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Veröffentlicht am 07.01.2017

Im Bann der Borgias

Im Schatten des roten Stieres
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1497 Rom. Die 15-jährige Alessia Bertorelli de Salvatierra und ihre Familie mussten vor der Inquisition aus Spanien fliehen und haben sich ein neues Zuhause in Rom aufgebaut. Sie genießen ein Leben als ...

1497 Rom. Die 15-jährige Alessia Bertorelli de Salvatierra und ihre Familie mussten vor der Inquisition aus Spanien fliehen und haben sich ein neues Zuhause in Rom aufgebaut. Sie genießen ein Leben als angesehene Bürger, denn Alessias Vater Alvaro ist ein bekannter Anwalt. Alessia hat sich in den Maler Giacomo verliebt, dem sie Modell sitzt. Die beiden fühlen sich stark zueinander hingezogen und planen ein zu heiraten. Doch dann erhält Alvaro mit einem Brief aus Spanien von seiner verstorbenen Mutter Informationen, die das beschauliche Leben der Familie stark ins Wanken bringen. Alvaro ist der uneheliche Sohn von Papst Alexander VI. und somit ein Spross der Borgia-Familie. Eine Verbindung zwischen Giacomo und Alessia scheint somit unmöglich. Auch die neue Verwandtschaft ist so gar nicht begeistert von den neuen Voraussetzungen. Schon bald findet sich Alessia im Vatikan wieder, und die junge Frau steht bösen Intrigen und Ränken gegenüber, die sie bald in höchste Gefahr bringen. Wem kann sie vertrauen? Wird es doch noch eine Zukunft mit Giacomo geben?

Sylvia Klinzmann hat mit ihrem Roman „Im Schatten des roten Stieres“ ein opulentes und spannendes historisches Sittengemälde der Borgia im 15. Jahrhundert vorgelegt. Der Schreibstil ist schön flüssig und nimmt den Leser mit auf eine Reise ins mittelalterliche Italien, wo er Zeuge von heimlicher Liebe, Ränkeschmiede, Machtgier, Eifersucht, heimtückischem Mord und Racheplänen wird. Die Methoden der Intriganten der damaligen Zeit waren nicht gerade zimperlich und wurden sehr bildhaft dargestellt, so dass der Leser eine gute Vorstellung bekommt. Die Autorin hat sehr viel Wert auf eine akribische historische Recherche gelegt, die ihr ausgezeichnet gelungen ist. Die politischen und religiösen Ansichten der vergangenen Zeit werden ebenso mit der Handlung verwebt, wie die damaligen Lebensumstände und die getragenen Gewänder. Auch die örtlichen Gegebenheiten sind so detailliert, dass der Leser eine gute Vorstellung bekommt, wie es dort damals ausgesehen haben muss. Der Spannungsbogen wird recht schnell aufgebaut und steigert sich innerhalb der Handlung immer weiter bis zum finalen Schluss.

Die Charaktere sind sehr vielschichtig und detailliert gezeichnet, einige geben erst nach und nach ihr wahres Gesicht preis, was einen sehr authentischen und lebensechten Eindruck hinterlässt. Alessia ist eine sehr junge sympathische Frau, die wohlbehütet aufwuchs und noch etwas naiv wirkt. Sie erlebt gerade ihre erste große Liebe, doch von einem Tag auf den anderen ändert sich ihr ganzes Leben nur aufgrund ihrer Familienverhältnisse. Durch ihre Jugend ist sie noch nicht in der Lage, den Unterschied zwischen Freund und Feind zu erkennen und begibt sich dadurch leicht in die Hände derer, die ihr Böses wollen. Giacomo ist ein junger sympathischer Mann, der als Maler noch in den Anfängen seiner Karriere steckt. Er ist Alessia in Liebe verbunden und sieht sich nun der Tatsache gegenüber, dass er seine Liebe durch Standesdünkel und Intrigen verlieren wird. Er lässt sich auf ein gefährliches Spiel ein. Piero ist ein gutmütiger Kerl mit einem Geheimnis, dass möglichst immer eines bleiben möge. Cesare ist der erstgeborene Borgia-Sohn und ein cleverer, aber ebenso grausamer Mensch, der seine Mitmenschen manipuliert und sich selbst die Hände nicht schmutzig macht. Catalina de Mendoza ist eine missgünstige Frau, die ihrem Umfeld ein ganz anderes falsches Gesicht zeigt, während sie sich insgeheim mit Cesare verbündet und eigene Rachepläne verfolgt. Auch die anderen Protagonisten untermauern mit ihren eigenen kleinen Episoden und Geschichten dieses farbenfrohe gezeichnete Sittengemälde der Renaissance im alten Italien.

„Im Schatten des roten Stiers“ ist ein sehr spannender und farbenfroher historischer Roman über eine der schillerndsten italienischen Familien im mittelalterlichen Italien. Aufgrund der sehr guten Recherchearbeit der Autorin bekommt man hier eine Geschichtsstunde par excellence, der es keineswegs an Spannung fehlt. Absolute Leseempfehlung für diese Reise zu den Borgias!

Veröffentlicht am 28.12.2016

Schicksalsreise nach Paris

Rendezvous im Café de Flore
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20er Jahre Frankreich. Vianne Renard interessierte sich schon als junges Mädchen für Pflanzen und hat den großen Wunsch, Botanikerin zu werden und in Paris am berühmten Jardin des Plantes zu arbeiten. ...

20er Jahre Frankreich. Vianne Renard interessierte sich schon als junges Mädchen für Pflanzen und hat den großen Wunsch, Botanikerin zu werden und in Paris am berühmten Jardin des Plantes zu arbeiten. Doch ihre Eltern erziehen sie streng, so dass sie eines Tages heimlich aus dieser Welt ausbricht und sich als 15-jährige allein auf den Weg nach Paris macht. Dort hat sie glücklicherweise sofort in Clothilde eine Freundin, mit der sie ihre Unterkunft teilt und durch die sie auch einen Job als Wäscherin ergattert, um sich über Wasser zu halten. An ein Studium ist erst einmal nicht zu denken. Eines Tages begegnet sie in dem Maler David Scott ihrer großen Liebe. Vianne muss auf vieles verzichten, um ein Leben mit ihm führen zu können. Doch dann werden sie getrennt…

Frankreich Gegenwart. Um ihren 10. Hochzeitstag zu feiern, hat Jean-Louis für seine Frau Marlène eine Reise nach Paris organisiert, denn diese hat dort vor Jahren ihr Studium begonnen und seitdem eine große Liebe zu dieser Stadt. Aber schnell stellt sich heraus, dass die Interessen von Jean-Louis und Marlène völlig unterschiedlich sind und die wenigen Tage in Paris für beide zur Tortur werden. Schon lange kriselt es in ihrer Beziehung, deshalb kommt es immer wieder zu heftigen Streitigkeiten. Als Marlène allein das Musée d’Orsey durchstreift, steht sie plötzlich vor einem Gemälde und schaut einer Frau ins Gesicht, die ein Abbild ihrer selbst ist. Wie kann das möglich sein? Wer ist diese Frau, gehört sie womöglich zu ihrer Familie? Marlène ist fest entschlossen, dieses Geheimnis zu lüften, sehr zum Ärger von Jean-Louis.

Caroline Bernard hat mit ihrem Buch „Rendezvous im Café de Flore“ einen wunderschönen unterhaltsamen und teilhistorischen Roman vorgelegt. Der Schreibstil ist herrlich flüssig, schon bald lässt sich der Leser in die französische Hauptstadt Paris entführen, die Stadt der Liebe. Die Örtlichkeiten sind so wunderbar bildhaft und detailliert beschrieben, dass der Leser fast blind durch die Gassen und Boulevards streifen kann und dabei all die Sehenswürdigkeiten mitnimmt, die diese wunderschöne Stadt zu bieten hat. Die Handlung wird in zwei Ebenen erzählt, der eine handelt von Vianne und ihrem Leben in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, der andere lässt den Leser am gegenwärtigen Leben von Marlène teilhaben. Die historischen Details über den französischen Widerstand zu Kriegszeiten, die botanischen Sammlungen des Jardin des Plantes und auch über die Künstlergemeinschaft im damaligen Paris hat die Autorin gut recherchiert und wunderbar mit ihrer Handlung verwoben.

Die Charaktere sind liebevoll in Szene gesetzt, wirken mit ihren Eigenheiten sehr lebendig und authentisch. Der Leser bekommt die ganze Palette der Emotionen und Gedanken der Protagonisten hautnah mit. Vianne ist eine mutige junge Frau, die sich für ihren Traum ins Ungewisse stürzt und sich für nichts zu schade ist. Dabei hat sie ein einnehmendes Wesen und ist abenteuerlustig und neugierig. Allerdings hat sie auch einen Hang zur Selbstaufgabe, um es anderen recht zu machen und stellt damit ihre eigenen Wünsche hinter die von anderen, die sie liebt. Marlène hat eine ähnliche Veranlagung, sie ist ebenso auf Harmonie bedacht, vergisst allerdings dabei ihre eigenen Sehnsüchte und Träume. Allerdings fehlt ihr bisher der Mut, aus diesem Kreislauf auszubrechen und endlich ihre Pläne in Angriff zu nehmen. Erst als sie merkt, dass sie nicht glücklich ist und ihr was fehlt, ist sie bereit, diesen Zustand zu ändern. David ist eine schillernde Persönlichkeit und kommt aus reichem Hause. Allerdings hat er sein Leben der Kunst verschrieben und ordnet seiner Malerei alles unter. So wirkt er oft egoistisch und selbstverliebt, obwohl er durchaus in der Lage ist, jemanden zu lieben. Etienne ist ein sehr sympathischer Mann, der sich ein Gefühl von Romantik bewahrt hat. Er ist intelligent, vielseitig interessiert und ist sich seines Charmes gar nicht bewusst. Jean-Louis ist ein selbstsüchtiger und egoistischer Mann, der gar nicht auf seine Frau eingeht, es wirkt fast so, als wäre sie ihm egal.

„Rendezvous im Café de Flore“ ist ein sehr anrührender und emotionaler Roman, der mit einer wunderschönen historischen Geschichte besticht, aber auch mit der Gegenwart sehr gut zu unterhalten weiß. Ein wunderbares Buch über die Entwicklung zweier Frauenschicksale, deren Verfolgung einfach eine Freude ist. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 23.12.2016

Die Island-Schwestern

Die Schwestern vom Eisfluss
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19. Jh. Island. Im tiefsten Winter, als es nicht mehr genug Nahrung für Mensch und Tier gibt, muss Jorun den Hof verlassen, wo sie sich ihr Auskommen als Magd verdient hat. So macht sie sich auf den Weg, ...

19. Jh. Island. Im tiefsten Winter, als es nicht mehr genug Nahrung für Mensch und Tier gibt, muss Jorun den Hof verlassen, wo sie sich ihr Auskommen als Magd verdient hat. So macht sie sich auf den Weg, um bei ihrer ältesten Schwester Salbjörg unterzuschlüpfen, die mit ihrem Ehemann auf dem elterlichen Gut leben. Die Beziehung der Schwestern ist nicht die Beste, und Jorun weiß nicht, was sie dort erwarten wird. Damals als junge Frau wurde sie nach Salbjörgs Hochzeit mit Troger von ihrem Vater und Torger verjagt. Salbjörg dagegen führt eine unglückliche Ehe mit einem gewalttätigen Ehemann, den sie fürchtet, und hatte schon mehrere Fehlgeburten. Eines Tages hilft sie dem Nachbarsjungen Erlendur, der in einen Kampf verwickelt war und seitdem sein Gedächtnis verloren hat. Sie versteckt ihn, denn er wird als Mörder gesucht. Als nun Jorun wieder auf dem Hof erscheint, überschlagen sich die Ereignisse…

Rebecca Maly hat mit ihrem Buch “Die Schwestern vom Eisfluss” einen sehr atmosphärisch dichten unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt. Der Schreibstil ist wunderbar flüssig und bildhaft, schnell ist der Leser durch den schon im Prolog gelegten Spannungsbogen so in den Bann gezogen und wird in eine vergangene Zeit hineinversetzt ins eiskalte und düstere Island. Durch die gekonnte Erzählweise der Autorin, die die Geschichte aus der Sicht dreier Charaktere berichten lässt, steigert sich der Spannungsbogen immer weiter bis zum Ende. Gleichzeitig lernt man die Charaktere sehr gut kennen, kann ihre Gedanken, Gefühle und Wünsche verfolgen und sich so in den einen oder anderen gut hineinversetzen. Die Landschaftsbeschreibungen sind so detailliert, dass der Leser das Gefühl hat, selbst an diesem Eisfluss zu stehen und die Umgebung vor Augen zu haben. Ebenso werden die isländischen Sitten und Gebräuche der damaligen Zeit von der Autorin mit der Handlung gekonnt verwoben.

Die Charaktere wurden sehr detailliert ausgestaltet, haben Ecken und Kanten und wirken daher authentisch und lebensecht. Salbjörg ist eine Frau, die durch die unglückselige Ehe und die vielen verlorenen Kinder sehr verbittert, fast hart wirkt. Insgeheim hat sie noch Träume, allerdings fehlt ihr das Hoffnungsvolle, sich diese zu erfüllen, sondern wirkt eher so, als hätte sie sich in ihr Schicksal ergeben. Trotzdem kann man nicht anders, als sie für ihre Demut zu bewundern, denn es ist schon fast unmenschlich, was sie ertragen musste. Jorun ist jünger als ihre Schwester. Auch sie musste früh auf eigenen Beinen stehen und sich im Leben allein durchschlagen. Doch sie hat nie den Mut verloren und sich einen Funken Hoffnung bewahrt. Sie wirkt wesentlich mutiger als Salbjörg und stellt sich dem Leben mutig entgegen, sie kann gar nicht anders. Erlendur ist ein angenehmer Charakter, der das Leben der beiden Schwestern ziemlich durcheinander bringt, allerdings hat er selbst große Probleme und ist auf jede Hilfe angewiesen. Troger ist ein Unmensch, gewalttätig und ohne Gnade. Auch die Nebencharaktere unterstützen mit ihrem Handeln und Tun die Geschichte und tragen zur Spannung bei.

“Die Schwestern vom Eisfluss” ist ein sehr düsterer historischer Roman, der durch die verschiedenen erzählenden Personen, die Handlung von allen Seiten beleuchten eine einzigartige Atmosphäre sowie eine Spannung schafft, die sich bis zum überraschenden Ende anhält. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 18.12.2016

Lebens(Liebes-)linien

Erzähl mir was von Liebe ...
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Ihre Kindheit hat Rachel Ford in einem kleinen irischen Dorf verbracht, wo ihre Familie von der Schafzucht mehr schlecht als recht lebte. Rachel träumt von einem Leben in New York, um dort ihre eigenen ...

Ihre Kindheit hat Rachel Ford in einem kleinen irischen Dorf verbracht, wo ihre Familie von der Schafzucht mehr schlecht als recht lebte. Rachel träumt von einem Leben in New York, um dort ihre eigenen geschriebenen Geschichten zu veröffentlichen. Doch bis dahin ist es ein steiniger Weg. Ihr Jugendfreund Liam ist die Person, der sie all ihre Träume und Wünsche anvertraut. Liam bestärkt sie immer wieder, den mutigen Schritt zu wagen, bis Rachel tatsächlich die große Reise nach New York antritt. Aber schnell verläuft Rachels geplanter Weg anders als gedacht, denn Rachel lernt Eric kennen, schnell heiraten die beiden und Rachels Karriere nimmt schnell Fahrt auf. Sie kehrt nicht nach Irland und zu Liam zurück, der sich selbst den Traum von einer eigenen Schafzucht erfüllt. Über fast 20 Jahre gibt es nur losen Kontakt zwischen Rachel und Liam, bis sie sich eines Tages nach einem halben Leben in Irland wieder über den Weg laufen…

Carina Posch hat mit ihrem Buch „Erzähl mir was von Liebe“ ihr Debüt vorgelegt, einen sehr einfühlsamen und emotionalen Roman über den Lebenslauf einer Frau, den man, einmal begonnen, nicht mehr aus der Hand legen kann. Der Schreibstil ist wunderbar flüssig und nimmt den Leser mit auf eine 20 jährige Reise, in der man Rachel auf ihrem Lebensweg begleitet, Anteil nimmt an ihren Gedanken, Träumen und Gefühlen, an ihren Erfolgen und Niederlagen. Aufgrund der zwei angelegten Zeitebenen begleitet der Leser Rachel in ihrer Gegenwart 2009 und erfährt auf der anderen Ebene, was Rachel in den 80er Jahren erlebt hat. Die Autorin erzählt sehr einfühlsam und realitätsnah von faulen Kompromissen, den fehlenden Mut, gegebene Chancen zu ergreifen und von falschen Entscheidungen, die einen ein Leben lang begleiten und sich leider nicht rückgängig machen lassen. Es ist eine Geschichte, die in abgewandelter Form jedem passieren könnte, gerade deshalb geht sie einem so nah.

Die Charaktere sind sehr detailliert skizziert, wirken so lebendig und authentisch, so dass man sie fast mit den Händen greifen kann. Die junge Rachel wirkt sehr sympathisch und warmherzig. Sie ist lebenshungrig, abenteuerlustig und hofft auf die Erfüllung ihres Traums, die Welt mit ihren Geschichten zu erobern. Sie besitzt den Mut der Jugend und kündigt Hals über Kopf ihren Job, um in ein völlig unbekanntes Land zu reisen fernab ihrer Heimat und ohne Rückhalt. Doch über die Jahre verändert sich Rachel, ihre alten Träume sind der Realität gewichen, nichts hat sich so entwickelt, wie sie es sich erhofft hat. Und vor allem sie selbst hat sich sehr verändert, denn heute ist sie eine Karrierefrau, die mit harter Hand durchgreift. Tief in ihrem Inneren allerdings schwelen immer noch die Träume von Glück und der Wunsch nach Liebe. Nur weiß sie nicht, wie sie diese noch realisieren soll. Die Entwicklung der Protagonistin über all die Jahre ist der Autorin wunderbar gelungen.

„Erzähl mir was von Liebe“ ist ein sehr gelungenes gefühlvolles Debüt, das den Leser zum Nachdenken anregt. In einer einzigartigen Beobachtungsgabe gelingt es der Autorin, dem Leser eine schöne Liebesgeschichte zu erzählen und gleichzeitig aufzuzeigen, wie verschlungen die Lebenslinien immer wieder verlaufen. Nichts ist planbar, nichts berechenbar, einzig dem Herz gehört die richtige Sprache. Absolut lesenswert!

Veröffentlicht am 17.12.2016

Jazz-City Chicago

Die Musik der verlorenen Kinder
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1920er Jahre, Chicago. Benny Lehrmann entstammt einer jüdischen Familie und lebt mit seinen Eltern und seinen zwei Brüdern in Chicago, wo der Vater ein Kappengeschäft betreibt. Seit Benny bei einem heftigen ...

1920er Jahre, Chicago. Benny Lehrmann entstammt einer jüdischen Familie und lebt mit seinen Eltern und seinen zwei Brüdern in Chicago, wo der Vater ein Kappengeschäft betreibt. Seit Benny bei einem heftigen Schneesturm seinen jüngsten Bruder auf dem Weg zur Schule verlor und dieser Wochen später erfroren aufgefunden wurde, geben seine Eltern ihm unterschwellig die Schuld für dieses Unglück. Benny soll später das Geschäft übernehmen, aber daran hat er überhaupt kein Interesse. Lieber streift er bei Botengängen durch die schwarzen Viertel der Stadt und lauscht den Musikklängen, die dort aus den Bars und einschlägigen Etablissements zu ihm auf die Straße hinausschallen – und das als Weißer. Bennys Hände sind immer in Bewegung, er hat ständig Musik im Kopf und hofft auf eine Karriere als Pianist. Als eines Tages die Fähre Eastland im Hafen versinkt, ist Benny rechtzeitig zur Stelle und hilft bei der Bergung von Menschen. Dabei lernt er die junge Pearl kennen, die durch das Unglück gleich drei Brüder verliert. Die beiden verlieren sich danach aus den Augen, aber die Liebe zur Musik führt Benny Jahre später in den Nachtclub von Pearls Familie…

Mary Morris hat mit ihrem Buch „Die Musik der verlorenen Kinder“ einen sehr gefühlvollen Roman voller Atmosphäre vorgelegt. Der Schreibstil ist flüssig, dabei melancholisch und durch und durch von der Liebe zur Musik geprägt. Die Autorin beschränkt sich nicht nur auf ein Thema, sondern beleuchtet die Stadt Chicago der 20er Jahre von allen Seiten, wo die Mafia herrschte, die Prohibition galt und der Rassismus einen seiner Höhepunkte hatte, indem es Stadtviertel nur für Schwarze oder für Weiße gab. Aber über all diesen Konfliktpunkten schwebte die Musik, wobei der Jazz den Mittelpunkt bildet. Viele farbige Musiker machten sich damals aus den Südstaaten auf den Weg nach Chicago, um dort in den Bars und Konzertsälen zu spielen, allen voran Louis Armstrong. Die Erzählweise der Autorin lässt diese Zeit regelrecht wieder auferstehen und den Leser daran teilhaben.

Die Charaktere sind vielfältig angelegt und in ihrer Form detailliert ausgestaltet. Benny ist ein Eigenbrötler, dessen Gedanken nur aus Musik zu bestehen scheinen. Er ist rastlos, verliert sich in Gedanken an die Musik, die ihn tröstet und ihm Geborgenheit gibt. Nur in ihr kann er seine Gefühle ausleben und sich Gehör verschaffen für die Dinge, die ihm wichtig sind, die er gesehen hat und die ihm in der Erinnerung geblieben sind. Napoleon Hill ist ein schwarzer Trompeter, der ebenfalls für die Musik lebt und atmet. Er ist einfühlsam, vor allem aufmerksam und wird zum besten Freund von Benny. Die beiden verstehen sich blind, wenn es ums Musizieren geht und helfen sich gegenseitig bei ihren Auftritten. Pearl ist eine junge Frau, die nach dem Tod ihrer Mutter die Familie zusammenhält. Sie kümmert sich mit ihren Brüdern um die eigene Bar und versucht, ihren jüngeren Schwestern die Mutter zu ersetzen. Opal ist Pearls jüngste Schwester, die noch sehr naiv ist und sich ein Leben im Luxus wünscht und für ihr Leben gern tanzt, dann vergisst sie alles um sich herum. Sie fordert das Schicksal heraus und verliert dabei viel. Auch die anderen Protagonisten dienen auf die eine oder andere Weise als Untermalung der Handlung. Dabei bedient sich die Autorin auch vielen namhaften Personen, die es zu jener Zeit tatsächlich gegeben hat, was die Geschichte noch glaubwürdiger und realer wirken lässt.

„Die Musik der vergessenen Kinder“ ist eine in Worte gefasste Homage an den Jazz. Beim Lesen hat man die Musik im Ohr und scheint die Charaktere geradezu greifen zu können. Ein traumhaftes Kopfkino, wie man es besser nicht machen kann. Alle Liebhaber wunderschön erzählter Geschichten werden sich in dieses Buch verlieben. Absolute Leseempfehlung für ein echtes Highlight 2016. Einfach wunderbar!