Profilbild von Buchpfote

Buchpfote

Lesejury Profi
offline

Buchpfote ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Buchpfote über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.08.2020

Eine surreale Heldenreise mit Alice und Hatcher – Ich hätte nie gedacht, dass ich verstörend und magisch in einem Atemzug sagen würde

Die Chroniken von Alice - Finsternis im Wunderland
0

Allgemein:

Die amerikanische Autorin Christina Henry sorgte mit ihren fantastisch-gruseligen Märchenadaptionen bereits im Englischen für Aufsehen. Random House Imprint Penhaligon veröffentlichte im Frühjahr ...

Allgemein:

Die amerikanische Autorin Christina Henry sorgte mit ihren fantastisch-gruseligen Märchenadaptionen bereits im Englischen für Aufsehen. Random House Imprint Penhaligon veröffentlichte im Frühjahr 2020 nun den 1. Band der „Dunklen Chroniken“ in Deutschland. Es beginnt mit den „Chroniken von Alice – Finsternis im Wunderland“: 10 Jahre sind vergangen seit Alice in einer psychiatrischen Anstalt gelandet ist. 10 Jahre, in denen sie von Alpträumen geplagt wird Sie erinnert sich nicht an die Geschehnisse, die sie dorthin brachten. Außer an den Mann mit den blaugrünen Augen und pelzigen langen Ohren. Doch was hat das zu bedeuten? Ihr einziger Vertrauter Hatcher kämpft selbst mit den dunklen Geistern, die ihm zum Axtmörder machten. Doch als ein Feuer ausbricht, fliehen Beide gemeinsam und erkennen, dass nicht nur sie entkommen sind, sondern auch eine dunkle, tödliche Macht, die aufgehalten werden muss.

Mein Bild:

Ich habe lange auf die deutsche Erscheinung dieser Bücher gewartet, hatte aber genauso Angst davor, sie zu beginnen. Die Rezensionen vieler BloggerInnen beinhalten Wörter wie brutal, blutig, grausam, ebenso wie nervenzerreißend und einmalige. Ich bestätige das hier und kritisiere stark, dass es keine Triggerwarnung seitens des Verlages gibt. Es reicht nicht, dass der Klappentext verspricht, dass es nichts für schwache Nerven ist. Daher gebe ich folgende persönliche Triggerwarnung vor Mord, geistigen und körperlichen Missbrauch, Verstümmelung, Körperverletzung und Prostitution. Es sind nicht die einzigen Dinge, die angesprochen werden, aber darauf möchte ich auf jeden Fall aufmerksam machen.
Denn wenn ich mir das verschnirkelte Hasenportrait - Hardcover mit diesem Hasenpfoten – verschönerten Buchschnitt anschaue, könnte man kurz davon abkommen, dass die knapp 350 Seiten weit mehr enthalten als eine neue, märchenhafte Nacherzählung von Alice im Wunderland.

Schon auf den ersten Seiten bekam ich schreckliche Bilder in den Kopf gesetzt. Christina Henry nutzt eine Bildsprache, die nicht bis ins kleinste Detail geht, aber bis kurz davor. Sprich, jegliche Situation oder Gedanke war gut genug geschrieben, um mich darin eintauchen zu lassen. Das mochte ich sehr, obwohl die Autorin vor gefühlt keiner Grausamkeit Halt macht. Ich muss sagen, ich habe mir das dazugehörige Kopfkino ähnlich wie bei dem Film „Sucker Punch“ vorgestellt. Nur Alice träumt sich hier nicht in eine Parallelwelt, sondern der Sprung durchs Kaninchenloch ist durch die Flucht aus einem brennende Hospital ersetzt wurden. Das Setting zeigt so viele reale wie auch surreale Möglichkeiten, mischt Märchen, Magie und lebensnahe Zustände, dass ich froh war, dass ich die Welt wie auf einer Heldenreise Stück für Stück kennenlernte. Die „alte“ Stadt, früher von Magie beherrscht ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Armut und Bandenkriminalität stehen an der Tagesordnung. Die Bosse der einzelnen Banden erinnern stark an Protagonisten der Ursprungsgeschichte, absolut Hammer. Am liebsten mochte ich tatsächlich die „Grinsekatze“, so gerissen, vorausschauend und mit jeder Faser interessant gestaltet.

Ebenso mochte ich das seltsame Gespann Alice und Hatcher, das ich die ganze Zeit begleitete, obgleich es nur aus Alice personaler Perspektive beschrieben wurde. Bei Beiden überkam mich schnell das Gefühl, sie zu kennen und zu verstehen, obwohl sie mich noch nicht komplett in ihre Seele schauen ließen. Wie auch? Beide haben kaum Erinnerungen an die Ursache für ihren Aufenthalt in dem Hospital. Mir war von Anfang an bewusst, dass ein Ziel der Story sein wird, all das Geschehene gemeinsam mit Alice und Hatcher aufzuarbeiten.

Alice Charakter forderte mich ziemlich heraus, weil sie psychisch arg vorbelastet ist und trotz, dass 10 Jahre vergangen waren, sie den Stand einer 16 Jährigen besitzt. Ihr fehlen 10 Jahre Erfahrungen, Emotionen, ja das komplette Erwachsenwerden wurde ihr genommen. Überlegt euch das bitte einmal! Sie bekam nie die Möglichkeiten eigene Entscheidungen zu fällen und ihr Gedächtnis weist riesige Lücken auf, die sie zu Beginn nur widerwillig füllt. Für sie brauchte ich Geduld und Verständnis, denn wie sie sich von Hatcher abhängig macht und eine sprunghafte Entwicklung (auch gern mal rückwärts) hinlegt, gefiel mir nicht. Nichtsdestotrotz nachvollziehbar mit dem Hintergrundwissen, das sich von Seite zu Seite aufbaut.

Ähnlich ging es mir mit Hatcher. Er machte mir anfänglich echt Angst. Seine „Stimmungswechsel“ kamen abrupt, einem Kurzschluss gleich und endeten verheerend. Ja, mir war ab und zu übel. Andererseits zeigte der Hühne einen lebensnotwendigen Beschützerinstinkt gegenüber Alice und seine Ehrlichkeit ist eine wichtige Eigenschaft, die sogar mit Feingefühl bestückt ist. Interessanterweise empfinde ich es so, dass er gute moralischen Ansichten vertritt, aber sie nicht ausleben kann. Wie sagt man so schön, das Leben hat ihm böse mitgespielt. Bei ihm war meine Geduld trotzdem öfter am Ende und ich dachte nur „Mensch Hatcher, das hätte jetzt nicht sein müssen“.

Geradeaus, ehrlich und vertrauensvoll scheinen optimale Voraussetzungen für eine angehende Liebesgeschichte zu sein. Nur die passt hier nicht so rein, zwischen Erinnerungslücken, Morden und der Suche nach dem „Bösen“, das vernichtet werden muss. Und ich muss sagen: Hatcher schien mir vom Alter her bereits um die 40 Jahre alt zu sein und bei Alice hatte ich immer das 16-Jährige Ich vor der Nase. Das Bild eines Liebespaares passte nicht in meinem Kopf. Zudem artete der Beschützerinstinkt in besitzergreifende Züge aus. Umso mehr genoss ich es, dass Alice seine Taten infrage stellte und anfängt ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Zudem verglich sie ihre Reise durch die Gangsterterritorien sogar mit einer Geschichte (beispielsweise, dass es ja klar ist, dass die Tür, die einmal geschlossen ist, sich nicht mehr öffnen lässt). Ihr seht schon, die Charakter zeigen abwechslungsreiche Facetten.

Die Quest der Storyline ebnete sich bereits früh, sodass mir bewusst war, worauf es hinauflaufen musste. Doch der Weg dahin versetzte mich in Erstaunen, entweder aus Faszination, Grusel oder unvorstellbarer Widerwärtigkeit. Es hat mir den Atem geraubt. Obwohl die Gründe kaltblütiger Natur waren. Gerade der Umgang mit dem weiblichen Geschlecht zeigt, dass man die Story zeitlich dem 19./20. Jahrhundert gleichsetzen kann. Dann gab es wieder diese Momente, in denen Zauberei, Fabelwesen und die so toll umgesetzten Alice-Momente die Eycatcher waren. Das Ende war dagegen unspektakulär und ich habe gelernt, dass Alice und Hatchers Geschichte im 2. Band weiter gehen wird. Denn erst ab band 4 widmet sich Christina Henry einer anderen Figur eines Klassikers.

Fazit:

Definitiv fesselnd und eine gelungene (Grusel-)Adaption von „Alice im Wunderland“. Für LeserInnen mit einem starken Herzen, deren Nervenkonstrukt kaltblütige Machtstrukturen und Blut vertragen. Dafür bekommt man mit ein wenig Geduld tiefgreifende Geheimnisse gelüftet und magische Momente geschenkt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.07.2020

Wie Monika Peetz es schaffte, die Settings so umzudrehen, dass das allein schon ein unheimlicher Twist war

Das Herz der Zeit: Die vergessenen Geschichten
0

Allgemein:

Schriftstellerin, Drehbuchautorin, Filmproduzentin und ein Fan von journalähnlichen Buchnotizen - das ist Monika Peetz. Ihre erste Jugendbuchreihe um die Zeitreisende Lena und deren Freunde ...

Allgemein:

Schriftstellerin, Drehbuchautorin, Filmproduzentin und ein Fan von journalähnlichen Buchnotizen - das ist Monika Peetz. Ihre erste Jugendbuchreihe um die Zeitreisende Lena und deren Freunde Dante, Bobbie und Coco endet mit "Das Herz der Zeit - Vergessene Geschichten". Wunderlich, ein Imprint von Rowohlt, veröffentlichte das Buch im Juni 2020 und schickt die Protagonistin Lena auf ihr letztes Abenteuer. Sie muss nicht nur die Stadt der Unsichtbaren, die Heimat der Zeitreisenden, sondern nun die ganze Welt retten. Nachdem Desaster in der Nacht der Eulen, in der die nächste Generation der Zeitreisenden berufen werden sollte, ist nichts mehr wie es war. Der Zauberkönig hat die Stadt eingenommen und führt ein hartes Regime ein, das der Aufgabe der Agentur für Schicksalsschläge den Garaus macht. Lena und Bobbie flüchten ohne Vorwissen in das Jahr 2031. Doch wie sollen sie von dort aus den Unsichtbaren helfen? Können ihre Freunde sie unterstützen oder nur hilflos zusehen?

Mein Bild:

Endlich wieder eine Coverfarbe nach meinem Geschmack. Der seegrüne Untergrund passt viel besser zu den Blumen und dem goldenen Emblem der Reihe. Ich verstehe nach wie vor nicht, warum Band 2 rosa sein musste. Mit über 400 Seiten reiht sich der 3. und damit letzte Band der Zeitreise-Reihe um Lena und ihre Begleiter perfekt ein. Zwischen den Buchdeckeln verbergen sich nicht nur die Seiten aus Papier, sondern erneut eine Karte der unsichtbaren Stadt, sogar in ihrem aktuellen Zustand, und mit Hinweisen, dass sich ziemlich viel verändert hat. Kein gutes Omen für das bisherige Doing der Zeitreisenden, wie mir schien. Ich war echt gespannt.

Ich freute mich wieder über die hübsch geletterten Kapitelüberschriften, sowie abwechselnd aus Lenas und Dantes, später auch aus Bobbies, personaler Sicht der Storyline zu folgen. Ein Coup war allerdings, dass die Autorin zu Beginn eine Zusammenfassung der Ereignisse aus den beiden anderen Büchern hinlegte. Das fand ich cool, schließlich ist doch einige Zeit seitdem Erscheinen von Band 1 und 2 vergangen. Trotzdem hatte ich Probleme rein zu kommen. Das lag vor allem daran, dass ich bei Band 2 auf den letzten 100 Seiten den Faden verlor und nun nach "Was bisher geschah" genau an dem Cliffhangerpunkt von Band 2 wieder einstieg. Das ging einfach nicht. Was habe ich also gemacht? Genau, die letzten 100 Seiten von Band 2 nochmal gelesen. Danach klappte es besser.

Raus aus dem Chaos der unsichtbaren Stadt, rein in die Zukunft. Lena trifft die Zeitreise ins Jahr 2031 überraschend und sie merkt bereits auf dem Weg dorthin, dass es nicht natürlich ist nach vorne statt zurück zu reisen. Das fand ich ziemlich interessant und war der erste Akt für eine sich aufbauende Logik, warum die Unsichtbaren (also die Zeitreisenden) normalerweise nicht in die Zukunft reisen. Die Thematik an sich ist recht komplex und ich war froh, dass mich die Infos nicht mit voller Wucht erwischten.
Das Setting selbst beschäftigte mich dafür zu sehr. Die Autorin beschrieb sehr, wirklich sehr realitätsnah, wie unsere Welt irgendwann aussehen könnte. Da ich weiß, dass Monika Peetz gut recherchiert, habe ich keine Zweifel an diesem Bild. Stellt euch vor, ihr habt einen eingepflanzten Chip im Arm, der eure Körperwerte bestimmt, mit dem ihr bezahlt, den Alltag bestreitet, der euch überwacht und passend dazu noch Knöpfe im Ohr, die euch den ganzen Tag sagen, was ihr tun und lassen solltet, was gut und schlecht für euch ist usw.. Unmöglich? Nutzt ihr Fitnesstracker? Google? Smart Speaker? Fragt ihr euch manchmal, woher die Werbung weiß, was ihr mögt? Genau das! Positiv sehe ich dagegen den Weg eines autonomen Verkehrssystems. Wow, das hatte schon etwas Pionierhaftes an sich. Doch das wird die aufgezeigten Folgen des Klimawandels nicht mehr aufhalten. Wir sehen es ja bereits jetzt. Es ist zu trocken. Regen ist gefühlt nur noch ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Autorin macht im gesamten Buch darauf aufmerksam, dass es bereits 5 nach 12 ist und wer eine Zukunft für unsere Umwelt haben will, muss etwas dafür tun und ihr entsprechend Respekt erweisen.

Das bezieht sich genauso auf die Geschichte der Menschheit. Ich musste echt schlucken, als ich las, was passiert, wenn die Möglichkeit der Zeitreise in die falschen Hände gerät. Ich werde hier nicht spoilern, doch ich verstand die strenge Handhabe der bisherigen Chefin, der Zeitmeisterin, besser. Sie legte Wert darauf, dass sich an Regeln gehalten wird, dass die Bewohner der Stadt organisiert und spezialisiert waren, um den Menschen in der Vergangenheit zu helfen. Das war für Lena und mich eine bittere Erkenntnis. Denn bisher verstanden wir beide nicht, warum den Unsichtbaren nicht ein wenig mehr Freiheit geboten wird. So schnell kann eine Kehrtwendung erfolgen, die meisterlich umgesetzt wurde.

Ich folgte zwei Handlungssträngen und damit auch je 2 Charakteren. Das war nicht nur abwechslungsreich, sondern auch raffiniert gestrickt, weil sich beide Stränge später verbanden. Lena und Bobbie begleitete ich ins Jahr 2031: Lena als Protagonistin war für mich nicht der Star der Geschichte. Klar, sie entwickelt sich. Gerade bezüglich ihrer bisherigen Zeitreiseerfahrungen wirkt sie verantwortungsbewusst. Aber ich hätte sie oft genug schütteln können, weil sie der Wahrheit laaaanggeeee nicht ins Gesicht sieht. Das habe ich mir anders vorgestellt. Ihre beste Freundin Bobbie hingegen bleibt ein Liebling von mir. Sie sieht nach vorne, schenkt mir Momente des Lächelns, die ich nur ihrer schnellen Reaktionsfähigkeit zu verdanken habe. Ihre Entwicklung zeigt nun mehr spontane, wie auch impulsive Züge. Kleine Katastrophen sind damit vorprogrammiert, die die Seiten nur so dahin fliegen ließen.

Im anderen Handlungsstrang folgte ich Dante und Coco. Und wow, ist Dante verknallt. Er, der Junge mit den zwei verschieden farbigen Augen, dem schwarzen langen Mantel, dem weißen Haar, der, der sich quasi unsichtbar machen kann - die rosarote Brille stand ihm nicht gut. Dante hätte ich also auch schütteln können, bis er wirklich wahrnahm, dass er mehr zu retten hatte als die Liebe, nämlich seine zuhause. So im Nachgang betrachtet, ist die Liebesgeschichte zwar ganz süß, aber unnötig. Eine Freundschaft zwischen den Beiden hätte mir ausgereicht. Doch nun zu meinem persönlichen Charakter-Highlight: Coco. Das asiatische Mädchen mit den violetten Strähnen brauchte bis zum 3. Band um mein Herz zu erobern. Ja, durch diverse Umstände ist sie absolut naiv und gutgläubig. Doch sie war die Hoffnung in Person und das mochte ich. Ich meine, alles versinkt im Chaos und sie war der Lichtblick. Danke dafür.

Das Ende fesselte mich auf jeden Fall. Bangen und hoffen sollte schließlich jeder Leser / jeder Leserin. Denn im Verlauf der Geschichte wurde klar, dass es nicht das ultimative Happy End sein könnte. Ich wusste tatsächlich nicht, ob es nun so kommt oder nicht, freundete mich aber mit dem tatsächlichen Kompromiss an. Wie sagt man so schön: Manchmal ist es gut, wenn man nochmal von vorn beginnt.

Fazit:

Das Finale der Zeitreisereihe hat meine Erwartungen erfüllt und überraschte mich mit der "Umkehrung" der Settings, einer facettenreichen Storyline und die Kontinuität der Message "seine Zukunft selbst in die Hand zu nehmen" und nicht nur zuzusehen oder gar weg zurennen. Lediglich die Protagonisten haben mich an mancher Stelle enttäuscht. Daher für Lesende, die mehr als nur ein Zeitreiseabenteuer im Sinn haben.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.07.2020

Mehr Elsass als Paris, mehr RomCom als Roadmovie

Coco, Sophie und die Sache mit Paris
0

Allgemein:

Stephanie Jana und Ursula Kollritsch sind nicht nur ein Autorinnenduo, sondern auch beste Freundinnen. Da liegt es nicht weit entfernt, einen Roman über zwei Frauen zu schreiben, die schon ...

Allgemein:

Stephanie Jana und Ursula Kollritsch sind nicht nur ein Autorinnenduo, sondern auch beste Freundinnen. Da liegt es nicht weit entfernt, einen Roman über zwei Frauen zu schreiben, die schon ewig durch dick und dünn gehen. Coco ist frisch verliebt und will ihren heimlichen Schwarm Nik ein paar Tage in Paris besuchen, um herauszufinden, ob er das ist, wofür ihr Herz ihn schon längst hält. Aus Angst, dass es nach hinten los gehen könnte und der Zufall, dass Nik auch noch der Bruder ihres Ex-Mannes ist, brachte sie bisher dazu, kein Wörtchen über ihn zu verlieren. Nicht mal gegenüber ihrer besten Freundin Sophie, die dringend eine Auszeit von Job und Alltag benötigt. Als Sophies geplanter Single-Wellnesstrip ausfällt und alternativ nun Urlaub mit der Teenie-Tochter in Paris ansteht, führt eins zum anderen, so dass Coco auf einmal in Sophies grünen Renault sitzt ohne ein Wort über Nik zu verlieren. Kann das gut gehen? Den sommerlichen Roman veröffentlichte Goldmann im Mai 2020 als Klappenbroschur.

Mein Bild:

Knapp 450 Seiten lagen vor mir. Das Cover einfach gestaltet, aber irgendwie niedlich, wie die zwei Frauen auf dem Oldtimer sitzen und den Eiffelturm anschauen. Ich sage es euch gleich, die Protagonistinnen sitzen innerhalb der Story in keinem Oldtimer, sondern in einem laubfroschgrünen Renault. Ebenso ist der Eiffelturm eher ein Teil einer Erinnerung, die beide Protagonistinnen mit ihrer "Sehnsuchtsstadt" Paris verbinden. Irgendwie hatte ich da andere Vorstellungen. Was mir im Buch bzw. hinter der Klappe sehr spät aufgefallen ist, ist die passende Playlist mit Klassikern rund um den französischen Lifestyle, die im Buch selbst benannt und mitgesungen werden. Die Idee ist absolut perfekt und die Playlist auf Spotify schnell auffindbar.

Der Einstieg ins Buch begann mit einem Prolog, der auf das Ende der Geschichte anspielte und Spielraum für Spekulationen zulässt. Ich bin kein Fan davon, weil es mich entweder spoilert oder irritiert, weil die Geschichte danach erst los geht und ich mich in einer völlig anderen Situation befinde. Also, Prolog ja, aber ohne das eine Schlüssel- bzw. Schlusssituation vorweg genommen wird. Auch wenn mir bewusst ist, dass diese Art Spannung und Anreize schaffen soll.

Ansonsten gefiel mir die simple Struktur des Buchs ziemlich gut. Gerade richtig, um sich bei sommerlichen Temperaturen schnell zurecht zu finden. Es gibt klare Unterteilungen wie Kapitelüberschriften, die ein wenig vorweg nahmen, was passieren könnte und darunter die Namen der jeweiligen Protagonistin, der ich per Ich-Perspektive folgte. Zudem gibt es kleine kreative Gadgets, wie handschriftliche Einschübe in Form von To Do - Listen und auf den letzten Seiten Rezepte zu manch kleiner Leckerei, die innerhalb der Geschichte eine Rolle spielen.

Die zwei Mittdreißigerinnen sind ein Kaliber für sich. Ich lernte sie ziemlich schnell kennen, mochte aber Sophie lieber als Coco, zumindest am Anfang. Sophie leitet eine Literaturagentur, ist alleinerziehend, steht ziemlich unter Stress und versucht über diverse Möglichkeiten mehr Entspannung in ihr Leben zu bekommen. Ich habe sehr geschmunzelt, wie sie ein esoterisches Onlineportal namens "shine your light" entweder sehr ernst genommen oder sich selbst darüber lustig gemacht hat. Sophie ist schlagfertig und sarkastisch, gerade, was ihre Autoren betrifft - und Himmel, da kann ich sie verstehen. Von wegen Agentin, nein, viel mehr Psychologin und die Nummer gegen Kummer für Autoren scheint sie zu sein. Überspitzter Humor gehört zu diesem Buch wie die Sahne aufs Vanilleeis, entweder man mag es oder nicht. Ich freute mich drüber. Außerdem verstand ich Sophies Wunsch nach Entschleunigung: Einfach nicht zu müssen, sondern einfach zu sein. Ich finde den Ausdruck sehr passend. Das Autorinnenduo trifft es dahingehend oft auf den Punkt.

Coco hingegen ist eine Lebefrau, eine launische, aber bildhübsche Lebefrau. Ihr Name ist Programm. Sie schreibt Kolumnen bei einer Tageszeitung trotz eines hochgradigen, für mehr geeigneten, Studienabschlusses. Ihre direkte, gern auch sarkastische, Art ist herrlich - besonders wenn sie gedanklich Personen mit Schauspielern oder Stereotypen vergleicht, konnte ich nur mit den Kopf schütteln und gleichzeitig schmunzeln, weil ein bisschen Offenheit gegenüber neuen Menschen nun wirklich nicht schadet. Im Verlauf nervte Coco mich dann schließlich sehr damit, dass sie ihre Selbstbeherrschung verlor und zur Unhöflichkeit neigte (diskret gesagt). Ja, ich verstehe, dass sie es eilig hat nach Paris zu kommen, aber sie hat sich das Dilemma selbst eingebrockt, meine Güte! So ungefähr ging es mir mit ihrer Perspektive.

Meine Vorstellung bezüglich des Plots war eine ganz andere. Ich dachte echt, dass sie in Paris ankommen und Coco einfach versucht, sich zu teilen, damit Sophie nicht mitbekommt, dass sie jemanden trifft. Ha! Falsch gedacht! Stattdessen lerne ich eine sehr idyllisches Fleckchen Erde im Elsass kennen und möchte am liebsten sofort in der alten Villa von Sophies Tante Marlene Urlaub machen. Es war nicht überaus kitschig und ausladend formuliert - eine Rarität in so einem Setting - und kurze Stichworte genügten schon, um mich in Sommerstimmung zu versetzen. Ich spürte die Wärme der Sonne, schmeckte den Kirschlikör, saß unter einem schattigen Kirschbaum auf einer Bank, spazierte durch das Dorf und feierte ein Fest.

Mir fiel auch auf, dass das Autoinnenduo wert auf viele Nebendarsteller legt. Zumindest kam ich mir nie einsam mit den beiden Hauptdarstellerinnen vor. Man nehme typische Klischees wie den gutaussehenden, französischen Lover, verpasse ihm ein Piratenoutfit und ne Küchenschürze und voila aufgepeppt. Ebenso der Autor, der Angelromane schreibt - ok, ihn male ich lieber nicht aus, der war zu gut. Wie der Humor sind die Figuren überspitzt dargestellt. An mancher Stelle wünschte ich mir mehr Alltäglichkeit in ihren Eigenschaften, weil ich das nicht ernst nehmen konnte, lustig hin oder her.

Absolutly unglaubwürdig war die Nummer mit den Freundinnen, die sich ewig kennen, in und auswendig, also so richtig, aber Sophie bekommt nicht mit, dass Coco in love ist. Ich hätte mir die Haare ausreißen können, weil die Beiden nicht offen miteinander umgegangen sind. Sie sind doch keine Teenies mehr, sondern gestandene Frauen. Wenigstens lernt man hier wieder einmal, dass Lügen nichts verbessern. Ich finde, weniger Drama hätte dieser sommerlichen Geschichte gut getan - einfach ein paar mehr schöne Erlebnisse rein basteln, fertig. Der Abschluss entschädigte definitiv, wie ein schöner, lauer Sommerabend mit einem Glas Wein.

Fazit:

"Coco, Sophie und die Sache mit Paris" macht schon Lust auf Urlaub im schönen Frankreich, jedoch muss man mit überspitzter Dramatik und Humor rechnen. Dafür geht der Roman leicht von der Hand und führt zu einem angenehmen Ende.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.06.2020

Kreative Mathematik, eine coole Clique und endlich mal kein Drama

Can you help me find you?
0

Allgemein:

Amy Noelle Parks ist Mathematikerin, Lehrerin und RomCom - Fan. Mit "The quantum weirdness of the almost-kiss" wurde sie auch zur Autorin. Der YA-Roman erschien 2020 in Deutschland unter dem ...

Allgemein:

Amy Noelle Parks ist Mathematikerin, Lehrerin und RomCom - Fan. Mit "The quantum weirdness of the almost-kiss" wurde sie auch zur Autorin. Der YA-Roman erschien 2020 in Deutschland unter dem Titel "Can you help me find you" bei Rowohlt. Inhaltlich verpackte die Autorin genau das, womit sie sich gern beschäftigt in eine Geschichte, denn es dreht sich um die siebzehnjährige Evie, die gemeinsam mit ihrem besten Freund Caleb die Newton Academy besucht. Sie, das Mathe-Genie, er, der Computer-Crack, kennen sich ihr ganzes Leben lang. Doch Evie merkte bisher nicht, dass Caleb mehr in ihr sieht als die beste Freundin. Gefühle dieser Art sind Evie fremd, Angstzustände und Panik dagegen allgegenwärtig, zumindest bis ihr Leo auffällt. Caleb beschließt, dass Evie sich nur in ihn verlieben kann, indem er sich für jemand anderen ausgibt. Wie gut, dass es anonyme Chats gibt.

Mein Bild:

Leute! Gleich zu Beginn, dieses Buch beinhaltet mehr als der äußere Schein her gibt. Ich finde es furchtbar schade, dass der Original-Titel nicht übernommen wurde, da dieser einfach besser gepasst hätte. Allerdings gebe ich zu, dass "Can you help me find you" tatsächlich eine Rolle innerhalb der Geschichte spielt, die sich nicht leugnen lässt. Trotzdem wirkt das rosafarbene Cover mit schörkeligen Buchstaben und auf das Smartphone starrende Jugendliche zu typisch und sagt zu wenig aus. Ich ahnte also nicht so sehr, was mich auf den 360 Seiten erwartet. Amy Noelle Parks machte es mir dennoch sehr einfach, mich in die Geschichte einzufinden. Es wird abwechselnd aus Calebs und Evies Ich-Perspektve erzählt. Beide sind super auseinander zu halten und haben ihre liebenswerten Eigenheiten.

Mit Evie musste ich zunächst warm werden. Sie sieht die Dinge objektiv und mit Abstand, hat Probleme sich in andere Menschen hineinzudenken, sprich sie zu deuten. Einerseits fand ich das befremdlich, andererseits ein wenig amüsant, weil ich sie schon verstehen kann. Gedanken kann man eben nicht immer lesen. Neben ihrer intelligenten und bedachten Art, die absichtlich zu Sarkasmus neigt, ihren Freunden und der High School, setzt sich Evie seit Jahren mit ihren situativen Angstzuständen auseinander. Die Autorin bewies ein feinfühliges Händchen bei diesem Thema - sie dramatisierte nichts, stellte die Krankheit nicht in den Mittelpunkt, zeigte dennoch, dass sie Evies ständiger Begleiter sein kann. Gerade zu Beginn des Buches war ich mir jedoch nicht sicher, wie gut Evie damit umgehen kann. Ich stellte mir die Frage, ob sie in einer massiven problematischen Situation steckt oder ob sie Dank ihrer wirklich genialen Therapeutin ihr Leben packt. Das wurde erst später klarer gezeichnet. Schade trotz des Feingefühls.

Sehr faszinierend fand ich, dass Caleb mir Evie näher gebracht hat. Ich glaube, seine lebenslange Übung darin, Evie zu lesen, half mir als Leserin sehr, sie besser zu verstehen. Ich bin auch definitiv Team Caleb. Wir sprechen hier nicht von einem Bad Boy, einem Helden oder Perfect Dreamboy, nein, wir sprechen hier von einem besten Freund, Bruder, Programmier-Junkie, einen kleinen Aufreißer, Sportler, den gutmütigen Kerl von nebenan, den spontanen Spaßvogel aus der letzten Reihe, der GUTE Sprüche in den Raum wirft. Das ist Caleb und noch viel mehr. Ich mag seine Offenheit und wie er mir sein Herz geöffnet hat. Caleb und Evie wirken wie zwei Hälften, die sich total symbiotisch miteinander verbinden. Das klingt schnulzig, ist es trotzdem nicht. Die Autorin zeigt diese tiefe, "nicht fleischliche" Beziehung so natürlich. Zwei Menschen, die sich in- und auswendig kennen. Wunderschön.

Um ehrlich zu sein, hätte ich die Dreiecksgeschichte mit dem tatsächlich sympathischen Leo nicht gebraucht. Klar, beim Lesen suchte ich mir mein Team, so ist das nun mal, und irgendwie sollte Evie die erste Liebe ja kennenlernen und bekam das auf undramatische Weise. Ich war überrascht. Keine Eifersüchteleien, die groß an den Pranger gestellt wurden, nur kleine Aussetzer, die ich gut nachvollziehen konnte. Eine Dreiecksgeschichte, die angenehm zu lesen ist? Ja, es ist wahr. Vielleicht liegt es daran, dass die Autorin weitere wichtige Punkte anspricht, die ohne die Dreiecksgeschichte ebenso funktioniert hätten.

Zum einen die naturwissenschaftliche Welt. Ich mochte Mathe nie. Physik war in Ordnung und Informatik... Sagen wir, es hörte bei HTML auf. Und jetzt kommts! In dieser Geschichte machte es mir Spaß darüber zu lesen. Theorien, die kreativ diskutiert werden, Skizzen und Zeichnungen, um Gleichungen darzustellen, Winks auf Matrix & Co. und die Message, dass die Protagonistin Mathematik so zeigen will, dass jeder normale Mensch sie versteht. Evie ist dafür definitiv ein Opener gewesen. Eingebettet wurde das Ganze nicht nur in Hausaufgaben, die übrigens nicht als nerviges Beiwerk, eher als Freizeitbeschäftigung und als Selbstverständlichkeit gesehen werden, sondern in einem hoch prämierten Wettbewerb, der mich mitfiebern ließ.

Zum anderen las ich leider auch die Kehrseite der Medaille. Frauen in der Wissenschaft, Frauen in der Mathematik, Frauen, die einfach nicht für voll genommen werden. Wow. Es hätte mich nicht überraschen dürfen. Doch, dass Lehrer, hochintelligente Wissenschaftler im 21. Jahrhundert so abwertend damit umgehen, ließ mich trotzdem stocken. Von Rassismus ganz zu schweigen. Ich denke, die Autorin steuerte damit ihre eigenen Erfahrungen bei. Ein Fingerzeig auf die altertümliche Denkweise einiger aus älteren Generationen. Umso mehr genoss ich die Reaktion der Jugendlichen darauf - Sie zeigen auf sehr smarte Weise, was in ihnen steckt und ich konnte nur denken "Tja, das haste jetzt davon".

Das ist nicht alles: Mobbing, falsche Entscheidungen (das ist nett ausgedrückt) innerhalb der Familie, seinen eigenen Weg finden, sich auf die Zukunft vorbereiten, Ängste zu überwinden und über sich hinauswachsen - irgendwie das, was man bei Young Adult erwartet. Schön fand ich, dass Nebencharaktere wie Evies beste Freundin Bex eine Geschichte bekamen, der ich folgen dürfte. So wurden die Probleme des Lebens nicht nur auf wenige Köpfe verteilt und Bex musste ich einfach lieben. Ich kenne kaum eine bessere Vermittlerin wie sie.

Ich genoss die meisten Zeilen der Geschichte. Wie kann man es nur schaffen easy zu schreiben und trotzdem so intelligente Anekdoten raus zu hauen? Der Schreibstil war dadurch angenehm. Dialoge, Gedankengänge und situationsnotwendige Beschreibungen sind das Ding der Autorin. Wer geblümte Malereien des ganzen Settings oder der Protagonisten sucht - Fehlanzeige. Das hat mich aber null gestört. Einzig und allein die Übersetzung besitzt ihre Schwächen. Ich sage nur, wir haben wieder das "Girlfriend/Boyfirend"-Problem. Im Deutschen klingt das einfach bescheiden.

Nichtsdestotrotz endet diese Geschichte so wie man es sich wünscht oder zumindest fast. Sie hat keinen Moment losgelassen und ich glaube, dass ich das Buch nicht so schnell vergessen werde.

Fazit:

Vielseitg gezeichnete Charaktere, Geisteswissenschaften modern und ansprechend, Gesellschaftskritik, die zum Umdenken anregt und eine locker, leichte Geschichte um die erste Liebe. "Can you help me find you" ist empfehlenswert.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.05.2020

Eine abenteuerliche Idee mit Oliver Twist-Charme, aber da geht definitiv mehr

Die Namenlose Königin
0

Allgemein:

Die amerikanische Autorin Rebecca Mc Laughlin ist eine leidenschaftliche Schreiberin und beweist das in der Öffentlichkeit vor allem auf ihrem Blog oder auf YoutTube. Ihre Vorliebe für Fantasy-Romane ...

Allgemein:

Die amerikanische Autorin Rebecca Mc Laughlin ist eine leidenschaftliche Schreiberin und beweist das in der Öffentlichkeit vor allem auf ihrem Blog oder auf YoutTube. Ihre Vorliebe für Fantasy-Romane zeigt sich in Ihrem Debüt "Die namenlose Königin", das Bastei Lübbe 2020 in Deutschland veröffentlichte. Innerhalb der Geschichte lernt der Leser / die Leserin die junge Namenlose Münze kennen. Sie gehört zur erbärmlichen Bevölkerungsschicht Seridens und versucht ihren Lebensunterhalt als Diebin zu "verdienen". Doch von einem Moment auf den anderen erscheint das königliche Kronen-Tattoo auf ihrem Arm. Mehrere Dinge verändern sich damit: Der bisherige Herrscher ist nicht mehr am Leben und Münze wird zu seiner Thronerbin inklusive besonderer Gaben. Jeder fragt sich nun, wieso König Fallow eine Namenlose gewählt hat.

Mein Bild:

Zunächst einmal empfinde ich eine große Coverliebe gegenüber diesem knapp 350 Seiten dicken Taschenbuch. Es strahlt Kampfgeist und etwas Mystisches, ja, Verschleiertes aus. An sich sehr passend, allerdings wäre mir eine Krone lieber als ein Schwert gewesen. Das nur am Rande.
Ich war wahnsinnig überrascht, dass die Story in der Ich-Perspektive geschrieben ist. Das ist bei Fantasy so selten und ich finde, dass mir dadurch Informationen enthalten werden, weil es teilweise etwas von Scheuklappensicht auf eine mir gänzlich unbekannte Welt ist. Natürlich könnte ich es auch als Challenge ansehen, aber lesen soll hauptsächlich Spaß machen. Ich wurde also zu Beginn gleich in Coins bzw. Münzes Alltag geworfen. Und ja, es war verwirrend. Namen wie Coin (später war es dann nur noch Münze, warum weiß ich nicht), Hut, Kreisel oder Teufel wurden umher geworfen und nach wenigen Seiten sogar schon der Beginn einer Nebenhandlung angeteasert. Ich kam schwer in die Geschichte und der Schreibstil hob mich wenig aus den Latschen - verständlich, einfach, aber wenig fantasievoll. Schritt für Schritt wurde es jedoch besser, es kam mir vor, als hätte die Autorin sich auch erst einmal einarbeiten müssen. Später empfand ich die Art und Weise, gelegentlich sogar mit Lebensweisheiten geschmückt, als angenehm.

Also gut Ding will Weile haben, nicht wahr? Umso mehr ich gelesen habe, umso mehr habe ich verstanden, wie die Gesellschaft im Königreich Seriden funktionierte, also zu einem Großteil, denn die Rolle der Namenlosen hatte für mich logische Lücken. Zum einen werden sie als Menschen ohne Rechte definiert, deren Taten oft unter den Tisch fallen gelassen werden bzw. werden sie ignoriert und trotzdem richtet man über sie. Gut, es ist jetzt nichts Neues, dass eine arme Bevölkerungsschicht unterdrückt wird, aber warum hat man die Namenlosen nicht einfach verbannt oder ähnliches? Dafür gefielen mir die klaren Linien zur Unterscheidung der jeweiligen Gruppen und wie viel Bedeutung Namen haben können. Denn das ist gar nicht abwägig, dass ein Name Macht verleihen kann! Das war einer von vielen kleinen Aspekten, die den Reiz an der Geschichte ausgemacht haben.

Des Weiteren gefiel mir das Gimmick von Oliver Twist sehr gut, denn Münze wurde von einem Betrüger großgezogen, der eine kleine Kinderbande unter seine Fittiche hat. Dem Wiedererkennungswert eines Klassikers konnte ich mich nicht verwehren. Ebenso entwickelten sich die Nebencharaktere von anfangs klischeebehafteten Typen, wie einer Prinzessin oder der eigene Wachschutz, zu mehrschichtigen Persönlichkeiten, denen ich gern begegnet bin. Die Autorin hielt dahingehend einige Überraschungen bereit und Plotttwists sind definitiv ihre Stärke - wie die kleinste Situation auf einmal ganz anders erscheint. Das war richtig, richtig gut umgesetzt und wäre mir nie so eingefallen. Allerdings gibt es einen Haken dabei. Die Autorin nahm sich ein paar Freiheiten, um die Twists so umsetzen zu können. Ich meine, jemanden Befehlsgewalt zu erteilen, der eigentlich keine besitzt oder Fähigkeiten, die rudimentär vorhanden waren, in Windeseile zu beschwören... Das gibt einen faden Beigeschmack. Zumindest erschien es mir im Nachgang teilweise so.

Umso entscheidungssicherer die Charaktere wurden, insbesondere die Protagonistin, umso selbstsicherer verlief die Handlung. Jegliche Umschiffung einer Tatsache erreichte endlich ihr Ziel. Das half mir mit Münze warm zu werden. Einerseits mochte ich ihre schnippische, herausfordernde, ja, fast schon straßenköterische Art. Andererseits gab es diese Wankelmütigkeit in ihrer Meinung. Ist sie nun dem Schicksal gewachsen oder nicht? Weglaufen, angreifen, wieder weglaufen... Ganz ehrlich: Wenn ich schon herauslese, wo sie letztendlich hin möchte, brauche ich es nicht noch unnötigerweise hinauszögern. Dafür vertraute sie meines Erachtens auch viel zu schnell Menschen, die sie nicht kannte und das für jemanden, der es bisher vorzog allein zu überleben. Lasst euch das mal auf der Zunge zergehen. Aber wie gesagt, um so mehr die Geschichte voranschritt, umso besser wurde das Doing mit ihr.

Aspekte wie Freundschaft, Loyalität, Familie, Herkunft und Macht werden auf vielseitige Weise in den Plott verwoben und hinterfragt. Die Message, offen gegenüber jedem Menschen zu sein, zeigt sich und das nicht überzogen.Ich glaube, dass die Autorin ihren Schwerpunkt vor allem auf die Handlung und Entwicklung der Charaktere legte, dabei das Setting jedoch aus den Augen verlor. Ich habe immer noch Schwierigkeiten mir die Stadt auszumalen, obwohl hier und da situationsbedingte Orte mit Liebe beschrieben werden, fehlt es am großen Ganzen. Ist es nur altertümlich angehaucht? Oder doch schon etwas moderner? Total witzig fand ich übrigens, dass sich alle geduzt haben. Entweder liegt es an der Übersetzung oder es ist selbst bei der royalen Schicht innerhalb der Geschichte so gewollt. Ungewöhnlich? Ungewöhnlich.

Fazit:

Eine Autorin mit Potenzial, das bestimmt noch nicht ausgeschöpft ist. Ein Fantasyroman, der Gesellschaftskritik, Abenteuer ähnlich Oliver Twist und einem sich steigernden Plott beinhaltet. Dafür sollte man Logiklücken und einen recht einfachen Schreibstil hinnehmen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere