Ein philosophischer Denkanstoß mit vertauschtem Blickwinkel
Und der Ozean war unser HimmelIhr glaubt gar nicht, wie ehrfürchtig ich dieses 160-seitige Schätzlein in den Händen hielt. Ein Buch des Autors von "Sieben Minuten nach Mitternacht". Den Titel habe ich leider nicht gelesen, aber ich ...
Ihr glaubt gar nicht, wie ehrfürchtig ich dieses 160-seitige Schätzlein in den Händen hielt. Ein Buch des Autors von "Sieben Minuten nach Mitternacht". Den Titel habe ich leider nicht gelesen, aber ich weiß, wie bekannt er ist, dass er verfilmt wurde und Preise abgeräumt hat. "Und der Ozean war unser Himmel" wurde zum Teil als Hommage an "Moby Dick" beworben. Ihr wisst schon, die Geschichte, um den verrückten Kapitän, der wirklich alles riskiert hat, um den berüchtigten Wal Moby Dick zu fangen. Ein sehr dickes Buch im Gegensatz zu diesem hier. Ansonsten wusste ich tatsächlich nicht, was auf mich zukommen würde. Ich war blind als ich anfing zu lesen und meine Ahnungslosigkeit wurde mir zu Beginn des Lesens ein wenig zum Verhängnis.
Den Startschuss lieferte ein Zitat aus "Moby Dick", dass für mich brutalen Willen und Mordlust ausdrückte. Harter Tobak gleich am Anfang. Hatte ich erwähnt, dass das Buch ab 12 Jahren empfohlen wird? Ich bin mir bis jetzt nicht sicher, ob das nicht zu früh wäre. Denn auch, wenn blutige Details nicht komplett ausgeschlachtet werden - es gibt sie. Es behandelt die Jagd, den Tod, auch Worte wie Massaker fallen und Gefangenschaft, in der Folter angewandt wird. Die Grausamkeit sollte einem einfach bewusst sein. Möglicherweise bin ich ein Korinthenkacker, nur ist mir das aufgefallen und ich möchte darauf aufmerksam machen.
Die Handlung wird aus der Ich-Perspektive der Walin Bathseba erzählt, die sich für ihre Geschichte den Namen gegeben hat, aber nicht so heißt. Im Nu war ich im 1. Kapitel perplex. Denn warum sie sich umbenennt, bleibt mir bis jetzt ein Rätsel. Allerdings spielt das keine Rolle für die Handlung, so viel sei gesagt. Der Erzählstil wirkt gewaltig und bedeutsam. Beim Lesen fühlte es sich an wie literarische Kunst in Poesie und Philosophie vereint und war trotzdem kurzweilig. Ich verstand die Message. Nein, die vielen Messages. Bathseba erzählt von einem tausend Jahre alten Krieg zwischen den Menschen da unten und den Walen da oben (zu der Betrachtungsweise des Settings komm ich noch). Um nicht selbst gejagt zu werden muss man selbst jagen - eine endlose gegenseitige Jagd ist das Ergebnis, gespickt mit Verlusten, Trauer und Rache. Grob gesagt, las ich die Geschichte von Moby Dick, nur anders herum. Denn auch die Wale folgen einer Legende, einem Martyrium, suchen den Teufel. Bathseba ist klug und als sie beim Kapern eines Menschenschiffes einen Gefangenen machen, kommen ihr Zweifel an der Jagd, ihren Zielen und sämtlichen Mythen, die diese umgeben. Patrick Ness fragt offen, wer ist schuld, wer ist unschuldig, wer setzt dem ein Ende, warum so weiter machen? Ist es möglich aus seiner Haut zu kommen? Fragen, die auf alle menschlich geprägten Katastrophen passen. Welche Antworten er darauf hat, werde ich nicht vorweg nehmen, aber ich interpretiere sie so, dass wir alle die Antwort kennen. Das hat mir gut gefallen, denn so komplex die Betrachtungsweise in meinen Augen scheint, so ist der moralische Gedanke bekannt.
Mein Verstand kam also mit den Botschaften im Text zurecht, für die dazugehörigen Beschreibungen des Settings brauchte ich allerdings ewig. Ehrlich gesagt fast das ganze Buch lang, weil der Titel Programm ist. Ich musste mir langfristig vorstellen, dass der menschliche Himmel mit Sonne, Wolken, Vögeln etc. ein Abgrund ist. Die Wale im Ozean schwimmen also im Himmel und zwar so, dass sie sich mit dem Bauch Richtung menschlichen Himmel (ihrem Abgrund) bewegen. Dazu sind sie ausgestattet mit Harpunen und weiterem Material, dass nicht in meinem Kopf wollte. Die Wale in ihrem tierischen Sein nehmen menschliches Gebaren an, aber nicht auf die Kinderbuchart, das wäre ja leicht, nein, sondern todernst. Realistisch ist das natürlich nicht, obwohl gerade bei dem Gefangenen die Thematik Sauerstoff mit einer guten Idee beantwortet wird. Ich kann bis jetzt nicht sagen, ob mir die Variante der verkehrten Welt wirklich zusagt. Fasziniert bin ich definitiv, nur kompliziert ist es eben auch.
Die Illustrationen haben meinem Verstand auf die Sprünge geholfen. Rovina Cai arbeitete viel mit Schraffuren und meist mit zwei verschiedenen Grundfarben, die dann entweder in hellere oder dunklere Tönen übergingen. Die skizzenartigen Zeichnungen sind wirklich beeindruckend und eindringlich, gerade bei aggressiv aufzeigenden Szenen, die das Buch wegen der Jagdthematik besitzt. Trotzdem versteht sie sich dabei, den Betrachtenden nicht zu "traumatisieren". Schlussendlich lässt mich lässt mich Bathseba mit vielen Eindrücken statt einem Gesamtbild zurück. Unvergesslich in seiner einmaligen Art.
Fazit:
"Und der Ozean ist unser Himmel" ist mehr Kunst als Geschichte mit moralischen Denkanstößen, die jeder kennt und untermauert mit eindringlichen Illustrationen. Einmalig, aber der Verstand kann einem hier Streiche spielen. Für erfahrene Leser*innen, die Herausforderungen in kurzweiligen, poetischen Büchern suchen.