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Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein spannender und düsterer Krimi mit Thrillerelementen und einer außergewöhnlichen Ermittlerin

Nie wieder sollst du lügen
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Inhalt:

Als Gruppeninspektorin Carla Bukowski an der Unfallstelle eintrifft und die verkohlte Kinderleiche sieht, gerät sie vollkommen außer Kontrolle. Seit ihr kleiner Sohn Simon vor sieben Jahren bei ...

Inhalt:

Als Gruppeninspektorin Carla Bukowski an der Unfallstelle eintrifft und die verkohlte Kinderleiche sieht, gerät sie vollkommen außer Kontrolle. Seit ihr kleiner Sohn Simon vor sieben Jahren bei einem Wohnungsbrand ums Leben kam, leidet sie unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, wird noch immer von schrecklichen Alpträumen heimgesucht und kann die Bilder von damals nicht vergessen. Diese Bilder drängen jedoch unwillkürlich an die Oberfläche, als sie nun die verkohlte Leiche des kleinen Jonas Hirmer im Kindersitz des ausgebrannten Golfs seiner Eltern sieht. Der Wagen ist offenbar ungebremst in eine Baumgruppe gekracht und in Flammen aufgegangen. Für die Polizei ist schnell klar, dass es sich bei diesem tragischen Unfall nur um den erweiterten Suizid des Fritz Hirmer handeln kann. Der Familienvater war hoch verschuldet, hatte Eheprobleme und sah offensichtlich keinen anderen Ausweg, als seinem Leben ein Ende zu setzen und seine ganze Familie mit in den Tod zu reißen.
Beim Anblick des toten Kindes verliert Carla die Fassung, nimmt die Außenwelt kaum noch wahr, steigt wie in Trance in ihren Dienstwagen und startet eine halsbrecherische Amokfahrt durch Wien. Wie durch ein Wunder wurde dabei niemand verletzt, aber ihr Vorgesetzter fordert sie auf, sich ein paar Wochen Auszeit zu nehmen und den Dienst erst wieder anzutreten, wenn sie etwas zur Ruhe gekommen ist. Obwohl sie sich lieber in die Arbeit stürzen würde, fügt sich Carla zähneknirschend dieser Forderung und beschließt den ihr auferlegten Zwangsurlaub bei ihrer Freundin Kim im Burgenland zu verbringen.
Kim gibt sich alle Mühe, Carla abzulenken, will ihr helfen, ihre Sorgen ein wenig zu vergessen und überredet sie zu einem gemeinsamen Ausflug nach Rust, der Stadt der Störche. Auf der Fahrt dorthin passieren sie zufällig eine Unfallstelle, die Carla sofort an den Unfall der Familie Hirmer erinnert. Ihr fällt auf, dass auch hier keine Bremsspuren zu sehen sind und der Fahrer offenbar ebenfalls ungebremst auf eine Mauer geprallt und dann verstorben ist. Die Parallelen zwischen den beiden tödlichen Autounfällen, lassen in ihr den Verdacht aufkeimen, dass es sich in beiden Fällen weder um Selbstmord noch um einen tragischen Unfall, sondern nur um Mord handeln kann. Da ihr niemand Glauben schenken will, beginnt sie auf eigene Faust zu ermitteln. Allerdings wird sie dabei auch immer wieder von Zweifeln geplagt, ob es tatsächlich etwas zu ermitteln gibt oder ob sie sich nicht vielmehr in eine Idee verrannt hat, um ihre eigenen Probleme zu verdrängen. Als sie jedoch herausfindet, dass zwischen den Unfallopfern eine Verbindung bestand, ist sie sicher, dass offensichtlich jemand Vergeltung für ein vergangenes Unrecht fordert und dessen mörderischer Rachefeldzug noch lange nicht beendet ist.
Zur gleichen Zeit erhält Jana Pechtold, eine junge alleinerziehende Mutter von Zwillingen, einen anonymen Brief mit einer Todesanzeige. Obwohl sie die Verstorbene kannte, schenkt sie der rätselhaften Nachricht zunächst nur wenig Beachtung. Als sie jedoch die beiden geliebten Häschen ihrer kleinen Tochter tot im Stall findet und wieder eine anonyme Nachricht bekommt, spürt sie, dass sie und ihre Kinder in großer Gefahr sind.

Meine persönliche Meinung:

Nie wieder sollst du lügen bildet den Auftakt einer neuen Krimireihe um die Ermittlerin Carla Bukowski. Schon nach wenigen Seiten habe ich gemerkt, dass es sich hierbei um einen Kriminalroman handelt, der sich deutlich vom 08/15-Krimi-Einheitsbrei abhebt. Der flüssige Schreibstil sowie das sprachlich hohe Niveau sind mir sofort positiv aufgefallen, denn Letzteres findet man es in diesem Genre leider nur sehr selten.
Besonders beeindruckt war ich aber auch von den gut ausgearbeiteten Figuren, denn jeder gute Kriminalroman steht und fällt letztendlich mit seinen Charakteren. Der Autorin ist es gelungen, nicht nur die Hauptprotagonisten, sondern auch alle Nebencharaktere sehr glaubwürdig, authentisch und facettenreich zu gestalten und psychologisch differenziert zu zeichnen. Sowohl die Ermittlerin Carla Bukowski als auch die potentiellen Mordopfer und die zahlreichen Verdächtigen, die im Verlauf der Handlung in Erscheinung treten, sind sehr präzise ausgearbeitet. Indem immer wieder neue Verdächtige auftauchen, die ein nachvollziehbares Motiv hätten, sich zu rächen, wird der Leser häufig auf die falsche Fährte gelockt und tappt ebenso im Dunkeln wie Carla Bukowski. Mit dieser Protagonistin hat Lena Avanzini eine neue und sehr außergewöhnliche Ermittlerfigur geschaffen, die mich schon auf den ersten Seiten sehr beeindruckt hat und sehr vielschichtig angelegt ist. Seit dem Verlust ihres Kindes ist sie schwer traumatisiert, wird jede Nacht von schrecklichen Alpträumen heimgesucht, versucht, sich in ihre Arbeit zu flüchten und versteckt ihren Schmerz hinter einer Mauer aus vermeintlicher Härte und beißendem Zynismus. Es ist sicherlich nicht ganz einfach mit dieser Frau auszukommen, denn sie macht es ihren Freunden und Kollegen nicht immer leicht, sie zu mögen, ist stur, eigensinnig und unnachgiebig, aber tief in ihrem Herzen ist sie sehr verletzlich, sensibel und häufig auch unsicher. Trotz ihrer Macken und ihres recht schwierigen Charakters mochte ich sie sofort, vielleicht auch, weil ich so einige Gemeinsamkeiten feststellen konnte, denn auch ich neige zum Zynismus und funktioniere ohne Zigaretten und Kaffee auch nur leidlich.
Am sympathischsten war mir allerdings Carlas Freundin Kim. Auch wenn ihre esoterischen Weltanschauungen mir sicherlich auf die Nerven gehen würden und sie mitunter sehr anstrengend ist, habe ich Carla ein wenig um diese Freundin beneidet, denn Kim ist eine sehr warmherzige, temperamentvolle und liebenswürdige Frau, eine zuverlässige Freundin, der es auch gelingt, Carla immer wieder zu überraschen.
Lediglich Jana Pechtold, eines der potentiellen Opfer, die auf der Liste des Mörders stehen, wollte mir nicht so recht ans Herz wachsen, sodass es mir oft sehr schwer fiel, mit dieser Protagonistin mitzufiebern und mich in sie einzufühlen. Aus Liebe zu einem Mann hatte sie in jungen Jahren ein großes Unrecht begangen, für das sie nun offensichtlich büßen soll. Auch wenn sie damals zum Spielball ihrer großen Liebe geworden war, fehlt ihr meiner Meinung nach noch immer jegliches Unrechtsbewusstsein, denn sie hat all die Jahre nichts unternommen, um die perfiden Diffamierungen, derer sie sich in ihrer Jugend schuldig gemacht hatte, richtigzustellen. Ein junger Mensch ist vielleicht noch nicht in der Lage die schwerwiegenden Folgen seiner Worte und Taten richtig einzuschätzen, aber von einer erwachsenen Frau könnte man ein wenig Einsicht in ihre Schuld erwarten. Allerdings will sie sich nach wie vor nicht eingestehen, mit ihren Verleumdungen das Leben eines Menschen für immer zerstört zu haben, sondern wälzt die alleinige Schuld auf ihren damaligen Freund ab. Für eine Frau, die Angst um ihr Leben und das ihrer Kinder haben muss, verhält sie sich außerdem häufig recht unvernünftig und geradezu nachlässig. Ihre kleine Tochter Sophie schien mir jedenfalls deutlich besonnener und vernünftiger zu sein als ihre Mutter und war manchmal fast ein wenig zu vernünftig für ein Kind. Erst auf den letzten Seiten konnte ich für Jana Pechtolt, die mir ansonsten seltsam fremd blieb, ein wenig Mitgefühl und Empathie entwickeln.

Dieser Kriminalroman, der meiner Meinung nach in weiten Teilen eher als Thriller bezeichnet werden kann, überzeugte mich aber nicht nur aufgrund der sehr interessant angelegten Charaktere, sondern vor allem durch einen sehr raffiniert komponierten, schlüssigen Plot und einen durchgehenden Spannungsbogen, der in einem fulminanten Showdown endet. Die Autorin verschont den Leser vollkommen mit blutigen Details und setzt stattdessen auf eine atmosphärisch und psychologisch dichte Erzählweise, die nicht weniger spannend, aber dafür umso tiefgründiger ist. Dieser Kriminalroman zeigt sehr eindrücklich, welch fatale Folgen eine unbedacht ausgesprochene Diffamierung haben kann und dass eine einzige Lüge nicht nur das Leben eines Menschen zerstören, sondern das Schicksal vieler Personen für immer verändern kann.
Nie wieder sollst du lügen hat mir sehr spannende Lesestunden bereitet und mich auch sehr nachdenklich gestimmt. Zweifellos ist es ein Krimi, der aufgrund seiner ergreifenden Thematik und einer sehr außergewöhnlichen Ermittlerin auch nach der Lektüre lange im Gedächtnis bleibt. Ich bin schon jetzt gespannt und freue mich auf einen neuen Fall für Carla Bukowski.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Beklemmender Horror-Roman

Bird Box - Schließe deine Augen
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Inhalt
Kurz bevor Malorie erfährt, dass sie schwanger ist, tauchen die ersten Nachrichten über etwas Unheimliches auf, bei dessen Anblick Menschen in eine Art rasenden Wahnsinn verfallen und sie dazu veranlasst, ...

Inhalt


Kurz bevor Malorie erfährt, dass sie schwanger ist, tauchen die ersten Nachrichten über etwas Unheimliches auf, bei dessen Anblick Menschen in eine Art rasenden Wahnsinn verfallen und sie dazu veranlasst, andere zu verletzen, bestialisch zu töten und sich schließlich selbst umzubringen. Zunächst verbreiten sich nur Berichte aus Russland, doch dann scheint dieses unheimliche Etwas immer näher zu kommen und erreicht schließlich Amerika. Malorie nimmt den Medienwirbel anfangs nicht allzu ernst, hält das Ganze für eine Massenhysterie, aber als immer mehr Menschen ihre Augen bedecken, sobald sie nach draußen gehen, ihre Fenster mit dicken Decken verhängen und in den Medien nahezu stündlich Geschichten über neue Todesopfer kursieren, ist sie doch beunruhigt. Es dauert nicht lange, bis immer mehr Menschen diesem unerklärlichen Wahnsinn zum Opfer fallen, auf den Straßen eine gespenstische Stille herrscht und das Leben draußen nahezu lahmgelegt ist. Die wenigen Überlebenden verbarrikadieren sich in ihren Häusern, verdunkeln ihre Fenster und wagen keinen Blick mehr nach draußen. Um sich zu schützen und ihr ungeborenes Baby in Sicherheit zur Welt bringen zu können, sucht Malorie Zuflucht bei einer Gruppe von Überlebenden, die sich in einem Haus zusammengefunden und dort verschanzt hat.
Fünf Jahre später, ihre Kinder sind inzwischen vier Jahre alt, geboren und aufgewachsen in vollkommener Dunkelheit, sieht sich Malorie erneut gezwungen zu flüchten, um einen besseren und sichereren Ort für sich und ihre Kinder zu finden. Mit Augenbinden verlassen sie das Haus, das ihnen in den letzten Jahren Schutz und Kerker zugleich war. Doch um zu dem verheißungsvollen Zufluchtsort zu gelangen, müssen sie in einem Boot zwanzig Meilen auf einem Fluss zurücklegen – blind und nur von ihrem Gehör geleitet. Und draußen am Fluss wartet bereits etwas auf sie…

Meine persönliche Meinung


Ich war sehr gespannt auf Josh Malermans Debüt Bird Box. Schließe deine Augen, obwohl ich auch ein wenig skeptisch war, denn bislang konnten mich Horrorromane nur selten begeistern. Ein paar Werken von Stephen King kann ich zwar durchaus etwas abgewinnen, weil King einfach ein grandioser Erzähler ist, aber häufig findet man in diesem Genre eben auch reinsten Splatter, also nichts als handlungsarmes, blutiges, unappetitliches und vollkommen sinnloses Gemetzel. Bird Box wurde allerdings in vielen Rezensionen über den grünen Klee gelobt, der Autor mit King und sogar Hitchcock verglichen, sodass ich doch neugierig wurde und dem Buch eine Chance geben wollte. Ich habe diese Entscheidung nicht bereut, denn dieser Roman hat mich so in seinen Bann gezogen, dass ich die ganze Nacht nicht geschlafen habe und ihn in einem Rutsch gelesen musste. Ich war so gefangen von diesem psychedelischen Szenario, dass ich mich einfach nicht mehr davon losreißen konnte.
Die Geschichte wird in zwei Zeitebenen erzählt. Der Leser begleitet Malorie und die beiden Kinder auf ihrem Weg zu einem zu einem Ort, an dem sie sich eine bessere und sicherere Zukunft verspricht. Während die drei in einem Boot den Fluss hinabfahren, wird in Rückblenden geschildert, was Malorie in den letzten Jahren erlebt hat, nachdem dieses unheimliche Etwas zum ersten Mal auftauchte. Man erfährt, wie sie sich damals hochschwanger in das fremde Haus flüchtete, in dem sich bereits eine Gruppe von Überlebenden verbarrikadiert hatte. Die klaustrophobische Stimmung in diesem Haus wird dabei so eindrücklich beschrieben, dass die Beklemmung für mich geradezu körperlich spürbar war. Jeder Blick nach draußen, kann tödlich sein, sodass die Menschen, die in diesem Haus wohnen, nicht nur eingesperrt sind, sondern auch in ständiger Dunkelheit leben müssen. Allein diese Vorstellung verursachte mir schon Alpträume. Malerman hat die einzelnen Charaktere, die nun gezwungen sind, auf engstem Raum zusammenzuleben, sehr präzise ausgearbeitet und die Beziehungen dieser Personen untereinander psychologisch ausgefeilt dargestellt. Auch wenn ich es für sehr unwahrscheinlich halte, dass die Welt jemals von einem unheimlichen Etwas heimgesucht werden wird, dessen Anblick einen tödlichen Wahnsinn auslöst, wurde das Zusammenleben der Menschen in diesem Haus sehr authentisch und nachvollziehbar geschildert. Die Nahrungsvorräte gehen allmählich zur Neige, die Trinkwasserbeschaffung ist mit großen Gefahren verbunden und je mehr Mäuler zu stopfen sind, umso schwieriger wird es für den Einzelnen zu überleben. Sich die Frage zu stellen, wie sich Menschen in Extremsituationen und angesichts einer gemeinsamen Gefahr verhalten, ist jedenfalls, trotz des recht unrealistischen Szenarios, keineswegs abwegig. Schweißt eine gemeinsame Notlage zusammen? Halten Menschen solidarisch zusammen, um der Gefahr zu trotzen? Oder siegt der Egoismus? Bilden sich Feindschaften, weil jeder nur darauf bedacht ist, sein eigenes Leben zu retten? All diese Fragen schossen mir beim Lesen jedenfalls unwillkürlich durch den Kopf und wurden auch auf eine geradezu erschreckende Weise beantwortet.
Nicht weniger beklemmend wird Malories waghalsige Flucht auf dem Boot beschrieben, nicht zuletzt weil sie und ihre Kinder ihre Augen bedecken müssen und nichts sehen. Die Welt draußen ist nahezu unbevölkert, die Gefahr, die dort lauert, ist stets spürbar, aber eben nicht sichtbar, auch für den Leser nicht, denn der erlebt alles aus der Perspektive von Malorie und sieht dabei eben auch nur das, was sie sieht – nämlich nichts. Man ahnt nur, dass gerade wieder etwas Furchtbares passiert, glaubt das Reißen von Sehnen, das Brechen von Knochen zu hören, aber man sieht dies alles nur mit den Augen eines Blinden, der zwar sehen kann, aber nicht darf. Und gerade darin liegt das Besondere in diesem Buch – es gibt keine blutigen Szenarien und kein Gemetzel. Auf brutale Gewaltdarstellungen wird nahezu vollkommen verzichtet, aber dennoch gab es Passagen, die mich wirklich an die Grenzen dessen brachten, was ich ertragen kann, vor allem, wenn es dabei um Tiere ging. Aber all das bleibt schemenhaft, denn dieses unheimliche Etwas tritt nie wirklich in Erscheinung, ist vollkommen lautlos und agiert auch nicht. Bis zum Schluss des Romans erfährt man nicht, wer oder was in dieser dystopischen Welt sein Unwesen treibt. Das mag den ein oder anderen Leser, der für alles eine Erklärung will, enttäuschen, führt aber dazu, dass einen dieses Buch auch nach der Lektüre nicht mehr loslässt. Man weiß zwar, dass der Anblick dieser nebulösen, unheimlichen Erscheinung verheerende Folgen hat, aber die genaue Ursache, die Menschen dazu treibt, andere zu verletzen und sich dann selbst auf bestialische Weise auszulöschen, bleibt letztendlich vollkommen im Dunkeln. Das Gefühl, zwar sehen zu können, aber nicht zu dürfen, dieses Leben in Dunkelheit und in einer nahezu menschenleeren Welt, die ständige Furcht, von etwas umgeben zu sein, das man zwar spürt, aber nicht sieht und diese Ohnmacht, sich nicht dagegen wehren und nur davor schützen zu können, indem man seine Augen verschließt, werden so eindrücklich geschildert, dass man all diese Emotionen und Ängste auf jeder Seite spüren kann. Trotz oder gerade weil so vieles im Unklaren bleibt, besitzt das Erzählte eine ungeheure Intensität, die nicht zuletzt auch durch die nüchterne und minimalistische Sprache des Autors erreicht wird.
Etwas irritierend fand ich lediglich die Hauptprotagonistin Malorie, denn sie war mir häufig geradezu unsympathisch. Sie erzieht diese Kinder mit einer Härte und Strenge, die mich teilweise schockierte und auch wütend machte. Jahrelang bereitet sich Malorie auf diese wagemutige Flucht vor. In dem Wissen, dass diese Flucht nur mit verbundenen Augen gelingen kann, trainiert sie das Gehör der Kinder tagtäglich. Allerdings ist es sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, Geräusche zuzuordnen, die man nicht kennt, kein Bild dafür und sie auch noch nie vernommen hat. Wie kann man das Knurren eines Wolfes erkennen, wenn man nie einen Wolf gesehen oder gehört hat? Wie kann man die Entfernung eines Geräusches einschätzen, wenn man sein ganzes Leben bislang nur in geschlossenen Räumen verbrachte? Trotzdem gelingt es Malorie, das Gehör der Kinder zu schärfen, und vermutlich gelingt es gerade aufgrund ihrer Strenge und Unnachgiebigkeit. In dieser dystopischen Welt ist kein Platz mehr für überschwängliche Mutterliebe, Emotionalität, Gefühlsduselei und Wehleidigkeit, ja nicht einmal mehr für Namen – diese Kinder haben keine Namen! Sie werden nicht nur nicht genannt, sondern sie haben schlicht keine und werden auch von Malorie nur „Junge“ und „Mädchen“ genannt. Doch obwohl ich Malorie oft nicht besonders mochte und mich ihr Verhalten schockiert hat, wurde mir am Ende des Romans bewusst, dass sie diese Kinder unglaublich und bedingungslos liebt, denn Nüchternheit und Härte sind offenbar die einzige Möglichkeit, um in dieser Welt zu überleben.
Auch ich war ein wenig enttäuscht, weil das Buch ein offenes Ende hatte und viele Fragen, auf die man so gerne eine Erklärung gehabt hätte, nicht beantwortet wurden. Ich würde zwar nicht unbedingt von einem Cliffhanger sprechen, aber ich hoffe und wünsche mir, dass Malerman das offene Ende und auch das Potential dieses endzeitlichen Szenarios für eine Fortsetzung des Romans nutzt. Ich würde jedenfalls gerne mehr von diesem Autor lesen.