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Veröffentlicht am 12.08.2019

Ein sehr lehrreiches Buch

Sal
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❗️Warnung: Im Folgenden geht es um ein Buch mit sehr vielen Triggern. Traumatisierten Menschen, die empfindlich auf Trigger reagieren, wird hiermit ans Herz gelegt weder dieses Buch, noch Rezensionen zu ...

❗️Warnung: Im Folgenden geht es um ein Buch mit sehr vielen Triggern. Traumatisierten Menschen, die empfindlich auf Trigger reagieren, wird hiermit ans Herz gelegt weder dieses Buch, noch Rezensionen zu diesem zu lesen. ❗️

„Sal“ ist das Debüt des Englischlehrers Mick Kitson und erschien im Original im März 2018 im Canongate Books Verlag. Dieses Buch gewann den „The Saltire Society First Book Of The Year Award“. Die Ausgabe, die ich im folgenden rezensieren möchte, erscheint im August 2019 im Kiepenheuer& Witsch Verlag und wurde von Maria Hummitzsch übersetzt. Mick Kitson schrieb „Sal“, weil er enttäuscht von den Büchern auf seinem Lehrplan war. Er wollte ein Buch schreiben, über das er gerne im Unterricht reden wollen würde. Mick Kitson hat zwei Töchter und einen Sohn. Er angelt gerne Meerforellen, baut Erdbeeren an und baut Boote. Als naturverbundener Vater weiß er also worüber er in „Sal“ schreibt und kann sich gut in seine Protagonistin Sal hineinversetzen und kann sich denken, was in deren Kopf vor sich geht.

Doch Sal hat keinen tollen Vater und befindet sich nicht freiwillig in der Wildnis Schottlands. Sie hat den Liebhaber ihrer suchtkranken Mutter umgebracht, weil der angedroht hat, bald auch ihre Schwester zu vergewaltigen. Sie hat sich über Monate, unter anderem mit YouTube Videos, vorbereitet mit ihrer Schwester in der Wildnis zu überleben, weil sie nicht von ihrer frechen kleinen Schwester Peppa getrennt werden möchte. Auch den Mord an ihrem Vergewaltiger hat sie sorgfältig geplant. Dieses Buch behandelt somit sehr wichtige Themen. Wie überlebt man in der Wildnis? Und tut Sal das Richtige? Gibt es andere Wege? Über diese Themen kann man unter anderem im Unterricht mit seiner Klasse bei Behandlung des Buches reden.
Mick Kitson hat „Sal“ aus der Sicht Sals geschrieben. Das macht das Buch einerseits so besonders, aber andererseits beschert es ihm auch gleich einen Minuspunkt. Kommen wir erst einmal zu den positiven Punkten. Dadurch, dass Sal aus der Sicht der 13jährigen geschrieben worden ist, erfährt der Leser wie reif das notgedrungen schon erwachsene Mädchen ist, aber auch, dass sie immer noch ein kleines Kind ist. Man erfährt, wie es sich anfühlt wegen eines furchtbaren Traumas an Dissoziationen zu leiden. (Ein weiteres sehr wichtiges Thema, wie ich finde.) Auch wie einsam und verloren sich Sal fühlt und wie dankbar sie für jedes bisschen Liebe und Zuneigung ist, wird gut beschrieben.
Negativ an der auf Sal beschränkten Sicht ist, dass die Spannung sich auf Dauer in Grenzen halten muss, aber auch, dass Ingrids Geschichte, welche eigentlich sehr spannend ist, sich liest, wie der Aufsatz einer 13jährigen. Das spricht zwar einerseits für den teilweise außerordentlichen Realismus des Buches, erweckt aber andererseits den Eindruck, als wäre das Buch falsch aufgebaut worden. Vielleicht hätte man Ingrids Geschichte als Erzählung am Lagerfeuer schreiben können. So hätte es nicht so gewirkt, als wäre es komplett aus der Geschichte gefallen, sondern man hätte sich in die Situation des Erzählens besser hinein versetzen können.
Mick Kitson erzählt wunderbar von der Natur und dem Überleben in der Wildnis. Man wünscht sich beim Lesen trotz aller Gefahren dort hin und lernt ganz viel. Jeder Leser, der sich schon einmal einen Survivaltrip erträumt hat, wird „Sal“ bestimmt gerne lesen.
Insgesamt ist „Sal“ also ein Buch, welches ich mit seinen Themen und Naturbeschreibungen, aber auch wegen seinen Protagonisten gerne empfehlen möchte.

Veröffentlicht am 15.04.2019

Witchmark

Witchmark. World Fantasy Award für den besten Fantasy-Roman des Jahres 2019
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Der Roman „Witchmark“ ist ein Debüt der Autorin C.L. Polk und könnte in unserer Welt spielen. Es herrscht eine Stimmung wie nach dem ersten Weltkrieg, was in unserer Welt 1918 geschah. Das Auto kommt gerade ...

Der Roman „Witchmark“ ist ein Debüt der Autorin C.L. Polk und könnte in unserer Welt spielen. Es herrscht eine Stimmung wie nach dem ersten Weltkrieg, was in unserer Welt 1918 geschah. Das Auto kommt gerade in Mode, die ersten Autos gab es in unserer Welt schon Ende des 19. Jahrhunderts. Auch liest sich die Zusammenfassung eines der Bücher, die erwähnt werden, wie „Rebecca“ von Daphne du Maurier, ein Buch, dass in unserer Welt 1938 erschienen ist.

Und doch merkt man, abgesehen von diesem scheinbaren Zeitenmix schnell, dass es sich hier um eine Parallelwelt handeln muss, denn der größte Unterschied, zu unserer Welt, ist, dass hier die Menschen nicht wegen Hautfarbe, Sexualität oder Gender diskriminiert werden, sondern wegen der Schwäche oder Stärke ihres magischen Talents. Und so dürfen sich die mit dem stärkeren magischen Talent, die Sturmsänger, Leute mit schwächerem magischen Talent, die Hexen, aussuchen und diese, auch gegen deren Willen, an sich binden. Diese Unfreiheit, die eine Art Sklavenhaltung ist, hat dementsprechend auch schlimme Auswirkungen auf die Hexen. Auch Hexenjagden gibt es, denn viele Hexen verstecken sich lieber, um in Freiheit zu leben. Wenn eine Hexe aber gefunden wird, wird sie in eine Irrenanstalt gebracht, bevor sie durch ihre, nicht mit einem Sturmsänger geteilte Magie, dem Wahn verfällt. Hexen erkennen einander an ihrem Hexenmal („Witchmark“), weswegen es wichtig ist, die Fähigkeit zu erwerben, dieses zu verstecken.

Eine der Hexen ist Dr. Singer. Er ist die Hauptfigur des Fantasyromans „Witchmark“, der damit beginnt, dass ebendieser auffliegt. Ein Mann wurde ermordert und stirbt auf Dr. Miles Singers Tisch. Ab diesem Zeitpunkt schlüpft Dr. Singer in die Rolle einer Art Dr. Watson. Es findet sich auch schnell ein Gegenstück zu der Figur des Sherlock Holmes in „Witchmark“. Aber erstens entsteht hier eine Liebe von Watson zu Holmes und zweitens besteht ja immer noch die Gefahr aufzufliegen, weil Miles Hexe ist. Auch eine Art Moriaty und Irene Adler werden hier schnell gefunden.

Aber dies sind nicht die einzigen Anspielungen auf Werke anderer Autoren. So gibt es am Schluss eine Szene, die mich stark an eine Folge der ersten Staffel der neuen Doctor Who Serie erinnert hat. Wer sie kennt, dem wird es ähnlich gehen.

„Witchmark“, dessen Einband übrigens im Dunklen leuchtet, liest sich locker und leicht. Es ist angenehm zu lesen. Man fliegt von Seite zu Seite, da man unbedingt wissen möchte, wie alles sein Ende findet.

Zwar bleibt „Witchmark“ in seiner Spannung hinter den Werken, auf die es anspielt, jedoch ist es sehr innovativ. So werden die Fälle nicht auf die wunderbare Sherlock Art aufgedröselt, man erlebt kaum Ermittlungen. Auch in Dr. Who schleicht man mit den Hauptfiguren viel mehr auf die Lösung zu. Hier versteckt sich das alles hinter dem ewigen Wunsch Dr. Miles in Freiheit leben zu dürfen. Selbst gegen jegliche Vernunft oder Mitgefühl für andere seiner Art. Auch wird meiner Ansicht nach viel zu wenig Atmosphäre aufgebaut. Etwas von dem Dr. Who und Sherlock Holmes leben. Aber die Idee Sherlock Holmes und Magie zusammenzupacken ist wunderbar innovativ.

Andererseits entsteht so das Gefühl, als bliebe „Witchmark“ hinter seinem möglichen Potenzial zurück. C. L. Polk hat spannende Ideen, die sie leider nicht ausbaut. Man könnte durch mehr Atmosphäre und mehr sorgfältiges Fallaufbauen so viel mehr Spannung erzeugen. Magie und Ermittlungen könnten ein wunderbares Spiel erzeugen, dass einerseits Kontrast (zum Beispiel in Form von nichtmagischer Polizeiarbeit- wo ist Inspektor Lestrade?) und andererseits Harmonie (wie sieht magische Ermittlungsarbeit mit einem Gehirn, wie dem von Sherlock Holmes, aus?) zur Geltung bringt. So liest sich das Buch zwar gut und hinterließ ein zufriedenes Gefühl, dennoch entsteht bei genauerem Nachdenken bei mir auch Enttäuschung.

Ebenso, dass der Sherlock Holmes Part in seiner Schönheit so alles übertreffend ist, scheint stellenweise sehr aufgetragen, gleichwohl es diese Figur mysteriös macht. Doch da man hier kaum nennenswerte Ermittlungsarbeit von diesem erlebt, bleibt er eine mysteriöse, gut aussehende Hülle. Viel lieber hätte ich mehr von seiner Wut, wenn schon nicht von seinem Gehirnschmalz, oder anderen Emotionen gelesen, als Dr. Singers Bewunderung.

Und dennoch, weil es sich angenehm und sehr spannend gelesen hat, kann ich dieses Buch empfehlen. Ich bin gespannt, was wir von C. L. Polk noch erwarten können. Da „Witchmark“ jedoch für mich in sich abgeschlossen ist, wundert es mich sehr, dass es einen zweiten Teil geben soll. Einerseits würde ich diesen auch sehr gerne lesen, weil ich hoffe, dass in diesem das Potenzial der Ideen C. L. Polk endlich ausgeschöpft werden, andererseits kann ich mir nicht vorstellen, wie dies aussehen soll und befürchte einen verkrampften Versuch einen in sich abgeschlossenen Band in die Länge zu ziehen. Ich bin sehr gespannt und hoffe das Beste.

Veröffentlicht am 01.01.2019

Ein großartiger Parsons!

Die Essenz des Bösen
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Drohnen- Alarm in London. Was wie eine aktuelle Nachrichtenüberschrift klingt, könnte auch ein Untertitel für „Die Essenz des Bösen“ von Tony Parsons sein. Die Bücher der Max Wolfe Reihe haben immer ein ...

Drohnen- Alarm in London. Was wie eine aktuelle Nachrichtenüberschrift klingt, könnte auch ein Untertitel für „Die Essenz des Bösen“ von Tony Parsons sein. Die Bücher der Max Wolfe Reihe haben immer ein topaktuelles Thema. „Die Essenz des Bösen“ ist der 5. Band in der Reihe um den englischen Polizisten und Familienvater Max Wolfe.

In „Die Essenz des Bösen“ sorgt eine Drohne über einem Einkaufszentrum für einen Helikopterabsturz. Schnell wird klar, dass es sich bei dieser Drohne nicht um ein harmloses kleines Spielzeug, welches außer Kontrolle geraten ist, handelt, sondern um einen gezielten Terrorangriff. Schnell bildet sich eine Gruppe, die den Polizisten die Arbeit schwer machen, weil diese die Angehörigen der Terroristen beschützen müssen. Es wird gefährlich für Max Wolfe und sein Team. Aber Tony Parsons greift nicht nur wichtige aktuelle Themen auf, er stellt auch die passenden moralischen Fragen. Was ist das Böse und wie bekämpft man es? Schnell wird klar, dass es nichts mit Religion oder Herkunft zu tun hat, sondern mit einer fehlgeleiteten Weltanschauung. Abgerundet wird das Ganze mit Einblicken in das Privatleben des Hauptcharakters. So muss der Familienvater dieses Mal unter anderem um das Sorgerecht für seine Tochter kämpfen.

„Die Essenz des Bösen“ des Bösen liest sich spannend von der ersten bis zur letzten Seite. Das Buch geht zu Herzen, macht nachdenklich, bringt zum Lachen, macht traurig und hat im Großen und Ganzen alles, was ein gutes 5 Sterne Buch ausmacht. Ich kann es nur empfehlen.

Zitat:
Wir entscheiden uns zu lieben, dachte ich. Wir entscheiden uns, unser Herz zu öffnen, und zahlen dafür den Preis, dass es in Stücke geschmettert wird. Und das ist es wert, dachte ich. Der Preis ist es immer wert, auch wenn es uns niederschmettert, wenn es Narben hinterlässt. ; sogar wenn es uns umbringt.
(S. 290)

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  • Charaktere
  • Handlung
Veröffentlicht am 07.08.2018

Dream a little Dream with Signe

Lucid - Tödliche Träume
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„Lucid" handelt von Signe, die eine ausgeprägte Fähigkeit zum luziden Träumen hat. Luzides Träumen ist die Begabung bewusst Einfluss auf die eigenen Träume zu nehmen. Signe wird von ihrem Freund, einem ...

„Lucid" handelt von Signe, die eine ausgeprägte Fähigkeit zum luziden Träumen hat. Luzides Träumen ist die Begabung bewusst Einfluss auf die eigenen Träume zu nehmen. Signe wird von ihrem Freund, einem Forscher, der darin einen guten Karriereschub sieht, an das Forscherteam um Dr. Dryden vermittelt. Über dieses kommt sie auch in Kontakt mit Marine Kollmann, der Ehefrau eines Mannes, der einen furchtbaren Unfall gebaut hat, wobei ein Jugendlicher gestorben ist. Hier fängt die Geschichte erst richtig an, denn in dem Unfallauto mit dem verstorbenen Jugendlichen befand sich noch ein junger Mann, der nun im Koma liegt. Wie kann Signes Fähigkeit nun eingesetzt werden und was hat das für Konsequenzen?
In einem flüssigen und gut zu lesenden Schreibstil wird hier eine Geschichte erzählt, die nie ihr komplettes Potential ausschöpft, jedoch von Kapitel zu Kapitel spannender wird. Zwischendurch webt das Autorenteam auch Traumsequenzen ein. Diese lasen sich am Besten. Sie sind spannend und man kann sie sich gut vorstellen. Sie zaubern eine eindrucksvolle Atmosphäre.
Die Idee hinter dem Buch, das Wandern zwischen den Träumen, ist interessant, jedoch hätte man das Thema noch weiter ausarbeiten können. Andererseits ist es auch sehr spannend sich dieses Wandern vorzustellen und in Signes Träumen zu lesen, wie sich die Autoren dies vorstellen.
Sehr gut geschrieben sind auch die Charaktere. Es ist sehr interessant zu lesen wie einige von ihnen sich entwickeln. So entwickelt sich zum Beispiel die sympathische Signe durch ein einschneidendes Erlebnis von einem schüchternen und naiven Mädchen in eine selbstbewusste Frau. Andere Charaktere sind von Anfang an unsympathisch und zeigen auf realistische Weise menschliche Abgründe.
„Lucid" ist eine immer spannender werdende, gut zu lesende Geschichte, die von einem sehr interessanten Thema handelt, dort jedoch sein volles Potential nicht ausschöpft. Erwähnenswert ist auch das wunderschöne Cover der Gesamtausgabe, welches schon auf ein spannendes Buch hoffen lässt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Charaktere
  • Spannung
  • Atmosphäre
  • Idee
Veröffentlicht am 29.05.2018

Ein wunderbares Buch darüber, was wirklich im Leben zählt

Wie man die Zeit anhält
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Kennt ihr das? Ihr seid unglaublich begeistert von einem Buch oder einer anderen Sache und dann hört ihr andere Leute darüber reden und die sind nicht so begeistert. Dann stellt ihr alles in Frage. Liegt ...


Kennt ihr das? Ihr seid unglaublich begeistert von einem Buch oder einer anderen Sache und dann hört ihr andere Leute darüber reden und die sind nicht so begeistert. Dann stellt ihr alles in Frage. Liegt ihr mit eurer Meinung wirklich so daneben? „Wie man die Zeit anhält“ spaltet die Leser extrem. Entweder man liebt dieses Buch aus der Feder von Matt Haig, findet den Schreibstil und die Erzählung großartig, oder man findet es einfach furchtbar, beschwert sich über Plattitüden und versteht nicht, um was es hier gehen soll. Deswegen hab ich gegrübelt und gegrübelt. Aber ganz ehrlich? Meine Meinung hat sich nicht geändert. Kein Stück. Ich liebe dieses Buch. Ich habe wunderschöne Zitate in diesem Buch lesen dürfen, die mir die Seele erhellt und das Herz geöffnet haben. Mit seinem wunderschönen Schreibstil hat Matt Haig mich gleichzeitig träumen und wach werden lassen. Mich hat "Wie man die Zeit anhält" einfach abgeholt. Und deswegen werde ich versuchen, dich, lieber Leser meiner Rezension, so auf dieses Buch vorzubereiten, dass du dich auch in dieses Buch verlieben kannst.

Ich liebe Zeitreisen. Ob in Filmen, in Büchern oder einfach nur durch das Betrachten von Fotos. Die Menschen haben sich unter anderem technologisch und modisch so weit entwickelt und doch sind ihre Herzen gleich geblieben. Das Leben ist immer ein Wechselspiel aus Angst, Sicherheit, Macht und Liebe. Ich finde das faszinierend. In "Wie man die Zeit anhält" lädt der Protagonist Tom Hazard den Leser dazu ein in seinen über 400 Jahre alten Erinnerungen durch die Zeit zu reisen. Und es wird klar, dass Matt Haig darüber nachdenkt, was nach 400 Jahren noch wichtig im Leben ist. Wie verändert ein so langes Leben? Nach Matt Haigs Überlegungen verstärken sich alle Emotionen über so ein langes Leben hinweg. Siegt die Angst vor der Ohnmacht, weil man merkt, dass das eigene Leben nur ein kleines Sandkorn ist? Oder siegt die Liebe, weil man in 400 Jahren versteht, dass Liebe das einzige ist, was zählt? Gleich zu Beginn erzählt Tom Hazard, dass ihm verboten wurde sich zu verlieben, als er sich einer Organisation angeschlossen hat, die ihm dafür seine Sicherheit versprochen hat. Aber ist das wirklich ein Leben, ohne Liebe? Lohnt es sich, sich selbst aufzugeben, um ein derartiges Leben in dieser Art Sicherheit zu leben?

400 Jahre hat Tom Hazard schon gelebt. Was zählt da noch? Das geschichtliche wird unwichtig. Es sind nur Erinnerungen, die den Protagonisten auf dem Weg zu sich selbst geprägt haben. Was bleibt nach 400 Jahren noch? Tom Hazard hat Kopfschmerzen als wäre es eine Art Kater. Als fehle ihm etwas wichtiges.

Ich habe dieses Buch als philosophischen Diskurs mit einer für mich sehr wichtigen Botschaft gelesen. Ja, es kam mir sogar vor, als würde ich mit Matt Haig in einen Dialog treten. Was andere Leser als Platitüden lesen, war für mich Matt Haigs Versuch altbekanntes in neues, 400 Jahre altes, Licht zu rücken. Dieses Buch ist ein Gedankenspiel mit der Frage: Was ist im Leben wirklich wichtig? Matt Haig nimmt einen 400 Jahre alten Protagonisten um das Leben wie unter einem Mikroskop zu vergrößern, damit deutlicher wird, worum es ihm geht. Das könnte natürlich enttäuschend für die Leser werden, die erwarten, dass sie Geschichte hier hautnah miterleben dürfen. Das kann der Leser zwar auch, aber es steht nicht im Fokus.

Wenn man uralt ist und all das erlebte nichtig wird, weil sich alles, was passiert, scheinbar wiederholt, ist Liebe das Einzige, was wichtig ist, weil diese die Zeit anhalten kann und ihr einen Sinn verleiht. Liebe hilft einem im Moment zu bleiben und gibt ihm die nötige Bedeutung. Liebe bekämpft die Angst und macht Sicherheit unwichtig. Darum geht es in diesem Buch.

Am Schluss ist die übermächtige Sicherheit der Organisation doch nicht so groß und die Frage ist: Was bedeutet das für das Buch? Wird es einen zweiten Teil geben? Oder ist dies Matt Haigs Weg zu sagen, dass es diese Sicherheit niemals gegeben hat? Ich hab es auf die zweite Art gelesen, hätte aber nichts gegen einen zweiten Teil einzuwenden.

Im Nachhinein denke ich, dass ich hier keine Rezension sondern eine Liebeserklärung geschrieben habe. Das liegt daran, dass meiner Meinung nach "Wie man die Zeit anhält" ein wunderbares Gedankenspiel ist. Ich habe dieses Buch unglaublich gerne gelesen und kann es nur jedem ans Herz legen