Veröffentlicht am 10.02.2021

Anregende Unterhaltung und Erkenntnisgewinn

Das Tristmon-Projekt
1

Vor meiner nächsten Bahnfahrt durch die verschneite Landschaft musste ich mich für ein Begleitbuch entscheiden. Gerlind schob mir zwei interessant aussehende Bände zu. Nach einem Blick auf die Verlagsangaben ...

Vor meiner nächsten Bahnfahrt durch die verschneite Landschaft musste ich mich für ein Begleitbuch entscheiden. Gerlind schob mir zwei interessant aussehende Bände zu. Nach einem Blick auf die Verlagsangaben griff ich nach dem „Tristmon-Projekt“ von Viktoria und Sebastian Hug. „Books on Demand – BoD“ – nach dem Glücksgriff mit dem „Minuteman-Algorithmus“ gab es für mich keine weiteren Zweifel. Und, ich sage das vorab, ich wurde nicht enttäuscht. Der Verlag der Selbstverleger scheint eine Fundgrube für Literaturentdeckungen zu sein!

Die von der ersten Zeile an spannende Geschichte enthält alle Zutaten, die sowohl anregende Unterhaltung als auch Erkenntnisgewinn versprechen. Wie jede gute Literatur zitiert sie in der Figurenzeichnung und Erzählführung große Vorbilder und integriert mit leichter Hand universell bewährte Versatzstücke aus dem Fundus von History, Fantasy und Mystery.

Nummer 349 z.B.: Yan Pavel, der zu Zwangsarbeit verurteilte Grubenarbeiter, ließ mich sofort an Nummer D-503 aus Samjatins „Wir“ denken. Und da schweifte der Gedankengang weiter zum erst vor kurzem gelesenen „Minuteman-Algorithmus“ ab. Der Arzt, der auf Verlangen des Grubendirektors, Nummer 349 aufgrund der scheinbar unheilbaren Verletzungen nach der Gasexplosion im Schacht, abschreibt, ist scheinbar menschlicher als der sadistische Ariosoph Dr. Lomer (der D-503 direkt zitiert), die Situation, die das Autorenduo mit großer stilistischer Kunstfertigkeit beschreibt, nicht weniger beklemmend.

Dem Grubenunglück, in dessen Folge Nummer 349 schwerste Verletzungen davonträgt, hat er andererseits seine Freiheit zu verdanken. Und die führt ihn auf eine versteckte Forschungsstation im Gebirge (!), in der der geniale Wissenschaftler (!) Richmut-Tristmon im Regierungsauftrag an einem Geheimprojekt arbeitet. Soviel sei verraten: Es geht nicht nur um Krieg und Frieden, sondern auch um Dämonen, die Liebe und jede Menge philosophischer Reflexionen zu universellen Fragen der Menschheitsgeschichte.

Alles so kunstfertig fein ziseliert beschrieben, dass beim Lesen ein Sog entsteht, der das ganze Sein des Lesers förmlich in die Geschichte hineinzieht. Nach dem Lesen brauchte ich ein paar Momente, um mich in meiner eigenen Wirklichkeit wiederzufinden. Und trotz der mentalen Realisierung der an mir vorbeirauschenden weißen Landschaft, blieb ich noch bis zum Zielbahnhof in der phantastischen Welt von Nummer 349 stecken.

Wie könnte man das Genre beschreiben? Am ehesten als eine gelungene Kompilation bester Elemente aus History, Fantasy und Mystery. Stilistisch und intellektuell auf hohem Niveau, so dass Spannung und Erkenntnisgewinn von der ersten bis zur letzten Seite garantiert sind. Immer wieder erstaunt die überraschende Handlungsführung.

Und gibt es kritikwürdiges zu vermelden? Kleinigkeiten, die dem insgesamt positiven Eindruck nicht das Geringste anhaben können. Eigentlich fällt mir nur die etwas seltsam anmutende Schreibweise der Namen ein. Wer schreibt schon Yan Pavel mit „Y“? (Karol Wojtyla z.B. war Jan Pawel) Andererseits passen zur Fantasy-Welt auch solcherart gestaltete Fantasienamen.

Ach ja, da gab es noch etwas: Nicht „Ihrer Majestät des Kaisers“ muss es heißen, sondern „Seiner …“

Am Ziel habe ich einen Moment gezögert. Sollte ich das Buch wirklich liegenlassen? Oder nicht besser nochmals lesen, da es so gut war? Nein, ich habe es auf bewährte Weise platziert, damit diese wunderbare Erzählung weitere Leser findet.

P.S. Danke auch an Rosecarie, die hier in der Lesejury als erste auf meine Anmerkungen aufmerksam geworden ist. Und die als Motto Nietzsche zitiert: Ein Buch, das man liebt, darf man nicht leihen, sondern muss es besitzen.

Ich weiß nicht recht. Muss man wirklich alles besitzen? Ein gelesenes Buch hinterlässt ja seinen Inhalt im Gedächtnis, im Gefühl. Und wenn es gut war, dann soll, ja dann muss man es weitertragen. Deshalb lasse ich meine Bücher zirkulieren, damit sie ihren weiteren Weg vom Schicksal geleitet finden.

P.S. 2: Nietzsche gehört auch zu Dr. Lomers Lektüre.

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Veröffentlicht am 08.02.2021

Ein Algorithmus, der süchtig macht

Der Minuteman-Algorithmus
2

Da habe ich aber einen Schreck bekommen: Meine Rezension gelöscht? Nein, hier geht es um die Neuauflage des „Minuteman-Algorithmus“, meine Anmerkungen stehen unter der ersten. Natürlich ist es erfreulich, ...

Da habe ich aber einen Schreck bekommen: Meine Rezension gelöscht? Nein, hier geht es um die Neuauflage des „Minuteman-Algorithmus“, meine Anmerkungen stehen unter der ersten. Natürlich ist es erfreulich, dass die Autorin dieses lesenswerten Büchleins erfolgreich ist, nur finde ich es seltsam, dass die Meinungen dazu nicht unter dem Titel gebündelt veröffentlicht werden.
Da ich meine Bücher nicht behalte, sondern zirkulieren lasse, weiß ich im Nachhinein gar nicht, welche Auflage ich gelesen habe. Deshalb scheint es mir gerechtfertigt, ein paar Gedanken zur Nachlese unterzubringen. Wer Interesse hat, meinen mehr spontanen, allgemeinen Eindruck zu diesem Buch nachzulesen, der möge unter der ersten Auflage schauen.

Die Autorin Derya Yalimcan erweist sich als wache, kundige Beobachterin unserer in gewissen Maße endzeitlichen gesellschaftlichen Entwicklung, die sie in die nächste und nahe Zukunft extrapoliert, die Düsteres verheißt. Auffällig ist, dass alles irgendwie mit der Zahl 5 verbunden ist. Es sind fünf Kinder aus dem Waisenhaus, die von nicht konkret genannten Mächten auserkoren werden, um die fünf Phasen einer menschenfeindlichen Agenda umzusetzen: Desinformation, Denationalisierung, Desozialisation, Dehumanisierung, Depopulation. Einer Agenda, die im Ergebnis zu einem „Great Reset“ des Homo sapiens führt. Als Wegweiser auf dem jahrzehntelangen Wege zur Umsetzung dieses Programms dient das sogenannte Pentium Hermeticum, eine okkulte Handlungsanleitung aus Theurgie, Heiliger Geometrie, Mythologie, Astrologie und Alchemie, die sich die Protagonisten hart erarbeiten müssen.

Beo und Elise Rosso, Vivi, Vinka und Eugenie, die körperlich, geistig oder aufgrund der Hautfarbe minderbemittelten bzw. ausgegrenzten Außenseiter aus dem Fürsorgeheim, die „Mutanten“, wie sie von den anderen Kindern genannt werden, verpfänden ihre Seelen übersinnlichen Mächten und erleben in der Folge einen atemberaubenden Aufstieg. Nicht nur die körperlichen Handicaps schwinden, sie entwickeln überdurchschnittliche Intelligenz und steigen auf in die Schaltstellen der globalen, und in der Folge, extraterrestrischen Umprogrammierung, bis sie, als Kulmination der Neuausrichtung der Menschheit, zu Prototypen einer modifizierten und optimierten Menschenrasse werden.

Doch so hoch sie auch steigen, sie sind nicht die eigentlichen Bestimmer, eher machen sie den Eindruck von Getriebenen. Über ihnen existiert noch etwas. Was es genau ist, wer es genau ist, verrät die Autorin nicht. Es werden allerlei geheimnisvolle Begriffe in die Runde geworfen. Mal ist es der Egregor, mal das Zikkurat. Dann wirkt im Hintergrund der scheinbar omnipräsente Algorithmer. Oder ist es eine von aller humanen Basis losgelöste, selbsttätig agierende Form der Künstlichen Intelligenz? Und ist diese wesensgleich mit dem, was als übersinnlich bezeichnet wird?

Doch es gibt einen kleinen Prozentsatz der Menschheitsbevölkerung, der sich der aus Verführung und Hypnose resultierenden Neigung zur seelischen Versklavung widersetzt, die Digiparia. Digiparia sind Menschen, die ihr Leben bewusst außerhalb der technologischen Entwicklung leben und damit für die Umprogrammierer unangreifbar werden. Es sind nur wenige, und deshalb werden sie von den dunklen Mächten in Ruhe gelassen, sie sind wohl einfach zu unwichtig. Dennoch werden sie es sein, die das Erbe der Menschheit bewahren. Sie gibt es in allen Kulturen, allen Religionen, auf allen Kontinenten. Die Autorin schildert sie episodisch mit viel Wärme und zeichnet dabei einen Gegenentwurf, der die unterschiedlichen Ansätze auf der Ebene des Humanismus vereint.

Wie nun in dieser Reise durch einen durchaus möglichen Verlauf der Geschichte die verschiedenen Charaktere (es sind ihrer sehr viele und man muss wach bleiben, um den Überblick zu behalten) mit den Widrigkeiten, Gegebenheiten und Ereignissen umgehen, liest sich hochinteressant und spannend. Shannon, Morrison, Swetlana, der Prophet Elias, der geheimnisvolle, an Jesus erinnernde Fremde, Bojana durchschreiten die mühevollen Wege der Erkenntnis, und jemand, dessen Name nicht genannt wird, hat all das aufgeschrieben, obwohl er sich nicht bewusst ist, ob das Geschehen wahr ist oder nur geträumt.
In einem aufgeweichten Manuskript öffnet sich der Buchhändlerin und gescheiterten Religionswissenschaftlerin Kimberly Morrigain dieses unglaubliche Geschehen, das sie uns Lesern dann in der vorliegenden Form übergibt. Sind also Derya und Kimberly ein- und dieselbe Person?

Das Buch kann ich wärmstens empfehlen. Ich habe es während einer Bahnfahrt durchgelesen. Es lässt mich aber bis jetzt nicht los. Irgendwie geistert der Algorithmus noch immer in meinem Kopf.

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Veröffentlicht am 05.02.2021

Sehr gut und spannend bis zur letzten Seite

Der Minuteman-Algorithmus
1

Das Buch ging zuerst durch drei Hände und die Empfehlungen meiner Freunde haben mich neugierig gemacht. Ich habe es dann während einer Bahnfahrt quer durchs Land in einem Zug durchgelesen. Es ist spannend ...

Das Buch ging zuerst durch drei Hände und die Empfehlungen meiner Freunde haben mich neugierig gemacht. Ich habe es dann während einer Bahnfahrt quer durchs Land in einem Zug durchgelesen. Es ist spannend geschrieben und ich war die ganze Zeit gut unterhalten.

Der Hintergrund der rätselhaften Story ist wahrscheinlich nicht fiktiv, man findet Parallelen in der Wirklichkeit und muss deshalb keinen Aluhut tragen. Mit "Teen Spirit" werden Seelen gefangen, und konsequenterweise missbrauchen ungenannte Hintergrundmächte elternlose Kinder aus dem Heim, stehlen ihre Persönlichkeiten und lassen sie als Werkzeuge einer bis in den "Outer Space" getragenen Dehumanisierung agieren.

Es ist eine ziemlich komplexe Geschichte mit vielen handelnden Personen, flüssig geschrieben und man behält, trotz der Sprünge zwischen den Ebenen, den Überblick. Man muss allerdings ziemlich wach bleiben, um den Faden nicht zu verlieren, viele Charaktere tauchen auf, einige nur einmal, andere immer wieder. Real sind sie eigentlich alle nicht, kein Wunder, denn die Autorin lässt den Leser bewusst im Unklaren, Unfassbaren, Ungewissen. Alles nur geträumt? Und wenn ja, von wem? Und wer ist der, der den Schlafenden die Träume injiziert, um mögliche Zukunftsszenarien durchzuspielen? Wer derjenige, der das Manuskript verfasst hat? Und wer hat eigentlich all das niedergeschrieben? Ist Kimberly Morrigain ein Alter Ego von Derya Yalimcan?

Gibt es ein Happy End? Eine Erlösung? Nein. Und seltsamerweise stört mich das nicht. Etwas anderes habe ich nicht erwartet.

Es hat mir viel Freude gemacht dieses Buch zu lesen. Und ich würde gern mehr von der Autorin lesen. Aber es scheint ihr Erstlingswerk zu sein, weitere konnte ich nicht entdecken. Ich habe das Buch dann im Bahnhof liegengelassen. Vielleicht freut sich noch jemand daran.

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Veröffentlicht am 02.02.2021

Trivialliteratur auf hohem Niveau – gute Unterhaltung!

DIE BÜCHSE DER PANDORA (Die Ritter des Vatikan 4)
2

Die „Büchse der Pandora“ von Rick Jones ist zwar bereits der vierte Band seiner Reihe „Die Ritter des Vatikans“, aber der erste, der mir in die Hände fiel. (Danke an Lilly, die das Buch dankenswerterweise ...

Die „Büchse der Pandora“ von Rick Jones ist zwar bereits der vierte Band seiner Reihe „Die Ritter des Vatikans“, aber der erste, der mir in die Hände fiel. (Danke an Lilly, die das Buch dankenswerterweise liegenließ.) Da es um Künstliche Intelligenz und selbst lernende Nanobots geht, konnte ich allerdings nicht an mich halten und habe mich kompromisslos in die Lektüre gestürzt. Vierhundert Seiten sind der ideale Stoff für eine der langen Bahnfahrten, auf denen ich die meiste Zeit verbringe.

Unglaublich gut, wie der Autor alle Mythologeme und Verschwörungsmythen meisterhaft miteinander vermengt und den Mythos der Kreuzzüge im Heute wiederauferstehen lässt. Wie der Titel bereits andeutet, spielt die undurchsichtige Macht des katholischen Oberklerus eine entscheidende Rolle. Die Kirchendiener sind die Guten (klar, es geht um den Kreuzzugsgedanken), steht doch vor den Rittern die Aufgabe, die ewige Stadt vor der vollständigen Nivellierung durch die fiesen Robots und ihren finsteren Hintermännern zu bewahren.

Auch die weiteren Klischees stimmen: Die Killerbots werden nicht irgendwo, sondern im Iran entwickelt, im zerklüfteten Gebirgsmassiv, das bereits seit Jahrhunderten zuverlässig die Oberschurken bereitstellt. Wem fiele da nicht Alamut und der Alte vom Berge ein! Und seine Jagd auf die Ritter des Kreuzes. Für mich ist die hier im Handlungsverlauf verpackte dualistische Schlichtheit, das klare Verhältnis von Gut und Böse ein dem Spannungsgeschehen durchaus förderlicher stilistischer Kunstgriff. Für mich Trivialliteratur auf hohem Niveau, gute, spannende Unterhaltung, bei der man als Leser nicht in Zweifel gerät, auf welche Seite man sich stellen soll.

Ich war sogar vor dem Erreichen des Zielbahnhofs durch, durchgehend spannend geschilderte Lektüre. Kimball Hayden hat zuverlässig das Abendland und die Menschheit gerettet. Hoffentlich legt Lilly die Vorgängerbände auch aus. Ich habe mein Buch wieder gut sichtbar am Reiseziel deponiert. Für den nächsten Leser auf Zugfahrt.

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Veröffentlicht am 01.02.2021

Endzeitroman unserer Zeit

BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
3

Stromausfall – das Ende? Wer die seltsame Energiepolitik in Deutschland verfolgt und registriert, wie oft die gesamte Volkswirtschaft knapp am Totalausfall vorbeigeschrammt ist, der kann sich eventuell ...

Stromausfall – das Ende? Wer die seltsame Energiepolitik in Deutschland verfolgt und registriert, wie oft die gesamte Volkswirtschaft knapp am Totalausfall vorbeigeschrammt ist, der kann sich eventuell für die literarische Aufarbeitung interessieren. Marc Elsberg legt mit „Blackout“ einen interessanten Versuch vor, der insgesamt keine schlechte Story präsentiert, auch wenn es mit der Figurenzeichnung teilweise etwas hapert und der Erzählfluss an manchen Stellen ziemlich zäh wird, besonders, wenn der Leser mit einer Fülle technischer Details bombardiert wird, die nicht wirklich wichtig für den Erzählverlauf sind. Da das Thema also brandaktuell ist, war es eine gute Idee, es in Literatur zu transformieren.
Trotzdem, und das ist irgendwie komisch, habe ich das Buch innerhalb von zwei Eisenbahnfahrten verschlungen. Die Landschaft rauschte am Fenster vorbei und ich las vom Blackout und erwartete, dass der ICE abrupt zum Halten käme. Aber nichts passierte, Glück gehabt.
Fazit: Lesenswerte Dystopie für den der nichts anderes zu tun hat. 800 Seiten reichen für längere Bahnfahrten. Am Zielbahnhof habe ich es in einer Mauernische für den nächsten Leser deponiert.

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