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Veröffentlicht am 11.10.2022

Spannendes Genre-Mix aus Krimi und historischem Reisebericht

Die Passage nach Maskat
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REZENSION – Auf den ersten Blick scheint der neue Roman von Cay Rademacher (57) auf der aktuell beliebten Welle der vielen in den Zwischenkriegsjahren spielenden Krimis mitzuschwimmen. Denn auch sein im ...

REZENSION – Auf den ersten Blick scheint der neue Roman von Cay Rademacher (57) auf der aktuell beliebten Welle der vielen in den Zwischenkriegsjahren spielenden Krimis mitzuschwimmen. Denn auch sein im August beim Dumont Buchverlag erschienenes Buch „Die Passage nach Maskat“ ist zeitlich gegen Ende der Goldenen Zwanziger angesiedelt. Doch Rademachers Roman spielt nicht in Berlin, sondern der Autor lässt seine Figuren an Bord der „Champollion“, eines 1925 in Dienst gestellten Passagierschiffs der französischen Reederei Messageries Maritimes, von Marseille aus in den Orient reisen. Mit dieser ungewöhnlichen Szenerie gelingt es dem Autor, sich trotz ähnlicher Charaktere und vergleichbarem historischem Hintergrund von anderen Krimis wohltuend abzusetzen.
Hauptfigur seines Romans ist der aus dem Krieg traumatisiert heimgekehrte U-Boot-Fahrer und jetzige Fotojournalist Theodor Jung – Rademachers Hommage an den Berliner Fotojournalisten Erich Salomon (1886-1944) –, der für die „Berliner Illustrirte“, damals größte Zeitschrift Europas, eine Bildreportage über diese Schiffsreise und ihre exotischen Häfen machen soll. Eigentlicher Grund für Theodors Anwesenheit an Bord ist die Begleitung seiner recht selbstbewussten Frau Dora und ihrer Eltern, des Hamburger Kaufmanns Hugo Rosterg und dessen Ehefrau Martha. Der Großhändler will im Orient exotische Gewürze für den deutschen Markt einkaufen. Mit dabei sind Sohn Ernst und der ehrgeizige Prokurist Bertold Lüttgen, der Dora abzuwerben hofft, um als ihr Ehemann zum Teilhaber der Firma zu werden.
Nach zwei Seetagen verschwindet Dora spurlos. War der Roman bisher eine interessante, wenn auch harmlose Beschreibung des illustren Bordlebens, wandelt er sich nun plötzlich in einen immer spannender werdender Krimi. Denn nicht nur Theodors Schwiegereltern, sondern auch der Erste Offizier und alle anderen Passagiere, die Theodor inzwischen kennengelernt hat, versichern ihm gegenüber, Dora niemals an Bord gesehen zu haben. Tatsächlich ist ihr Name nicht einmal auf der Passagierliste verzeichnet. Im Verlauf seiner Suche beginnt Theodor bald an seinem Verstand zu zweifeln. Nur Stewardess Fanny, die selbst seit zwölf Jahren nach ihrem im Krieg verschwundenen Verlobten sucht, versteht und unterstützt ihn. „Jung dachte an das, was Fanny ihm geraten hatte: Betrachte die Sache von außen, analysiere die Lage kühl, als ginge dich das gar nichts an.“ Theodor beginnt ganz sachlich, Indizien zu sammeln und seine Beobachtungen auszuwerten.
Je weiter man in der „Passage nach Maskat“ vorankommt, erinnern Handlung und Figuren an den 1937 erstveröffentlichten Klassiker „Tod auf dem Nil“ von Agatha Christie. Hier wie dort machen sich bald alle Mitreisende verdächtig, treten bisher verdeckte Beziehungen untereinander zutage. Was hat es mit der exzentrischen britischen Lady und ihrer geheimnisvollen Gesellschaftsdame auf sich? Welche Rolle spielen der italienische Anwalt oder der amerikanische Ingenieur? Wieso ist Kaufmann Rosterg mit dem Ersten Offizier des Schiffes so vertraut? Und was hat der Schuldeneintreiber eines in Berlin bekannten mafiösen Ringvereins an Bord zu suchen? Ist auch die berühmte Nackttänzerin Anita Berber (1899-1928) in das Verschwinden Doras eingebunden? Was verbirgt sich in der Attrappe des dritten Schornsteins, vor dem ein Matrose ständig Wache steht? Es wird immer mysteriöser. Bald gibt es den ersten Toten an Bord, und mit jedem weiteren steigert sich das Tempo des Krimis zum überraschenden Ende hin.
Neben der spannenden Handlung ist es vor allem das ungewöhnliche Genre-Mix dieses Krimis mit einem authentisch wirkenden Bericht einer historischen Orient-Reise in britisch-kolonialer Zeit mit fiktiver Einbindung realer Persönlichkeiten und Ereignisse, das „Die Passage nach Maskat“ zu einer unterhaltenden, aber auch interessanten und deshalb empfehlenswerten Lektüre macht.

Veröffentlicht am 28.08.2022

Enttäuschend, voller Klischees und Banalitäten

Schatten der Vergangenheit
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Ich hatte mehr erwartet und wurde leider enttäuscht: Sowohl der Titel „Schatten der Vergangenheit“ als auch die Tatsachen, dass mit Antonio Fusco (58) ein Italiener und dazu noch hauptberuflich ein Forensiker ...

Ich hatte mehr erwartet und wurde leider enttäuscht: Sowohl der Titel „Schatten der Vergangenheit“ als auch die Tatsachen, dass mit Antonio Fusco (58) ein Italiener und dazu noch hauptberuflich ein Forensiker der italienischen Staatspolizei über die Camorra schreibt, hatten mich hoffen lassen, in dem im Juli beim Tropen Verlag veröffentlichten Roman einen spannenden, vor allem authentischen, mit Insider-Wissen gespickten Mafia-Krimi lesen zu können. Doch nichts von beidem: Der Krimi um den toskanischen Commissario Casabona in Neapel, der - natürlich! - zu Unrecht des Mordes am Liebhaber seiner Frau verdächtigt wird, wechselt zwischen Satire und Ironie, Banalitäten und Klischees. Warum Antonio Fuscos Krimis um Commissario Casabona in Italien sowohl bei Kritikern als auch beim Publikum laut Aussage des Tropen Verlags ein großer Erfolg sein sollen, ist mir zumindest nach Lektüre dieses einen Romans ein Rätsel. Vielleicht muss man Italiener sein, um dies nachvollziehen zu können. Für mich ist das Buch eine nette Feierabend-Lektüre zur geistigen Entspannung, die ihre Leser allerdings leider in keiner Weise literarisch fordert. Es gleicht eher einem Groschenroman, kann an zwei Abenden gelesen und dann bedenkenlos weggelegt werden. Die Mühe einer ausführlichen Rezension ist bei diesem Krimi überflüssig.

Veröffentlicht am 26.08.2022

Hintergründig, aber locker geschrieben

Ein Mädchen namens Wien
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REZENSION – Ist es wirklich der Mühe wert, eine Rezension über ein kleines Büchlein im Taschenbuchformat mit nicht einmal 90 Textseiten zu schreiben? Doch, sie lohnt sich – zumindest im Falle des im Juli ...

REZENSION – Ist es wirklich der Mühe wert, eine Rezension über ein kleines Büchlein im Taschenbuchformat mit nicht einmal 90 Textseiten zu schreiben? Doch, sie lohnt sich – zumindest im Falle des im Juli in der Edition Faust veröffentlichten Kurzromans „Ein Mädchen namens Wien“ der hierzulande völlig unbekannten libanesischen Schriftstellerin Sahar Mandûr. Seit Jahren setzt sich die 45-Jährige in ihrem Beruf als Journalistin in Beirut für die rechtliche, soziale und kulturelle Situation der Frauen in ihrem Heimatland ein. „Ein Frauenleben“ lautet auch der Untertitel dieser Erzählung, die in Auszügen erstmals in dem 2021 veröffentlichten Band „Kleine Festungen“ mit Geschichten über Kindheit und Jugend in arabischen Ländern auf Deutsch erschien, vorzüglich übersetzt vom Islamwissenschaftler und Arabisten Hartmut Fähndrich.
Tatsächlich schafft es Sahar Mandûr auf knapp 90 Seiten das Leben einer modernen, selbstbewussten Frau im heutigen Libanon mit allen Höhen und Tiefen und den sich daraus ergebenden Konflikten umfassend zu schildern. Die Geburt des Mädchen mit dem für Libanesen so ungewöhnlichen Namen Wien – der Vater schwärmte für österreichische Schlagermusik – fällt in die Zeit des libanesischen Bürgerkriegs, mitten in die Auseinandersetzung zwischen arabischen Nationalisten und prowestlichen Christen. Schon damit ist die Basis für die Suche dieser Frau nach dem Sinn ihres Lebens und ihrem Platz darin gelegt. Sie ist ein zwischen Tradition und Moderne, zwischen arabischer und europäischer Kultur hin- und hergerissenes Mädchen, in weiteren Kapiteln eine junge Frau. Nur dadurch, dass sie sich über alle Tabus und Denkverbote frech hinwegsetzt, versucht sie, sich ihren eigenen Platz in der Gesellschaft zu schaffen.
Auf ihrer mehrjährigen Suche probiert sie alle Möglichkeiten aus, die sich ihr jeweils bieten und verfällt von einem Extrem ins andere – sowohl im beruflichen Bereich, im Liebesleben wie auch im Glauben. Als moderne junge Frau lässt sie sich – wenn auch unwillig, aber der Tradition gehorchend – von den Eltern mit einem ihr unbekannten Mann verheiraten. „Die Atmosphäre zwischen ihm und mir ist recht angespannt, die Stunde der Wahrheit rückt bedenklich näher: In zwei Wochen soll die Hochzeit stattfinden, und die Braut ist keine Jungfrau mehr.“ Doch bald stellt sich zur Schande ihres Mannes heraus, das er zeugungsunfähig ist. „Die ersten fünf Ärzte, die wir aufsuchten, nannte er Lügner. Danach, wir hatten damals vier Jahre Ehe hinter uns, beging er Selbstmord. Nun war ich Witwe. Ich war eine lustige Witwe. Da man mich zwang, vierzig Trauertage in der Wohnung auszuharren, ging ich halt bei Nacht aus und kehrte im Morgengrauen zurück.“
Es ist dieser freche, mal ironische, mal sarkastische Stil der Autorin, mit der sie scheinbar locker das Leben der modernen Libanesin in kurzen, oft Jahre überspringenden Episoden erzählt. Doch diese Lockerheit, der Witz und die scheinbare Oberflächlichkeit der Erzählung täuschen nicht über die Tragik dieser zwiespältigen Lebensweise vieler modern eingestellter Libanesinnen hinweg. „Ein Mädchen namens Wien“ weist schon im Titel auf diesen Konflikt hin, sein Leben einerseits der muslimischen Tradition und Kultur verbunden zu sein, andererseits aber ein modernes, westlich orientiertes Leben genießen zu wollen. Frustriert über die offensichtliche Unmöglichkeit, ein ihr genehmes Leben im Libanon führen zu können, verlässt „Wien“ ihre Heimat voll positiver Erwartung in Richtung Paris.
Man darf davon ausgehen, dass Sahar Mandûr eigene Erfahrungen in diesem Büchlein verarbeitet hat, da sie als Libanesin einige Jahre in London Journalismus studiert und dort die westliche Lebenswelt selbst erfahren hat. Vielleicht lassen sich die gesellschaftlichen Konflikte, die sich den jungen Frauen heute im Libanon stellen, von ihnen tatsächlich nur mit einer gehörigen Portion Sarkasmus und selbstbewusster Überheblichkeit ertragen. Dies ist zumindest die Erkenntnis, zu der man als Leser aus dieser witzig-hintergründigen Erzählung kommen kann. Vielleicht scheinen 20 Euro für knapp 90 Seiten Text etwas viel. Aber die Geldausgabe lohnt sich in diesem Fall durchaus – auch für männliche Leser.

Veröffentlicht am 22.08.2022

Packendes Familiendrama

Die Nacht unterm Schnee
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REZENSION - „Ein Schriftsteller verfügt selten über mehr als seine Biografie, … seine eigene, von den Echos und Schatten der Vergangenheit und dem Vorschein der Zukunft umschwebte Geschichte“, schreibt ...

REZENSION - „Ein Schriftsteller verfügt selten über mehr als seine Biografie, … seine eigene, von den Echos und Schatten der Vergangenheit und dem Vorschein der Zukunft umschwebte Geschichte“, schreibt der mehrfach preisgekrönte Schriftsteller Ralf Rothmann (69) zu Beginn seines im Juli beim Suhrkamp Verlag veröffentlichten Romans „Die Nacht unterm Schnee“. Mit diesem Buch schließt er nach „Im Frühling sterben“ (2015) und „Der Gott jenes Sommers“ (2018) seine autobiografisch geprägte Trilogie über den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit ab. Dieser dritte Band lässt sich zwar auch ohne die beiden ersten gut lesen, doch wäre deren vorherige Lektüre zum besseren Verständnis der drei wichtigsten Charaktere hilfreich. Bestimmte den ersten Band die Zwangsrekrutierung des 17-jährigen Melker-Lehrlings Walter Urban, waren es im Folgeband die 12-jährige Luisa Norff und deren Erlebnisse kurz vor Ende des Kriegs, steht nun im abschließenden Band das durch Flucht und Vergewaltigungen geprägte Leben von Elisabeth Urban im Vordergrund, die nach dem Krieg in der Ehe mit Walter vergeblich Halt zu finden sucht.
Aus Luisas Erzählungen über gemeinsame Jahre in Schleswig-Holstein im Restaurant der Mutter, in dem Elisabeth als Büfettkraft arbeitet, während ihr Verlobter Walter Melker auf einem Gutshof ist, aus späterer Korrespondenz beider Frauen sowie aus Luisas Eindrücken und Erleben bei späteren Besuchen des Ehepaares auf dem Gutshof und schließlich im Ruhrgebiet, wo Walter nun als Bergmann arbeitet, erfahren wir vom hoffnungslosen Versuch des kriegsgebeutelten Paares, in den Jahren 1945 bis 1980 ein irgendwie erträgliches Leben zu führen. Nicht die Liebe, sondern die Schrecken der Vergangenheit haben beide ein Paar werden lassen. „Während der stille Walter sich mit seiner Geschichte [im Bergbau] unter Tage vergrub …., vermied seine Frau es, zur Besinnung zu kommen …“. Die hart arbeitende Frau und Mutter zweier Kinder tanzt auf jedem Volksfest und in Bars, um Durchlittenes zu vergessen.
Rothmann thematisiert in seinem Roman, wie die Kriegserlebnisse nicht nur die Seelen vieler Menschen jener Generation geschädigt hat, sondern auch in den Generationen der Kinder und Enkel nachwirken kann. Es geht um die Unfähigkeit der Betroffenen, aus eigenen Gewalterfahrungen zu lernen. So versucht Walters und Elisabeths inzwischen zum Schriftsteller gewordener Sohn Wolf, ein literarisches Selbstbildnis des Autors Ralf Rothmann, das Verhalten der gelegentlich gewalttätigen Mutter sich zu erklären: „Aus Frust über die freudlose Ehe oder auch aus Wut über seine [Walters] Vorwürfe und Drohungen … packte sie mich, das kleine Abbild ihres starken Mannes, bei den Haaren, um meinen Kopf gegen den Spülstein zu schlagen.“
Es ist die erschreckende Vorgeschichte der mehrfach Vergewaltigten, die die eigentlich lebensfrohe Elisabeth in jungen Jahren hart und verbittert werden ließ. „Ach Mensch, was hätte nicht alles werden können ohne diesen ollen Krieg.“ Nachdem ein Selbstmordversuch scheitert, nimmt sie auf ihre Art auf Volksfesten und in Tanzschuppen Rache an den Männern, indem „sie sich kühl berauschte an diesem einen eruptiven Moment der Schwäche, den sich die Männer nach Feierabend in ihren Armen leisteten. Der gab ihr eine gewisse Macht und damit zeitweise das ersehnte Selbstwertgefühl ….“
Ralf Rothmann schreibt in einfühlsamen, stellenweise auch in unerbittlichen Worten und in Einzelheiten geschilderten Milieu- und Alltagssituationen über die Sehnsüchte der verlorenen Generation. Als älterer Leser vermag man sich nur zu gut in die vom Autor sehr authentisch wiedergegebene Atmosphäre und Szenerie jener Nachkriegsjahre einfühlen, als viele Eltern nur vergessen oder verdrängen wollten und auf Fragen der Kinder schwiegen. Man erinnert sich noch an die damals modern wirkenden Wohnungseinrichtungen, die Kleidung, die Musiktitel. Doch der unbedingt lesenswerte und preiswürdige Roman „Die Nacht unterm Schnee“ ist nicht nur Rückschau auf vergangene Zeiten. Er ist auch ein aktueller Roman angesichts der vielen Verzweifelten in heutigen Kriegsgebieten, der auch jüngeren Lesern unbedingt zu empfehlen ist.

Veröffentlicht am 15.08.2022

Spannender Krimi als Trilogie-Auftakt

Sturmrot
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REZENSION – Vor vier Jahren trat in Schweden ein verschärftes Sexualstrafgesetz in Kraft, im Volksmund auch Zustimmungsgesetz genannt. Seitdem werden auch sexuelle Übergriffe als Vergewaltigung gewertet, ...

REZENSION – Vor vier Jahren trat in Schweden ein verschärftes Sexualstrafgesetz in Kraft, im Volksmund auch Zustimmungsgesetz genannt. Seitdem werden auch sexuelle Übergriffe als Vergewaltigung gewertet, die zuvor anders klassifiziert wurden. So wurde erst 2018 der Straftatbestand der „fahrlässigen Vergewaltigung“ eingeführt. Entscheidend ist seitdem, ob für sexuelle Handlungen ein beiderseitiges, klar zum Ausdruck gebrachtes Einverständnis bestand. Selbst bei sexuellen Handlungen, bei denen die Frau nur auf Drängen des Mannes einwilligt, muss dies vor Gericht nicht zwingend als Zustimmung anerkannt werden, da auch dieses Ja nicht freiwillig erfolgte.
Zurückliegende Fälle, die zur Änderung des schwedischen Sexualstrafrechts sowie zum veränderten Umgang der Polizei mit verdächtigten Kindern führten, bilden den Hintergrund zu dem kürzlich im Rowohlt Verlag veröffentlichten Kriminalroman „Sturmrot“ der schwedischen Schriftstellerin Tove Alsterdal. Der bereits mit dem Schwedischen Krimipreis 2020 und dem Skandinavischen Krimipreis 2021 ausgezeichnete Roman ist Auftakt einer vielversprechenden Trilogie um die Dorfpolizistin Eira Sjödin, die in der nordschwedischen Region Ådalen in die Aufklärung eines Mordfalles eingebunden wird.
Olof Hagström war auf der Überführungsfahrt eines von seinem Chef gekauften Oldtimers spontan in seinen Geburtsort abgebogen, den er vor 23 Jahren verlassen musste. In seinem Elternhaus findet er den Vater, zu dem er seitdem keinen Kontakt hatte, erstochen in der Badewanne. Zu den Ermittlungen wird die ortskundige Mittdreißigerin Eira Sjödin hinzugezogen, die sich kürzlich aus Stockholm in die heimatliche Provinz hatte versetzen lassen, um ihre an Demenz erkrankte Mutter zu versorgen.
Von Nachbarn beim Verlassen des Tatorts vermutlich auf frischer Tat erwischt, wird Olof Hagström sofort als Tatverdächtiger festgenommen, obwohl er den Mord bestreitet. Zu seinen Lasten spricht allerdings die Tatsache, dass er bereits vor 23 Jahren als 14-Jähriger die 16-jährige Lina Stavred vergewaltigt und ermordet hatte. Erst nach wiederholtem Widerspruch hatte er letztlich den Mord damals doch zugegeben, konnte als Minderjähriger jedoch nicht vor Gericht gestellt werden. Stattdessen wurde er vom Vater verstoßen, kam in ein Jugendheim und wurde seitdem nie wieder in seinem Heimatdorf gesehen. Eira Sjödin, die sich im Gegensatz zu ihren ortsfremden Kollegen im Ermittlerteam mit den Menschen und deren dörflicher Lebensart vertraut ist, dringt tiefer in die Hintergründe ein, die eine Verbindung zwischen dem aktuellen und dem damaligen, juristisch längst abgeschlossenen Mordfall als Folge einer Vergewaltigung wahrscheinlich werden lassen.
Tove Alsterdal beschreibt ausführlich Landschaft, Örtlichkeiten und Menschen der nordschwedischen Küstenregion und schafft es dadurch, die charakterlich unterschiedlich geprägten Küsten- und Dorfbewohner bis hin zu den Randfiguren ihres Romans mit deren alltäglichen, auch hintergründig verborgenen Sorgen und Problemen lebendig werden zu lassen. Dies gilt in erster Linie natürlich für Eire Sjödin, die neben ihrer beruflichen Beanspruchung auch durch die Pflege und Sorge um die demente Mutter Kerstin in Anspruch genommen wird. Hinzu kommt die Unsicherheit ihrer eigenen Lebensplanung, einerseits der Mutter wegen als Dorfpolizistin in der Provinz zu versauern oder Karriere bei der Mordkommission in Sundsvall zu machen, andererseits als Mittdreißigerin vielleicht doch noch eine Familie gründen zu wollen.
„Sturmrot“ ist kein spannungsgeladener Action-Krimi, obwohl er gegen Ende in seiner Dramatik anzieht und nach logischem Aufbau des Geschehens für Ermittlerin Eire eine unangenehme Wendung nimmt. „Sturmrot“ ist ein in mehreren Zeit- und Handlungsebenen strukturierter Roman, der vielleicht deshalb stellenweise etwas langatmig wirkt. Allerdings mag man diesem ersten Band zugute halten, dass er in seiner Szenerie und zur Vorstellung der wichtigsten Protagonisten, zu denen neben Mutter Kerstin vor allem Teamleiter Georg Georgsson und ihr junger, in Leben und Beruf noch unerfahrener Kollege August gehören, die notwendige Grundlage auch für die beiden Folgebände schafft. Man darf also auf den zweiten Band „Erdschwarz“ gespannt sein, der schon Mitte Oktober erscheinen soll. Der dritte Band „Nebelblau“ ist erst für Juli kommenden Jahres angekündigt.