Profilbild von Buchbesprechung

Buchbesprechung

Lesejury Star
offline

Buchbesprechung ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Buchbesprechung über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.02.2024

Faszinierende Momentaufnahme aus dem Leben Kästners

Der Goldhügel
0

REZENSION – Pünktlich zum „Erich-Kästner-Jahr 2024“ – vor 125 Jahren wurde der deutsche Schriftsteller und Dichter in Dresden geboren, vor 50 Jahren starb er in München – gelang dem Volk Verlag mit der ...

REZENSION – Pünktlich zum „Erich-Kästner-Jahr 2024“ – vor 125 Jahren wurde der deutsche Schriftsteller und Dichter in Dresden geboren, vor 50 Jahren starb er in München – gelang dem Volk Verlag mit der Veröffentlichung des Debütromans „Der Goldhügel“ von Tobias Roller ein literarischer Glücksgriff, zu dem man sowohl dem Verlag als auch dem Autor nur gratulieren kann und der zu Recht mit der Verlagsprämie des Freistaates Bayern ausgezeichnet wurde. Als Hintergrundinformation ist interessant, dass Roller, Gymnasiallehrer für Deutsch und Englisch, schon seit Studienzeiten ein Liebhaber der Werke des vielfach ausgezeichneten Büchner-Preisträgers ist und sich schon in seiner Staatsexamensarbeit mit Kästner befasst hatte. So wundert es nicht, dass Rollers Debütroman eine liebevolle Hommage auf den Dichter ist, ohne dass allerdings der Autor den sachlich-kritischen Blick auf die zwiespältige Persönlichkeit Kästners vermissen lässt.
Roller konzentriert sich in seinem Roman auf den im Jahr 1962 ersten Kuraufenthalt Kästners im Sanatorium „Deutsches Haus“ auf dem verschneiten Collina d’Oro, dem „Goldhügel“ in Agra am Luganer See, einer Heilstätte für Tuberkulose-Patienten. Die Wahl des Schauplatzes beruht auf Rollers eigener Isolation während des Corona-Lockdowns 2021, als er seinen Roman zu schreiben begann und sich in die „Kasernierung“ Kästners gut hineinversetzen konnte. In einer Art Kammerspiel begleitet er den an schwerer Tuberkulose erkrankten 62-jährigen, seit Jahren von Depression, Alkoholsucht und starkem Tabakgenuss gezeichneten Kästner auf engstem Raum – in seinem Zimmer, auf den Fluren und im Speisesaal des Sanatoriums.
In wenigen Szenen und in wohlklingender Sprache, die in ihrer Wortwahl auch jene Kästners sein könnte, gelingt es Roller, uns die verzweifelte Situation des an sich selbst zweifelnden Dichters zu veranschaulichen. Nach dem Krieg war es Kästner nicht gelungen, den Anschluss an die Nachkriegsliteratur zu schaffen. Manche Kollegen und Kritiker hatten ihm seinen Verbleib in Nazi-Deutschland und sein recht erfolgreiches Wirken – wenn auch meistens unter Pseudonym – während dieser Jahre verübelt. Der Öffentlichkeit war er lediglich als erfolgreicher Kinderbuch-Autor der Vorkriegszeit in Erinnerung geblieben. Frustriert hatte sich Kästner deshalb dem Alkohol hingegeben und befand sich nun in einer Schaffenskrise. Roller schafft es, uns diesen Frust, diese Verzweiflung und den Zwiespalt zwischen dem einst gefeierten Literaten und Frauenheld („So er die Wahl hätte, würde er es selbstredend vorziehen, zwischen den Brüsten einer ihm liebevoll zugeneigten Dame das Zeitliche zu segnen.“) und dem jetzt gealterten Mann aufzuzeigen: „Das vormalige Hengstchen ist zum Ackergaul gealtert, …, ein Gaul, der vom Trab in den Schritt gewechselt hat. … Und sie hält die Zügel.“ Gemeint ist die ihn beherrschende Luiselotte „Lotte“ Enderle (1908–1991), die sich den Schriftsteller mit dessen zweiter Lebensgefährtin Friedel Siebert (1926–1986) teilen muss.
Wir erleben Kästner, wie er mit seinen Schuldgefühlen als der beiden Frauen unterlegene und hörige Eigenbrötler kämpft, zugleich aber auch mit seiner eigenen Entscheidungsschwäche, und von depressiven Gefühlen und gelegentlichen Wahnvorstellungen gepeinigt wird. Nur einmal – und dies ist eine Schlüsselszene des Romans – verlässt der einst gefeierte Schriftsteller den goldenen Olymp und steigt hinab ins Dorf, wo er in Tonis Gasthaus einfach Mensch sein darf. „In all den Jahren ist man stets auf ihn zugegangen. Zumeist hat man sich ihm vorgestellt, dem Gepriesenen. … In ein kleines Gasthaus im Tessin musste er geraten, um darauf zu kommen, dass er die Beleuchtung in seinem Leben verändern muss.“
Tobias Roller schafft es auf unterhaltsame Art, in einer gelungenen Mischung aus Fakten und Fiktion uns trotz der Kürze seiner Momentaufnahme aus Kästners Leben dennoch einen ungemein tiefen Einblick in die damalige Verfassung und Persönlichkeit des Dichters zu vermitteln. In Verbindung mit dem knapp vierseitigen Nachwort, das sich wie der Roman ebenfalls nur auf wichtigste Fakten beschränkt, ist „Der Goldhügel“ vor allem für jene Freunde der Werke Kästners besonders zu empfehlen, die sich scheuen, eine allzu ausführliche Biografie zu lesen und dennoch mehr über ihren Lieblingsschriftsteller erfahren wollen. „Der Goldhügel“ beweist wieder einmal, dass es sich doch lohnt, einen Debütroman zur Lektüre zu wählen und neuen Autoren eine Chance im hart umkämpften Buchmarkt zu geben.

Veröffentlicht am 21.02.2024

Ausgezeichneter Psychothriller

Die Schuld, die man trägt
0

REZENSION – Vor bald 15 Jahren starteten die beiden schwedischen Drehbuch-Autoren Michael Hjorth (60) und Hans Rosenfeldt (59) mit ihrem ersten gemeinsamen Psychothriller „Der Mann, der kein Mörder war“ ...

REZENSION – Vor bald 15 Jahren starteten die beiden schwedischen Drehbuch-Autoren Michael Hjorth (60) und Hans Rosenfeldt (59) mit ihrem ersten gemeinsamen Psychothriller „Der Mann, der kein Mörder war“ eine Kriminalreihe, die recht schnell zu einer Kultserie wurde, von der man mit jedem weiteren Band immer wieder aufs Neue gefangen wurde. Grund war die Figur des hochintelligenten Polizeipsychologen und Profilers Sebastian Bergmann, dessen meist abweisende Haltung anderen Menschen gegenüber nicht nur auf sein direktes Umfeld unausstehlich wirkt, sondern dessen Überheblichkeit und fehlende Empathie es auch dem Leser schwer macht, Sympathien für diesen gebrochenen Anti-Helden aufzubringen. Dies gilt gleichermaßen, vielleicht sogar erst recht für den aktuellen, im November beim Wunderlich Verlag veröffentlichten und in seiner Handlung wieder recht komplexen achten Band „Die Schuld, die man trägt“.
Eigentlich soll die bisher so erfolgreiche Reichsmordkommission unter Leitung von Sebastians Tochter Vanja Lithner aufgelöst werden, nachdem deren junges Team-Mitglied Billy nur durch Bergmans Talent endlich als Serienmörder entlarvt werden konnte. Doch bevor es zur Auflösung kommt, muss die Sondereinheit in einem neuen Fall ermitteln: In einem Schweinemastbetrieb wurde eine Frau ermordet aufgefunden. An der Stallwand hatte der Mörder in blutroten Buchstaben die Aufforderung hinterlassen: „Löse den Fall, Sebastian Bergman!“. Vanja und ihr Team nehmen die Ermittlungen auf, auch um ihre Sondereinheit zu rehabilitieren. Doch vor allen anderen ist in diesem Fall ihr bei den Kollegen nicht sonderlich beliebter Vater zur Mitarbeit gefordert, der nun wirklich alles andere als ein Teamworker und schon längst nicht mehr im Polizeidienst tätig ist.
Bergman war nicht immer so, wie man ihn heute kennt: Bei der Tsunami-Katastrophe 2004 verlor er seine junge Frau und die kleine Sabine, die er im Wasser anfangs noch im Arm hielt, sie dann aber verlor. Seitdem lebt er in der Überzeugung, er sei an ihrem Tod schuld und es nicht mehr wert, glücklich zu sein. Zerfressen vom Schuldgefühl, handelt er ohne Rücksicht auf sich und andere, wodurch er, meist ohne es zu wissen, an deren späterem Unglück schuld ist. Alle Indizien des neuen Mordfalles weisen darauf hin, dass sich einer dieser Unglücklichen nun an Bergman zu rächen scheint und ihn daran erinnern will, wie vielen anderen Menschen er durch sein Verhalten geschadet hat.
Auch dieser achte Thriller um Sebastian Bergman überzeugt wie seine sieben Vorgänger durch seine ausgesprochen „starken“ Charaktere und seine psychologische Tiefenwirkung. Während der Lektüre entsteht ein Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Man läuft Gefahr zu vergessen, dass es sich doch nur um einen Roman handelt. Man lebt, leidet und liebt mit den Personen – vor allem natürlich mit dem Anti-Helden Sebastian Bergman, der mit seinem Tun und Lassen beim Leser einen Widerspruch auslöst: Eigentlich mag man ihn nicht, darf man ihn nicht mögen. Andererseits muss man mit diesem gebrochenen Mann unweigerlich Mitleid empfinden. „So viele Jahre hatte er ständig falsche Entscheidungen getroffen, ohne an den Folgen interessiert gewesen zu sein. Aber dies war wohl der Moment, in dem man die richtige Wahl treffen sollte“, heißt es am Schluss. „Er traf seine Entscheidung. Alles oder nichts. Dann begann er zu gehen.“ Ist die von Sebastian Bergman gewählte Richtung also das Ende dieser stilistisch und athmosphärisch bemerkenswerten und deshalb unbedingt empfehlenswerten Thrillerreihe? Oder müssen wir wieder zwei, drei Jahre auf einen nächsten Band warten? Fest steht jedenfalls, dass diese Psycho-Reihe auch mit ihrem achten Band „Die Schuld, die man trägt“ nicht an Spannung nachgelassen hat. Wer also wirklich gute Psychothriller lesen mag, kommt am schwedischen Autoren-Duo Hjorth & Rosenfeldt und ihrem Profiler Sebastian Bergman nicht vorbei, anderenfalls würde er wirklich etwas versäumen.

Veröffentlicht am 07.02.2024

Komplexes Gesellschaftsbild um 1900 in der Hansestadt Lübeck

Unsereins
0

REZENSION – Schon ihrem mit dem Deutschen Buchpreis 2018 ausgezeichneten Roman „Archipel“, der Geschichte mehrerer Familien über fünf Generationen hinweg auf Teneriffa, wurde damals eine Nähe zu Thomas ...

REZENSION – Schon ihrem mit dem Deutschen Buchpreis 2018 ausgezeichneten Roman „Archipel“, der Geschichte mehrerer Familien über fünf Generationen hinweg auf Teneriffa, wurde damals eine Nähe zu Thomas Manns „Buddenbrooks“ nachgesagt. Einen direkten, diesmal von Inger-Maria Mahlke (46) sogar gewollten Bezug erkennt man nun in ihrem im November beim Rowohlt Verlag erschienenen Roman „Unsereins“. Darin beschreibt die in Lübeck aufgewachsene Schriftstellerin nicht nur das gesellschaftliche Leben des hanseatischen Großbürgertums sowie deren Hauspersonals, der Lohndiener und Handwerker in den Jahren zwischen 1890 und 1906 in Lübeck, dem „kleinsten Staat“ des deutschen Kaiserreichs. Ganz konkret erscheint in ihrem Roman sogar der junge Thomas Mann als Autor eines damals in der Lübecker Gesellschaft Aufsehen erregenden Familienromans. Dennoch sollte man „Unsereins“ völlig losgelöst und frei von dieser literarischen Bürde lesen – als eine Familiengeschichte, die mir in ihrem modernen Stil sowie in ihrer historischen Authenzität und Komplexität der Handlung ebenfalls preiswürdig erscheint.
Im Vordergrund dieses inhaltlich üppigen Gesellschaftsromans steht vor allem das Leben der kinderreichen Familie von Friedrich Lindhorst - „protestantisch, konservativ, kaisertreu“ - und dessen Ehefrau Marie, Tochter des „berühmtesten Dichters aller Zeiten“, deren jüngste Tochter Marthe als deren achtes Kind im Jahr 1890 im großen Patrizierhaus in der Königstraße geboren wird. Schon Friedrich Lindhorst ist als Rechtsanwalt in gewisser Weise ein Außenseiter seiner Kaufmannsfamilie, folgten doch seine Brüder, der Senator Achim und der Konsul Heinrich Lindhorst, noch der beruflichen Familientradition. Doch der gesellschaftliche Umbruch jener Zeit wird weitere Veränderungen bringen.
Der Patrizierfamilie gegenüber stellt Mahlke die Handwerker und Lohndiener wie Charlie Helms oder Ratsdiener Isenhagen und das Hauspersonal der Lindhorst-Familie, allen voran deren Dienstmädchen Ida. Wir begleiten Ida von ihrem Dienstbeginn im Hause Lindhorst, erleben mit ihr die schrittweisen Veränderungen jener Jahre, die auch an der Familie Lindhorst ihre deutlichen Spuren hinterlassen bis hin zum Tod des an Syphilis erkrankten Sohnes Cord und der manischen Depression seiner Mutter Marie. Es braucht Jahre bis sich Ida aus ihrem Dienstmädchen-Leben zu befreien versucht, heimlich Steno und Schreibmaschine lernt, um ein selbstbestimmtes Leben führen und als Büroschreibkraft arbeiten zu können. „Ich werde nicht in Diensten sterben“, hämmert sie immer wieder in Großbuchstaben als Mahnung an sich selbst in die Maschine.
Mahlke beschreibt in „Unsereins“ ein beeindruckend komplexes Gesellschaftsbild um die Wende ins 20. Jahrhundert, die auch vor der konservativen Hansestadt nicht Halt macht. Wir erfahren, wie festgefügte Rollen und damit verbundene konservative Erwartungen an Politik und gesellschaftlichen Stand aufbrechen und Hoffnungen auf Veränderung zu keimen beginnen.
Zwar zwingt die Vielzahl von Mahlkes Protagonisten anfangs mehrmals zum Zurückblättern auf die im Vorspann zum Glück eingefügte Liste handelnder Personen, zumal verschiedene Handlungsstränge sich erst später zum komplexen Gesellschaftsbild fügen, doch bald gewinnt man dann doch den Überblick, kann die Figuren jeweils zuordnen und vollends in die Geschichte und ihre Zeit eintauchen. Man lebt mit Mahlkes Figuren und bedauert schließlich das Ende der Geschichte, die sich auch gut verfilmen ließe. „Aber vielleicht ist dies nicht das Ende, sondern nur der Anfang“, lautet Mahlkes letzter Satz im Buch. Damit kann das weitere Leben ihrer Protagonisten gemeint sein. Der Satz kann aber auch Mahlkes doppeldeutiger Hinweis auf eine Fortsetzung ihres Romans „Unsereins“ sein.

Veröffentlicht am 28.01.2024

Ditfurth konnte es schon besser

Tag des Triumphs
0

REZENSION - Wie kann ein Polizist für Gerechtigkeit sorgen, wenn das Unrecht die Macht ergreift? Dieser Leitgedanke gilt nach Band 1 („Tanz mit dem Tod“, 2022) auch für „Tag des Triumphs“ von Christian ...

REZENSION - Wie kann ein Polizist für Gerechtigkeit sorgen, wenn das Unrecht die Macht ergreift? Dieser Leitgedanke gilt nach Band 1 („Tanz mit dem Tod“, 2022) auch für „Tag des Triumphs“ von Christian v. Ditfurth (70), den zweiten, im November beim C. Bertelsmann Verlag erschienenen Roman um den jungen Kriminalpolizisten Karl Raben in den Jahren ab 1933 nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Dieser Band schließt unmittelbar an die früheren Geschehnisse in Berlin an, in deren Verlauf sich Raben bei der gerade gegründeten Geheimen Staatspolizei unter Reinhard Heydrich verpflichtet hatte, um jene SA-Männer jagen zu können, die Kurt Esser, den Redakteur eines KPD-Blattes, ermordet hatten. Damit hatte sich Raben freiwillig in die Hand Heydrichs begeben, zumal dieser - frei nach dem Hermann Göring zugeschriebenen Zitat „Wer Jude ist, bestimme ich“ - zum Schutz seines von ihm hochgelobten Kriminalbeamten dessen jüdischer Ehefrau Lena und ihrer Mutter Elisabeth einen Arier-Ausweis ausgestellt hatte.
In „Tag des Triumphs“ wird Raben im Jahr 1935 von Heydrich beauftragt, den Mörder der Edel-Prostituierten „Aphrodite“ zu finden, weshalb er für die Zeit seiner Ermittlungen in die vom legendären „Buddha“ Ernst Gennat geführte Mordkommission zurückversetzt wird. Chauffeur der eleganten Prostituierten war SA-Mann Werner Ehrig, der damals ebenfalls zu den Mördern Essers gehörte. Jetzt will Raben nicht nur Aphrodites Mörder finden, zu deren Freiern wohl sogar Heydrich gehört zu haben scheint, sondern gleichzeitig auch Ehrig und seine Kumpane zur Strecke bringen, die wiederum Raben nach dem Leben trachten. Zwischendurch trifft sich Raben auch noch unter einem Vorwand heimlich in Prag mit einem emigrierten KPD-Führer und bringt außerdem den kommunistischen Ex-Politiker Hans Kippenberger im Gestapo-Dienstwagen über die deutsche Grenze nach Holland. Jeden Tag muss Raben aber fürchten, dass sein doppeltes Spiel, seine Aktivität gegen das NS-Regime, auffliegt.
„Jetzt kommt der Mord an Bock dazu. Leichen über Leichen, Spionage, Anschläge auf uns. Ich blick nicht mehr durch“, wird im Roman gesagt. Dieses Gefühl muss unweigerlich auch beim Leser dieses Romans bei der Vielzahl der verschiedenen Handlungsstränge aufkommen. Außerdem fragt man sich beim Lesen der weit über 500 Seiten, um was es sich bei diesem Roman eigentlich handelt: Ist es ein historischer Roman? Oder schlicht ein Kriminalroman vor historischer Kulisse? Oder nichts von beidem, sondern doch eher eine Satire? Für einen echten historischen Roman fehlt dem Buch die für die Schreckensherrschaft der Nazis nötige Seriösität, auch wenn die wichtigsten historischen Fakten schlüssig in die Handlung eingearbeitet sind. Doch auch ein typischer Kriminalroman ist „Tag des Triumphs“ nicht, da die detektivische Ermittlungsarbeit im Fall „Aphrodite“ im Laufe der Handlung, abgelenkt durch die Nebenschauplätze (Ehrig, Prag, Kippenberger) ins Nebensächliche abgleitet, zumal die wichtigsten Beweisstücke und Indizien in diesem Fall sogar den Zufallsfunden der als Kriminaljournalistin tätigen Ehefrau Lena Raben zu verdanken sind.
Als Satire könnte man den Roman hinnehmen, was einerseits am stark überzeichneten Superman-Charakter Rabens festzumachen ist, dem alles zu gelingen scheint und der ohne Rücksicht auf das eigene Leben und das seiner Angehörigen seinen Weg geht, wie Ehefau Lena feststellt: „Es war nicht leicht, mit einem Mann zusammenzuleben, der einen Gerechtigkeitssinn hatte, der ihn ins Grab bringen würde. … Er hatte doch recht, aber diese Rechthaberei war Wahnsinn.“ Für eine Satire sprechen auch die Pauschalierungen, mit denen Ditfurth arbeitet: „Ich ekle mich vor diesen aufgeblasenen Fettsäcken mit Tonnen von Lametta auf der Brust. Gauleitern und sonstigen Funktionären. Eitel und dumm.“ Auch die wohl als Ironie oder Sarkasmus gemeinte Plattitüde macht es nicht besser, wenn wir Gestapo-Chef Heydrich im Gespräch folgen und dabei wissen, wie viele Menschen in Dachau und späteren Kzs tatsächlich zu Tode gekommen sind und ermordet wurden: „...., das ist ein Kamerad, den wir schützen, verstanden?“ - „Schutzhaft?“ - „Eben nicht. Schützen, also das Gegenteil.“ Macht man damit Witze?
Vollends enttäuschend wird es, wenn man offensichtliche Fehler feststellen muss, die vom Lektorat hätten vermieden werden können: Statt Lena wird Rabens Ehefrau einmal Lina genannt (Seite 280); so heißt aber Heydrichs Ehefrau. An anderer Stelle wird es noch unsinniger: Blockwart Hansen hatte den von SA-Mann Ehrig vor Rabens Haustür abgelegten Schweinskopf bereits beim Schlachthof entsorgt, bevor Raben ihn hatte sehen können (Seite 226). Dennoch heißt es fünf Seiten weiter (231): „Seit er den Schweinekopf gesehen hatte, wuchs eine Idee, ….“.
Alles in allem mag Ditfurths neuer Roman „Tag des Triumphs“ vielleicht zur reinen Unterhaltung genügen. Vergleicht man das Buch aber mit früheren Werken des Autors – allen voran die wirklich ausgezeichneten Gegenwartskrimis um den Berliner Kommissar Eugen de Bodt - und legt man bei dieser Reihe um Karl Raben denselben Anspruch zugrunde, muss zumindest dieser zweite Band enttäuschen.

Veröffentlicht am 17.01.2024

Spannender Unterhaltungsroman für Bibliophile

Die Bibliothek im Nebel
0

REZENSION – Auf den Tag genau ein Jahr nach seinem Bestseller „Die Bücher, der Junge und die Nacht“ (2022) erschien im November wieder im Knaur Verlag mit „Die Bibliothek im Nebel“ ein zweiter bibliophiler ...

REZENSION – Auf den Tag genau ein Jahr nach seinem Bestseller „Die Bücher, der Junge und die Nacht“ (2022) erschien im November wieder im Knaur Verlag mit „Die Bibliothek im Nebel“ ein zweiter bibliophiler Roman des Schriftstellers Kai Meyer (54), dessen Handlung zum Teil wieder im Graphischen Viertel in Leipzig spielt, der historischen Heimat Hunderter Verlage, Druckereien und Buchhandlungen, wenn auch 20 Jahre früher als der erste. Man kann also, wenn man einen Zusammenhang zwischen beiden Romanen herstellen will, diesen zweiten in gewisser Weise als Vorgeschichte zum ersten sehen, zumal wir jetzt erst erfahren, wie und warum der Russe Grigori zum Gehilfen des Buchhändlers im Leipziger Antiquariat Montechristo wurde. Doch ist dies auch schon die einzige Gemeinsamkieit beider Romane, so dass „Die Bibliothek im Nebel“ völlig unabhängig vom früheren Band als eigenständiger Roman gelesen werden kann.
In einer „Mischung aus historischem Roman, Liebesgeschichte, Familiensaga und Krimi“, wie der Verlag diesen neuen Roman Meyers bewirbt, tauchen wir ein in das vorrevolutionäre Russland und lernen in Sankt Petersburg die wohlhabende Familie Kalinin kennen sowie deren Tochter Ofeliya und ihren ebenfalls im Haus lebenden Cousin, den jungen Bibliothekar Artur. Noch genießt die Familie ihren Wohlstand und verbringt viele Urlaubswochen im Luxushotel Château Trois Grâces an der Cote d’Azur – dort gemeinsam mit der deutschen Druckerei- und Verlegerfamilie Eisenhuth aus Leipzig. Doch nach Ermordung der Eltern und Tochter Kalinin durch Schergen des allmächtigen Geheimdienstes des Zaren, flieht Artur als einziger Überlebender nach Deutschland. In Leipzig hofft er seine heimliche Liebe Mara wiederzutreffen, die vor Jahren von den Kalinins aufgenommen worden war, seit einiger Zeit aber als Verlobte eines Eisenhuth-Sohnes in Leipzig lebt. Zehn Jahre später (1928) findet die kleine Liette auf dem Dachboden des Hotels Château Trois Grâces in zurückgelassenen Reisekisten der während der Revolution ermordeten Russen ein altes, mit Schloss gesichertes Buch. Weitere 30 Jahre später (1957) bauftragt Liette – inzwischen Alleinerbin und Direktorin des Hotels, den deutschen „Gentleman-Ganoven“ Thomas Jansen mit der Suche nach Mara, der früheren Eigentümerin dieses Buches und Erbin der neben dem Hotel stehenden und seit dem Ersten Weltkrieg verfallenden Villa der Eisenhuths mit ihrer gelegentlich im Nebel versinkenden Bibliothek.
Auch wenn der Roman sehr eindringlich den Alltag von Arm und Reich im vorrevolutionären Sankt Petersburg schildert, ebenso das scheinbar unbelastete Jetset-Leben der Reichen und Schönen an der Cote d’Azur, während an den Fronten der Erste Weltkrieg tobt, ist „Die Bibliothek im Nebel“ kein typischer historischer Roman. Die Historie liefert allenfalls die Kulisse für einen spannenden Unterhaltungsroman, der vielmehr durch seine geheimnisvolle, stellenweise sogar unheimliche Atmosphäre und Szenerie besticht. Meyer schreibt sehr authentisch wirkend, schreibt auch recht lebhaft, lässt uns gelegentlich erschauern, löst dann aber wieder die düstere Stimmung durch amouröse Szenen auf, in denen er die Verliebtheit Arturs mit der von einem unergründlichen Geheimnis umgebenden Mara einfließen lässt oder auf anderer Zeitebene das sich zu einem Liebesverhältnis langsam wachsende Vertrauen zwischen Liette und Thomas.
Einem direkten Vergleich mit dem früheren Band „Die Bücher, der Junge und die Nacht“ hält dieses neue Buch nur bedingt stand: Der leider viel zu häufige Szenen- und Zeitenwechsel zwischen den Jahren 1917, 1928 und 1957 ist manchmal so verwirrend, dass es nach Lesepausen schwerfällt, sich spontan wieder in der Handlung zurechtzufinden. Es empfiehlt sich also zügiges und pausenloses Lesen. Vor allem aber enttäuscht: Während der Roman doch gerade von seiner unterschwellig und stellenweise unheimlich düsteren Atmosphäre lebt, gleitet das Buch gegen Ende durch die unnötige „Parade“ vieler grausam zugerichteter Toter leider auf das Niveau eines schlechten Krimis ab. Wer sich davon nicht stören lässt, für den bleibt „Die Bibliothek im Nebel“ ein absolut spannender und abwechslungsreicher Unterhaltungsroman vor historisch interessanter Kulisse.