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Veröffentlicht am 03.04.2018

Urlaubskabarett der farbechten Klischees

In der ersten Reihe sieht man Meer
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Alexander Klein hat einen echten Trip vor sich: Er verreist mit Frau und Kindern sowie seinen Eltern mit dem Auto nach Italien, wie früher in der 80ern, als die Blechkolonnen anfingen, die Passstraßen ...

Alexander Klein hat einen echten Trip vor sich: Er verreist mit Frau und Kindern sowie seinen Eltern mit dem Auto nach Italien, wie früher in der 80ern, als die Blechkolonnen anfingen, die Passstraßen Richtung Adria zu verstopfen. Doch es kommt anders, als er denkt: Beseelt vom italienischen Rotwein träumt er sich zurück in die 80er Jahre, in einen dieser berüchtigten Urlaube. Er ist wieder 14 Jahre alt, pummelig und pickelig – aber er hat die Erinnerung an die seitdem vergangenen dreißig Jahre noch. Das ist ein gelungener Kunstgriff, um aus der Diskrepanz der Lebenswelt der 1980er, in denen es noch keine UV-Licht-Panik gab, keine Political Correctness oder Latte Macchiato an jeder Bude in Wuppertal, humoristisches Kapital zu schlagen.
Was auch immer die Familie Klein im „traumhaften“ Italienurlaub erlebt – es ist witzig gebrochen durch die Kommentare und erschrockenen Bewertungen des träumenden Alex. Kapitelweise tanzen die Klischees des deutschen Massentourismus durch die Szenerie. Sie wirken frischer als ihr Ruf. Überhaupt gelingt den Autoren ein lustiges, frisches, buntes Buch mit Herz und Witz, obwohl die Klischees abgegriffen und häufig benutzt sind. Die Familie Klein benimmt sich wie der leibhaftige Furor Teutonicus im Bermudahemd, erlebt Familien- und Strandabenteuer und freundet sich schließlich – Alex' weltmännische Erfahrung als Werbefachmann sei Dank – mit der Familie Berlusconi an, deren Kiosk auf den Geschmack der deutschen Touristen abgestimmt wird. Die immer wieder glutvoll durchs Bild gleitende Tante Maria ist ein weiterer gelungener Regieeinfall des Autorenduos.
Der Roman ist ein leichtes Spiel mit Vorurteilen und Klischees, die mit wenigen Ausnahmen nicht wie wiedererweckte Mumien wirken, sondern den Leser immer wieder mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontieren. Wer auch noch eigene Erinnerungen an vergleichbare Italienfahrten hat, dürfte umso mehr auf seine Kosten kommen. Insgesamt 3,5 Sterne, die sich auf vier aufplustern, weil gerade Urlaubszeit ist.

Veröffentlicht am 03.04.2018

Was gehen euch meine Lumpen an?

Wer ist B. Traven?
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Wie ist es, mit Humphrey Bogart am Set von „Der Schatz der Sierra Madre“ Drambuie zu schlürfen und Hollywood-Gerüchte auszutauschen? Wie unheimlich ist es, einem belesenen Zwergen von ungarischem Adel ...

Wie ist es, mit Humphrey Bogart am Set von „Der Schatz der Sierra Madre“ Drambuie zu schlürfen und Hollywood-Gerüchte auszutauschen? Wie unheimlich ist es, einem belesenen Zwergen von ungarischem Adel durch das kriegszerstörte Wien zu folgen, um eine geheime Bibliothek aufzustöbern? Schon einmal von einem mexikanischen Luchador vermöbelt worden oder in einer finsteren Maya-Höhle verschwunden, wo die letzte Stunde schlägt?
Diese Abenteuer lassen sich in Torsten Seifferts Roman „Wer ist B. Traven?“ erleben, in dem sich der Journalist Leon Borenstein auf die Suche nach dem mysteriösen Schriftsteller B. Traven macht, dessen Leben so abenteuerlich gewesen zu sein scheint wie seine Bücher und dessen Pseudonym bis heute ein Mysterium ist, das nicht letztgültig aufgeklärt wurde. „Was gehen euch meine Lumpen an“, singt das „Tanzlied des Totenschiffs“. Man muss B. Travens Texte gar nicht kennen, um sich in dessen „Totenschiff“, den „Schatz der Sierra Madre“ oder die „Brücke im Dschungel“ zu vernarren. Anschließend will man sie lesen.
Seifert ist ein starkes Buch gelungen, das nicht der Marotte verfällt, unbedingt alle Informationen zu liefern, die sich aus der Autorenrecherche ergeben haben, sondern locker und leicht Hintergründe und Schauplätze verbindet und mit einem romantischen Schleier versieht.

Veröffentlicht am 03.04.2018

Afghanistan (Horror) Picture Show

Afghanistan Picture Show oder Wie ich die Welt rettete
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Vollmann beschreibt „eine Geschichte von einem, der auszog, die Welt zu retten, und den Notleidenden zur Last fiel“: wie er als 23-Jähriger in das von den Russen besetzte Afghanistan reiste um in Erfahrung ...

Vollmann beschreibt „eine Geschichte von einem, der auszog, die Welt zu retten, und den Notleidenden zur Last fiel“: wie er als 23-Jähriger in das von den Russen besetzte Afghanistan reiste um in Erfahrung zu bringen, was die Muschaheddin benötigen, um sich in ihrem Elend selbst zu helfen. Die Antwort: Waffen. Die kann der „Junge Mann“ ihnen nicht geben, wie er überhaupt nicht helfen kann. Um die Flüchtlingslager macht er lange einen großen Bogen, in den Interviews kratzt er an der Oberfläche, fast die ganze Zeit bleibt er in Pakistan, weil ihm die beschwerliche Einreise nach Afghanistan nicht gelingt. Als sie ihm gelingt, ist sein Ausflug ein peinliches Fiasko.
Vollmann ist ein Profi im Erzählen. Er nutzt die schonungslose Naivität des „Jungen Mannes“, also seiner selbst, um dem Leser stets einen noch dümmeren Spiegel vorzuhalten. Seine Fehltritte, Unhöflichkeiten, Unwissenheiten, hoffnungslos verkopften Vorstellungen von der Welt sind auch Mittel zum Zweck des Erzählens: Der Leser lernt dabei viel über die Mentalität der Afghanen und Pakistani, über die überkommenen Stammesstrukturen, den mittelalterlichen Islam und die archaischen Traditionen, die es dem Westen so schwer machen, in Afghanistan verlässliche Verbündete zu finden. Vollmanns Chronik des Scheiterns als jugendlicher Weltverbesserer ist ein Buch zum Weiterdenken, zum Nachgrübeln und zum Fragenstellen. Bedenkend, dass Vollmann zu einer Zeit in Afghanistan war, zu der die CIA gerade erst anfing Mudschaheddin zu Kämpfern gegen den Kommunismus auszubilden, etwa Osama bin Laden, hätte man sich gewünscht, dass viele Außenpolitiker dieses Buch aufmerksam gelesen hätten, ehe sie sich am Hindukusch militärisch einmischten. Oft war in bei der Lektüre auch an den Film „Charlie Wilson’s War“ erinnert, der einen erfolgreicheren naiven Helfer der Mudschaheddin ebenfalls am End escheitern lässt.
Schwierig zu lesen ist Vollmanns literarische Reportage, weil er seine Erfahrungen vor, in und nach seiner Reise verschränkt mit anderen persönlichen Erfahrungen („Alaska“), und hier ist der Fokus auf ihn als Person bisweilen bemüht.
Wer wissen will, warum Europas Freiheitskampf am Hindukusch nur mit den Mitteln der Zivilisation erfolgreich sein kann, er lese unbedingt Vollmanns „Afghanistan Picture Show“.

Veröffentlicht am 03.04.2018

Kriminelle im Surferparadies

Kings of Cool
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Old guys rule – das steht nicht nur auf dem T-Shirt eines alten Knackers, der Chon, Ben und O die Tour vermasseln will, sondern es steht auch für ein System, das die Drei zum kotzen finden. Sie wollen ...

Old guys rule – das steht nicht nur auf dem T-Shirt eines alten Knackers, der Chon, Ben und O die Tour vermasseln will, sondern es steht auch für ein System, das die Drei zum kotzen finden. Sie wollen nur astreines Dope anbauen und sich nicht mit den gemeingefährlichen Rauschgiftfuzzis einlassen, nicht mit den korrupten Cops, den Dealern, den Schmugglern und den großen Ganoven. Aber diese alten Kerle gönnen den drei gutaussehenden, sonnengebräunten kalifornischen Selbständigen im Marihuanageschäft den Profit nicht, obwohl er ein Witz ist im Vergleich zum großen Geschäft mit den harten Sachen. Ben, Chon und O sind aber nicht nur Gärtner THC-haltiger Grünpflanzen, sondern sie sind auch noch modern, knallhart und – cool. Und deshalb setzen sie sich zur Wehr, um sich nicht aus dem Geschäft drängen zu lassen. Was sie nicht wissen: Die alten Kerle sind nicht nur irgendwelche Kriminellen, sie sind mit ihrer eigenen Familiengeschichte, mit der Geschichte ihrer Eltern verbunden.

Don Winslows „Kings of Cool“ ist rasant, wendungsreich, witzig und cool. Die Sprache ist ein cineastischer Genuss, der Plot nicht an allen Stellen vorhersehbar, ohne dass uns die Geschichte auf nervtötende Weise notwendige Details vorenthält (was eine wohltuende Abwechslung zum zeitgenössischen Krimikram ist) und die drei Start-up-Botaniker lassen uns den krassen Kontrast von Surferparadies und Gewalt erleben. Dass Winslows Roman in seinem kalifornischen Kriminalkosmos spielt und alle Figuren auch in anderen Romanen die Handlung bestreiten, ist ein weiteres Plus. „Kings of Cool“ macht Spaß!

Veröffentlicht am 13.02.2018

Eine sehr deutsche Familiengeschichte

Ein mögliches Leben
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Franz ist steinalt. Er hat die Landung der Alliierten in der Normandie 1944 als Soldat der Wehrmacht erlebt und geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft. In Texas und Utah verbrachte er den Rest des ...

Franz ist steinalt. Er hat die Landung der Alliierten in der Normandie 1944 als Soldat der Wehrmacht erlebt und geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft. In Texas und Utah verbrachte er den Rest des Krieges im Kriegsgefangenenlager. Fast siebzig Jahre später kehrt er mit seinem Enkel Martin, der auch schon fast vierzig Jahre alt ist, hierher zurück, um … um was eigentlich? Die alten Wächter zu treffen? Die Camps noch einmal zu sehen?

Als ich diesen Roman zu lesen entschied, wollte ich mehr über die deutschen POW (Prisoners of War) in den USA erfahren, da mein eigener Großvater dort gewesen ist, in einem Lager in Ohio. Ich besitze noch einige alte Dokumente und war neugierig, was Hannes Köhler in seinem Roman „Ein mögliches Leben“ mir mitzuteilen hat. Es hat letztlich wenig mit dem Kriegsgeschehen zu tun und auch nicht viel mit dem Lagerleben. Was man hierüber erfährt, klingt so sehr nach Recherche und blutarm wie ein Einser-Schulaufsatz in Geschichte. Aber Köhler geht es nicht um die historische Darstellung des Lageralltags (auch wenn er hier brav die Details referiert), wie es auch Großvater Franz nicht um den Besuch eines bestimmten Ortes geht.

Im Kern geht es darum, wie die Generation der jungen Deutschen, die im Nationalsozialismus geboren, von diesem indoktriniert und in den Krieg gehetzt wurde, mit dem Kriegsende, der Niederlage und dem Verlust der eigenen Identität als vollständig vom Klang des Deutschlandliedes („Deutschland, Deutschland über alles“) geprägte Nazis umgeht. Köhler zeigt zunächst im groben Holzschnitt, später weitaus gekonnter die vielschichtigen Mentalitäten, die in den Kriegsgefangenenlagern zusammenkamen: Hundertfünfzigprozentige, Judenhasser, Mitläufer, verkappte Rote, verhinderte Widerstandskämpfer, Duckmäuser, Wendehälse und Besserwisser. Zwischen den deutschen Soldaten treten massive Spannungen auf, die sich am aberwitzigen Glauben an den Endsieg und die Wunderwaffe entzünden. Mittendrin befindet sich der blutjunge Franz, der in seiner Lagerzeit reift und seine Gesinnung schärft, indem er seinen Freund und geistigen Mentor Paul Linde kennen lernt. Dieser ist „Volksdeutscher“, aber in den USA geboren, hat den ganzen Krieg ab 1939 mitgemacht und kennt auch die Gräuel, die die Deutschen an der Ostfront verübt haben. In Pauls Freundschaft wächst Franz‘ Persönlichkeit und seine Liebe zum demokratischen Amerika. Pauls Schicksal im Widerstreit mit den Nazis unter den „alten Kameraden“ wird zum Wendepunkt in Franz‘ Leben und ist der eigentliche Grund für die Reise des Greises mit dem Enkel.

In ihr löst Köhler auch die Spannungen aus Franz‘ Familiengeschichte vom Nazivater bis zur Urenkelin auf: fünf Generationen, die alle von Deutschlands dunkelsten Jahren geprägt sind. Köhler gelingt es, in diesem Teil des Romans in seinen Figuren exemplarisch die Mentalitäten der Generationen im Angesicht der individuellen Schuld und Verantwortung herauszuarbeiten. Franz‘ schicksalhafte amerikanischen Jahre sind der Schlüssel zur Auflösung der enormen Komplexe, die sich seit dem Krieg innerhalb der Familie aufgeworfen haben, und sie finden sich im Titel wieder: „Ein mögliches Leben“ meint nicht nur die konkreten Verzweigungen, die Franz 1945 genommen hat, als er sich für dieses und kein mögliches anderes Leben entschieden hat, sondern es meint auch die Möglichkeit, dass dieses Leben des Deutschen Franz Schneider möglich und denkbar für eine ganze Generation ist.

„Ein mögliches Leben“ gewährt beim Lesen keinen leichten Einstieg und nimmt erst später Fahrt auf. Die subtile Familiengeschichte aber ist unbedingt lesenswert.