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Veröffentlicht am 11.10.2017

Rätsel um einen Eisblock

Und es schmilzt
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Eva fährt nach langen Jahren einmal wieder in ihr flämisches Heimatdorf. Im Kofferraum hat sie eine Curver-Kiste mit einem großen Eisblock.

Was will Eva mit dem Eisblock? Und welche Geschichte verbindet ...

Eva fährt nach langen Jahren einmal wieder in ihr flämisches Heimatdorf. Im Kofferraum hat sie eine Curver-Kiste mit einem großen Eisblock.

Was will Eva mit dem Eisblock? Und welche Geschichte verbindet sie mit ihrem Heimatdorf?

Dies wird spannend in zwei verschiedenen Zeitebenen erzählt, eine Ebene ist das Jetzt. Eine Ebene ist das Jahr 2002. Und als Leser gerät man in einen Sog - man liest einfach immer weiter - man will wissen, was damals passiert ist. Und was jetzt mit dem Eisblock passieren wird. Und die Autorin treibt die Geschichte immer weiter. Ohne, dass man sich als Leser entziehen kann. Und am Ende sicherlich abgekämpft und entsetzt das Buch aus der Hand legt. Aber im Kopf wird das Buch noch lange festsitzen.

Und Vorsicht: Das Buch ist spannend - aber kein harmloser Krimi.

Man fühlt als Leser, dass alles immer noch schlimmer werden kann. Angefangen vom Vater, der seiner Tochter zeigt, wie er einen Strick befestigt, mit dem man sich umbringen kann. Über die Mutter, die immer mehr trinkt, als gut ist. Über die Eltern, die nie irgendeinen ihrer Pläne richtig verwirklichen. Über Geschwister, die unter dieser Situation leiden. Über eine Kinderfreundschaft zwischen zwei Jungs und einem Mädchen, die in der Pubertät zwangläufig schwierig wird. Über Mädchenfreundschaften, die nie richtig gelingen. Über Nachbarinnen, die zwar eigentlich helfen wollen - dann aber doch nichts unternehmen.

Und vielleicht ist dies eine der Kern-Aussagen des Buches: Irgendwie schauen alle weg, wollen nicht wahrhaben, was sich hinter den nur mühsam aufrecht erhaltenen Fassaden abspielt.

Ein schonungsloses Buch, das gnadenlos weitererzählt - auch wenn man es vielleicht selbst nicht mehr so genau wissen will. Und auch darüber nachdenkt, einfach wegzuschauen. Aber das lässt die Autorin nicht zu. Zum Glück.

Veröffentlicht am 28.08.2017

Familiengeschichte vor dem Hintergrund der Sklavenhaltung

Heimkehren
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Noch nie habe ich ein Buch über ein so schwieriges Thema gelesen, das literarisch so gut konzipiert und geschrieben ist.

Ehrlich gesagt habe ich vor dem Lesen ein wenig gezögert. Plötzlich war ich mir ...

Noch nie habe ich ein Buch über ein so schwieriges Thema gelesen, das literarisch so gut konzipiert und geschrieben ist.

Ehrlich gesagt habe ich vor dem Lesen ein wenig gezögert. Plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, ob ich wirklich so viele schlimme Dinge über Sklavenhaltung und Rassismus lesen kann und will.

Aber als ich einmal angefangen hatte, konnte ich nicht mehr aufhören.
Dieses Buch zieht in den Bann, auch wenn natürlich viele schlimme Dinge passieren. Aber es gibt in jedem Kapitel auch etwas Herzerwärmendes, Lebens- und Liebenswertes. Und das macht die Lektüre gut erträglich. Der Schreibstil ist darüber hinaus klar und gut verständlich. Irgendwie leicht, trotz der schweren Thematik.

Das Buch erzählt chronologisch die Geschichte von zwei Familienzweigen, die aus zwei Halbschwestern entstehen (die sich übrigens nie kennen lernen).

Die ältere Schwester Effia wächst an der Goldküste - auf dem Gebiet des heutigen Ghana - als ungeliebtes Kind einer Stiefmutter auf, der das Baby untergeschoben wurde. Später wird sie mit einem weißen Kommandanten der Sklaven-Festung verheiratet. Es war wohl sehr üblich, dass die weißen Sklavenhändler eine einheimische Frau heirateten - obwohl in der Heimat eine Ehefrau und Kinder warteten. Die Ehe wird trotzdem einigermaßen glücklich. Und die Nachfahren dieser Verbindung werden reich und mächtig mit dem Sklavenhandel. Denn es war mitnichten so, dass nur die Weißen die Schwarzen gejagt und gefangen hätten - nein - diese Arbeit haben einheimische Stämme gemacht, die ihre Kriegsgefangenen meistbietend an die Weißen verkauft haben. Dies war für mich persönlich eine neue Erkenntnis, hier war ich vorher wohl uninformiert.
Dieser Erzähl-Strang reicht von Effia bis zu der Zeit, als ihre Nachfahren sich zunächst vom Sklavenhandel abwenden und spätere Generationen in die USA auswandern.

Esi, die Halbschwester von Effia, wächst zunächst mit ihrer Mutter auf. Als ihr Dorf dann aber überfallen wird, gibt die Mutter auf und Effia wird als Sklavin nach Amerika verschleppt. Das Einzige, was die Mutter ihr hinterlässt, ist ein Stein mit Goldschimmer. Den gleichen Stein hat die Mutter damals für Effia hinterlassen - und Effia wird ihn bei ihrer Heirat bekommen und dabei erfahren, dass sie nicht die Tochter ihrer Stiefmutter ist, sondern von einem Hausmädchen abstammt, die "ins Feuer gegangen" ist.

Feuer und diese Steine werden im gesamten Roman immer wieder thematisiert.
Dem Familienzweig von Effia wird es gelingen, den Stein von Generation zu Generation weiterzugeben. Esi verliert den Stein jedoch schon im Verlies der Festung, vor der Verschiffung nach Amerika. Und auch im folgenden Verlauf sind Esis Nachkommen die Opfer von Versklavung, unmenschlichen Arbeitsbedingungen und Rassismus. Und der Weg hinaus in ein menschenwürdiges Leben ist hart.

Und irgendwann am Ende werden die Nachfahren der beiden Schwestern die Festung in Ghana besuchen. Und "Heimkommen".

Erzählt wird eine fulminante Familiengeschichte in recht kurzen Kapiteln, die jeweils abwechselnd von einer Person pro Generation aus jeweils einem Familien-Strang erzählen. (Ein Tipp: Hinten im Buch gibt es einen Stammbaum, der hilft bei der Übersicht).
Auch wenn auf diese Art nur Bruchstücke aus den Erlebnissen der Familien erzählt werden, wirkt die gesamte Geschichte trotzdem komplett.

Als Leser erfährt man immer kurz, was aus der Vorgängergeneration geworden ist. Dieses abwechselnde Erzählen macht die Lektüre spannend. Durch geschicktes Erzählen schafft es die Autorin, dass man als Leser den Überblick behält.
Es ist übrigens auch möglich, zunächst nur die geraden und danach die ungeraden Kapitel hintereinander zu lesen. Ich habe dies ab dem zweiten Teil des Buches gemacht und es gab keine Verständnisschwierigkeiten.

Nachdem ich in letzter Zeit recht viele Bücher über Afrika und Rassismus gelesen habe (Americanah, Jeder Tag gehört dem Dieb, Diese Dinge geschehen nicht einfach so, Swing Time), muss ich sagen, dass dieses Buch das literarisch und inhaltlich am besten gelungene Werk war.

Dieses Buch hat mich berührt und begeistert.
Und ich denke, es sollte Schullektüre werden.

Veröffentlicht am 30.11.2016

Spannende und gut erzählte Familiengeschichte

Das Erbe der Wintersteins
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Das Erbe der Familie Winterstein ist eine alte Villa an der Ostsee, in der Celine Winterstein die schönste Zeit ihrer Kindheit verbracht hat. Ihre Urgroßmutter hatte die Villa einst als Familienstammsitz ...

Das Erbe der Familie Winterstein ist eine alte Villa an der Ostsee, in der Celine Winterstein die schönste Zeit ihrer Kindheit verbracht hat. Ihre Urgroßmutter hatte die Villa einst als Familienstammsitz bestimmt und diese hatte auch den Grundstein für die Porzellanfabrikation gelegt, die zum Wohlstand der Familie führte.

Nun ist die Firma in finanziellen Schwierigkeiten und die Villa soll verkauft werden. Schweren Herzens fährt Celine an die Ostsee, um den Verkauf vorzubereiten. Und sie setzt sich noch einmal intensiv mit der Geschichte ihrer Urgroßmutter auseinander, als sie in der Villa ein altes Tagebuch findet. Und es zeigt sich, dass das "Erbe" der Wintersteins noch viel mehr umfasst und bedeutet als eine alte Villa.

Die Geschichte wird in zwei abwechselnden Zeitebenen erzählt. Einmal in der Zeit von Claire, die als Findelkind heranwächst und sich mühsam den Weg in ein selbstbestimmtes Leben bahnen muss. Und einmal in der heutigen Zeit, als Claires Urenkelin Celine herausfinden muss. wie sie ihr Leben gestalten soll. Und feststellen muss, dass das Erbe ihrer Großmutter ihr Leben bedrohen könnte....

Das alles wird gefühlvoll und spannend erzählt. Die Autorin hat den Roman sehr gut konzipiert. Trotz vieler Handlungsstränge und Handlungsorte ist alles logisch aufgebaut und alles verständlich. Als Leser kann man sich einfach in die Geschichte fallen lassen und mitfiebern.

Das Buch behandelt außerdem ernsthafte Themen, die sehr interessant waren. Es wird von den sogenannten "Sideshows" erzählt, dies waren in früheren Zeiten Shows, die auf Jahrmärkten gezeigt wurden und in denen "außergewöhnliche" Menschen vorgeführt wurden. Meist waren es Menschen mit körperlichen Besonderheiten (komplett behaart, unfassbar dick, Siamesische Zwillinge, Zwergenwuchs usw.) die in dieser Jahrmarkt-Welt ihr Leben fristen mussten. Der Einblick in diese Welt ist der Autorin sehr gut gelungen - so ein kleines Sahnhäubchen obendrauf - auf einen sehr gelungenen Unterhaltungsroman, den man gut in der Vorweihnachtszeit lesen kann. denn de Handlung im Heute spielt in der Vorweihnachtszeit.

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Veröffentlicht am 18.08.2022

Melancholische Familiengeschichte aus den Elbmarschen

Die Rückkehr der Kraniche
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Die vier Frauen der Hansen-Familie treffen sich wieder in dem alten Reetdachhaus in den Elbmarschen, das ihrer aller Heimat ist. Es liegt viel Unausgesprochenes in der Luft. Wie das in Norddeutschland ...

Die vier Frauen der Hansen-Familie treffen sich wieder in dem alten Reetdachhaus in den Elbmarschen, das ihrer aller Heimat ist. Es liegt viel Unausgesprochenes in der Luft. Wie das in Norddeutschland eben so ist. Hier redet man eher wenig und das harte Leben auf dem Land fordert seinen Tribut. Dazu kommen einige Familiengeheimnisse, die eine Annäherung erschwerden.
Da ist Wilhelmine, die älteste Frau. Sie wurde früh Witwe und musste ihre Töchter alleine erziehen. Das hat sie hart gemacht. Grete, die älteste Tochter, hat früh erwachsen werden müssen und sich immer liebevoll um ihre jüngere Schwester Freya gekümmert. Bis diese irgendwann der Enge entflohen ist und in Berlin Karriere gemacht hat. Das hat Grete ihr übel genommen. Dazu kam, dass Grete nie aus dem Dorf herausgekommen ist, da sie früh schwanger geworden ist und ihre Studienpläne nicht verwirklicht hat. Anne, die Tochter von Grete, will gerne richtig selbständig werden, schafft es aber nicht. Auch sie hat ihre Geheimnisse und außerdem will sie endlich wissen, wer ihr Vater ist....Und Freya? Sie ist nach außen hin erfolgreich, innerlich aber in einer Krise, denn sie wurde gerade verlassen und ihr Kinderwunsch hat sich nicht erfüllt.
Als Wilhelmine erkrankt, sind alle Familienmitglieder genötigt, sich auseinanderzusetzen und (vielleicht?) eine neue Nähe zu entwickeln und neue Weichen für die Zukunft zu stellen. Wird Wilhelmine ihren Töchtern gegenüber endlich offen reden? Wird Grete neue Wege gehen? Was ist mit dem Vater von Anne? Und was wird aus Freya und dem neuen Nachbarn?

Dieses Buch beschreibt sehr stimmungsvoll die Landschaft der Elbmarschen, was mir schon in den Krimis der Autorin sehr gut gefallen hat. Diese raue Landschaft, ganz nah bei Hamburg und doch so weit weg. Die Figurenzeichnungen sind sehr authentisch, typisch norddeutsch und ein wenig herb. Dieser Familienroman zeigt sehr eindrucksvoll die Macht und die Auswirkungen von Familienverstrickungen, Geheimnissen und mangelnder Kommunikation. Realistisch, ungeschönt und lebensecht. Die Grundstimmung ist eher melancholisch. Ein romantisch-seichte Lektüre ist es nicht. Aber ein stimmungsvoller Roman inklusive wunderbarer Landschaftsbeschreibungen. Und wer Vögel liebt, der wird auch dieses Buch lieben. Und sofort in die Naturschutzgebiete der Elbmarschen aufbrechen wollen.

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Veröffentlicht am 06.04.2022

Wichtiges Buch über Arbeitsmigration in Deutschland

Dschinns
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Die Arbeitsmigranten, die seit den 60er Jahren aus Südeuropa und der Türkei nach Deutschland kamen, hier nur begrenzt bleiben sollten, werden erst langsam ein Thema für die deutsche Literatur.

Ein wichtiges ...

Die Arbeitsmigranten, die seit den 60er Jahren aus Südeuropa und der Türkei nach Deutschland kamen, hier nur begrenzt bleiben sollten, werden erst langsam ein Thema für die deutsche Literatur.

Ein wichtiges Werk dazu hat jetzt Fatma Aydemir geschrieben. "Gastarbeiterkind" der Folgegenerationen. Ja, denn Gastarbeiter wurden die Türken genannt, die aufgrund eines bilateralen Abkommens mit der Türkei nach Deutschland kamen, um hier das Wirtschaftswunder mit zu gestalten, Geld zu verdienen ... und dann wieder zu gehen. Es kam anders. So auch bei Hüseyin, dem Vater der Familie, der als erstes beschrieben wird. Aber nur kurz. Denn er stirbt in Istanbul. Gerade, als er in Rente gegangen ist und sich seinen Lebenstraum einer Eigentumswohnung in Istanbul erfüllt hat. Das dieser Traum nicht der Traum seiner Familie war, zeigt sich, als die Familienmitglieder nach und nach in der Wohnung ankommen. Jedem Familienmitglied wird ein eigenes Kapitel gewidmet. Und jeder hat sein eigenes Päckchen zu tragen. Da ist Sevda, die älteste Tochter, noch in der Türkei aufgewachsen und erst spät und ohne Schulbildung nach Deutschland gekommen. Mit einem Ausweis, der eigentlich für das erste Kind der Familie ausgestellt wurde, das ein Jahr vor ihr geboren wurde. Welche Bedeutung der Verlust dieses Kindes für das fragile Familienkonstrukt hatte, wird im Laufe des Romans dann noch sehr deutlich. Es gibt aber noch andere Probleme: Ümit, der Jüngste, hat sich in einen Fußballkumpel verliebt, Peri, die jüngste Tochter hadert mit dem Tod eines Geliebten und fühlt sich fremd an der Uni, als erste aus der Familie, die Abitur gemacht und studiert hat. Sevda wiederum musste sich ohne Schulbildung aus einer unglücklichen Ehe befreien und hat sich zu einer erfolgreichen Restaurantleiterin hochgearbeitet. Und Hakan, der älteste Sohn, ist so ein typisches Beispiel für einen jungen Deutsch-Türken, der Autos verkauft und auch ein paar dubiose andere Dinge und nur weiß, dass er mehr Geld verdienen will und, dass er auf keinen Fall in eine Fabrik will.

Und Emine, die Mutter? Sie ist nie angekommen in Deutschland, spricht kaum die Sprache und hat vor allem Sevda nie eine Chance zur Ausbildung gegeben.

Ein wenig ist jeder der Protagonisten somit auch ein wenig ein Klischee. Die Autorin beschreibt die Personen mit all ihren Stärken und Schwächen jedoch so individuell, dass dies weniger negativ auffällt. Trotzdem waren es mir im Endeffekt ein wenig zu viele Klischees, Stereotypen und Probleme zu viel. Ich kann ja verstehen, dass ein Brandanschlag auf Migranten ein wichtiges Thema ist. Allerdings muss diese Familien doch von Homosexualität, Transgender, mangelnder Bildung oder wahlweise Aufstieg durch Bildung über Kurdenproblematik und dem typischen Bild eines jungen türkischen Mannes ohne Perspektiven nicht alle Probleme dieser Welt abbekommen. Das war mir persönlich etwas zu viel. Weniger hätte hier eindrücklicher gewirkt.

Trotzdem bewerte ich diesen Roman sehr hoch. Er zeigt nämlich ein wichtiges Thema und einen wichtigen Teil der Geschichte der Bundesrepublik auf. Die Auswirkungen der Arbeitsimmigration müssen noch prägnanter benannt werden, um richtig verarbeitet werden zu können.

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