Profilbild von Corsicana

Corsicana

Lesejury Profi
offline

Corsicana ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Corsicana über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.08.2019

Viel Zeitkolorit der 70er Jahre

Mein verkorkstes Sommersemester 79
0

"Es ist die Geschichte seines ersten Sommers im Studentenwohnheim. Es ist auch die Geschichte der geburtenstarken Jahrgänge, die BAföG-gefördert die Hörsäle bevölkerten, gegen Atomkraft, für Frieden, Natur- ...

"Es ist die Geschichte seines ersten Sommers im Studentenwohnheim. Es ist auch die Geschichte der geburtenstarken Jahrgänge, die BAföG-gefördert die Hörsäle bevölkerten, gegen Atomkraft, für Frieden, Natur- und Tierschutz demonstrierten und vom Verfassungsschutz bespitzelt wurden."


Ich selbst habe erst 1984 angefangen zu studieren. Aber mir ist auch 1979 noch gut in Erinnerung, 10 Klasse, Pubertät, Suche nach Anerkennung in der Clique, Suche nach dem eigenen Weg im Leben. Und natürlich: Die erste große Liebe.

So geht es auch Sigi, dem Protagonisten in diesem Buch. Er kommt vom Land, aus eher ärmlichen Verhältnissen, seine Eltern sind Landwirte und er ist im Sommersemester 1979 im 2. Semester Maschinenbau an der TU in Braunschweig. Er studiert Bafög unterstützt (ja, das gab es damals wirklich oft, nicht wie heute, wo es fast kein Bafög mehr gibt, da die Einkommensgrenzen fast nie angehoben werden und meist nur noch Kinder von Akademikern die Uni besuchen). Und durch einige nicht gelungene Klausuren und durch ein nicht ordnungsgemäßes Praktikum verliert er für 3 Monate sein Bafög. Also plagen ihn große Geldsorgen. Aber das sind beileibe nicht seine größten Probleme. Sigi ist nämlich verliebt. Unglücklich verliebt. Denn seine große Liebe Anna ist schwanger. Nicht von ihm. Und Anna ist insgesamt eher dumm, naiv und egozentrisch. Aber wen hat das schon jemals davon abgehalten, zu lieben? Sigi jedenfalls liebt sie trotzdem. Und so verbringt er das Semester zwischen verzweifelten Versuchen, Anna zu vergessen - und verzweifelten Versuchen, sie doch noch zu gewinnen.

Sigi ist also eher kein Held. Und von einer Gutmütigkeit, die nahezu dazu verleitet, ihn auszunutzen. Was Anna auch ausgiebig tut. Aber Sigi gewinnt auch Freunde. Und das ist das Schöne an der Geschichte, das Liebenswerte, was immer zwischendurch durchschimmert. Bei allem Drama. Und Drama gibt es reichlich. Für meinen Geschmack zu reichlich. Vor allem zu profan. Es ist zwar richtig, dass wir damals als Studenten nur Schrottautos fuhren, die dauernd kaputt gingen - aber ich will nicht abschnittweise darüber lesen. Und auch nicht über immer abstrusere Vorfälle.

Aber insgesamt bildet das Buch den Geist der Zeit ab. Und das hat mir gut gefallen. Anti-Atomkraft, der Aufstieg der Grünen, die Diskussion über die Kohle - alles immer noch aktuell - nur damals ganz anders betrachtet. Und natürlich Musik und Mode. Das Lesen war wie ein Flashback in diese Zeit.

Veröffentlicht am 26.07.2019

Thriller mit Grand-Canyon-Flair und einer interessanten Ermittlerin

Ausgezählt
0

Atlee Pine ist 35, FBI-Agentin, eher eine Einzelgängerin und deshalb ist sie recht glücklich in ihrer kleinen Dienststelle in der Nähe des Grand Canyon, die sie zusammen mit ihrer Sekretärin führt. Das ...

Atlee Pine ist 35, FBI-Agentin, eher eine Einzelgängerin und deshalb ist sie recht glücklich in ihrer kleinen Dienststelle in der Nähe des Grand Canyon, die sie zusammen mit ihrer Sekretärin führt. Das geruhsame Leben wird jedoch durcheinander gewirbelt, als ein totes Maultier auf dem Grund des Grand Canyon gefunden wird, dessen Reiter vermisst wird. Und Atlee werden bei den Ermittlungen plötzlich überall Steine in den Weg gelegt. Aber das fordert Atlee nur heraus - und so begibt sie sich mit ihrer Sekretärin Carol auf inoffizielle Spurensuche.


Dieses Buch ist der erste Band einer neuen Thriller-Reihe aus der Feder des bekannten Autors David Baldacci. Und ich fand die Auftakt wirklich vielversprechend. Eine Ermittlerin, die hart im Nehmen ist und zusammen mit ihrer Sekretärin so eine Art "Thelma&Louise" Duo bildet. Dazu die Schilderungen der Landschaft am und im Grand Canyon. Für mich passte es perfekt. War ich doch letztes Jahr im Südwesten der USA auf Reisen - und natürlich auch am Grand Canyon. Mir waren es dort zu viele asiatische Touristen, die keinen einzigen realen Blick auf die Landschaft geworfen haben sondern alles nur gefilmt haben. Ständig und immer. Wahrscheinlich bevorzugen sie es, die Landschaft Zuhause am Bildschirm anzuschauen...
Wie dem auch sei: In diesem Buch wird die Großartigkeit und die Härte der Natur sehr gut beschrieben. Spannend ist es auch, der Autor beherrscht sein Handwerk. Natürlich war vieles ein wenig "too much", die Protagonistin ist etwas zu oft in lebensgefährlichen Situationen und bis in die allerhöchsten Kreise der amerikanischen bzw. der Weltpolitik hätte es für mich auch nicht gehen müssen. Aber nun gut, ein kleiner Seitenhieb auf die aktuell sehr seltsame Politik in den USA konnte nun eigentlich auch nicht schaden.

Die Geschichte von Atlees als Kind entführter Zwllingsschwester Mercy, die im Klappentext hervorgehoben wird, gibt zwar Erläuterungen, warum Atlee so einsiedlerisch lebt - bestimmt die Geschehnisse im Buch aber weit weniger, als anfangs gedacht. Aber es kommen ja noch weitere Bände - da wird diese Geschichte sicherlich weiter erzählt.

Veröffentlicht am 22.07.2019

Gelungenes Thriller-Debüt

Das Weinen der Kinder
0

Dieser Krimi spielt in der Kunstszene - das ist einmal ein neues Setting.


Anke Neuhaus zieht von Köln nach Süddeutschland, um dort eine Galerie in einem Schloss aufzubauen. Der Vorgänger hatte Gelder ...

Dieser Krimi spielt in der Kunstszene - das ist einmal ein neues Setting.


Anke Neuhaus zieht von Köln nach Süddeutschland, um dort eine Galerie in einem Schloss aufzubauen. Der Vorgänger hatte Gelder veruntreut und Anke hat nun Probleme, wieder genügend Einkünfte zu erzielen, um die Galerie ans Laufen zu bekommen. Da hilft ihr ein alter Freund, der sich bereit erklärt, Bilder von "Weinenden Kindern" auszustellen. Und die Ausstellung wird ein voller Erfolg. Aber danach bricht das Chaos aus... und auch Ankes Leben gerät aus den Fugen ... noch mehr aus den Fugen muss man sagen... denn Anke hat als Alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern, davon eine in der Pubertät, eigentlich schon genug Probleme.

Parallel gibt wird die Geschichte eines Jungen erzählt, der wohl sehr begabt ist als Maler - aber leider in Verhältnissen aufwächst, die ihn nicht fördern.

Als Leserin wusste ich ganz lange nicht, wer dieser geheimnisvolle Erzähler ist - es wird wirklich erst zum Schluss aufgelöst. Und bis dahin gibt es viele falsche Fährten, einige Rückschläge in den Ermittlungen. Und einen Kommissar, der mit seinen eigenen Erinnerungen aus der Vergangenheit kämpft. Denn eines der Bilder mit den "Weinenden Kindern" zeigt seine Tochter Anna - aber die ist vor 16 Jahren an den Folgen eines Verkehrsunfalls verstorben. Wie kommt sie dann auf dieses Bild?

Dem Autor ist hier ein sehr gutes Debüt gelungen. Der Aufbau ist gut - direkt am Anfang ein ominöser Todesfall - danach eine Fülle von Figuren, die sehr gut gezeichnet sind. Keiner nur gut oder nur schlecht, alle vielschichtig. Manchmal wurde es mir zwischendurch zwar einmal zu viel mit noch einer falschen Fährte - aber im Endeffekt hat mich das Buch gut unterhalten.

Veröffentlicht am 08.07.2019

Tragische Familiengeschichte aus Danzig

Wenn wir wieder leben
0

Wanda wächst im Nachkriegs-Berlin in einem reinen Frauen-Haushalt auf. Der Vater ist im Krieg geblieben - und über ihn wird auch nicht gesprochen. Das Geld verdient Lore, die Schwester der Mutter. Und ...

Wanda wächst im Nachkriegs-Berlin in einem reinen Frauen-Haushalt auf. Der Vater ist im Krieg geblieben - und über ihn wird auch nicht gesprochen. Das Geld verdient Lore, die Schwester der Mutter. Und "Matti", die Mutter, kümmert sich liebevoll um Wanda und ihre beiden Schwestern.


Als Wanda in den 60er Jahren in Berlin studiert, lernt sie Andras kennen, Sohn jüdischer Eltern. Und er stellt die Frage nach der Vergangenheit, nach der Schuld. "Davon, dass wir es totschweigen, geht es nicht weg. Es geht überhaupt nicht weg. Es ist immer da, in allem, was wir tun" (S. 39). Und so stellt Wanda die Frage, was die Eltern in der Nazizeit gemacht haben. Und diese Frage hat dramatische Folgen. Und wird Wanda bis nach Danzig und Zoppot führen, an ihren Geburtsort.

Dies ist die eine Erzähl-Ebene des Buches. Die andere beginnt im Danzig und Zoppot der 30er Jahre. Gundi und Ihre drei Freunde sind unzertrennlich und genießen die Sonntage am Strand von Zoppot, das damals ein mondänes Seebad war. Die Lebensumstände der Freunde sind zwar alles andere als mondän - aber sie sind glücklich. mit ihrer Freundschaft und mit ihrer Musik. Die vier bilden ein Quartett und hin und wieder treten sie auf. Im berühmten Grandhotel würden sie sehr gerne einmal auftreten und etwas abbekommen vom Glanz. Aber dafür brauchen Sie ein Lied. Ein gutes Lied, das sie berühmt macht. Aber Gundi kann das Lied nicht schreiben - zunächst nicht. Aber dann geht es doch..... und so wird eine Kette von Ereignissen und Abhängigkeiten in Bewegung gesetzt, die sowohl einen berühmten Nazi als auch polnische Freunde betreffen und die das Leben der Freunde langfristig beeinflussen werden.

Und dann kommt der Krieg....

Ich habe mir die Lektüre des Buches extra für meinen Urlaub in Polen aufgehoben. Und es hat mich sehr berührt, das Buch am Strand von Zoppot und in der Altstadt von Danzig zu lesen.

Danzig wurde im Krieg zu fast 90% zerstört - und ist inzwischen wieder sehr schön restauriert worden. Man kann durch die Gassen schlendern und sich vorstellen, wie es damals war. Danzig verleugnet weder seine deutsche noch seine polnische Vergangenheit und Gegenwart. Zoppot wurde im Krieg kaum zerstört und die schönen alten Häuser wurden renoviert. So kann man dort heute wieder das Grand Hotel bewundern und den Strand genießen. Und den berühmten "Blauen Pudel" (eine Kneipe) gibt es auch. Die kommt im Buch auch vor (wobei es die Kneipe lt. Autorin im alten Zoppot noch gar nicht gab... aber das macht nix).

Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen. So sehr hat mich die Geschichte berührt. Und am Ende gab es noch eine unerwartete Wendung, die mich sehr überrascht hat.

Von meiner Seite also eine unbedingte Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 28.06.2019

Indischer Epos im Shakespeare Stil

Wir, die wir jung sind
0

Dies ist ein Buch über Indien heute - bunt, grausam, tragisch, auf der Suche nach einen Gewinnerplatz in der Welt. Gleichzeitig ist es ein Buch über die ganze Welt - die Suche und Sucht nach ...

Dies ist ein Buch über Indien heute - bunt, grausam, tragisch, auf der Suche nach einen Gewinnerplatz in der Welt. Gleichzeitig ist es ein Buch über die ganze Welt - die Suche und Sucht nach Erfolg, nach Anerkennung. Und dann ist es noch ein Buch in der Tradition von Shakespeare - eine moderne Adaption von King Lear.

Ein wenig zu viel? Ja, sicherlich.
Aber gut geschrieben, anspruchsvoll, bildhaft, ein gefühlt sehr "indischer" Stil, da viele Hindi-Worte genutzt werden, viele Bilder, vieles blumig und bildhaft beschrieben wird. Schon am Anfang spürt man die Hitze Indiens, die Gegensätze zwischen dem Kampf ums bloße Dasein und der überspannten Lebensweise der reichen Inder. Und die noch sehr dünne Trennwand, die die moderne Lebensweise der reichen Inder von der Lebensweise ihrer Vorfahren trennt - und ganz schnell ist es wieder wie früher: Patriarchat - und die Mädchen werden von den Eltern verheiratet. Und die Diener werden körperlich misshandelt.

In diese ganze explosive Mischung gerät Jivan, also er nach vielen Jahren in den USA und als Harvard Absolvent nach Indien zurückkehrt. Jivan ist der uneheliche Sohn des Geschäftspartners des Inhabers einer großen indischen Firma, nur "Company" genannt. Es gibt noch einen ehelichen Sohn, Jeet. Und der Inhaber der Firma, Devraj, hat drei Töchter. Und fertig ist das Tableau für das Shakespearsche Drama. Eine der Töchter verweigert sich dem vorgegebenen Weg. Eine will unbedingt an die Spitze. Eine sucht nach der Liebe und ihrem eigenen Weg. Und der legitime Sohn hat ganz andere Probleme.

Devraj wird sich zur Ruhe setzen - und der Kampf um die Nachfolge beginnt. Schon bei Shakespeare geht das nicht gut aus.

Und so entwickelt sich ein tragisches, verstricktes Drama um Liebe, Hass, Familienbande. Und um Geld. Denn wie sagt Jivan am Anfang: Es geht nicht um Land. Es geht um Geld.

Ich selbst war schon zweimal in Indien. Und genauso, wie mich dieses Land jedesmal mit seiner Hitze, Komplexität, Buntheit und Grausamkeit gegenüber dem Leben des Einzelnen erschlägt, so hat mich auch dieses Buch immer wieder quasi erschlagen. Obwohl sehr gut und sehr bildhaft erzählt, so ist es doch anstrengend zu lesen. Es gibt zwar ein Glossar - doch die vielen Hindi-Wörter verwirren. Dazu kommt eine Vielzahl an Andeutungen, die andere Bücher betreffen. Natürlich könnte man das überlesen und es einfach als Bollywood-Tragödie lesen - das schlägt die Übersetzerin im Anhang vor - und vielleicht wäre das gar nicht die schlechteste Idee. Ansonsten kann es sein, dass man (wie ich) monatelang mit der Lektüre beschäftigt ist. Weil man (zu) viel interpretiert, zu viel nachdenkt und damit einfach den Faden verliert.

Aber wenn man in der richtigen Stimmung für anspruchsvolle Lektüre ist, Shakespeare nicht abgeneigt ist und eine gewisse Faszination für Indien verspürt - dann ist es quasi ein Muss, dieses Buch zu lesen.