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Veröffentlicht am 23.05.2017

Ein abwechslungsreicher und hochspannender Thriller vor der imposanten Kulisse der Dolomiten

Der Tod so kalt
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Inhalt:
Der New Yorker Dokumentarfilmer Jeremiah Salinger fühlt sich nach seinem letzten erfolgreichen Filmprojekt vollkommen ausgebrannt und leer. Er beschließt, sich eine kleine Auszeit zu gönnen und ...

Inhalt:


Der New Yorker Dokumentarfilmer Jeremiah Salinger fühlt sich nach seinem letzten erfolgreichen Filmprojekt vollkommen ausgebrannt und leer. Er beschließt, sich eine kleine Auszeit zu gönnen und mit seiner Frau Annelise und seiner kleinen Tochter Clara ein paar Monate in Siebenhoch zu verbringen, dem Heimatdorf seiner Frau in den Südtiroler Dolomiten. In dem abgelegenen, idyllischen Bergdorf glaubt er, etwas zur Ruhe zu kommen und viel Zeit mit seiner Familie verbringen zu können.
Während er eines Tages fasziniert den Hubschrauber der Bergrettung Dolomiten beobachtet, kommt ihm jedoch die Idee, einen Film über die Arbeit des Bergrettungsteams zu drehen. Als er die Crew bei einem Einsatz auf den Ortler begleitet, ereignet sich bei den Dreharbeiten ein schrecklicher Unfall, den Salinger als Einziger schwerverletzt in einer Gletscherspalte überlebt. Seitdem leidet er unter einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung, hat Panikattacken, Albträume und Wahnvorstellungen, in denen er immer wieder die Stimme der Bestie zu hören glaubt, die er zum ersten Mal in der Gletscherspalte am Ortler vernommen hatte. Er muss seiner Frau versprechen, sich nun zu schonen und mindestens ein Jahr nicht zu arbeiten.
Doch dann erfährt er zufällig, dass sich 1985 in der nahegelegenen Bletterbach-Schlucht ein furchtbares Verbrechen zugetragen hat, bei dem drei junge Einheimische bestialisch ermordet wurden. Salingers Schwiegervater und drei weitere Männer aus dem Dorf hatten die grausam zerstückelten Leichen gefunden, nachdem die drei jungen Leute nicht von einer Wanderung zurückgekehrt waren. Obwohl es zahlreiche Verdächtige gab, konnte der Mörder noch immer nicht gefasst werden. Salinger möchte unbedingt die Wahrheit über dieses dreißig Jahre zurückliegende Massaker herausfinden, aber als er beginnt, Fragen zu stellen, stößt er bei den Dorfbewohnern nur auf eine Mauer des Schweigens. Man gibt ihm unmissverständlich zu verstehen, dass es besser für ihn wäre, die Vergangenheit ruhen zu lassen, denn man will nicht, dass ein Fremder seine Nase in eine Angelegenheit steckt, die noch immer wie ein Fluch auf der Dorfgemeinschaft lastet. Aber Salinger schlägt alle Warnungen und Drohungen in den Wind. Er ist geradezu besessen davon, den Mörder zu finden und sicher, dass er die Stimme der Bestie nur zum Schweigen bringen kann, wenn es ihm gelingt, das Bletterbach-Massaker aufzuklären, selbst wenn er sich damit in große Gefahr begibt und riskiert, seine Familie zu verlieren.

Meine persönliche Meinung:


Wenn man an Südtirol denkt, kommen einem zunächst wunderschöne Landschaften, die schneebedeckten Gipfel der Alpen und Dolomiten, ein Meer von Weinbergen und Obstgärten sowie idyllisch gelegene Bergdörfer und blühende Almen in den Sinn. Ich bin eigentlich kein großer Fan von den Bergen, aber dennoch war ich gerade aufgrund des außergewöhnlichen Settings neugierig auf Der Tod so kalt von Luca D’Andrea, denn hinter dieser Postkartenidylle würde man eher einen beschaulichen Heimatroman als einen beklemmenden, zuweilen auch recht gruseligen Thriller vermuten. Die Gegend, in der Luca D’Andrea die Handlung seines Thrillers angesiedelt hat, kenne ich von diversen Urlauben recht gut, denn abgesehen von dem fiktiven Dörfchen Siebenhoch handelt es sich dabei um real existierende Orte. Die Landschaft Südtirols ist zweifellos wirklich traumhaft schön, aber auf mich wirkten die schroffen Berge auch immer ein wenig bedrohlich.
Und äußerst bedrohlich ist auch die Atmosphäre in Luca D’Andreas Thriller, nicht nur aufgrund der tückischen Gefahren, die in den Bergen lauern, sondern auch, weil der Autor die Dolomiten zum Schauplatz eines furchtbaren Verbrechens macht. Die Landschaft spielt in Der Tod so kalt eine sehr große Rolle. D’Andrea stammt selbst aus Bozen, kennt sich in der Gegend also bestens aus, ist auch mit den lokalen Brauchtümern, Legenden und Mythen vertraut und lässt diese immer wieder in die Handlung einfließen. Man merkt deutlich, dass der Autor vieles aus eigener Anschauung kennt, aber auch sehr akribisch recherchiert hat. Mir war die Legende vom Reich der Fanes bislang vollkommen unbekannt, und auch wenn ich ungefähr wusste, was ein Krampus ist, fand ich es sehr interessant, mehr über diese Schreckgestalt und das mit ihr verbundene Brauchtum zu erfahren. Auch die Auswirkungen des stetig zunehmenden Tourismus, der zur größten Einnahmequelle Südtirols geworden ist, sowie die Mentalität und die Eigenheiten der etwas verschrobenen Südtiroler beschreibt der Autor sehr authentisch und zeichnet ein überaus überzeugendes Porträt der verschworenen Dorfgemeinschaft des fiktiven Örtchens Siebenhochs.
Es ist für einen Fremden nicht ganz einfach, das Vertrauen der Einheimischen zu gewinnen, was Salinger, der Protagonist in D’Andreas Thriller, immer wieder zu spüren bekommt. Obwohl seine Ehefrau eine Einheimische ist, begegnen ihm die Siebenhochler mit unverhohlenem Misstrauen, nicht nur, weil sie ihn als Eindringling empfinden, sondern weil sie ihm auch die Schuld an dem Unglück am Ortler geben, das Salinger als Einziger überlebt hat. Er selbst leidet seit dem Unfall unter einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung, Wahnvorstellungen und Panikattacken, die er zu überwinden versucht, indem er geradezu besessen alles daran setzt, das dreißig Jahre zurückliegende Bletterbach-Massaker aufzuklären, bei dem drei junge Einheimische auf bestialische Weise ermordet wurden. Doch die Dorfbewohner wollen nicht, dass sich ein Fremder in ihre Angelegenheiten einmischt. Sie versuchen mit allen Mitteln, Salinger einzuschüchtern und greifen ihn auch tätlich an, weil er sich von ihren Drohungen nicht beeindrucken lässt. Auch sein Schwiegervater bittet ihn inständig, seine Recherchen einzustellen, und seine Frau droht, ihn zu verlassen, wenn er sich nicht schont. Doch Salinger lässt sich nicht beirren, denn er ist sicher, dass er die Stimme der Bestie, die er seit dem Unglück zu hören glaubt, nur zum Schweigen bringen kann, wenn es ihm gelingt, die Wahrheit über das Bletterbach-Massaker herauszufinden.
Der Autor hat seinen Protagonisten sehr fein gezeichnet und psychologisch glaubwürdig ausgearbeitet. Da das ganze Buch aus der Ich-Perspektive Salingers erzählt wird, man seine Gedanken, Ängste und Gefühlszustände also hautnah miterlebt, konnte ich mich sehr gut in ihn einfühlen. Er ist keineswegs ein mutiger Held, der ein dreißig Jahre zurückliegendes Verbrechen aufklären möchte, um sich zu profilieren, sondern ein gebrochener Charakter, der sich in eine Idee verrannt hat und dabei fast seinen Verstand verliert. Hin und wieder fiel es mir nicht leicht, Salingers Besessenheit für das Bletterbach-Massaker nachzuvollziehen, denn er begibt sich immer wieder in Gefahr, wird massiv bedroht und setzt außerdem auch seine Ehe aufs Spiel. Er liebt seine Familie über alles, und nur die Liebe zu seiner kleinen Tochter Clara bringt ihn hin und wieder zur Vernunft, denn er möchte sie auf keinen Fall verlieren. Doch dann gewinnt die Stimme der Bestie, die er seit dem Unglück am Ortler unaufhörlich zu hören glaubt, wieder die Oberhand. Er weiß, dass er sie nur zum Schweigen bringen kann und zur Ruhe kommen wird, wenn er den Mörder von damals entlarvt und ist ständig hin- und hergerissen zwischen seiner Familie und seiner Obsession. Die Momente mit seiner Tochter waren sehr berührend, denn das kleine Mädchen gibt ihrem Vater auf geradezu rührende Weise immer wieder Halt und Kraft. Nur das Buchstabenzählspiel, das die beiden ständig spielen und als eine Art Geheimsprache zwischen Vater und Tochter fungiert, ging mir irgendwann fürchterlich auf die Nerven, weil es doch sehr überstrapaziert wird.
Der Tod so kalt ist äußerst abwechslungsreich komponiert. Das ständige Wechselspiel zwischen sehr ruhigen, einfühlsamen Passagen und überaus rasanten, actionreichen Szenen hat mir ausgesprochen gut gefallen. Auch der Gruselfaktor kommt nicht zu kurz. Der Autor versteht es hervorragend, Spannung aufzubauen und sie das ganze Buch hinweg auf einem sehr hohen Level zu halten. Während man Salinger bei seiner gefährlichen Suche nach dem Mörder begleitet, wird man immer wieder mit neuen Verdächtigen konfrontiert und auf falsche Fährten gelockt. Zwischendurch hatte ich allerdings kurzfristig die Befürchtung, dass die Geschichte ins Phantastische abdriftet, als der Jaekelopterus rhenaniae, ein vor mehr als zweihundertfünfzig Millionen Jahren ausgestorbenes Riesenskorpion, des Mordes verdächtigt wird. Glücklicherweise waren meine Bedenken unbegründet, denn stattdessen gewährt der Autor hier sehr interessante Einblicke in die Geologie, Paläontologie sowie die ökologische Nischentheorie, jedoch ohne in einen wissenschaftlichen Ton zu verfallen. Der wendungsreiche Plot mündet nach einem fulminanten Showdown schließlich in ein durchaus realistisches, logisches und schlüssiges Ende, das mich sehr überrascht hat.
Mir hat Der Tod so kalt ausgesprochen gut gefallen und mich aufgrund der imposanten Kulisse, den überzeugenden Charakteren und der abwechslungsreichen und hochspannenden Erzählweise restlos begeistert.

Veröffentlicht am 12.05.2017

Ein düsteres Psychodrama um Schuld und Sühne von ungeheurer Sogkraft. Grandios!

Geständnisse
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Als ich Geständnisse von Kanae Minato in der Verlagsvorschau entdeckte, wusste ich nicht, dass das Buch bereits 2010 verfilmt wurde und 2011 auch in den deutschen Kinos lief. An mir ist dieser Film jedenfalls ...

Als ich Geständnisse von Kanae Minato in der Verlagsvorschau entdeckte, wusste ich nicht, dass das Buch bereits 2010 verfilmt wurde und 2011 auch in den deutschen Kinos lief. An mir ist dieser Film jedenfalls vollkommen vorbeigegangen, aber da ich ohnehin immer erst das Buch lesen möchte, bevor ich mir die Verfilmung anschaue und die deutsche Übersetzung der Buchvorlage erst im März 2017 erschien, war ich ganz froh, diesen Roman nun völlig unvoreingenommen entdecken zu können.
Mich hat Geständnisse von Kanae Minato vollkommen überrascht, denn was auf dem Klappentext zunächst nach einem recht gewöhnlichen Roman mit Thrillerelementen und einer nicht gerade besonders neuen Grundidee klang, entpuppte sich als ein außergewöhnlich düsteres, tiefgründiges und verstörendes Psycho- und Sozialdrama und war in jeder Hinsicht nicht nur anders, sondern vor allem viel besser, als ich es erwartet hätte.
Die Erzählung beginnt mit der Rede, die Moriguchi am letzten Schultag vor den Ferien vor ihrer Klasse hält. In ihrer Abschiedsrede verkündet sie, dass sie nach dem Tod ihres Kindes nun beschlossen hat, die Schule zu verlassen und dem Lehrerberuf den Rücken zu kehren, erläutert aber auch, warum sie überhaupt Lehrerin geworden ist. Erst am Ende ihrer Ansprache beschuldigt sie zwei Schüler ihrer Klasse, ihre kleine Tochter ermordet zu haben. Obwohl sie keine Namen nennt, wissen die beiden Betroffenen und auch deren Mitschüler sofort, wen Moriguchi für den Tod ihres Kindes verantwortlich macht. Schockiert stellt sie fest, wie gelassen und ungerührt die beiden Täter ihren Worten folgen. Doch das ändert sich, als sie die Bombe platzen lässt und ganz sachlich und unverblümt ihren genauen Racheplan offenbart. Sie glaubt nicht an eine angemessene Bestrafung vonseiten der Justiz, aber es geht ihr ohnehin nicht um Gerechtigkeit, sondern um Rache, Vergeltung, echte Reue und Erkenntnis der Schuld. Bereits die ersten Seiten sind äußerst verstörend, denn Moriguchi ist bei ihrer Ansprache völlig emotionslos, kühl und nüchtern. Ihre Rache ist erbarmungslos, abgrundtief böse, aber auch eine Art Lehrstück, das jedoch nicht nur darauf abzielt, die Mörder ihrer Tochter zur Besinnung zu bringen und ihre Tat zu bereuen, sondern die beiden Jugendlichen systematisch zu zerstören und zu vernichten – psychisch und auch sozial. Trotz der Nüchternheit und Kälte, die in Moriguchis Worten mitschwingen und trotz der Gnadenlosigkeit, mit der sie ihren Rachefeldzug führt, hat mich ihre Ansprache tief berührt. Ich konnte erschreckend gut nachvollziehen, was sie empfindet und warum sie auf diese Weise Vergeltung üben will.
Somit werden also bereits im ersten Kapitel Tat, Täter und auch Moriguchis Rachepläne enthüllt. Man könnte also meinen, dass die Geschichte nun vollständig erzählt ist, da alles Wichtige schon erwähnt wurde, aber die Hintergründe der Tat, die Motivation der Mörder sowie die Folgen, die Moriguchis spezielle Rachepädagogik nach sich zieht, offenbaren sich erst im weiteren Verlauf der Erzählung und werden nun aus verschiedenen Perspektiven geschildert.
In den folgenden Kapiteln kommen weitere Beteiligte zu Wort – eine Mitschülerin, eine Mutter sowie die Schwester eines Täters und auch die beiden Mörder selbst. Mit jedem Perspektivwechsel kommen neue Details an die Oberfläche und ergeben sich neue Blickwinkel auf die Tat und auch auf die Auswirkungen von Moriguchis Rache. Dies führt natürlich zu Wiederholungen, denn dieselben Geschehnisse werden dabei immer wieder aufs Neue, aber eben aus einer anderen Perspektive erzählt. Dennoch ist der Roman niemals langweilig, denn gerade die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Ereignisse und ihre Hintergründe machen den eigentlichen Reiz dieser Erzählung aus. Mit jeder weiteren Erzählperspektive und mit jeder neuen Version der Geschichte verschwimmen auch die Grenzen zwischen Täter und Opfer immer mehr, denn obwohl die Tat der beiden jugendlichen Mörder verabscheuungswürdig bleibt und durch nichts gerechtfertigt wird, sind auch sie Opfer. Sie sind nicht nur Opfer von Moriguchis Rache, die sie zunehmend vernichtet, sondern vor allem Opfer einer außerordentlich leistungsorientierten Gesellschaft. Dennoch war es mir nicht möglich, Mitleid für die beiden Jugendlichen zu empfinden, denn für ihr Verhalten und ihr abscheuliches Verbrechen gibt es keine Entschuldigung, höchstens eine Erklärung.
Die Autorin gewährt in Geständnisse sehr tiefe Einblicke in das japanische Schulsystem und die japanische Leistungsgesellschaft, in der das Streben nach Erfolg und ein geradezu übermächtiger Druck, stets der Beste sein zu müssen, recht bizarre Formen annehmen und zu Vereinsamung, Narzissmus, Aggressionen, psychischen Störungen und zerrütteten Familiengefügen führt. So beschreibt Kanae Minato in ihrem Roman auch sehr präzise das Phänomen des „Hikikomori“. Bei diesem Begriff handelt es sich um den japanischen Fachausdruck für eine besondere Form der Sozialphobie. Er bezieht sich auf Personen, überwiegend auf Jugendliche, die sich vollkommen von der Gesellschaft zurückziehen, das Haus ihrer Eltern nicht mehr verlassen und aus Angst, sich immer mit anderen messen zu müssen, dabei zu versagen und dem Druck nicht gewachsen zu sein, keine sozialen Kontakte pflegen und sich vollständig isolieren.
Die Einblicke in diese, für mich bislang vollkommen fremde Kultur haben mich überaus fasziniert und auch sehr nachdenklich gestimmt. Sicherlich ist vieles, was in diesem Roman thematisiert wird, dem japanischen Schulsystem und der extrem leistungs- und fortschrittsorientierten japanischen Gesellschaft geschuldet, aber ich würde trotzdem nicht so weit gehen, zu behaupten, dass die angesprochenen Probleme nur in Japan und nicht auch bei uns zu finden sind. Das Hauen und Stechen an Schulen, Hochschulen und auch im Beruf, Mobbingattacken, mit denen die Konkurrenz ausgeschaltet werden soll, der enorme Leistungsdruck angesichts stetig wachsender Anforderungen und die teilweise geradezu krankhafte Sucht nach Anerkennung und Erfolg sind auch in unserer Gesellschaft tagtäglich zu sehen und nehmen mitunter beängstigende Ausmaße an.
Mich hat dieser Roman sehr erschüttert und tief bewegt. Neben dem raffinierten Spiel mit unterschiedlichen Perspektiven und den faszinierenden Einsichten in die japanische Gesellschaft, hat mich vor allem auch der nüchterne, lakonische Erzählstil der Autorin begeistert, denn gerade dadurch gewinnt das Erzählte eine ungeheure Intensität. Völlig frei von Sentimentalität und ohne effekthascherische und reißerische Töne, gewährt Kanae Minato Einblicke in die tiefsten und bösesten Abgründe der menschlichen Seele.
Geständnisse ist ein äußerst düsterer Roman, der wenig Optimistisches aufweist und auch mit keinem versöhnlichen Ende aufwarten kann. Auf die melancholisch-deprimierende Grundstimmung muss man sich ebenso einlassen können wie auf die fremde Kultur. Mich hat Geständnisse von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt und vollkommen in seinen Bann gezogen. Zweifellos hat dieses großartige Buch jetzt schon die besten Aussichten, eines meiner Jahreshighlights zu werden. Ein grandioser Roman um Schuld und Sühne, Rache und Vergeltung von ungeheurer Sogkraft!

Veröffentlicht am 27.04.2017

Ein hochspannender Psychothriller vor beklemmender Kulisse - leider mit einem etwas schwachen Ende

Das Scherbenhaus
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Als ich Das Scherbenhaus von Susanne Kliem in der Verlagsvorschau entdeckt habe, landete das Buch sofort auf meiner Wunschliste, denn der Klappentext und auch das Setting klangen so vielversprechend, dass ...

Als ich Das Scherbenhaus von Susanne Kliem in der Verlagsvorschau entdeckt habe, landete das Buch sofort auf meiner Wunschliste, denn der Klappentext und auch das Setting klangen so vielversprechend, dass ich sicher war, dass mir dieses Buch gefallen würde. Manchmal liege ich da allerdings auch mächtig daneben, denn viele Bücher halten nicht, was die Klappentexte versprechen, aber bei Das Scherbenhaus habe ich mich nicht getäuscht. Abgesehen von dem leider etwas schwachen Ende, hat mich dieser Psychothriller durchaus überzeugt und auch sehr spannend unterhalten.
Susanne Kliem hat ihre Protagonistin Carla sehr präzise ausgearbeitet und einen Charakter entworfen, mit dem ich von der ersten Seite an mitfiebern konnte. Ihre Angst vor dem unbekannten Stalker, der sie seit Monaten bedroht, wurde sehr glaubwürdig und nachvollziehbar geschildert. Er hat sich zwar seit ein paar Wochen nicht mehr gemeldet, aber dennoch gelingt es Carla nicht, ihre Ängste abzulegen. Sie traut sich kaum, alleine das Haus zu verlassen und fühlt sich auch in ihren eigenen vier Wänden nicht mehr sicher. Obwohl ihre beste Freundin Jule immer für sie da ist, sie im Restaurant ihres Schwagers als Köchin arbeitet und die Arbeit sie ausfüllt und von ihren Sorgen ablenkt, fühlt sie sich oft einsam und alleine mit ihren Ängsten. Ein Neubeginn in Berlin kommt ihr sehr gelegen, denn sie glaubt, dass ihr Stalker sie in der großen Stadt nicht finden kann.
Die Wohnung ihrer Halbschwester Ellen in Berlin ist das genaue Gegenteil von Carlas abgelegenem alten Bauernhaus in Stade, das zwar wunderschön und idyllisch gelegen ist, ihr aber immer mehr zum Gefängnis wurde. Ich konnte sehr gut nachvollziehen, dass sie sich nach einer neuen Umgebung sehnte und sich im Safe Haven zunächst sicher wähnte.
Das Setting war überaus beeindruckend, denn das hochmoderne Wohnhaus, das Carlas Halbschwester Ellen selbst entworfen hat und nach ihren Vorstellungen bauen ließ, um dann selbst darin zu wohnen, löste bei mir äußerst beklemmende Gefühle aus. Das lag jedoch nicht nur an den architektonischen Besonderheiten, mit denen dieses Gebäude ausgestattet ist, sondern vielmehr an der recht eigentümlichen Hausgemeinschaft. Auf den ersten Blick scheint diese Wohnanlage jedoch sicher zu sein – sie ist computergesteuert, die Türen lassen sich über eine Handy-App schließen und öffnen, und das Haus ist gegen Eindringlinge von außen durchaus gut geschützt, aber seine Bewohner sind eben äußerst seltsam. Das erkennt Carla jedoch erst auf den zweiten Blick, denn die vermeintliche Sicherheit und die sehr zuvorkommend und freundlich wirkende Hausgemeinschaft verleiten sie zunächst zu mitunter recht unüberlegten und vertrauensseligen Handlungen. Carla ist davon überzeugt, dass der Tod ihrer Halbschwester kein Unfall, sondern Mord war, auch wenn die Polizei ihr keinen Glauben schenken will. Ellen hat ihr gesagt, dass sie sich bedroht fühlt, konnte ihr allerdings nicht mehr mitteilen von wem und warum, aber erst nachdem Carla im Safe Haven ein paar eigenartige Dinge beobachtet und im Keller eine grauenhafte Entdeckung macht, ist sie sicher, dass einer der Hausbewohner dahintersteckt.
Was die Bewohner des Safe Haven anbelangt, hat es die Autorin geschafft, äußerst plastische Figuren zu zeichnen, die jedoch sehr schwer durchschaubar und überaus rätselhaft sind. Die Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb dieser Hausgemeinschaft sind der eigentliche Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Das Beziehungsgeflecht der Personen untereinander, das von Kontrolle und Manipulation geprägt ist, wäre jedoch etwas nachvollziehbarer, wenn manche Charaktere ein bisschen mehr Tiefe hätten.
Obwohl Susanne Kliem versucht, den Verdacht immer wieder auf eine andere Person zu lenken, war mir recht schnell klar, wer hinter all den rätselhaften Vorkommnissen steckt und für Ellens Tod verantwortlich ist. Trotz dieser Vorhersehbarkeit fiel die Spannungskurve jedoch nicht ab, da das Motiv des Täters bis zuletzt im Dunkeln lag. Allerdings interessieren mich die Beweggründe einer Tat ohnehin meistens mehr als die Identität des Täters. Sein Motiv war für mich zwar durchaus glaubwürdig und auch sehr schockierend, aber trotzdem hat mich das schwache Ende dieses Psychothrillers leider ein bisschen enttäuscht, nicht zuletzt, weil es – zumindest teilweise – etwas zu überkonstruiert war. Das ist umso bedauerlicher bei einer Geschichte, die über mehr als 300 Seiten hinweg geradezu atemlos spannend und atmosphärisch dicht erzählt wird.
Der Schreibstil von Susanne Kliem ist einfach und schnörkellos und lässt sich sehr angenehm und flüssig lesen. Das Spannungslevel ist von der ersten Seite an sehr hoch und konnte trotz der teilweisen Vorhersehbarkeit über das ganze Buch hinweg gehalten werden. Ich war mir lange sicher, dass Das Scherbenhaus eines meiner Thriller-Highlights werden könnte, aber auf den letzten Seiten hat mich dieser überaus beklemmende Psychothriller dann bedauerlicherweise doch etwas enttäuscht, sodass ich ein Sternchen abziehen musste. Trotzdem kann ich für diesen hochspannenden Psychothriller auf jeden Fall eine Leseempfehlung aussprechen.

Veröffentlicht am 19.04.2017

Ein intelligent erzählter Roman um Wahrheit, Erinnerung und die subjektive Wahrnehmung von Liebe

Das Buch der Spiegel
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E. O. Chirovici hat in seinem Heimatland Rumänien bereits fünfzehn Romane veröffentlicht. Das Buch der Spiegel ist jedoch sein erster Roman in englischer Sprache, wurde bereits in 38 Länder verkauft und ...

E. O. Chirovici hat in seinem Heimatland Rumänien bereits fünfzehn Romane veröffentlicht. Das Buch der Spiegel ist jedoch sein erster Roman in englischer Sprache, wurde bereits in 38 Länder verkauft und ist in der deutschen Übersetzung nun kürzlich bei Goldmann erschienen. Inzwischen ist dieser Roman in aller Munde, selbst Denis Scheck lobte ihn über den grünen Klee und meinte, er sei etwas „Besonderes“ und „im Thrillergenre ein herausragendes Buch“. Obwohl ich Herrn Scheck sehr schätze, treffen seine Buchempfehlungen nicht immer meinen Geschmack, aber bei Chirovicis Roman kann ich ihm nur zustimmen, denn er ist wirklich in jeder Hinsicht herausragend. Allerdings würde ich das Buch nicht als Thriller, sondern eher als Kriminalroman bezeichnen, denn im Zentrum der Handlung steht ein fast dreißig Jahre zurückliegender Mordfall, der nun aus unterschiedlichen Perspektiven erneut beleuchtet wird.
Als der Literaturagent Peter Katz eines Tages das Manuskript von Richard Flynn in den Händen hält, ist er sofort fasziniert von dem Text, denn Flynn behauptet bereits in seinem Anschreiben, sich nun wieder genau an die Ereignisse von damals zu erinnern und die Wahrheit über den Mord an dem berühmten Psychologieprofessor Joseph Wieder enthüllen zu können. Im Verlauf der Handlung müssen Katz und auch der Leser jedoch feststellen, dass es mehr als nur eine Wahrheit gibt und Erinnerungen sehr trügerisch sein können.
Während man im ersten Teil des Romans gemeinsam mit Peter Katz Flynns Exposé liest, zweifelt man trotz der höchst subjektiven Darstellung der Ereignisse jedoch zunächst nicht am Wahrheitsgehalt von Flynns Worten und der Zuverlässigkeit seiner Erinnerungen.
Das Manuskript bricht allerdings genau an der Stelle ab, an der Flynn seine Erinnerungen an die Mordnacht rekonstruiert. Peter Katz möchte nun natürlich unbedingt wissen, was Flynn über die Ermordung Wieders weiß oder ob sein Buch womöglich mit einem Mordgeständnis endet. Außerdem würde sich ein Roman über ein wahres Verbrechen auch sehr gut verkaufen lassen. Da Flynn inzwischen verstorben und das vollständige Manuskript unauffindbar ist, beauftragt Katz seinen Freund, den Reporter John Keller, Nachforschungen anzustellen. Keller soll entweder den Rest des Manuskripts finden oder aber so viel über den Mord an Wieder in Erfahrung bringen, dass er anhand der zusammengetragenen Informationen Flynns Buch als Ghostwriter vollenden kann.
Im zweiten Teil des Buches folgt der Leser nun Keller bei seinen Recherchen, die aus der Ich-Perspektive geschildert werden. Der Reporter sucht zunächst die Personen auf, die damals in den Fall involviert waren und Wieder kannten. Doch die Aussagen der Befragten widersprechen sich, und offenbar ist auch Flynn in seinem Manuskript nicht ganz bei der Wahrheit geblieben. Kellers Nachforschungen ergeben kein stimmiges Bild. Stattdessen wird der Fall immer noch verworrener und die Liste der Verdächtigen immer länger. Je mehr Keller in Erfahrung bringt, umso undurchsichtiger erscheint ihm alles, sodass er schließlich entnervt aufgibt. Doch bevor er seine Recherchen einstellt, befragt er noch Roy Freeman, den inzwischen pensionierten Detektive, der damals erfolglos in dem Mordfall ermittelte und den Eindruck hat, vor nahezu dreißig Jahren etwas übersehen zu haben.
Im dritten Teil des Buches begleitet man dann Roy Freeman, der nun erneut die Ermittlungen aufnimmt und alles daran setzt, sein schlechtes Gewissen zu beruhigen und den Mord an Wieder endlich aufzuklären.
Chirovici spielt sehr raffiniert mit unterschiedlichen Perspektiven und hat seinen Roman äußerst klug konstruiert. Die Handlung wird aus drei verschiedenen und zeitlich versetzten Ich-Perspektiven geschildert, wobei der Leser immer wieder mit höchst subjektiven Wahrnehmungen, widersprüchlichen Vermutungen, Halbwahrheiten und Fehleinschätzungen konfrontiert wird. Kein Detail passt zum anderen, obwohl sich alle Beteiligten zu den selben Sachverhalten äußern. Da die Ereignisse jedoch völlig unterschiedlich dargestellt werden, muss man sich stets erneut fragen, wessen Worten man eigentlich Glauben schenken darf. Allerdings scheinen manche Beteiligten gar nicht bewusst zu lügen, sondern bewerten und deuten die Fakten, an die sie sich erinnern, nur auf völlig unterschiedliche Weise.
Der Roman kreist immer wieder um die Frage, wie zuverlässig unsere Erinnerungen eigentlich sind und ob das, woran wir uns erinnern, bzw. zu erinnern glauben, auch tatsächlich passiert ist. Ohne dass wir es wollen, entwickeln sich völlig falsche Erinnerungen, die wir dann aber für die Wahrheit halten, und so schönen und verfälschen wir immer wieder die Realität.
Mich hat Das Buch der Spiegel von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt und begeistert. Gebannt folgte ich diesem raffinierten Verwirrspiel und versuchte die einzelnen Puzzleteile zu einem stimmigen Ganzen zusammenzusetzen. Das Ende war jedoch absolut nicht vorhersehbar, für meinen Geschmack vielleicht ein bisschen zu konstruiert, aber dennoch glaubwürdig und schlüssig.
Ich bin absolut begeistert von diesem Roman und kann ihn nur jedem empfehlen, der kluge Spannungsliteratur auf hohem Niveau zu schätzen weiß. Ein sprachlich versierter und intelligent erzählter Roman um Wahrheit, trügerische Erinnerungen und die subjektive Wahrnehmung von Liebe.

Veröffentlicht am 04.04.2017

Ein fesselnder Psychothriller - nicht besonders überragend, aber dennoch solide

Das Mädchen im Dunkeln
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Inhalt:
Karen Browning arbeitet als Psychiaterin am Cecil-Baxter-Institut, ist beruflich sehr erfolgreich und steht kurz vor ihrer Beförderung. Als sie eines Tages von Jessica Hamilton aufgesucht wird, ...

Inhalt:


Karen Browning arbeitet als Psychiaterin am Cecil-Baxter-Institut, ist beruflich sehr erfolgreich und steht kurz vor ihrer Beförderung. Als sie eines Tages von Jessica Hamilton aufgesucht wird, die aufgrund ihrer Spannungskopfschmerzen therapeutische Hilfe sucht, hält Karen ihre neue Patientin zunächst für einen Routinefall, fühlt sich allerdings schon während der ersten Therapiesitzung ein wenig unbehaglich. Die junge Frau gesteht ihr, dass sie ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann hat, ihn zwar nicht liebt und auch nicht will, dass er sich scheiden lässt, aber von der Ehefrau ihres Liebhabers geradezu besessen ist und sie abgrundtief hasst.
Kurz darauf geschehen in Karens privatem Umfeld seltsame Dinge. Nicht nur Karens, sondern vor allem das Leben ihrer beiden besten Freundinnen Bea und Eleanor gerät plötzlich vollkommen aus den Fugen. Karen ist sicher, dass nur Jessica für all die mysteriösen Vorkommnisse verantwortlich sein kann, unter denen ihre Freundinnen zu leiden haben. Die Freundschaft der drei Frauen, die seit ihrer Kindheit durch dick und dünn gehen, wird vor eine harte Zerreißprobe gestellt, denn privat wäre es eigentlich Karens Pflicht, ihre Freundinnen vor Jessica zu warnen, aber beruflich ist sie an die ärztliche Schweigepflicht gebunden. Noch ahnt sie jedoch nicht, in welcher Gefahr Bea und Eleanor schweben und ihre neue Patientin sie nicht zufällig ausgewählt hat, sondern im Begriff ist, Karen alles zu nehmen, was ihr etwas bedeutet – ihre Karriere, ihre Beziehung zu Michael und auch ihre beiden besten Freundinnen.

Meine persönliche Meinung:


Ich habe Jenny Blackhursts Debütroman Die stille Kammer zwar nicht gelesen, aber von vielen Seiten gehört, dass die Autorin einen brillanten Thriller vorgelegt hat. Da es sich bei ihren Büchern um Einzelbände handelt und der Klappentext von ihrem aktuellen Psychothriller Das Mädchen im Dunkeln sehr vielversprechend tönte, war ich sehr gespannt, ob Jenny Blackhurst auch mich begeistern kann. Allerdings ist der Klappentext des Verlags ein wenig irreführend und vor allem sehr ungeschickt formuliert, denn einerseits geht aus ihm nicht hervor, dass eigentlich die Freundschaft von Karen zu ihren beiden besten Freundinnen im Zentrum der Handlung steht, während er andererseits bereits so viel vom Plot verrät, dass man fast schon von einem Spoiler sprechen kann, sodass ich in meiner Inhaltsangabe auf diese Hinweise verzichtet habe. Den Klappentext kann man der Autorin jedoch ebensowenig anlasten wie die vielen Rechtschreib- und Grammatikfehler in der deutschen Übersetzung ihres Buches, die auf ein äußerst mangelhaftes Lektorat schließen lassen. Ich habe jedenfalls noch nie ein Verlagsbuch gelesen, das so viele Fehler enthält, dass man beim Lesen immer wieder ins Stocken gerät und manche Sätze erneut lesen muss, um ihren Sinn zu erfassen. Über vereinzelte kleine Fehlerchen, die durchaus vorkommen können, kann ich entspannt hinwegsehen, aber in dieser Häufigkeit sind sie äußerst störend und hemmen leider auch den Lesefluss.
Inhaltlich gibt es an diesem Thriller weitaus weniger auszusetzen, denn Das Mädchen im Dunkeln ist ein durchaus spannender und lesenswerter Psychothriller.
Bereits das erste Kapitel ist etwas irritierend, denn es handelt sich dabei um ein Therapiegespräch, bei dem Karen jedoch selbst die Patientin ist. Schnell wird klar, dass etwas Schreckliches vorgefallen sein muss und sich die Psychologin nun selbst in therapeutische Behandlung begeben musste. Das Buch wird dann abwechselnd aus der Perspektive von Karen und ihren beiden besten Freundinnen Bea und Eleanor erzählt und immer wieder durch das Therapiegespräch unterbrochen, das Karen mit ihrem Therapeuten führt. Stück für Stück offenbart sich nun, was Karen und ihren Freundinnen zugestoßen ist und was Karens Patientin Jessica mit all den rätselhaften Vorkommnissen zu tun hat. Manche Kapitel werden auch aus der Perspektive einer unbekannten Person geschildert, die die Freundinnen schon seit langer Zeit beobachtet, fotografiert und auch ihre Spuren im Internet verfolgt. Was diese Person im Schilde führt und ob es sich dabei um Jessica handelt, bleibt jedoch lange im Dunkeln. Diese Passagen sind vor allem deshalb so verstörend, weil diese Person alles von den Frauen zu wissen scheint, selbst Begebenheiten, die schon viele Jahre zurückliegen, und auch ganz genau weiß, wo sie ansetzen muss, um die Frauen zu verunsichern und in Angst und Schrecken zu versetzen.
Jenny Blackhurst hat Karen, Bea und Eleanor sehr fein gezeichnet und präzise ausgearbeitet. Der Leser erhält sehr tiefe Einblicke in ihre jeweiligen Gedanken, Ängste und die Probleme, mit denen sie aktuell zu kämpfen haben, aber auch in ihr bisheriges Schicksal sowie die Beschaffenheit ihrer außergewöhnlichen Freundschaft. Die drei Frauen sind seit mehr als dreißig Jahren miteinander befreundet, immer wieder wird betont, wie besonders eng die Bindung zwischen den drei Freundinnen ist, aber seltsamerweise verbergen sie gerade das voreinander, was sie am meisten belastet.
Bea mochte ich besonders gerne, und ihr Schicksal berührte mich auch sehr, während mir Eleanor, die mit ihrer Mutterrolle vollkommen überfordert zu sein scheint und äußerst überspannt ist, häufig ein wenig auf die Nerven fiel. Trotzdem tat sie mir leid, denn ihr Leben gerät im Verlauf der Geschichte so aus den Fugen, dass sie fast den Verstand verliert. Obwohl Karen im Fokus der Handlung steht, ist sie besonders schwer zu durchschauen und war mir leider auch sehr unsympathisch. Was ihre Tätigkeit als Psychologin anbelangt, fand ich sie äußerst unprofessionell und gleichzeitig zu karriereversessen, aber auch privat hat sie so einige Leichen im Keller. Diese könnte man ihr durchaus verzeihen, wenn sie sich nicht selbst als Hüter von Moral und Anstand verstünde und nicht immer wieder betonen würde, wie wichtig es ihr ist, anderen selbstlos zu helfen. Eigentlich mag ich ambivalente und vielschichtige Charaktere, aber diese Frau verhält sich einfach in jeder Hinsicht so widersprüchlich, dass es mir sehr schwerfiel, mich in sie hineinzuversetzen und mit ihr mitzufühlen.
Die rätselhafteste Figur ist natürlich Jessica, die mysteriöse Patientin, die eines Tages bei Karen auftaucht und vorgibt, therapeutische Hilfe zu suchen. Auch wenn ihre wahre Identität erst am Schluss enthüllt wird, war mir sehr schnell klar, wer sie ist und warum sie es auf Karen abgesehen hat. Allerdings war mir vollkommen schleierhaft, warum sie Bea und Eleanor schaden möchte, sodass die Spannung trotzdem bis zum Ende aufrechterhalten werden konnte.
Eines muss man diesem Psychothriller nämlich lassen – er ist durchgehend spannend, und das Ende hält trotz mancher Vorhersehbarkeiten noch eine erstaunliche Überraschung parat. Leider verblieb aber meiner Meinung nach noch eine kleine Ungereimtheit, die vom Ende her betrachtet, keinen Sinn ergab. Besonders tiefgründig ist Das Mädchen im Dunkeln leider nicht. Das Thema Ehebruch steht immer wieder im Zentrum der Handlung, wobei der moralische Zeigefinger für meinen Geschmack ein bisschen zu sehr erhoben wurde. Trotzdem hat mir Das Mädchen im Dunkeln gut gefallen und sehr spannende Lesestunden bereitet.
Ein fesselnder Psychothriller für Zwischendurch, nicht besonders überragend, aber dennoch solide und lesenswert.