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Veröffentlicht am 31.03.2023

Die Emanzipation einer Autorin

Mrs Agatha Christie
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Nachdem ich das Buch von Nina de Gramont über das elf Tage dauernde Verschwinden von Agatha Christie im Jahre 1926 gelesen hatte, interessierte mich natürlich auch, was Marie Benedict aus diesem Mysterium ...

Nachdem ich das Buch von Nina de Gramont über das elf Tage dauernde Verschwinden von Agatha Christie im Jahre 1926 gelesen hatte, interessierte mich natürlich auch, was Marie Benedict aus diesem Mysterium gemacht hat.

Mir hat diese unspektakulärere Version von Benedict tatsächlich besser gefallen. Hier steht die Krimiautorin im Mittelpunkt, anders als bei de Gramont, wo es hauptsächlich um die Geliebte von Archibald Christie geht, die auch als Ich-Erzählerin fungiert. Marie Benedict, die bereits einigen anderen historischen Frauen einen Roman gewidmet hat, gewährt einen Einblick in das Leben von Agatha Christie, die ihre vorherbestimmte Bahn verlässt, als sie Archibald Christie kennenlernt. Sie verliebt sich Hals über Kopf und löst die Verlobung mit einem jungen Mann, den sie schon seit ihrer Kindheit kennt. Die stürmischen Anfänge der großen Liebe werden durch den 1. Weltkrieg getrübt und Archibald kehrt als ein anderer zurück. Benedict beschreibt eindrucksvoll und nachvollziehbar, wie Agatha alles versucht, um ihrem (wehleidigen und undankbaren) Gatten das Leben so angenehm wie möglich zu machen, bis zur Selbstaufgabe. Als er von ihr die Scheidung verlangt, bricht für sie eine Welt zusammen.

Die Geschichte wird auf zwei Zeitebenen erzählt. In der Gegenwart von 1926 sieht sich Archibald den immer drängenderen Verdächtigungen der Polizei und der Öffentlichkeit ausgesetzt. In der Vergangenheit verfolgen wir das Leben von Agatha bis zu ihrem Verschwinden: Ihre behütete Kindheit, die Geldsorgen als der Vater stirbt, ihre Tätigkeit als Krankenschwester und Apothekenhelferin während des Krieges und ihre ersten Erfolge als Krimiautorin. Die "Auflösung", die sich Benedict überlegt hat, hat mir sehr gut gefallen und sie korrespondiert mit dem Bild, das ich mir von der Autorin gemacht habe, denn Christie-Krimis und ihre Autobiografie habe ich schon als Jugendliche gelesen.

Insgesamt ein flottes Lesevergnügen, bei dem Archibald Christie nicht besonders gut wegkommt und die Stellung der Ehefrauen zur damaligen Zeit auch nicht.

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Veröffentlicht am 29.03.2023

Das vergangene Glück

Melody
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Suter gelingt es fulminant, auf etwas mehr als zwei Seiten die Lebensgeschichte von Tom Elmer, Jurist und seit sechs Wochen auf Jobsuche, auszubreiten und seine aktuelle Situation zu beschreiben, um dann ...

Suter gelingt es fulminant, auf etwas mehr als zwei Seiten die Lebensgeschichte von Tom Elmer, Jurist und seit sechs Wochen auf Jobsuche, auszubreiten und seine aktuelle Situation zu beschreiben, um dann in Kapitel zwei unmittelbar in die Geschichte einsteigen zu können.

Tom soll die umfangreichen Dokumente des über 80-jährigen Dr. Peter Stotz ordnen. Ein immenser Papier- und Aktenberg erwartet ihn in der Villa in Zürich, die zugleich einem riesigen Denkmal für eine wunderschöne , schwarzhaarige Frau zu dienen scheint. Porträts von ihr hängen in diversen Zimmern, kleine Tischchen mit Andenken an sie sind im ganzen Haus verteilt. Was ist ihr Geheimnis? Nach und nach erzählt Dr. Stotz, gebrechlich, aber umsorgt von Butler und Köchin, wie die schöne Melody in sein Leben trat und urplötzlich wieder daraus verschwunden ist.

Die Grundidee hat mich absolut gepackt: Ein älterer Herr, der einen jungen Mann mit einem Vertrag an sich bindet, um sein Archiv zu ordnen. Der zudem im Haus wohnen muss, in dem es einen Butler, eine italienische Köchin, einen verkrachten Schriftstellerfreund und eine reizende Großnichte gibt. Alles gepaart mit dem Mysterium um Melody, das nur häppchenweise aufgedröselt wird.

Unaufgeregt lässt der Autor seinen Protagonisten Stotz während der gemeinsamen Kamingespräche mit Tom plaudernd in die Vergangenheit eintauchen. Dieses emotionale und doch bedachte und bewußte Erzählen zieht sich durch den ganzen Roman und bestimmt seinen Aufbau - bis zum Schluss.

In Zügen hat mich die Geschichte an Storms Novelle "Immensee" erinnert, in der ein ebenfalls über 80-jähriger Erzähler über seine längst verlorene Liebe erzählt, sich in seine Jugend und sein vergangenes Glück zurück träumt. Bei Suter kommt aber noch mehr hinzu, denn während Tom in der Nachlassordnung voranschreitet, tauchen Unstimmigkeiten auf. Während "Immensee" zu Beginn schon abgeschlossen ist, ist bei "Melody" noch einiges offen.

Ich habe das Buch sehr gerne und rasch gelesen. Mein erster Suter nach "Die dunkle Seite des Mondes" (2001 - Ups!). Es ist eher gemächlich erzählt und trotz des Geheimnisses nicht nervenzerfetzend spannend. Der Sprachstil hat mir gefallen. Auf dem Klappentext steht "geschmeidig", das ist treffend ausgedrückt. Eine für mich runde Geschichte, die gut unterhalten hat und Storms Tragik hinter sich lässt.


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Veröffentlicht am 27.03.2023

Und der Schnee deckt alles zu

Der Morgen (Art Mayer-Serie 1)
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Die Tom Babylon-Reihe hatte mir gut gefallen, daher hatte ich natürlich auch hohe Erwartungen an die neue Serie von Marc Raabe. Und ich wurde nicht enttäuscht.

Im verschneiten Berlin wird auf spektakuläre ...

Die Tom Babylon-Reihe hatte mir gut gefallen, daher hatte ich natürlich auch hohe Erwartungen an die neue Serie von Marc Raabe. Und ich wurde nicht enttäuscht.

Im verschneiten Berlin wird auf spektakuläre Weise eine Frauenleiche gefunden. Sie ist keine Unbekannte. Was jedoch den gesamten Polizeiapparat in Aufruhr versetzt, ist die Adresse, die auf den Körper der Toten geschrieben wurde: Ein großes Grundstück mit Villa im Westend und dort wohnt kein Geringerer als der Bundeskanzler. Artur Mayer, kurz Art genannt, wird zur Ermittlungsgruppe des BKA hinzubeordert. Typ einsamer Wolf und keinem Widerwort abgeneigt, muss er sich mit einer jungen Kommissar-Anwärtin zusammentun. Nele Tschaikowski hat als Nichte des Polizeipräsidenten ohnehin einen schwierigen Stand innerhalb des BKA, da kommt ihr der aufmüpfige Mayer gerade recht. Gemeinsam versuchen sie Licht in den Todesfall zu bringen, der nicht der einzige bleiben wird und immer wieder stößt Nele auf Hinweise, dass Arts Vergangenheit irgendwie eine Rolle in diesem ganzen Chaos spielen könnte.

Wie schon bei der vorherigen Tetralogie, spielt die Vergangenheit der Protagonisten eine große Rolle. Die aktuelle Handlung wird immer wieder durch Kapitel aus der Kindheit der Charaktere unterbrochen. Da zunächst alle nur mit Spitznamen versehen werden, ist lange unklar, wer wer ist. Das ist richtig gut gemacht und sorgt für so manche Überraschung. Dieses Eintauchen in die Psyche der Figuren, was bestimmte Ereignisse in ihnen auslösen und wie sie in ihrem späteren Leben damit umgehen, scheint schon eine Art Spezialität des Autors zu sein. Neben diesem spannenden Aspekt spielt die Welt der Politik eine große Rolle und die Macht von Social Media. Insgesamt eine gelungene Mischung aus lebendigen und einnehmenden Protagonisten, berührenden Schicksalen und einem sehr guten Schreibstil, der sich auch besonders in den Dialogen zeigt. Diese interessant, informativ und "echt" zu Papier zu bringen, gelingt nicht jedem. Zudem kommt Raabe in seinem Thriller ohne allzu viel Blut und Gemetzelszenen aus.

Mich hat dieser Reihenauftakt auf die folgenden Bände sehr neugierig gemacht. Denn obwohl der Fall aufgeklärt wird, bleiben einige Fäden in der Luft schweben, die noch eingefangen werden müssen. Es wurde eine Gruppe von Nebencharakteren eingeführt, die neben Art und Nele sicherlich in den nächsten Thrillern auch eine Rolle spielen werden. Auf Teil zwei ("Dämmerung" 2024) freue ich mich schon, auch wenn es noch etwas dauern wird.

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Veröffentlicht am 24.03.2023

Eine unpersönliche Autobiografie

Die Jahre
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Da mich "Der Platz" erst kürzlich beeindruckt hat, habe ich nun auch "Die Jahre" gelesen und es hat mir sogar noch besser gefallen. Der spröde, eher sachliche Ton im Schreibstil bleibt, dennoch schwingt ...

Da mich "Der Platz" erst kürzlich beeindruckt hat, habe ich nun auch "Die Jahre" gelesen und es hat mir sogar noch besser gefallen. Der spröde, eher sachliche Ton im Schreibstil bleibt, dennoch schwingt immer Melancholie und ein wenig Nostalgie mit. Ernaux schreibt sich durch die Jahrzehnte ihres Lebens, sieht und beschreibt Fotos von sich selbst. Welche Gefühle, Wünsche und Hoffnung damals in ihr steckten, wie sich dies in die jeweilige Zeitstimmung und die gesellschaftliche Entwicklung einfügte. Ihre individuellen Erinnerungen sind oft Kleinigkeiten oder alltägliche Begebenheiten, die aber konzentriert betrachtet werden und mit dem großen Ganzen, der französischen Geschichte und dem politischen Weltgeschehen verschmelzen. Filme, Bücher und Musik, die Ernaux und ihre Altersgenoss*innen zu bestimmten Zeiten geprägt haben, werden ebenso genannt, wie die voranschreitende Emanzipation. Nie spricht die Autorin von "ich", sondern sie nimmt sich selbst im "man" und "wir" zurück und schreibt daher die Erinnerungen einer ganzen Generation.

"Etwas von der Zeit retten, in der man nie wieder sein wird." (S.256)

Das Buch muss in Frankreich noch stärker beeindruckt haben, weil es viel Allgemeingültiges enthält. Wenn Ernaux z.B. über die Schullektüre schreibt, mit denen Kinder seit Jahrzehnten in bestimmten Altersstufen traktiert werden, dann betrifft das ganz Frankreich, den dort ist das Bildungssystem zentralistisch geregelt.

Mir haben diese Erinnerungen sehr gut gefallen. Trotz der episodenhaften Anlage liest es sich flüssig und es war viel zu schnell zu Ende. Ich werde es sicherlich noch öfter zur Hand nehmen. Große Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 24.03.2023

Das Karussell des Lebens

Wellenflug
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Mit dem Romantitel spielt die Autorin auf das Kettenkarussell an, das durch die zusätzliche Neigung den Fahrgästen einen wellenförmigen Flug bietet. Und so liest sich auch der Roman: Die Geschichte einer ...

Mit dem Romantitel spielt die Autorin auf das Kettenkarussell an, das durch die zusätzliche Neigung den Fahrgästen einen wellenförmigen Flug bietet. Und so liest sich auch der Roman: Die Geschichte einer jüdischen Unternehmerfamilie, die sich im Berlin der Kaiserzeit ansiedelt und zunächst mit dem Handel von Stoffen zu Vermögen kommt. Die Handlung ist in zwei Teile untergliedert, in jedem Teil steht eine Protagonistin im Mittelpunkt. Im ersten Teil, der in der Zeit von 1864 bis 1905 spielt, steht Anna im Zentrum. Das kleine Mädchen, dessen Familie von Schlesien nach Leipzig und schließlich nach Berlin zieht, entwickelt sich zur Patriarchin der wohlhabenden weitverzweigten Verwandtschaft. Daher ist es für sie unfassbar, als sich ihr Sohn Heinrich in die Garderobiere Marie verliebt. Als sich die Wege der zwei Frauen kreuzen, wird die Handlung im zweiten Teil aus Maries Sicht (1905-1957) weitererzählt.

Mir hat der Roman sehr gut gefallen, er liest sich flüssig und die Handlung ist durchgehend interessant. Der erste Teil rund um Anna hat mich aber mehr angesprochen. Der Aufstieg der Familie, die sich bewußt in die Berliner Gesellschaft integrieren will, hat mich fasziniert und Anna fand ich als Charakter sehr berührend. Im zweiten Teil war mir der Lebemann und Spieler Heinrich sehr unsympathisch. Es hat sich mir auch nicht ganz erschlossen, was er und Marie so stark aneinander gebunden hat. Dennoch habe ich auch den zweiten Teil sehr schnell gelesen.

Bemerkenswert ist, dass die Autorin die Geschichte ihrer eigenen Familie verarbeitet hat. Ebenso bemerkenswert war für mich, dass meine Tante, die seit den 70er Jahren in Berlin wohnt, in der Rauchstraße am Tiergarten wohnt, genau gegenüber von der Hausnummer 21, wo einst Julius Reichenheim für seine Frau Anna ein wunderschönes Palais erbauen ließ.

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