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Veröffentlicht am 08.03.2023

Der Platz im Leben

Der Platz
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Mein erster Roman von Annie Ernaux. Ich hatte ein wenig Angst vor der Lektüre, vor der nobelpreiswürdigen Art, in der Ernaux schreibt. Erinnerungen an ihren Vater, Episoden aus dem Leben der Familie. Eine ...

Mein erster Roman von Annie Ernaux. Ich hatte ein wenig Angst vor der Lektüre, vor der nobelpreiswürdigen Art, in der Ernaux schreibt. Erinnerungen an ihren Vater, Episoden aus dem Leben der Familie. Eine besondere Art des autobiographischen Schreibens. Und doch liest sich der Roman wunderbar flüssig. Die Sprache ist klar, ohne Schnörkel. Ernaux beschreibt, wie es war, das Leben als Tochter einfacher Ladenbesitzer. Den Vater, der nun kein Arbeiter mehr ist und um jeden Preis die gesellschaftliche Stellung als Laden- und Cafébesitzer behalten möchte. Der soziale Aufstieg der Tochter durch den Besuch der höheren Schule ist ebenso ausdrücklich erwünscht, wie gleichzeitig gefürchtet. Es tut sich ein Graben auf, eine Entfremdung setzt ein, die niemand möchte, die aber nicht verhindert werden kann. Die Sprache innerhalb der Familie und außerhalb, in der Schule, ist dabei nur ein Punkt, der oft zum Zankapfel wird (S.54).

Relativ emotionslos schreibt die Französin. Sie reklamiert für sich und ihren Roman einen sachlichen Ton. Und dennoch erscheint es mir sehr zart, wie Ernaux den Blick zurück in die Vergangenheit wirft, nach Yvetot, in den kleinen Ort in der Normandie, in dem sie aufwuchs.

Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Die vielen klugen Sätze, in denen mit wenigen Worten, so viel gesagt wird. Mein Exemplar des Romans ist voller Post-its. Der letzte klebt an dieser Stelle, an der deutlich wird, dass der soziale Aufstieg auch einen Verlust und Bedauern mit sich gebracht hat:

"Ich bin am Ende meines Vorhabens angekommen: das Erbe ans Licht holen, das ich an der Schwelle zur gebildeten, bürgerlichen Welt zurücklassen musste." (S. 93)

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Veröffentlicht am 26.02.2023

Seelensturm über den Schären

In blaukalter Tiefe
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Die Konstellation hat mich an Martin Walsers Novelle "Ein fliehendes Pferd" erinnert: Zwei Paare, ungleich, im Urlaub, auf dem Wasser, Fassaden die bröckeln, Leben die Risse bekommen. Kristina Hauff hat ...

Die Konstellation hat mich an Martin Walsers Novelle "Ein fliehendes Pferd" erinnert: Zwei Paare, ungleich, im Urlaub, auf dem Wasser, Fassaden die bröckeln, Leben die Risse bekommen. Kristina Hauff hat ihrem Roman noch mehr Konfliktpotential zugegeben: Der eine Mann (Andreas) ist der Chef des anderen Mannes (Daniel), und sie stehen daher in einem Abhängigkeitsverhältnis zu einander. Es gibt eine fünfte Person in dieser Gruppe: Den rauen und unnahbaren Eric, den Eigner des Segelschiffes, auf dem die zwei Paare einen Urlaub in den schwedischen Schären verbringen wollen. Von Beginn an spielen alle ihre Rollen an Bord. Es herrscht eine angespannte Stimmung, die zunächst noch überspielt werden kann. Aber die beengten Verhältnisse, die kaum vorhandene Privatsphäre zerren schon recht bald an den Nerven aller. Und wie bei Walser schaukelt sich die innere Stimmung mit den Wellen immer höher, denn ein Sturm zieht auf und dieser Extremsituation sind nicht nur zwei Männer auf dem Bodensee ausgesetzt, wie bei Walser, sondern fünf Personen in den Schären.

Präzise nimmt Hauff ihre Figuren auseinander. Wie unter einem Mikroskop werden die Schwachstellen immer deutlicher eingestellt, je länger die Reise dauert. Hierbei ist Caroline, Andreas' Ehefrau, die komplizierteste Figur. Auch die anderen Charaktere sind gut getroffen und die Dialoge untereinander, die immer hitziger und vorwurfsvoller werden, sind wirklich glaubhaft und mitreißend. Die Autorin schreibt, als wäre man selbst in der Enge des Schiffes gefangen oder in steifer Segelkleidung an Deck dem Wetter ausgesetzt. Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Die Handlung wird abwechselnd aus der Sicht der vier "Urlauber" geschildert und bringt so das Innenleben der Charakter ans Licht. Nach diesem Törn wird sich das Leben für alle geändert haben.

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Veröffentlicht am 23.02.2023

Als Agatha verschwand

Die Affäre Agatha Christie
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Im Jahr 1926 verschwindet die britische Kriminalschriftstellerin Agatha Christie. Zeitungsaufrufe und eine landesweite Suche bringen zunächst keinen Erfolg. Erst nach elf Tagen wird sie in einem Hotel ...

Im Jahr 1926 verschwindet die britische Kriminalschriftstellerin Agatha Christie. Zeitungsaufrufe und eine landesweite Suche bringen zunächst keinen Erfolg. Erst nach elf Tagen wird sie in einem Hotel in Yorkshire erkannt. Zeit ihres Lebens hat die Autorin behauptet, sie könne sich an diese Episode nicht erinnern. Soweit die Fakten. Nina de Gramont hat um dieses geheimnisvolle Verschwinden eine fiktive Geschichte gesponnen und auf diese Geschichte war ich sehr gespannt.

Erzählt wird die Handlung aus der Perspektive von Nan O'Dea, der Geliebten von Agathas Ehemann Archibald Christie, der plant, seine Ehefrau für die jüngere Nan zu verlassen. Das fand ich zunächst einen spannenden und ungewöhnlichen Einfall. Leider konnte der Roman meine Erwartungen aber nicht erfüllen. Zwar ist die Geschichte teilweise ganz interessant konstruiert, in weiten Teilen jedoch für mich unlogisch und voller unmotivierter Handlungen der Charaktere. Neben dem Erzählstrang, der 1926 spielt, werden immer wieder größere Abschnitte aus der Kindheit und Jugend von Nan O'Dea eingeschoben, die für mich einen anderen Duktus hatten, als die eigentliche Haupthandlung. Thematisch war das sehr interessant, was sich im erzkatholischen Irland abgespielt hat, es harmonierte dann aber nicht mit dem Rest. Der Plot hätte ohne Agatha Christie als "Aufhänger" besser funktioniert. Die Krimiautorin spielt ohnehin eher eine bessere Nebenrolle. Die Protagonistin ist eindeutig Nan, die allerdings eine unsympathische Rolle einnimmt.

Wer sich nicht vom Klappentext täuschen läßt, der geheimnisvoller klingt, als das Buch ist, kann sich dennoch gut unterhalten fühlen. Der Roman läßt sich gut lesen und spielt zweimal auf das Werk von Agatha Christie an, was mir gut gefallen hat. Leider konnte mich das Buch insgesamt aber nicht fesseln und ich habe recht lange gebraucht, um es zu beenden.

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Veröffentlicht am 16.02.2023

Jurek Walter treibt weiter sein Unwesen

Spinnennetz
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Joona Linna, der finnische "Über"-Kommissar, ermittelt in seinem neunten Fall in Schweden. Margot Silverman, Chefin der Nationalen Operativen Abteilung der Polizei, wird gleich zu Beginn des Thrillers ...

Joona Linna, der finnische "Über"-Kommissar, ermittelt in seinem neunten Fall in Schweden. Margot Silverman, Chefin der Nationalen Operativen Abteilung der Polizei, wird gleich zu Beginn des Thrillers Opfer eines brutalen Überfalls. Erst nach einigem Hin und Her und weiteren Überfällen wird klar, dass Saga Bauer in diesen Fall verwickelt ist. Saga hat der Polizei den Rücken gekehrt und arbeitet als Privatdetektivin. Immer noch ist sie psychisch angeschlagen und hadert mit sich und dem Tod ihrer Schwester. Dafür war der Serienmörder Jurek Walter verantwortlich und er scheint auch aus dem Jenseits immer noch seine Finger im Spiel zu haben. Können Saga und Joona verhindern, dass es noch weitere Todesopfer geben wird? Der Täter hat einen Plan und am Ende dieses Plans steht Joonas Tod.

Man kann diesen Band unabhängig von den anderen Teilen der Serie lesen, aber die Kepler-Bücher in Reihe zu verschlingen macht schon Sinn. Schließlich ist in den vorherigen acht Büchern schon ordentlich was passiert. Wie gewohnt ist die Handlung rasant und ziemlich brutal, da wird nicht mit unappetitlichen Details gespart und es gibt reichlich Leichen. Dem steht die schon fast als nüchtern zu bezeichnende Sprache des Autorenduos gegenüber. Die kurzen Kapitel erzeugen zusätzlich Geschwindigkeit. Es ist nicht alles logisch in diesem Thriller, aber das kennt man von der Serie schon. Mir erschien die Grundidee etwas konstruiert und überfrachtet. Gut gefallen hat mir, dass Saga wieder eine größere Rolle in der Handlung spielt. Allerdings könnten sich die Autoren langsam mal von Jurek Walter und seinen Nachwehen verabschieden, die Thematik ist wirklich ausgereizt. Der undurchsichtige Nerd Karl wird als neuer Charakter eingeführt und könnte zukünftig die Serie bereichern, jedoch wäre Jurek Walter dann weiterhin Thema.

Insgesamt bekommt man, was man von einem Kepler-Thriller erwartet: Einen brutalen Serienkiller, dem die Polizei (sehr) langsam auf die Spur kommt. Einen komplizierten Fall, gespickt mit Rätseln. Einen superschlauen Joona Linna und eine pfiffige Saga Bauer, dazu ein ständiges Anrennen gegen die Zeit, denn die Spinne wartet bereits auf das nächste Opfer. Nicht der beste Teil der Serien, für Fans aber ein Muss.

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Veröffentlicht am 09.02.2023

Das Rundhaus

Das Haus des Windes
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Das alte Rundhaus (The Round House, so auch der Originaltitel) ist das Zentrum des Reservats in North Dakota. Es wurde gebaut, um zu helfen, die Angelegenheiten der Menschen dort zu regeln; es ist also ...

Das alte Rundhaus (The Round House, so auch der Originaltitel) ist das Zentrum des Reservats in North Dakota. Es wurde gebaut, um zu helfen, die Angelegenheiten der Menschen dort zu regeln; es ist also eine Art Gerichtshaus. Genau dort geschieht ein schreckliches Verbrechen. Geraldine, die Mutter des 13jährigen Joe, wird brutal überfallen. Joe und sein Vater Antone, ein Stammesrichter des Reservats, versuchen Licht die Angelegenheit zu bringen, wälzen alte Gerichtsakten und stellen Nachforschungen an. Geraldine zieht sich immer weiter von ihrer kleinen Familie zurück. Sie weiß etwas, davon ist Joe überzeugt. Als seine Mutter endlich über den Vorfall spricht, fasst Joe einen folgenschweren Plan.

Was für eine prall erzählte Geschichte, die im Jahr 1988 spielt. Im Zentrum steht der furchtbare Überfall auf die indigene Geraldine und die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der strafrechtlichen Verfolgung, die schier unglaublichen Hürden, die per Gesetz die Täter schützen. Diese juristische Thematik ist in eine wunderbar erzählte Familien- und Jugendgeschichte eingebunden. Eine Geschichte über eine weit verzweigte Familie, uralte indigene Rituale und Traditionen, die Verbundenheit zur Natur, über bedingungslose Freundschaft und Ausgrenzung.

In Louise Erdrichs Roman verschmelzen der Erzählstrange der Haupthandlung mit Einschüben aus der Geschichte der indigenen Bevölkerung zu einem unglaublich interessanten Stoff. Man erfährt viel über den Alltag im Reservat, wie die Traditionen am Leben erhalten werden, weil sie immer noch wichtige Bestandteile im Leben der Menschen dort sind. Die Geschichte wird aus der Sicht von Joe im Rückblick erzählt und er trägt die Handlung. Seine Gefühle, besonders seine Wut werden unmittelbar und echt geschildert. Seine Freundschaft zu Zack, Angus und vor allem Cappy hat mich an "Stand by me" erinnert, da gibt es Parallelen. Trotz des schweren Themas hat das Buch auch viele humorvolle Passagen, die ausgleichend wirken und es ist insgesamt dramatisch, lebendig und mitreißend.

Eine Lesempfehlung von ganzem Herzen.

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