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Veröffentlicht am 11.07.2021

Ein fürchterlicher Mitbewohner

Zottelkralle
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Kalli wünscht sich sehnsüchtig ein eigenes Haustier, was aber wegen der Tierhaarallergie des Vaters nicht möglich ist. Nicht recht einzusehen für den Jungen, denn sein Vater, von Beruf Reiseleiter, ist ...

Kalli wünscht sich sehnsüchtig ein eigenes Haustier, was aber wegen der Tierhaarallergie des Vaters nicht möglich ist. Nicht recht einzusehen für den Jungen, denn sein Vater, von Beruf Reiseleiter, ist sowieso nur selten zu Hause, Geschwister hat Kalli nicht, offensichtlich auch keine Freunde; da kann man schon verstehen, dass er gerne ein Tier hätte, am allerliebsten einen Hund, aber Kalli ist da nicht wählerisch – Hauptsache etwas Eigenes, zum Liebhaben und Getröstetwerden.
Und nur so ist zu erklären, warum er das stinkende, ungehobelte, mürrische und zerstörerische Erdmonster Zottelkralle, das er eines Morgens schnarchend neben sich im Bett vorfindet, nicht kurzerhand wieder dahin zurückschickt, woher es gekommen ist. Denn zum Liebhaben ist der Rüpel, der beschlossen hat, sich ein behaglicheres Zuhause zu suchen als seine Höhle unter Kallis Schuppen, nun wirklich nicht! Doch selbst wenn Kalli ernsthaft gewollt hätte, der haarige Zottelkralle mit seinen vier Armen ist einfach nicht loszuwerden! Bei Kalli gefällt es ihm, denn hier gibt es vor allem den Eisschrank für seinen unersättlichen Appetit, hier duftet es nach Seife, in die er ganz vernarrt ist und vor allem ist da die „Klimpermusik“, die ihn in Verzücken versetzt und die Kallis Mutter, eine Klavierlehrerin, produziert. Nein, er bleibt bei Kalli und basta! Zumal der Junge genau nach seiner Pfeife tanzt – und dafür mit noch mehr frechen Rüpeleien belohnt wird. Auch vor Kallis Eigentum hat er keinen Respekt. Er frisst es auf oder knabbert es doch wenigstens an...
Jetzt könnte man denken, dass im Laufe der Geschichte das Erdmonster doch wenigstens versucht, sich sein schlechtes Benehmen abzugewöhnen, denn da gibt es schließlich noch Kallis Mutter, vor der es versteckt werden muss – vorerst! Aber nein! Zottelkralle verwüstet während der Abwesenheit von Mutter und Sohn rasch das Wohnzimmer, frisst den Kühlschrank leer und beschmiert zu guter Letzt auch noch das Klavier mit dem Inhalt eines Honigglases. Natürlich wird der Unhold entdeckt – und von der tobenden Mutter in die Flucht geschlagen. Tief beleidigt zieht sich Zottelkralle in seine alte Höhle zurück, entschlossen, Kalli und dessen Mutter nicht mehr mit seiner Anwesenheit zu beehren – doch Kalli hat sich inzwischen, nicht so ganz verständlich, so an das freche Wesen gewöhnt, dass er alles daransetzt, es zur Rückkehr zu bewegen. Und er hat auch schon eine Idee, wie er seinen Freund den Eltern schmackhaft machen kann....
Witzig ist „Zottelkralle“, geschrieben von der international erfolgreichen Kinder- und Jugendbuchautorin Cornelia Funke, zweifellos, obwohl der Erdmonster-Protagonist, gelinde gesagt, abstoßend ist, woran sich auch bis zum Ende der Geschichte nichts ändert. Dass Kinder im Grundschulalter dieses Wesen lustig finden und sich an seinen fürchterlichen Manieren und Kraftausdrücken weniger stören als vorlesende Erwachsene, ist klar. Drum sollte „Zottelkralle“ am besten von denen rezensiert werden, die der Zielgruppe angehören – und deren Urteil, da bin ich mir sicher, wird weitaus positiver ausfallen als das der Erwachsenen, die sich an dem würmerfressenden und grunzenden Erdmonster, so wie die Autorin es sich ausgedacht hat, von Anfang bis Ende nur stören.
Nun, dann sollten wir Erwachsenen uns vielleicht auf das Kind in uns besinnen, sofern wir ihm nicht längst den Garaus gemacht haben, denn das braucht man schon, wenn man Bücher wie „Zottelkralle“ liest. Tun wir das mit Kinderaugen, dann haben wir einfach nur Spaß, dann gibt es keinen Grund zur Kritik! Und dann kann man auch sehr gut verstehen, warum Kalli einfach nicht lassen kann von dem nörgelnden Schmutzfink. Selbst ein solcher, ziemlich egoistischer, Freund ist besser als gar keiner....
Vorliegende Geschichte ist übrigens ein frühes Buch von Cornelia Funke; es wurde 1994 erstmals veröffentlicht, also knappe zehn Jahre bevor die Schriftstellerin aus Hamburg mit „Herr der Diebe“ ihren Durchbruch hatte. Sie zeigt aber bereits die typische Handschrift der Autorin, deren Bücher schließlich in mehrere Sprachen übersetzt werden sollten, zeichnet sich durch eine angenehme Sprache und einen klaren Satzbau aus, was man heutzutage wirklich hervorheben muss. Ein weiterer Pluspunkt sind die an Karikaturen erinnernden Illustrationen der Autorin, gelernte Buchillustratorin, mit denen sie in „Zottelkralle“ nicht sparsam umgeht und die den Text perfekt ergänzen.
Summa summarum: Trotz oder vielleicht sogar wegen der oberunsympathischen Hauptfigur ist die hier zu besprechende Geschichte ganz gewiss eine vergnügliche, leicht zu lesende Lektüre – wie die meisten Bücher der Hamburger Autorin Cornelia Funke, die sich nach langen, außerordentlich produktiven Jahren auf einer Avocadofarm in Kalifornien inzwischen in Italien eingerichtet hat, wo sie nun, so bleibt zu hoffen, weiterhin ihre phantastischen Romane verfassen wird.

Veröffentlicht am 10.07.2021

Miss Marple einmal mehr als Rachegöttin

Das Geheimnis der Goldmine
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Mit Kinderreimen, den sogenannten „Nursery Rhymes“ großgeworden, wie es üblich war in gutsituierten britischen Familien, in denen die Kinder, wie heutzutage meistens nur noch bei Königs, weniger von den ...

Mit Kinderreimen, den sogenannten „Nursery Rhymes“ großgeworden, wie es üblich war in gutsituierten britischen Familien, in denen die Kinder, wie heutzutage meistens nur noch bei Königs, weniger von den Eltern als vielmehr von ergebenen Kinderfrauen erzogen wurden, nimmt es nicht wunder, dass die englische Kriminalschriftstellerin Agatha Christie sich gelegentlich Zeilen aus solchen Reimen bediente, um ihren Romanen ihre oft eigenwilligen Titel zu geben.
So auch bei ihrem 45. Krimi, „A Pocket Full of Rye“, aus dem im Deutschen, wie gewohnt weniger passend, „Das Geheimnis der Goldmine“ wurde. So abwegig ist dieser Titel zwar nicht, wie man während der Lektüre feststellen wird, aber er trägt doch in keiner Weise der genial komponierten Geschichte Rechnung, deren drei Morde allesamt durch die Zeilen des ihr zugrunde liegenden Kinderreims „Sing a song of sixpence“ miteinander verbunden sind. Man kann nur staunen, wie die unvergleichliche „Lady of Crime“ das hinbekommen hat – ein weiterer Beweis dafür, wie perfekt sie nicht nur ihr Handwerk verstand, sondern wie unerschöpflich ihr Ideenreichtum war!
„A Pocket Full of Rye“ gehört in eine ihrer späteren Schaffensperioden, die fünfziger Jahre, in der sie weitgehend Abstand genommen hatte von exotischen als auch Spionageelementen, Verschwörungen, größenwahnsinnigen Möchtegern-Weltbeherrschern zugunsten eines typisch englischen, vordergründig beschaulichen Settings, angesiedelt im ländlichen England, wie hier im fiktiven Baydon Heath, unweit von London, wo hauptsächlich reiche Leute wohnen. Mord in wohlsituierten Kreisen allerdings ist man bei Dame Agatha gewöhnt; es sind ihre eigenen Kreise, da kennt sie sich bestens aus. Zunehmend auch lässt sie die verzwickten Morde, mit denen sie ihre Leser konfrontiert und die zu lösen sie sie mit clever eingestreuten Hinweisen und noch viel mehr falschen Fährten auffordert, in mal gepflegten, mal unheimlichen, mal vernachlässigten Landhäusern geschehen, allesamt bewohnt von teils weitverzweigten Familien, deren glatte und vermeintlich heile Fassaden sie unbarmherzig zum Bröckeln und anschließend zum Einstürzen bringt. Genau das ist ihre größte Stärke; eher introvertiert, war sie immer eine äußerst aufmerksame Beobachterin, jemand, der auch auf die kleinsten Details achtete und, in Kenntnis der menschlichen Natur, ihre Schlüsse zog – und gewöhnlich mitten ins Schwarze traf!
Auch im hier zu besprechenden, mit trockenem Humor und sanfter Ironie geschriebenen Krimi ist es ein Vergnügen, die Protagonisten zunächst gemächlich kennenzulernen – treffende Charakterisierungen gelangen Agatha Christie mit nur wenigen Strichen! - und dabei immer tiefere Blicke unter die Oberfläche zu werfen. Und da kann man schon erschauern, denn selten hat die Autorin eine solche Ansammlung von unsympathischen, ja geradezu abstoßenden Figuren zustandegebracht – was ihr vermutlich größtes Vergnügen bereitet hat – wie hier! Jedem sind die drei bereits erwähnten Morde zuzutrauen, alle hätten Gelegenheit und Motiv gehabt – und der Leser dürfte fast bis zum Schluss ziemlich verloren umherirren. Doch hat ihm Agatha Christie eine Hilfe zur Seite gestellt, ihr eigenes Alter Ego nämlich, die betuliche und stets ein wenig unbedarft erscheinende alte Jungfer Miss Marple aus St. Mary Meade, mit einem exzellenten Verstand ausgestattet, Menschenkennerin par excellence, die jedem jede Schlechtigkeit zutraut.
Als der durchaus fähige, sehr menschliche und mit spannender Vorstellungskraft gesegnete ermittelnde Inspektor Neele in Yewtree Lodge, dem Landsitz der Familie Fortescue und Ort des Geschehens, die Bewohner genauer unter die Lupe nimmt, steht die immer leicht verwirrt erscheinende alte Dame plötzlich vor der Tür und bietet ihre Hilfe an, nachdem sie in der Zeitung von den Morden gelesen hatte, wobei ihr Interesse weder dem toten Patriarchen Rex Fortescue noch dessen zweiter, sehr attraktiver, aber nun leider ebenfalls ermordeten Ehefrau gilt sondern vielmehr dem Hausmädchen Gladys, das einst von ihr höchstpersönlich in diesem Beruf ausgebildet wurde und dessen Leiche man mit einer Wäscheklammer auf der Nase fand – für sie Beweis für einen von Grund auf bösen Mörder, dem sie nun, unter allen Umständen und mit zorniger Entschlossenheit, das Handwerk legen möchte.
Miss Marple Fans wissen, wie ihr das gelingt! Sie hört einfach nur zu, wohl wissend, dass man sich nicht in acht nehmen muss vor einer so harmlosen und Unverständliches brabbelnden, offensichtlich konfusen und gebrechlich wirkenden, so mitfühlenden alten Frau; der erzählt man viel, zu viel, und man verrät sich, ohne das auch nur zu merken. Und schon schnappt die Falle zu, der Mörder ist ertappt, der Leser verblüfft, sofern er nicht selber auf die Lösung gekommen ist, auf jeden Fall aber hochzufrieden, und Miss Marple kann wieder zurückreisen nach St. Mary Meade, dem Mikrokosmos des Verbrechens. Doch nein, ganz so ist das hier nicht – und warum das nicht so ist, kann natürlich an dieser Stelle nicht preisgegeben werden, genauso wie ich darauf verzichte, die recht komplexe Handlung zusammenzufassen. Doch es sei daran erinnert, dass Agatha Christie nicht umsonst eine der größten, wenn nicht sogar die größte, Kriminalschriftstellerinnen aller Zeiten ist – und als solche keinesfalls berechenbar sondern immer für eine Überraschung gut!

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Veröffentlicht am 03.07.2021

Ein - beinahe - unbeschwertes Sommerferienabenteuer

Kalle Blomquist 1. Meisterdetektiv
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Sind die drei Kalle Blomquist Romane der schwedischen Schriftstellerin Astrid Lindgren, in den 40er und frühen 50er Jahren erschienen, überhaupt noch zeitgemäß, habe ich mich gefragt, als mir der hier ...

Sind die drei Kalle Blomquist Romane der schwedischen Schriftstellerin Astrid Lindgren, in den 40er und frühen 50er Jahren erschienen, überhaupt noch zeitgemäß, habe ich mich gefragt, als mir der hier zu besprechende Band aus den Tiefen eines übervollen Regals buchstäblich in die Hände purzelte? Eine unnütze Frage, wie ich mir hätte denken können, gibt es doch einige wenige Autoren, deren Werke, und zwar jedes einzelne davon, die Zeiten überdauern, die so frisch und unverbraucht erscheinen wie damals, als sie geschrieben und erstveröffentlicht wurden. Astrid Lindgren zählt natürlich zu besagten Autoren, denn alles, was sie je zu Papier gebracht hat, ist und bleibt des Lesens wert, kommt bei den Enkeln ebenso gut an wie einstmals bei ihren Großeltern.
„DIE ZEIT“ hat den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn sie die berühmte, 2002 verstorbene, Schwedin mit dem besonderen psychologischen Einfühlungsvermögen in die Welt eines Kindes, als die „wunderbarste Kinderbuchautorin aller Zeiten“ bezeichnet! So eine wie sie gibt es nicht wieder!
Für die drei Blomquist Detektivgeschichten ließ sie sich, so sagt man, durch ihre Tätigkeit als Stenographin für den Stockholmer Professor für Kriminalistik Harry Södermann, der auch unter dem Namen „Revolver-Harry“ bekannt war, inspirieren – und herausgekommen sind so idyllische wie amüsante und gleichzeitig spannende Romane, bei denen es mitunter auch recht grausam zugehen konnte.
Die heile Welt ist Hintergrund aller Geschichten der Autorin, die Welt ihrer eigenen, sehr glücklichen Kindheit auf dem Hof ihrer Eltern nahe der südschwedischen Stadt Vimmerby. Gleichzeitig aber lauern immer kleinere oder größere Gefahren im Hintergrund, ist das Unheil nie fern, das unvermittelt in die scheinbare Idylle einbrechen kann und das man dann so gut wie möglich und mit so viel Mut, wie man aufbringen kann, zu bewältigen versuchen muss. Das Unheil stört und bringt Unordnung und Angst, aber es zerstört niemals die Welt, in der die Autorin ihre tapferen Protagonisten agieren lässt. Der Faktor Hoffnung ist immer gegenwärtig!
Ihr unvergesslicher Kalle Blomquist, unser Protagonist, ist ein verträumter, phantasiebegabter Junge aus dem fiktiven Städtchen Kleinköping, in dem er mit seinen beiden besten Freunden Anders und Eva-Lotte die wundervollsten Sommerferien verbringt, die sich Kinder nur wünschen können. Die Zeit ist ausgefüllt mit Zirkusspielen, dem hingebungsvollen Verzehr von köstlichem Gebäck von Eva-Lottes Vater, dem Bäckermeister Lisander, und freundschaftlichen Kämpfen gegen drei weitere Freunde, Sixtus, Benka und Jonte, ihrerseits die Angehörigen der Bande der „Roten Rose“, während Kalle und seine Freunde die „Weiße Rose“ darstellen. Herrlich frei ist dieses Leben – zumal die Erwachsenen angenehm zurückhaltend sind, ihre Kinder gewähren und weitgehend in Ruhe lassen. Gelegentlich aber schleicht sich Kalle zu seinem Rückzugsort unter dem Birnbaum im Blomquistschen Garten und träumt davon, ein weltberühmter Detektiv zu sein, einer, der mit Hercule Poirot, Lord Peter Wimsey und Sherlock Holmes auf Augenhöhe steht. Und während er sich die kniffligsten Fälle ausmalt, die er natürlich mit Bravour löst, bedauert er gleichzeitig, dass er nicht das Glück hat, in einer der Metropolen des Verbrechens wie London oder Chicago zu leben, sondern stattdessen in dem verschlafenen, in der Sommerhitze flirrenden Kleinköping ausharren muss.
Doch unverhofft werden seine detektivischen Fähigkeiten, von seinen Freunden liebevoll belächelt, auf die Probe gestellt, als ein gewisser Onkel Einar, der Cousin von Eva-Lottes Mutter, in der kleinen Stadt, in der doch sonst nie etwas geschieht, auftaucht. Und dieser Einar ist Kalle und seinen Freunden nicht nur von Beginn an herzlich unsympathisch, sondern er benimmt sich zudem äußerst seltsam. Kalles Neugierde ist geweckt! Nun endlich kann er seine über die Jahre erworbenen detektivischen Kenntnisse in der Praxis unter Beweis stellen! Dass er gemeinsam mit Anders und Eva-Lotte mit seinen Ermittlungen in ein Wespennest stechen würde, hat er nicht bedacht, vielleicht nicht einmal geahnt. Und als die drei Kinder unversehens in große Gefahr geraten, erkennt unser Meisterdetektiv, dass ein reales Verbrechen eben doch etwas anderes ist als eines, das nur in seiner Phantasie existiert – und dass er, Kalle Blomquist, vielleicht besser unter dem Birnbaum liegengeblieben wäre! Oder etwa doch nicht? Denn wie war das bei Astrid Lindgren? Schwierigkeiten muss man mutig entgegentreten, auch wenn es schwer ist und man sich überwinden muss, und wenn einem vor Angst das Herz in die Hosen rutscht.
Ob und wie Kalle diesen, seinen ersten echten, Fall löst, soll hier nicht vorweggenommen werden, es lohnt sich, es selber herauszufinden; und wenn man Glück hat, erwischt man noch eine ganz alte, den Lesegenuss um ein Vielfaches steigernde Ausgabe im Original oder der Originalübersetzung, die vielleicht bei den Großeltern in einer vergessenen Ecke des Bücherschrankes wohnt und die so voller herrlich altmodischer Wörter und Ausdrücke ist, die unbedingt aus der Vergessenheit geholt werden und bewahrt werden sollten!

Veröffentlicht am 02.07.2021

Erla folgt ihrer Bestimmung

Nordstern - Die Nacht der freien Pferde
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Am Ende des ersten Bandes der „Nordstern“-Trilogie haben Erla und ihre Schimmelstute Drifa den Angriff des gefährlichen Zwischenwesens, das unbeabsichtigt aus den Tiefen der Erde und der Zeit befreit worden ...

Am Ende des ersten Bandes der „Nordstern“-Trilogie haben Erla und ihre Schimmelstute Drifa den Angriff des gefährlichen Zwischenwesens, das unbeabsichtigt aus den Tiefen der Erde und der Zeit befreit worden war, nur um Haaresbreite überlebt. Aber das Mädchen musste dafür eine folgenschwere Entscheidung treffen, über die wir im zweiten Band Aufklärung bekommen – jedoch, wie schon im Vorgängerband, immer nur so viel, dass die mysteriösen Geschehnisse noch nachvollziehbar bleiben. Einigermaßen, denn der Schleier des großen Geheimnisses wurde nur leicht gelüftet und Jorunn, die weise alte Heilerin, der die Unsichtbaren mit Ehrfurcht, Scheu, aber auch einer Spur von Abwehr begegnen und die alleine um die Hintergründe dessen weiß, das durch Erlas Ankunft auf Island in Gang gesetzt wurde, hüllt sich in Schweigen. Alles kommt, wie es kommen muss, wie es die Götter vor Urzeiten bestimmt haben, so ihr Credo.
Im Laufe der Lektüre wird immer klarer, dass dunkle Zeiten auf Erla zukommen, dass sie allen Mut braucht, den sie aufbringen kann, um die Rolle, die ihr bestimmt ist, anzunehmen und auszufüllen. Mit unbestimmtem Ausgang, denn das, was Erla am Ende der vorliegenden Geschichte zu tun bereit ist, um das irgendwann in der Welt der Elfen, der Feen und der Unsichtbaren aus dem Ruder Gelaufene wieder geradezubiegen, zurechtzurücken und heil zu machen, wird, so Jorunns Warnung, Opfer fordern. Welch eine Verantwortung lastet da auf dem knapp 15jährigen Mädchen, das erst ein halbes Jahr zuvor mit seiner Mutter auf der Insel aus Feuer und Eis einen Neubeginn machen wollte! Weg aus Nachkriegsdeutschland wollten sie, die Vergangenheit hinter sich lassen und von vorne beginnen, ihr Glück finden. Nie hätte sich Erla träumen lassen, dass sie nicht nur gleich nach der Ankunft von ihrer Mutter getrennt werden, sondern auch in eine Welt geraten würde, die für die meisten Menschen eine unsichtbare ist, die Welt der Huldu nämlich, Hüter des Lebens und Bewahrer der Natur der Insel, an die so viele Isländer fest glauben, voller Respekt, ohne sie jemals zu Gesicht bekommen zu haben.
Erla aber kann sie sehen, dank einer besonderen, von der Mutter so ängstlich wie ungehalten versteckt gehaltenen Gabe, die ausgerechnet ihr aus noch unbekannten Gründen oder vielleicht rein zufällig in die Wiege gelegt wurde. Und - gleich zu Beginn dieses zweiten Bandes erfahren wir, dass sie nun selber eine Huldu ist! Um gerettet zu werden nach dem Angriff des uralten Wesens, das nicht da sein darf, und, von immenser Bedeutung für sie, um ihr geliebtes Pferd nicht zu verlieren, musste sie sich für die Unsichtbaren entscheiden. Was das bedeutet, wird ihr im Laufe des langsam voranschreitenden Genesungsprozesses schmerzlich klar: zu der neuen Familie, die ihre Mutter auf Island gegründet hat, kann sie nun nicht mehr gehören!
Wie sie allmählich in ihrer neuen Welt heimisch wird und in die Rolle hineinwächst, die ihr zugefallen ist, davon erzählt dieser zweite „Nordstern“-Band. Und er erzählt ihre Entwicklung sehr glaubwürdig, lässt all ihre Ängste, ihre Verzagtheit, ihre innere Zerrissenheit, die jäh aufflammenden Hoffnungen, ihre Hilflosigkeit abwechselnd mit wilder Entschlossenheit transparent werden, bis sie schließlich so weit ist, ihre Bestimmung anzunehmen, die der Leser nunmehr klarer sehen kann, anstatt nur dunkel zu ahnen, wie am Ende des Vorgängerbandes. Doch auch jetzt wieder lässt die Autorin Erlas weiteres Schicksal vollkommen offen, bleiben die Rätsel ungelöst, die Fragen unbeantwortet, die sich weiterhin im Laufe der Geschichte auftun. Der Leser ist so klug, oder besser, so unwissend, wie die Protagonistin selbst, um die zu bangen er jeden Grund hat.
Und nicht nur um sie, denn da gibt es auch noch Erlas Freund Floki, den Jungen mit der mächtigsten Gabe von allen, der nun ebenfalls im Zentrum des Romans steht und aus dessen Blickwinkel ein großer Teil der Geschichte, die dann oft nur aus beunruhigenden Traumbildern besteht, erzählt wird. Jorunn hat ihn gemahnt, seine Gabe wohlüberlegt zu nutzen, sonst könne Schlimmes geschehen. Er hält sich nicht daran – und dem Leser schwant Unheil, eingedenk Jorunns Worten, dass Elas Entscheidung Opfer verlangt. Nun, der – noch nicht erschienene – Abschlussband wird, so bleibt zu hoffen, alle losen Fäden, von denen es nicht wenige gibt, zusammenfügen, alle Rätsel auflösen um Erla, die Weltenwanderin...
Um ein Fazit zu ziehen – auch der zweite Band der Trilogie, den man wohlweislich erst nach dem ersten lesen sollte, ist ein Buch, das man, ist man einmal drin in der Geschichte, kaum aus der Hand legen kann. Wobei ich mich nicht so recht anfreunden kann mit dem erneut offenen Ende. Doch wie schon zu Band Eins angemerkt, ist das Geschmackssache. Für die einen steigert ein Ende dieser Art, das im Grunde nur ein Cliffhanger ist, die Spannung, für die anderen ist es frustrierend, denn man kann ja nicht nahtlos weitermachen mit dem alles auflösenden letzten Band.
Aber wie dem auch sein mag, wir haben hier eine klug ausgedachte Fantasygeschichte (das Fantasy-Element ist so stark ausgeprägt in diesem Folgeband, dass sie genau das für mich ist), in der die für Uneingeweihte recht komplizierte isländische Sagenwelt sehr lebendig wird. Nicht leicht zu lesen ist sie, denn man muss sich schon sehr konzentrieren, damit einem keine der geheimnisvollen Andeutungen und nicht zu Ende gesprochenen Sätze entgehen. Aber für geübte Fantasyleser, die nicht ständig nach dem Warum und Weshalb fragen, sondern sich einfach fallen lassen in die Geschichte – was mir im Übrigen im Nachhinein als die beste Art des Lesens erscheint - , sollte das kein Problem sein. Und dann auch ist meines Erachtens das empfohlene Mindestalter von 12 Jahren gerechtfertigt, obgleich ich es höher ansetzen würde.
Den besonderen Reiz der „Nordstern“-Reihe macht für mich, die ich keine geübte Fantasyleserin bin, der Schauplatz aus, Island, die lebensfeindliche Insel im Nordatlantik mit der atemberaubenden Landschaft, die die Autorin in den schönsten und schillerndsten Farben gezeichnet hat, mal verlockend, einladend, voller Zauber und großer Schönheit, dann wieder gefährlich, bedrohlich und abweisend. Wunderbar anschaulich und stellenweise poetisch ist das beschrieben – die perfekte Kulisse – nicht nur – für einen Fantasyroman, in dem, nebenbei gesagt, jetzt endlich die Pferde im Titel, die zähen, freundlichen, widerstandsfähigen Islandponys, die bislang eine untergeordnete Rolle gespielt haben, allmählich in den Mittelpunkt des Geschehens zu rücken scheinen. Aber darüber wird man dann wohl im Abschlussband lesen können!

Veröffentlicht am 02.07.2021

Papa ist weg!

Wenn man so will, waren es die Aliens
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Als „ungewöhnliche Jungenfigur“ wird Josh, der Protagonist des vorliegenden Romans aus dem Magellan Verlag – in gewohnt schöner, wie sorgfältiger Aufmachung -, in einer Kritik bezeichnet. Und genau das ...


Als „ungewöhnliche Jungenfigur“ wird Josh, der Protagonist des vorliegenden Romans aus dem Magellan Verlag – in gewohnt schöner, wie sorgfältiger Aufmachung -, in einer Kritik bezeichnet. Und genau das ist er – erfreulicherweise! Denn wie viele 17jährige gibt es, die klaglos und aus eigener Entscheidung die Schule ein Jahr vor dem Abschluss abbrechen, um ihrem Vater im Familienhotel zur Hand zu gehen? Josh tut das, weil er über ein beträchtliches Verantwortungsbewusstsein verfügt, weil sein fünf Jahre älterer Bruder ans andere Ende der Welt, nach Neuseeland, ausgewandert ist und sein gesundheitlich angeschlagener Vater es nicht alleine schaffen würde, das Hotel am Meer, in das er sein Leben, seine Träume gesteckt hat, zu halten. Josh liebt seinen Vater und er sorgt sich um ihn, denn seitdem die Mutter auf der Suche nach Selbstfindung die Familie verlassen hat, ist er nicht mehr der alte. Er hat sich verändert, ganz allmählich, zieht sich immer mehr zurück – und ist eines schönen Morgens spurlos verschwunden.
Josh ruft seine Freunde zu Hilfe und gemeinsam machen sich die Vier auf die Suche nach Frank, dem Vater. Dabei entwickeln sie die abenteuerlichsten Theorien zu seinem Verbleib, und das Mädchen Kia, Tochter einer sehr alternativen Mutter, scheint gar überzeugt zu sein, dass die Aliens ihre Hände im Spiel haben könnten.
Mehr oder minder durch Zufall kommen sie Joshs Vater auf die Spur, wobei Josh eigentlich ziemlich genau wusste – was allerdings erst nach und nach dem Leser mitgeteilt wird - , was der Grund für Franks Verschwinden war und überhaupt, was hinter seinem zunehmend seltsamen Verhalten während der letzten Jahre steckt. Joshs Vater ist depressiv und war deshalb bereits einmal für längere Zeit in einem Sanatorium. Nachdem das endlich klar wird, versteht der Leser Joshs Sorge natürlich besser. Der Junge hat große Angst, dass seinem Vater etwas Schlimmes zugestoßen sein könnte. Man kann sich vorstellen, wie allein und hilflos sich Josh fühlt, wie überfordert, denn die Leitung des Hotels liegt jetzt schließlich auch noch in seinen Händen. Zum Glück hat er seine Freunde, nicht alltäglich auch sie, aber für ihn da, als Josh sie braucht. Und alle tragen ihren Teil dazu bei, Frank am Ende wiederzufinden....
Der Autor hat sich einer nicht leichten, einer berührenden, allzu oft totgeschwiegenen Thematik angenommen in seinem Roman, wenn auch nicht mit aller Konsequenz. Und er hat vor allem einen Protagonisten geschaffen, der den Leser auf seine Seite zieht, denn Josh ist ein großartiger Junge, auf den sein in einer anderen Welt lebender Vater unbedingt stolz sein kann.
So weit, so gut! Die Suche nach dem Vater wird aus der Perspektive des Protagonisten Josh erzählt. Und dieser macht unendlich viele Worte, die sich gar oft um sich selber drehen und sich buchstäblich ineinander verknoten. Mir schwirrte immer wieder der Kopf beim Lesen dieses Gedankenwirrwarrs, das in die eigenartigsten Sätze gepackt wurde, das sich wie eine Schraube hochdrehte – und das wollte bis zum Ende einfach nicht aufhören! Von den vielen, vielen Anglizismen und „Fucks“ in den abwegigsten und komplett unnötigen Zusammensetzungen ganz zu schweigen. Authentische Jugendsprache? Hoffentlich nicht! Mit vielen verschwurbelten Worten, Sätzen und Satzfetzen wurde, unterm Strich, wenig ausgesagt. Zudem schien mir der so sympathische Josh unstimmig; einerseits managt er Vaters Hotel – ungewöhnlich souverän übrigens für einen so jungen Mann ohne Erfahrung mit dem Geschäft -, andererseits kommt er in vielen seiner Gedankenergüsse daher wie ein frisch gebackener Grundschüler. Und als seien diese Diskrepanzen noch nicht ausreichend, lässt ihn der Autor, sein geistiger Vater, gelegentlich auch noch hoch philosophische, tiefgründige Sätze sagen, die man allerdings leicht übersehen kann, so verpackt sind sie in dieser verwurstelten Sprache, die mir immer unerträglicher wurde. Dass es dem Verfasser dennoch gelungen ist, Josh zu einem so gewinnenden Charakter zu machen – obwohl er ihm so viel Unsinniges, Unverständliches in den Mund legt -, ist verwunderlich!
Und zu guter Letzt für all diejenigen, die sich durch den Buchtitel irreleiten lassen und etwa meinen, dass zwischen den Buchdeckeln etwa Science Fictionartiges verborgen sei – weit gefehlt! Und ob Kia, die die Idee mit der Entführung durch die Aliens zu Anfang aufgebracht hat, tatsächlich an ihre eigenen Worte glaubt, wage ich am Ende der Lektüre des Jugendromans – freilich für sehr reife Jugendliche! - zu bezweifeln!