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Veröffentlicht am 08.04.2019

Eine Geschichte von der Sehnsucht ….. Real, dicht am Leben, brillant umgesetzt

Zeilen ans Meer
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Nie hätte Lena gedacht, auf ihre vor über fünfzehn Jahren in den australischen Ozean geworfene Flaschenpost jemals eine Reaktion zu erhalten. Und doch passiert es. Mindestens genauso erstaunt ist Sam, ...

Nie hätte Lena gedacht, auf ihre vor über fünfzehn Jahren in den australischen Ozean geworfene Flaschenpost jemals eine Reaktion zu erhalten. Und doch passiert es. Mindestens genauso erstaunt ist Sam, dass er eine Antwort erhält. Aus einer Laune heraus schreibt er Monate später eine Weihnachtskarte nach München zu Lena und so entwickelt sich nach und nach eine Brieffreundschaft zwischen dem anscheinend so lockeren Surfer-Boy aus Sidney und der überarbeiteten Mutter aus München, die ihren Lebensunterhalt mit dem übersetzten langweiliger Bedienungsanleitungen verdient.

In wunderbar geschriebenen Briefen lernen die beiden sich dann langsam näher kennen – ebenso wie wir als Leser den beiden immer näher kommen. Sie beschreiben ihren Alltag, der unterschiedlicher nicht sein könnte, freunden sich nach und nach an und geben sich gegenseitig Halt. Denn beide sind nicht glücklich. Lena ist gefangen in ihrer Verantwortung für ihre Tochter Mathilda und für ihre Eltern, schleppt fast vergessene, unerfüllte Träume mit sich rum. Und warum surft Sam nur heimlich an einem einsamen Strand, welche Schatten lasten auf seiner Seele? Behutsam öffnen sich die beiden immer weiter und aus Freundschaft wird mehr, viel mehr. Ehe sie sich versehen, sind sie einander hoffnungslos verfallen. Doch das birgt enorme Schwierigkeiten, liegen doch nicht nur tausende von Kilometern sondern auch gegensätzliche Tages- und Jahreszeiten und völlig unterschiedliche Lebensweisen zwischen München und Sydney, zwischen Lena und Sam.

Wie die beiden ihre Beziehung mit allen Aufs und Abs meistern, wie sie kämpfen für Ihre Liebe, und auch scheitern, wie sie Probleme angehen, die ganz typisch sind für Fernbeziehungen und wie sie sich dennoch immer wieder zusammenraufen – das alles erleben wir als Leser in einer intensiven, emotionalen Tiefe, die ihresgleichen sucht. Fast hat man manchmal das Gefühl, die beiden bei intimen Gesprächen zu belauschen, wenn man ihre Briefe liest. Absolut nachvollziehbar, wenn über die Distanz Misstrauen aufkeimt, geboren aus Missverständnissen und fehlender Vor-Ort-Präsenz. Erlösendes Aufatmen, wenn sie sich wieder versöhnen. Herzschmerz, Tränen, Wut, Verzweiflung und Versöhnung – der Leser sitzt stets in der ersten Reihe und leidet und hofft mit den beiden.

Die Autorin Sarah Fischer versteht es auf eine hervorragende Art und Weise das komplette Spektrum der Gefühlswelt einer so schwierigen Fernbeziehung in diese Briefe und in die Zeilen dazwischen zu packen. Faszinierend wie sie konsequent bis zum Schluss daran festhält und so tatsächlich einen reinen Briefroman liefert, der doch vor Handlung nur so strotz. Die wechselnden Perspektiven zwischen den beiden Protagonisten plus ihrer Familien und Freunde, die in den Briefen mit aufleben, lassen keine Langeweile aufkommen, sondern machen diesen Roman zu einem echten Page-Turner. Man will das Buch nicht weglegen – nein, im Gegenteil – man will wissen, wie es mit den Beiden weitergeht. Bekommen sie trotz allen Widrigkeiten ihr Happy End, das man ihnen so sehr wünscht?

Jeder Mensch, der jemals eine Fernbeziehung selbst erlebt hat, muss dieses Buch lieben – und alle anderen auch. Fazit: Lesen !! Unbedingt !!

Noch kurz ein Wort zum Cover: Das gefällt mir extrem gut. Endlich mal was anderes als das derzeit Übliche. Es ist eine sehr ausgewogene Mischung aus zarten und kräftigen Farben, der Blick schweift durchs Fenster über die Weite des Ozeans (Bezug zur Flaschenpost und zu Sams Heimat und das weite Meer zwischen Sam und Lena). Die beiden Boote, die sich gegenüberstehen, versinnbildlichen für mich Sam und Lena, die weit auseinander, jeder am anderen Ende der Welt leben und doch per Brief direkt konfrontiert sind. Konnte mich lange nicht so für ein Cover begeistern wie bei diesem Buch.

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Veröffentlicht am 28.02.2019

Von Einem, der süßen Honig sammelt und ein bitteres Schicksal meistern muss

Der Gesang der Bienen
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„Das Sammeln des Honigs wilder Bienen durch den Menschen ist für die Zeit seit 9000 Jahren belegt. Der Begriff des Zeidlers oder Zeitlers bezeichnet einen besonderen Beruf des Honigsammlers, wie er sich ...

„Das Sammeln des Honigs wilder Bienen durch den Menschen ist für die Zeit seit 9000 Jahren belegt. Der Begriff des Zeidlers oder Zeitlers bezeichnet einen besonderen Beruf des Honigsammlers, wie er sich in Europa seit dem Frühmittelalter ausgebildet hat. Der Zeidler hielt, anders als der Imker im heutigen Sinne, die Bienen nicht in gezimmerten Bienenstöcken oder Bienenkörben. Man hieb alten Bäumen künstliche Höhlen (Beuten) in etwa sechs Meter Höhe ein und versah den Eingang mit einem Brett, in das ein Flugloch eingebracht war.“ (Aus Wikipedia)

Wie das genau vor sich ging, und zwar anno 1152, das beschreibt Ralf H. Dorweiler in seinem dritten historischen Roman auf wundervolle Weise. Es gelingt ihm scheinbar mühelos den Leser mit in die Wälder rund um Staufen und Freiburg zu nehmen und mit einer herrlich bildhaften Sprache zu zeigen, wie die Menschen damals gelebt und gelitten haben. Mit zeitgemäßem Sprachstil bringt er uns nahe, was es bedeutete, als einfacher Mann der Obrigkeit ausgeliefert zu sein und wie wenig es gebraucht hat, unschuldig in größte Not zu geraten.

Mit hervorragend ausgearbeiteten Charakteren führt uns der Autor in die Welt des Mittelalters und schickt uns auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle und auf eine Reise vom Münstertal bis nach Bingen am Rhein. Wir erlangen tiefe Einblicke, wie mühselig das Reisen damals war, gefährlich und zeitraubend, wir erfahren viel über das Handwerk des Zeidlers, tauchen ein in den Alltag einer Ritterburg und erahnen wie entbehrungsreich das Klosterleben war.

Die vom Autor entworfenen Personen sind vielschichtig und tiefgründig, durchdachte Persönlichkeiten, die sich entwickeln. Man kann mit ihnen hoffen und bangen (Seyfried, ein Zeidler/Elsbeth, seine Frau/Anna, seine fast erwachsene Tochter), man kann sie hassen und verfluchen (Theobald, ein Ritter/seine Handlanger/Ursel, die Furie aus der Burgküche), man kann mit ihnen leiden (Adelheyd, die ein Geheimnis hütet/Gregor, ein verletzter Bote) und eintauchen in deren Alltag (Nonnen in Hildegards Kloster/Seyfrieds Zeidler-Kollegen/Karl, Küchenjunge auf der Stauferburg). All diese wunderbaren und schrecklichen Menschen erweckt der Autor im Verlauf der Geschichte zum Leben, lässt sie erblühen oder verwelken, macht sie stark oder schwach und hält uns Leser atemlos vor Spannung bei der Stange bis zur letzen Seite. Auch begegnen uns einige historisch belegte Personen wie Gottfried von Staufen (der um seine Tochter trauert), Abt Eberhard im Kloster St. Trudpert (Ankläger von Elsbeth), Hildegard von Bingen (Äbtissin im Kloster auf dem Rupertsberg) sowie Abt Kuno im Kloster Disibodenberg (der nicht gut auf Hildegart zu sprechen ist) und schließlich der frisch gekrönte König Friedrich I., auch bekannt als Barbarossa.

Kern der Geschichte ist der verzweifelte Versuch Seyfrieds, seine Frau Elsbeth vor der Hinrichtung zu retten. Weil sie Gottfrieds Tochter Fronika retten wollte, hat sie die ganze Familie in größte Not gebracht. Als letzter Ausweg seine Frau vor der Hinrichtung zu bewahren, bleiben ihm gerade noch 16 Tage, um von Hildegard von Bingen eine Fürsprache zu erhalten. Während Seyfried die mühselige Reise antritt bleiben seine Kinder zurück. Die kleine Lise bei Nachbarn, Tochter Anna und Sohn Jasper auf der Burg von Gottfried von Staufen. Dort sitzt auch Elsbeth im Verlies und wartet auf Rettung. Anna sorgt sich um Mutter und Bruder und muss sich dem widerlichen Theobald von Molsheim, Ritter von Gottfried, erwehren.
Seyfried bekommt das ersehnte Schreiben von Hildegard wiederum nicht so einfach, wie er sich das vorgestellt hat. Sie stellt Bedingungen - mehrere. Denn anders als Seyfried, glaubt Hildegard nicht daran, dass allein ein Schreiben von ihr die Rettung für Elsbeth ist. Der Autor lässt uns mitleiden, wenn die schon damals weithin bekannte Frau sagt: „An erster Stelle bin ich eine Frau. Äbtissin, Prophetin, Heilkundige, ja, das ist gut, aber in den Augen vieler Männer eben ´nur` eine Frau. Papst Eugen hat mich aufgefordert, mein Schreiben zu intensivieren. Soll das Weib nur schreiben. Aber die Männer regieren die Welt.“ und sie ermahnt Seyfried mit den Worten „Meinst du allen Ernstes, dass ein alter Abt sich von einer Äbtissin aus der Ferne vorschreiben lässt, wie er Recht zu sprechen hat?“

Als Leser hoffen wir auf Rettung und fiebern mit, wenn die Zeit für Elsbeths Rettung immer knapper wird. Das Buch ist ein echter Page-Turner, wir kommen vor Spannung kaum zu Atem. Kann Seyfried seine geliebte Elsbeth retten? Ist Anna stark genug, sich gegen Theobald zur Wehr zu setzen? Und welche Rolle spielt eigentlich Barbarossa in der ganzen Angelegenheit?

Insgesamt ist es ein ausführliches und einfühlsames Werk, zudem spannend von Anfang bis Ende, in dem alle losen Fäden äußerst gekonnt und schlüssig zusammengeführt werden. Sehr gelungen finde ich auch die Gestaltung des Buches, vom schönen Einband über ein ausführliches Personenverzeichnis bis hin zu einer anschaulichen Karte vom Reiseverlauf. Besonders hübsch sind die Kapitelanfänge mit historischen Zitaten und schön gemalten Bienenmotiven. Für mich war es das erste Buch des Autors und von mir gibt es eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Geschichte
  • Stil
  • Figuren
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 03.04.2019

Zoomen Sie ruhig heran, der Blick steht Ihnen zu .....

Die Hochhausspringerin
2

Alles, wirklich jedes kleinste, noch so intime Detail in Julia von Lucadous Debüt wird überwacht, aufgezeichnet, abgespeichert, bewertet und falls von Nutzen auch veröffentlicht. In dieser gläsernen Welt ...

Alles, wirklich jedes kleinste, noch so intime Detail in Julia von Lucadous Debüt wird überwacht, aufgezeichnet, abgespeichert, bewertet und falls von Nutzen auch veröffentlicht. In dieser gläsernen Welt ist die extrem angepasste, bestmöglich optimierte Psychologin Hitomi das perfekte Werkzeug. Sie arbeitet für PsySolutions und hat den Auftrag, die extrem profitable Vermarktung der beliebten Hochhausspringerin Riva wiederherzustellen. Mit Hitomis Augen und mit Hilfe von unzähligen Überwachungskameras sitzen wir irgendwo in einem Hochhaus vor den Monitoren und schauen auf Riva.
Riva ist eine erfolgreiche Sportlerin mit Millionen Followern, nach ihr wurde ein Cocktail benannt, sie ist das It-Girl, die bekannteste Influencerin in der glänzenden Mega-City. Doch plötzlich verweigert sie sich dem System komplett, verlässt ihre Wohnung nicht mehr, ist apathisch, spricht kaum noch, isst fast nichts. Wenn sie nicht zum Training zurückkehrt, wird sie alles verlieren: Die privilegierte Wohnung, ihre Credits, ihre Aufenthaltsberechtigung in der Stadt. Es droht die Abschiebung in die Peripherien, der Ort für den Bodensatz der Gesellschaft, Verlierer, Unangepasste, Leistungsunwillige.
Wie im Rausch eines Voyeurs saß ich mit Hitomi vor den Monitoren und habe Riva beobachtet. Warum funktioniert sie nicht mehr? Gibt es Gründe in der Vergangenheit? Haben ihre Auftraggeber/Ihre Vermarkter etwas übersehen? Je weniger Hitomi diese Fragen beantworten kann, umso größer werden ihre eigenen Probleme. Sie dokumentiert diverse Arten von Kopfschmerzen, ihr Fitness-Tracker piept immer öfter, ihr Herz rast, Erinnerungen aus der Kinderaufzuchtstation quälen sie und an Schlaf ist kaum noch zu denken. Verzweifelt versucht sie alles wieder in den Griff zu bekommen, macht die vorgegeben Meditationen und Mindfullness-Übungen, kann aber ihr Bewegungspensum nicht erfüllen, sucht Trost bei Blogs, die über Bio-Familien berichten, wählt die Hotline vom Mutter-Bot, eine Computerstimme, die Mutterliebe suggerieren soll.
Die Abmahnung kommt umgehend vom nur vordergründig um sie besorgten Vorgesetzten Hugo M. Master, der jedoch nur ein Ziel verfolgt: Den Auftrag möglichst schnell und erfolgreich abzuschließen. Da Hitomi nicht liefern kann, was er fordert, beginnt ihr rasanter Abstieg und reißt den Leser in einem schmerzhaften Sog mit in die Tiefe. Wie gefesselt sitzt man mit ihr vor dem Monitor. Selbst als ihr der Auftrag entzogen wird, kann sie nicht von Riva ablassen. Auf eigene Kosten finanziert sie Hacker, um Zugriff auf Kameras zu haben, weiter an Daten über Riva zu gelangen. Fast meint man selbst die Verzweiflung und Ausweglosigkeit Hitomis zu spüren, um schließlich beim bitteren Finale das Gefühl zu haben: Ja, nur so kann es enden!! Bitter auch, dass Hitomi erst spät bewusst wird, dass auch sie selbst bis ins Kleinste überwacht wird, und ganz bitter als ihr endlich klar wird: Für Riva ist sie ein Niemand, Riva kennt sie nicht einmal.
Lucadous Schreibstil ist knapp, unterkühlt, berichtartig, teils stichpunktmäßig und dennoch so präzise und schonungslos, dass es fast weh tut. Sie spart an jeglicher Ausschmückung der Sprache und vor allem an Satzzeichen. Mir gefällt ihre besondere Art zu schreiben, ich bin kopfüber in die Geschichte gestürzt und mit Hitomi gefallen und gefallen und gefallen. Schonungslos wird uns vor Augen geführt, wie dicht wir schon an dieser dystopischen Welt sind, gnadenlos wird aufgezeigt, wie kurz wir davor stehen, die Kontrolle zu verlieren.

Für mich das eindrücklichste Buch, das ich seit langem gelesen habe und ich wünschte mir, dass es Pflichtlektüre vor allem für junge Mediennutzer wird. Vielleicht ist nicht jeder Leser stark genug die emotionslose Kälte des Buches zu ertragen, trotzdem sollte jeder es lesen. Ganz klare Leseempfehlung!!

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  • Erzählstil
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  • Idee
Veröffentlicht am 25.06.2018

Atemberaubende Jagd rund um den Bondensee

Die Bücherjäger
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Die Bücherjäger von Dirk Husemann – ein historischer Roman

Konstanz zur Zeit des Konzils, 1417: Poggio Bracciolini ist ein Meister im Aufstöbern antiker Texte - ein Bücherjäger. In einem Bergkloster am ...

Die Bücherjäger von Dirk Husemann – ein historischer Roman

Konstanz zur Zeit des Konzils, 1417: Poggio Bracciolini ist ein Meister im Aufstöbern antiker Texte - ein Bücherjäger. In einem Bergkloster am Bodensee entdeckt er ein Buch, das an eine Kette gelegt ist. Doch kaum hat Poggio die ersten brisanten Zeilen entziffert, ist der Foliant verschwunden. Entschlossen nimmt der Bücherjäger die Verfolgung der Diebe auf.

Der Autor Dirk Husemann arbeitet als Wissenschaftsjournalist und Archäologe, studierte Ur- und Frühgeschichte, Klassische Archäologie und Ethnologie und schreibt Reportagen und Sachbücher - und Romane. Ich lese „die Bücherjäger“ als Frischling und kann nur sagen – sein Werdegang und Knowhow kommt seinem Roman in jeder Hinsicht zugute.

Die spannungsgeladene Geschichte wartet mit einer ganzen Riege interessanter, historisch belegter Persönlichkeiten auf, als da wären:
• Poggio, der Bücherjäger – hat sich aus ärmlichen Verhältnissen hochgearbeitet und steht nun in den Diensten des Papstes. Ein überaus sympathischer Bursche, ich mag ihn sehr.
• Papst Johannes XXIII – geboren als Baldassare Cossa, ein durchtriebenes Schlitzohr und Freund, teilweise Beschützer von Poggio. Bei ihm muss man mit allem rechnen, er ist nie langweilig.
• Oswald von Wolkenstein – Widersacher Poggios, der das gejagte Buch für seine eigenen Zwecke nutzen will. Ein etwas simpler Charakter, der später noch gehörig einstecken muss.
• Agnes von Mähren, die sich aus politischen Gründen im Kloster versteckt und Poggio an seine Jugendliebe erinnert. Stets für Überraschungen gut und bis zum Schluss kaum zu durchschauen.
Dazu kommen noch zahlreiche Figuren, die nicht historisch belegt sind, die Geschichte aber wegen ihrer aussagekräftigen Charakterzüge enorm beleben. Keinen davon möchte ich missen.

Die Geschichte beginnt rasant mit der Flucht des Papstes vom Konstanzer Konzil, hält viele abwechslungsreiche Örtlichkeiten und Szenarien bereit, allesamt höchst interessant und unterhaltsamt – verläuft über mehrere Spannungsspitzen flott bis zum finalen Showdown, der ebenfalls eine rasante Verfolgungsjagd zum Rheinfall in der Schweiz ist.

Der Autor versteht es hervorragend sowohl absolute Sympathieträger als auch richtige Ekelpakete atmosphärisch dicht zu entwerfen und diese in entsprechendem Licht so darzustellen, dass man mit lebt, mit liebt, mit leidet, mit hasst.

Sehr gut gefallen hat mir an dem historischen Roman von Dirk Husemann einerseits die gute Mischung aus historischen Fakten und schriftstellerischer Phantasie (die im ausführlichen Anhang genau erläutert wird), andererseits die Kunst des Autors einen mit immer neuen spannenden Wendungen stets in Atem zu halten. Außerdem ist die Atmosphäre des Buchs wunderschön und stimmig, sowohl passend zur historischen Zeit der Handlung als auch bei der Beschreibung von Orten und Begebenheiten. Eine geniale Idee sind auch die immer wieder eingeschobenen Rückblicke in die Vorgeschichte der Protagonisten in Form von sogenannten Stundengläsern. Sie runden die Charaktere bereichernd ab.

Was mir aber am gesamten Buch am besten gefällt ist die Sprache des Autors. Eine Offenbarung!! Die bildgewaltige „Schreibe“ des Herrn Husemann hat mich begeistert. Das Buch ist voll wundervoller Sprach-Akrobatik! Da ist der Genuss das Lesen um des Lesens willen. Ich habe mich in die Sprache des Herrn Husemann Hals über Kopf verliebt.

„Die Bücherjäger“ ist für mich das erste Buch, das ich von Dirk Husemann lese – aber ganz sicher nicht das letzte!!

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Veröffentlicht am 27.05.2019

Die Leiden der jungen Sofia – oder wie man zurück ins Leben findet

Wie man bei Regen einen Berg in Flip-Flops erklimmt
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Die Geschichte startet mitten im Geschehen. Das mag ich sehr. Sehr authentisch, extrem einfühlsam und doch voller Humor wird beschrieben, wie traurig, einsam, unverstanden und ausgegrenzt sich die 14jährige ...

Die Geschichte startet mitten im Geschehen. Das mag ich sehr. Sehr authentisch, extrem einfühlsam und doch voller Humor wird beschrieben, wie traurig, einsam, unverstanden und ausgegrenzt sich die 14jährige Sofia fühlt. Das gelingt deshalb so gut, weil in der Ich-Erzählweise geschrieben wird und Sofia uns direkt aus der Tiefe ihres Herzens erreicht. Sie lässt uns in Rückblenden miterleben, wie abgrundtief sie es erschüttert hat, ihre Mutter tot aufzufinden, wie furchtbar die Last war, es ihrem Opa in Spanien mitteilen zu müssen, und wie durch die Trauer ein sprachloser Raum zwischen ihr und ihrem Vater entstanden ist.

Dagegen steht ihre lebenslustige Freundin Kiki, die sich zwar um Sofia sorgt, aber eben nicht verstehen kann, dass Sofia nach Monaten noch immer tieftraurig ist und wie es sich tatsächlich anfühlt, die Mutter zu verlieren. Woher auch? Für Sofia ist es dagegen kaum nachvollziehbar, wie sorglos Kiki mit Jungs umgeht, weil sie selbst sich so schwer damit tut, und es stört sie enorm, dass Kiki offenbar ihre Mutter mit Sofias Vater verkuppeln will. Für Sofia ein absolutes No-Go! Aber zum Glück gibt es »Frag Kate«, einen Online-Ratgeber, dem Sofia sich nach anfänglichem Zögern anvertraut. Von der Antwort ist sie geradezu geflasht. Kate schreibt kluge Dinge, die bei Sofia Eindruck hinterlassen.
„Eine Mutter kann man nur einmal verlieren, also hast du das Schlimmste im Leben schon hinter dir. (Seite 43)“

Nie hätte sie gedacht, wohin der E-Mail-Austausch mit Kate führen würde! Denn ausgerechnet sie ist die neue Frau an der Seite ihres Vaters! Das bringt Veränderungen mit sich, die Sofias komplettes Leben auf den Kopf stellen. Sie muss einige wichtige Entscheidungen treffen, an denen sie reift und langsam zurück findet in ein Leben neben der Trauer, in dem gelacht, getanzt und gesungen werden darf. Sie muss entscheiden, ob sie Kate anvertraut, dass sie ihr als Ratsuchende geschrieben hat. Sie muss sich mit Kates Tochter Alexa auseinandersetzen, die mit ihren 16 Jahren eine extrovertierte, laute Kratzbürste ist und aus ihrer Geringschätzung für Sofia keinen Hehl macht. Erst spät erkennt Sofia, dass Alexa damit nur ihre Verletzlichkeit versteckt, denn auch sie musste schon einiges einstecken und verkraften. Sehr schön dagegen ist die Begegnung mit Sam, mit dem sie ihre erste zarte Romanze erlebt, auch wenn das nicht immer reibungslos verläuft. Sie muss entscheiden, ob sie an ihrer vertrauten Schule bleibt oder an einer anderen Schule einen Neuanfang wagt. So erkennt Sofia schließlich, dass Veränderungen auch etwas Positives sein können, bis schließlich ein besonderes Ereignis einen Neuanfang für alle Beteiligten bedeutet.

Die Autorin Carol Weston betreut seit mehr als zwei Jahrzehnten die Ratgeberkolumne „Dear Carol“ in der Zeitschrift Girl´s Life und das merkt man diesem Jugendbuch an. Die Themen Trauer, Neuanfang und erste Liebe werden absolut einfühlsam, dabei sehr realistisch und superb auf die junge Zielgruppe ausgerichtet verarbeitet. In zwölf Kapiteln – für jeden Monat eins – begleiten wir die allesamt hervorragend ausgearbeiteten Charaktere durch teils turbulente Zeiten bis hin zu einem sehr versöhnlichen und glücklichen Ende, an dem Sofia für sich das Fazit ziehen kann

„Denn jetzt konnte nichts mehr meine Mom von mir fernhalten - kein Stau, keine Lehrerkonferenz und kein Stapel zu benotender Klassenarbeiten. Ich musste mich nie mehr von ihr verabschieden, denn im Geiste würde meine Mutter immer bei mir sein, unsichtbar und unantastbar. (Seite 229)“

Von mir eine ganz klare Leseempfehlung, vor allem (aber nicht ausschließlich) für Teenager.

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