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Veröffentlicht am 02.05.2020

Die Menschenschlange

Das Tor
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Das Tor- Basma Abdel Aziz

Die Bewohner eines fiktiven orientalischen Staates sind seit der Niederschlagung von Aufständen auf verschiedenste Genehmigungen durch das Tor angewiesen. Doch dieses öffnet ...

Das Tor- Basma Abdel Aziz

Die Bewohner eines fiktiven orientalischen Staates sind seit der Niederschlagung von Aufständen auf verschiedenste Genehmigungen durch das Tor angewiesen. Doch dieses öffnet einfach nicht und vor dem Tor bildet sich bereits eine lange Menschenschlange, die länger und länger wird.
Tatsächlich liegt das Hauptaugenmerk dieses Romans auf dieser Menschenschlange. Sowohl das Tor selbst als auch die Hintergründe, die zu dessen Entstehung beigetragen haben, werden nicht näher erklärt. Es geht vielmehr um Bewegungen innerhalb dieser Menschenmenge. Wer benimmt sich verdächtig, wer bringt Gerüchte in Umlauf, wer kommt mit der belastenden Situation besser zurecht, oder schafft es sogar noch, daraus Profit zu schlagen. Eine gesellschaftliche Dynamik, die durchaus interessant zu lesen ist.

Yahya wird am Rande des letzten Aufstandes verletzt, der Arzt Tarik möchte ihm gerne helfen, d.h. ihn operieren, darf dies ohne eine entsprechende Genehmigung des Tors jedoch nicht tun. Und so findet sich Yahya mit einer frischen Wunde in der Schlange wieder. Sein bester Freund ist meistens an seiner Seite, etliche neue Bekannte lernt er dadurch kennen. Sie alle sind dem herrschenden Regime bereits einmal unangenehm aufgefallen und müssen nun beispielsweise eine Genehmigung beantragen, um Brot zu kaufen.

Ich persönlich halte dieses Werk weniger für eine Dystopie als vielmehr für die Zustandsbeschreibung eines totalitären Staates. Und bei dieser Momentaufnahme bleibt es leider auch, denn die Handlung tritt mehr oder weniger auf der Stelle. Ein Spannungsbogen fehlt beinahe komplett. So dass sich mir am Ende die Frage stellte, was will mir die Autorin damit sagen? Dem Klappentext kann man entnehmen, dass die Ägypterin als Psychiaterin für Trauma Patienten, auch Folteropfer, arbeitet. Spätestens diese Informationen legen nahe, dass sie die Zustände in ihrem Heimatland (überspitzt) anprangern möchte. Eine wirklich mutige Frau. Umso bedauernswerter, dass mich diese Geschichte und ihre Protagonisten auf der Gefühlsebene so gar nicht erreichen konnten. Ein Gefühl der Fremdartigkeit blieb bis zuletzt. Möglicherweise ist dies auch der Übersetzung aus dem arabischen geschuldet. Auffällig und den Lesefluss sehr störend empfand ich beispielsweise die extrem häufige Verwendung von Konjunktiven, vor allem in indirekten Reden.

Insgesamt empfand ich diese Lektüre leider als ziemlich zäh und ergebnislos. Normalerweise lese ich sehr gerne alles was in die Richtung Dystopie und Gesellschaftskritik geht. Leider leider konnte mich dieser Roman trotz allem einfach nicht überzeugen…



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Veröffentlicht am 23.04.2020

Verschwunden im Eis

Das Eis-Schloss
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Das Eis-Schloss - Tarjei Vesaas

Ein wirklich außergewöhnlicher Roman eines norwegischen Schriftstellers, der erst sehr spät anlässlich der Buchmesse 2019 ins Deutsche übersetzt wurde. In Norwegen ist ...

Das Eis-Schloss - Tarjei Vesaas

Ein wirklich außergewöhnlicher Roman eines norwegischen Schriftstellers, der erst sehr spät anlässlich der Buchmesse 2019 ins Deutsche übersetzt wurde. In Norwegen ist der Autor sehr bekannt und hat den wichtigsten Literaturpreis des Landes erhalten. Und das zu Recht. Ich bin äußerst beeindruckt von dieser Geschichte und einer sehr intensiven wenn auch irgendwie fremdartigen Erzählweise.

Zwei elfjährige Mädchen, Siss und Unn sind gerade dabei, sich anzufreunden, da verschwindet Unn in der Umgebung des Eis-Schlosses plötzlich spurlos.
Der Leser steckt in den Köpfen dieser beiden Kinder, die bis zu einem gewissen Punkt abwechselnd erzählen. Er nimmt Teil an deren kindlicher Sichtweise, Angst und Verzweiflung. Eine beklemmende Atmosphäre baut sich auf, der man sich kaum entziehen kann. Der Autor schafft das mit einer sehr knappen, teils kindlichen Sprache und transportiert trotzdem so viel an Gefühlen der Mädchen. Hinterlegt ist diese düstere, geheimnisvolle Stimmung vom eiskalten, schneereichen Winter Norwegens.

Eine Geschichte über das Verschwinden eines Kindes in der Landschaft Norwegens, aber auch eine Gesellschaftsstudie. Es wird aufgezeigt wie sich die Menschen in ihrer Umgebung um Siss verhalten, wie sie denken, es würde von ihnen erwartet, wie sie das Mädchen trotz allem niemals fallen lassen und am Ende wieder in ihre Gemeinschaft zurückholen.

Man spürt die eisige Kälte, sieht das durchsichtige Eis, hört das laute Knacken des vom Tauwetter bedrängten Eis-Schlosses im Frühjahr.
Eine wahrlich atemberaubende Lektüre und eine großartige Entdeckung. Unbedingt lesen!
5 Sterne

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Veröffentlicht am 23.04.2020

Mehr Inselflair als Spannung

Mitten im August
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Mitten im August - Luca Ventura

Mehr Lokalkolorit als Spannung

Ein gemütlicher Krimi mit viel Lokalkolorit, der auf Capri spielt. Tatsächlich ist genau das die eigentliche Stärke dieses Buches. Man ...

Mitten im August - Luca Ventura

Mehr Lokalkolorit als Spannung

Ein gemütlicher Krimi mit viel Lokalkolorit, der auf Capri spielt. Tatsächlich ist genau das die eigentliche Stärke dieses Buches. Man fühlt sich wie im Urlaub, riecht und schmeckt das süditalienische Lebensgefühl und Flair. Das kommt alles sehr gut rüber, ist süffig zu lesen.

Der Name des Autors ist übrigens ein Pseudonym, die Originalsprache allerdings Deutsch. Mehr ist mir zur Identität nicht bekannt. Ich persönlich hatte aber an mehreren Stellen den Eindruck, dass die Effizienz der süditalienischen Polizei recht kritisch dargestellt wird. Ob dies nun beabsichtigt ist, oder einfach nur Ist-Zustände beschreiben soll, sei dahingestellt.

Vor der traumhaften Kulisse Capris wird ein junger Mann erstochen in einem Boot aufgefunden. Inselpolizist Rizzi, ein toller Typ und seine neue Kollegin Cirillo, geheimnisvoll, nehmen die Ermittlungen auf. Normalerweise passiert auf der Insel nicht allzu viel, deshalb ist dies Rizzis erster Mordfall.
Es gibt viel lesenswertes Drumherum, insbesondere über Rizzis Privatleben. In seiner Freizeit hilft er seinem Vater in dessen Obst- und Gemüsegärten, echtes Inselflair eben.
Man merkt aber schon, dass dieser Krimi als erster Band einer Reihe angelegt ist. Es bleibt noch vieles offen.

Beinahe bekommt man das Gefühl, die Ermittlungen zu diesem Mord stünden gar nicht unbedingt an erster Stelle. Es wird teils schlampig ermittelt, teils in fehlender Absprache im Team, teils auch blockiert vom übergeordneten Neapel. Auf jeden Fall wird der Leser oft nur nebenbei, oder auch gar nicht über Ermittlungsergebnisse etc. informiert. Wirkliche Spannung bleibt dabei leider auf der Strecke.

Den Fall an sich fand ich letztendlich nur mittelmäßig, dafür punktet dieser Krimi mit süditalienischem Flair und Gelassenheit. Zu erwähnen wären noch die wirklich wunderbaren Karten auf den Klappeninnenseiten.

3,5 Sterne

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Veröffentlicht am 03.04.2020

Eine Reise zu sich selbst

Offene See
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Offene See - Benjamin Myers

Was Paulo Cognetti für Italien und die Berge ist, ist Benjamin Myers für England und die englische Nordseeküste.
Ein wunderbares, sehr leises Buch, voll und ganz nach meinem ...

Offene See - Benjamin Myers

Was Paulo Cognetti für Italien und die Berge ist, ist Benjamin Myers für England und die englische Nordseeküste.
Ein wunderbares, sehr leises Buch, voll und ganz nach meinem Geschmack.

Der sechzehnjährige Robert macht sich nach seinem Schulabschluss vom Norden Englands auf in Richtung Süden, um das Land kennenlernen. Sein Heimatort lebt kurz nach Kriegsende von der Kohleindustrie und auch Robert soll sein Leben unter Tage beim Kohleabbau zubringen. Dabei liebt er doch das Meer und die Weite der Natur.
Auf seiner Reise landet er unversehens im abgelegenen Häuschen einer älteren Dame, Dulcie. Eine sehr gebildete Person, mit nicht immer vornehmer Ausdrucksweise, die den Jungen mehr und mehr unter ihre Fittiche nimmt. Eine wunderbare Freundschaft entwickelt sich zwischen den beiden.
Für Robert ist es eine Reise zu sich selbst. Anfangs erledigt er Arbeiten rund um Dulcies Haus und auch wenn er sich vornimmt, weiterzuziehen, kehrt er doch immer wieder zurück. Fast unmerklich führt Dulcie ihn im Gegenzug in die Schönheit der Literatur ein, mit der sie mehr verbindet, als sie anfangs zugeben mag.

An Handlung passiert eigentlich gar nicht allzu viel. Es ist vielmehr die wunderschöne poetische Erzählweise, die diesen Roman ausmacht. Neben detaillierten Landschaftsbeschreibungen und tiefen Gefühlen ist es eine unwahrscheinliche Ruhe und Gelassenheit, die diese Geschichte vermittelt.
Im Prinzip gibt es nur diese beiden Figuren, Robert und Dulcie, und außerdem Butler, den Hund. Diese wenigen Figuren sind dafür umso liebevoller und ausgearbeitet.

Ein tolles Buch, ein wunderbares Buch. Eine ruhige und unheimlich berührende Geschichte. Ein Autor, den ich beobachten werde. Mit Sicherheit eines meiner Jahreshighlights 2020 ! Eine ganz dringende Leseempfehlung und natürlich 5 Sterne.


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Veröffentlicht am 29.03.2020

Am Rande der Gesellschaft

Ich an meiner Seite
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Birgit Birnbacher- Ich an meiner Seite

Ein außergewöhnliches Buch einer österreichischen Autorin, die vollkommen zu Recht bereits mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde.

In knappen nüchternen ...

Birgit Birnbacher- Ich an meiner Seite

Ein außergewöhnliches Buch einer österreichischen Autorin, die vollkommen zu Recht bereits mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde.

In knappen nüchternen Sätzen, jedoch mit einem angenehm unaufdringlichen Humor erzählt Birnbacher in diesem Roman von Arthur. Arthur ist ein intelligenter und sympathischer junger Mann, der nach 26 Monaten gerade aus dem Strafvollzug entlassen wurde und sich nun in einem Programm zur Wiedereingliederung wiederfindet. Dem Leser stellt sich die Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass ein so netter ruhiger Typ im Gefängnis landet und worauf es nun ankommt, dass ihn die Gesellschaft wieder in ihrer Mitte aufnimmt.

Was genau nun Arthur eigentlich angestellt hat, erfährt der Leser erst viel später. Stattdessen geht die Reise zurück in seine Kindheit und Jugend. Beides war sicher nicht einfach, aber ist damit wirklich eine Straftat zu rechtfertigen?
Arthur wächst ohne seinen Vater auf. Die Mutter interessiert sich nicht übermäßig für Ihre Söhne. Als sie einen neuen Partner findet, wandert die Familie nach Andalusien aus. Fehlender Rückhalt prägt das Leben Arthurs und hat sicherlich seinen Anteil an den späteren Ereignissen.

Birnbacher streift viele Themen, etwa die Wichtigkeit eines geborgenen Elternhauses oder den Sinn und Unsinn von Haftstrafen bei sehr jungen Straftätern. Und als wichtigen Punkt schließlich, den schwierigen Weg zurück in die Gesellschaft. Arthur ist ein sehr intelligenter und bemühter junger Mann. Dennoch will ihm niemand Arbeit geben, will ihn niemand als Mieter haben. Die Macht der Vorurteile schlägt hier voll zu. Das ist tatsächlich eine sehr schwierige Situation, die nachdenklich stimmt.

Immer wieder springt die Autorin zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her. Ich persönlich mochte das sehr, erfährt man doch auf diese Weise viel mehr über Arthur und darüber, was ihn in seine missliche Lage gebracht haben könnte.
Durch den knappen Erzählstil wird der Leser genötigt, zwischen den Zeilen zu lesen und seine Fantasie zu benutzen, denn die Autorin verrät immer nur das allernötigste. Das ist sehr interessant und sehr eigenwillig.
Gerade sprachlich hat mir dieser Roman sehr gut gefallen, das österreichische daran. Dieser leicht sarkastische Witz, der die Schwere des Themas etwas auflockert, einfach toll.

Beeindrucken fand ich auch die tollen, teils skurrilen Charaktere, die Arthur begleiten. Börd, der Therapeut, der eine ebensolche selbst dringend nötig hätte. Und Grazetta, eine todkranke ehemalige Schauspielerin, die einzige Person, die sich ernsthaft um Arthur bemüht. Dennoch bleibt immer klar, dass es in diesem Roman in erster Linie um Arthur geht. Ein bisschen mehr über die anderen Figuren hätte ich trotzdem gerne gelesen.

Ganz zum Schluss kann man dem Nachwort noch entnehmen, dass Arthur eine reale Vorlage hat. Wunderbar, umso beeindruckender.

Insgesamt ein äußerst lohnenswertes Buch. Ein wichtiges Thema, einfach gut geschrieben. 4 Sterne.

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