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Veröffentlicht am 22.02.2017

Perfekte Unterhaltung

Das Haus in der Nebelgasse
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Matilda Gray ist Lehrerin in einer Londoner Mädchenschule. Im Jahr 1900 ist das unabhängige Leben für berufstätige Frauen noch nicht alltäglich. Sie liebt ihren Beruf und möchte die Mädchen zu selbst-bewussten ...

Matilda Gray ist Lehrerin in einer Londoner Mädchenschule. Im Jahr 1900 ist das unabhängige Leben für berufstätige Frauen noch nicht alltäglich. Sie liebt ihren Beruf und möchte die Mädchen zu selbst-bewussten Frauen heranziehen. Dann wird eine Schülerin, die ihr sehr am Herzen liegt, vom Vormund unter fadenscheinigen Gründen aus der Schule genommen und ins Ausland gebracht. Als sie eine Postkarte der Schülerin aus Italien erhält, erkennt sie darin eine verschlüsselte Botschaft, die sie mit Hilfe des Historikers Professor Fleming enträtseln möchte. Die Spuren führen zu einem alten Haus und zu Geschehnissen, die jahrhundertelang verborgen waren.
Was für ein Abenteuer, die Spurensuche hat mich sofort in Bann gezogen. Ich folgte der Autorin in eine vergangene Welt, in alte Straßen und Keller und tief in die Londoner Geschichte. Die Atmosphäre ist meisterhaft gelungen, ich spürte den Londoner Nebel und das alte Kopfsteinpflaster unter den Schuhen und bin tief in Zeit des frühen 20. Jahrhunderts eingetaucht. Das ist kenntnisreich und meisterhaft geschrieben.
Ganz besonders hat mir die Darstellung Matildas gefallen, einer jungen Frau, die ein selbstbestimmtes Leben führen möchte, auch wenn das damals gesellschaftlich noch nicht anerkannt war. Mit der Figur der Mrs Westlake, einer Schriftstellerin, die viktorianische Schauergeschichten am laufenden Band schreibt, ist der Autorin noch ein augenzwinkernder Sidekick gelungen, der mir viel Spaß gemacht hat. Mrs Westlake lässt ihre Buchheldin Adela allerhand Abenteuer bestehen und übersieht fast dabei, dass ihre Mieterin in ein viel größeres Drama verstrickt ist und es geradezu in Sherlock Holmes Manier lösen möchte. Die Hilfe Professor Flemings erweist sich dabei als sehr nützlich und darf bald auch ein gewisses Kribbeln bei Matilda auslösen.
Das Buch hat alles was eine tolle Unterhaltung ausmacht, eine Handlung, die spannend wie ein Krimi ist, eine zarte Liebesgeschichte und eine kenntnisreich erzählte Story mit klasse entworfenen, lebensechten Figuren. London um 1900, die Architektur der Stadt, die Atmosphäre, das alles ist mit viel authentischem Hintergrund und geschichtlichen Details erzählt. Ich bin für Stunden eingetaucht und konnte mich kaum losreißen. Wenn ein Roman die Bezeichnung „Page Turner“ verdient, dann sicher „Das Haus in der Nebelgasse“.
Das stimmige Cover des Taschenbuchs ist noch das Tüpfelchen auf dem „I“.

Veröffentlicht am 22.02.2017

Nicht so ganz meins..

Noble Gesellschaft
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Ein Kriminalfall aus Berlins goldenen Zwanziger Jahren. Ein gefeierter Stummfilmstar als Ermittler, das klingt sehr reizvoll. Carl von Bäumer, in der Welt der Reichen und Schönen zuhause, bekämpft seine ...

Ein Kriminalfall aus Berlins goldenen Zwanziger Jahren. Ein gefeierter Stummfilmstar als Ermittler, das klingt sehr reizvoll. Carl von Bäumer, in der Welt der Reichen und Schönen zuhause, bekämpft seine Langeweile mit Koks und detektivischen Ausflügen. Als er bei einer entsetzlich langweiligen Wohltätigkeitsveranstaltung ein Bekannter vom einem verschwunden Dienstmädchen erzählt und der Bekannte am nächsten Tag tot ist, ist seine Neugierde geweckt. An einen Unfall beim Reinigen der Waffe, wie die Polizei nur allzu schnell konstatiert, glaubt er nicht.
Da auch sein Lebensgefährte, der Kommissar Genzer, Carls Einwände nicht allzu ernst nimmt, stachelt ihn nur das nur noch mehr an, auf eigene Faust zu ermitteln.
Die „Goldenen Zwanziger“ in Berlin waren eine turbulente Zeit. Die Gesellschaft tanzt auf einem Vulkan, die Folgen des 1. Weltkriegs sind überall zu spüren. Besonders in der Schicht der Arbeiter, die kaum um die Runden kommen, dagegen gestellt ist die Luxuswelt der feinen Gesellschaft und der nicht ganz so feinen Neureichen. Auch beim Adel hat der Krieg Spuren hinterlassen, nicht jedes Vermögen hat den Krieg überstanden. Es ist die Zeit der sexuellen Freiheit, die Bars sind freizügig, Schwule und Lesben haben ihre Treffs und werden trotz der bestehenden Paragraphen toleriert. Aus den ursprünglich sozial gedachten Ringvereinen sind längst organisierte Banden geworden, die die Prostitution und Kriminalität unter sich aufteilen.
Der Kriminalfall geht in dieser Geschichte fast unter, die Vielzahl von Personen, die untereinander alle bekannt sind, auch alle durch ein Jahre zurückliegendes Verbrechen verbunden sind, hat mich oft zum Personenregister blicken lassen, ohne diese Hilfe hätte ich mich wohl in den vielen Handlungssträngen verloren. Manches fand ich für einen Krimi bedeutungslos und für einen Gesellschaftsroman zu wenig substantiell. Pauls Bruder Willi durchzieht das Buch mit seinen außerehelichen Eskapaden, dem wird viel Raum gegeben ohne dass es zur Geschichte beiträgt. Mir erschien vieles einfach zu oberflächlich und nebensächlich. Als Krimi fehlte mir ein echter Spannungsbogen. Carl von Bäumer stolpert immer zufällig über irgendeinen Hinweis und dass er sofort entsprechende Schlüsse zieht, ohne den Hintergrund zu kennen, erschien mir auch unlogisch.
Wie gut, dass es zum Schluss noch zu einer Aufklärung a la Poirot kam, als Carl seine Ergebnisse zusammenfasste und sie dem staunenden Paul präsentierte.
Ansonsten ist das Buch locker und flüssig geschrieben, die Autorin kann gut mit Sprache umgehen und findet auch den richtigen Ton, ob sie nun in der Arbeiterschicht „berlinern“ oder die Damen und Herren der Gesellschaft zu Wort kommen lässt.

Veröffentlicht am 17.02.2017

Die Wahrheit hinter der Wahrheit

Das Buch der Spiegel
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Erinnerungen sind wie Geschosse. Manche zischen vorbei und erschrecken dich nur. Andere reißen dich in Stücke. R. Kadrey Kill the Dead

Dieses Zitat ist dem Roman vorangestellt. Erinnerungen, die zerreißen, ...

Erinnerungen sind wie Geschosse. Manche zischen vorbei und erschrecken dich nur. Andere reißen dich in Stücke. R. Kadrey Kill the Dead

Dieses Zitat ist dem Roman vorangestellt. Erinnerungen, die zerreißen, das ist der Auslöser für Richard Flynn, ein Buch über Ereignisse zu schreiben, die sich während seiner Collegezeit zugetragen haben und die sein Leben nachhaltig veränderten. Professor Wieder, ein anerkannter Psychologe, bei dem Flynn einen Aushilfsjob hatte, wurde ermordet, er selbst stand auch unter Verdacht. Er schickt einige Probekapitel zusammen mit einem Anschreiben an den Literaturagenten Katz. Als der sich Wochen später bei Flynn meldet, erfährt er von der Lebensgefährtin, dass Richard kürzlich verstorben ist. Von einem Manuskript weiß sie nichts.

Katz bittet den Journalisten Keller, die Story zu recherchieren und das Manuskript zu finden. Er erkennt eine Menge Brisanz, denn der Roman scheint auf einem Mordfall und Skandal zu beruhen.
John Keller taucht tief in die Vergangenheit ein, fördert eine ganze Menge an Spuren und Personen zu Tage, kann jedoch kein ganzes Bild von Richard und den Geschehnissen bekommen. Zu unterschiedlich sich die Sichtweisen der Einzelnen, jeder hat einen ganz eigenen Blick auf die Ereignisse. Frustriert beendet Keller seine Suche und er übergibt eine Kopie seiner Notizen an Roy Freeman, dem pensionierten Cop, der seinerzeit die Ermittlungen führte.

Der Kunstgriff, ein Geschehnis aus der Sicht von verschiedenen Beteiligten zu erzählen und auch die journalistische einer polizeilichen Ermittlung gegenüber zu stellen, macht die Faszination aus. Der Leser bekommt keine lineare Geschichte vorgesetzt, er muss sich selbst immer wieder hinterfragen. Wem glaube ich? Wer lügt? Diese Fragen beschäftigten mich bis zum Schluss und raffiniert und sicher auch im Sinn des Autors war, dass mit jedem neuen Detail meine Meinung ins Wanken geriet. Das der getötete Wieder sich wissenschaftlich mit der Manipulation von Erinnerung beschäftigt hat, gibt der Geschichte noch eine ganz besonderen Kick.

Die Erzählweise ist außergewöhnlich und hebt den Roman auch aus der Masse heraus. Ich war von Anfang an gefesselt und dass ich immer wieder meinen Verdacht hinterfragen musste, fand ich besonders reizvoll. Dass ich mir manchmal einige Details und Nebenhandlungen stringenter gewünscht hätte und das der Schluss das Tempo nicht ganz durchhält, fällt als Kritik kaum ins Gewicht.

Ich habe meine Rezension mit einem Zitat aus dem Buch begonnen und möchte mit einem weiteren enden:
„Alle hatten sich geirrt und durch die Fenster, in die sie zu spähen versuchten, und die sich am Ende alle als Spiegel herausstellten, nur immer sich selbst und ihre eigenen Obsessionen gesehen“.

Veröffentlicht am 14.02.2017

Alt, aber nicht unsichtbar

Weit weg ist anders
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Zwei alte Frauen führt der Zufall in einer Rehaklinik zusammen. Edith, Berlinerin mit mehr Schnauze als Herz, pflegt ihre Eigenbrötlerei und Misanthropie eher aus Selbstschutz. Christel, finanziell unabhängig, ...

Zwei alte Frauen führt der Zufall in einer Rehaklinik zusammen. Edith, Berlinerin mit mehr Schnauze als Herz, pflegt ihre Eigenbrötlerei und Misanthropie eher aus Selbstschutz. Christel, finanziell unabhängig, aber chronisch krank, kämpft mit Ängsten und Unsicherheiten und gegen die Bevormundung durch die Tochter, will aber auch in dieser Phase ihre Unabhängigkeit bewahren.
Es wird keine Freundschaft zwischen den beiden Frauen wachsen, dazu sind sie zu unterschiedlich. Aber man kann es vielleicht eher Respekt, Verständnis und Selbsterkenntnis nennen, was in den gemeinsamen Tagen wächst, als sie zusammen zu einer Reise aufbrechen.
Begeistert hat mich das Psychogramm der beiden Frauen, die stellvertretend für eine ganze Generation ähnlicher Schicksale stehen. Einfühlsam werden die Charaktere dargestellt und beim Lesen wurde mir bewusst, wie viel ähnlichen Biografien ich schon begegnet bin. Auch die Entwicklung, die beide während ihrer gemeinsamen Tage nehmen, gefällt mir. Ein wenig aus ihrem Schneckenhaus kommt Edith, während Christel sich endlich, fast schon zu spät, sich ihrem Problem mit ihrer Tochter stellt.
Zwar behandelt das Buch ernste Themen: Alterseinsamkeit, Umgang mit älteren Menschen in Heimen und Einrichtungen, Krankheiten und eingeschränkte Beweglichkeit – aber es verfällt nie in einen larmoyanten Ton, es sprüht auch vor Witz, den vor allem Edith von Edith ausgeht, die als typische Berlinerin nie ein Blatt vor den Mund nimmt. Das brachte mich immer wieder zum Schmunzeln und beide Frauen sind mir sehr nah gekommen. Außerdem fand ich noch eine Lieblingsfigur, einen Nebendarsteller sozusagen, den Briefträger Mannstein, der mit seiner Geschichte eine gelungene Ergänzung zur Lebensgeschichte von Edith und Christel wird.
Ein warmherzige Geschichte, die mir gut gefallen hat und die mich von der ersten Seite an nicht mehr losgelassen hat.

Veröffentlicht am 14.02.2017

Spreewaldidyll

Spreewaldtod (Ein-Fall-für-Klaudia-Wagner 2)
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Klaudia Wagner aus dem Ruhrpott ist noch immer nicht ganz im Spreewald angekommen. Ihr letzter Fall hat ihr sehr zu schaffen gemacht, sie ist psychisch und physisch noch angeschlagen. Ausgerechnet mit ...

Klaudia Wagner aus dem Ruhrpott ist noch immer nicht ganz im Spreewald angekommen. Ihr letzter Fall hat ihr sehr zu schaffen gemacht, sie ist psychisch und physisch noch angeschlagen. Ausgerechnet mit Kollege Demel, der sie bis hin zur verbalen sexuellen Belästigung schlimm gemobbt hat, soll sie nun ein Team bilden.
Im malerischen Fließ bei Lübbenau wird die Leiche eines jungen rumänischen Erntehelfers gefunden, den sie selbst noch bei einem Dorffest am Vorabend gesehen hat. Dort hatte er mit der Tochter eines Gurkenbauern getanzt, was weder den Bauern, noch einem jungen aggressiven Dörfler gefallen hat. Klaudia ging dazwischen und konnte eine Eskalation gerade noch vermeiden. Nun steht sie vor dem toten jungen Rumänen.
Die Gurkenbauern wollen nichts gesehen oder gehört haben, genau wie die anderen Erntehelfer, bei der Vernehmung des jungen Schlägers, der wohl als Neonazi bekannt ist, wird sie von der Staatsanwaltschaft zurückgepfiffen. Es scheint da Seilschaften zu geben, die immer noch funktionieren. Die Zusammenarbeit mit Demel ist mehr als anstrengend, aber da die Dienststelle unterbesetzt ist, muss sie über ihren Schatten springen.
Der Spreewald als Krimihintergrund hat meist eine etwas düstere Komponente, vielleicht liegt es an der Landschaft, die immer wie verwunschen erscheint. Auch dieser Krimi passt gut in die Stimmung. Allerdings tritt die Krimihandlung ein wenig in den Hintergrund. Zuviel Raum nehmen die Befindlichkeiten von Klaudia Wagner und ihren Kollegen ein. Fast alle plagen sich mit psychischer Überlastung, Burnout-Syndromen, Tinnitus und ähnlichem. Das ist zwar schlüssig erzählt und gibt den Personen Tiefe, aber um die Auslöser zu verstehen, sollte man den ersten Band kennen. Meiner Ansicht nach nimmt die Beschreibung der persönlichen Nöte der Beamten überhand, dadurch fehlte es mir an der Spannung, die ich mir gewünscht hätte.