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Veröffentlicht am 16.02.2023

Jurek Walter treibt weiter sein Unwesen

Spinnennetz
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Joona Linna, der finnische "Über"-Kommissar, ermittelt in seinem neunten Fall in Schweden. Margot Silverman, Chefin der Nationalen Operativen Abteilung der Polizei, wird gleich zu Beginn des Thrillers ...

Joona Linna, der finnische "Über"-Kommissar, ermittelt in seinem neunten Fall in Schweden. Margot Silverman, Chefin der Nationalen Operativen Abteilung der Polizei, wird gleich zu Beginn des Thrillers Opfer eines brutalen Überfalls. Erst nach einigem Hin und Her und weiteren Überfällen wird klar, dass Saga Bauer in diesen Fall verwickelt ist. Saga hat der Polizei den Rücken gekehrt und arbeitet als Privatdetektivin. Immer noch ist sie psychisch angeschlagen und hadert mit sich und dem Tod ihrer Schwester. Dafür war der Serienmörder Jurek Walter verantwortlich und er scheint auch aus dem Jenseits immer noch seine Finger im Spiel zu haben. Können Saga und Joona verhindern, dass es noch weitere Todesopfer geben wird? Der Täter hat einen Plan und am Ende dieses Plans steht Joonas Tod.

Man kann diesen Band unabhängig von den anderen Teilen der Serie lesen, aber die Kepler-Bücher in Reihe zu verschlingen macht schon Sinn. Schließlich ist in den vorherigen acht Büchern schon ordentlich was passiert. Wie gewohnt ist die Handlung rasant und ziemlich brutal, da wird nicht mit unappetitlichen Details gespart und es gibt reichlich Leichen. Dem steht die schon fast als nüchtern zu bezeichnende Sprache des Autorenduos gegenüber. Die kurzen Kapitel erzeugen zusätzlich Geschwindigkeit. Es ist nicht alles logisch in diesem Thriller, aber das kennt man von der Serie schon. Mir erschien die Grundidee etwas konstruiert und überfrachtet. Gut gefallen hat mir, dass Saga wieder eine größere Rolle in der Handlung spielt. Allerdings könnten sich die Autoren langsam mal von Jurek Walter und seinen Nachwehen verabschieden, die Thematik ist wirklich ausgereizt. Der undurchsichtige Nerd Karl wird als neuer Charakter eingeführt und könnte zukünftig die Serie bereichern, jedoch wäre Jurek Walter dann weiterhin Thema.

Insgesamt bekommt man, was man von einem Kepler-Thriller erwartet: Einen brutalen Serienkiller, dem die Polizei (sehr) langsam auf die Spur kommt. Einen komplizierten Fall, gespickt mit Rätseln. Einen superschlauen Joona Linna und eine pfiffige Saga Bauer, dazu ein ständiges Anrennen gegen die Zeit, denn die Spinne wartet bereits auf das nächste Opfer. Nicht der beste Teil der Serien, für Fans aber ein Muss.

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Veröffentlicht am 09.02.2023

Das Rundhaus

Das Haus des Windes
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Das alte Rundhaus (The Round House, so auch der Originaltitel) ist das Zentrum des Reservats in North Dakota. Es wurde gebaut, um zu helfen, die Angelegenheiten der Menschen dort zu regeln; es ist also ...

Das alte Rundhaus (The Round House, so auch der Originaltitel) ist das Zentrum des Reservats in North Dakota. Es wurde gebaut, um zu helfen, die Angelegenheiten der Menschen dort zu regeln; es ist also eine Art Gerichtshaus. Genau dort geschieht ein schreckliches Verbrechen. Geraldine, die Mutter des 13jährigen Joe, wird brutal überfallen. Joe und sein Vater Antone, ein Stammesrichter des Reservats, versuchen Licht die Angelegenheit zu bringen, wälzen alte Gerichtsakten und stellen Nachforschungen an. Geraldine zieht sich immer weiter von ihrer kleinen Familie zurück. Sie weiß etwas, davon ist Joe überzeugt. Als seine Mutter endlich über den Vorfall spricht, fasst Joe einen folgenschweren Plan.

Was für eine prall erzählte Geschichte, die im Jahr 1988 spielt. Im Zentrum steht der furchtbare Überfall auf die indigene Geraldine und die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der strafrechtlichen Verfolgung, die schier unglaublichen Hürden, die per Gesetz die Täter schützen. Diese juristische Thematik ist in eine wunderbar erzählte Familien- und Jugendgeschichte eingebunden. Eine Geschichte über eine weit verzweigte Familie, uralte indigene Rituale und Traditionen, die Verbundenheit zur Natur, über bedingungslose Freundschaft und Ausgrenzung.

In Louise Erdrichs Roman verschmelzen der Erzählstrange der Haupthandlung mit Einschüben aus der Geschichte der indigenen Bevölkerung zu einem unglaublich interessanten Stoff. Man erfährt viel über den Alltag im Reservat, wie die Traditionen am Leben erhalten werden, weil sie immer noch wichtige Bestandteile im Leben der Menschen dort sind. Die Geschichte wird aus der Sicht von Joe im Rückblick erzählt und er trägt die Handlung. Seine Gefühle, besonders seine Wut werden unmittelbar und echt geschildert. Seine Freundschaft zu Zack, Angus und vor allem Cappy hat mich an "Stand by me" erinnert, da gibt es Parallelen. Trotz des schweren Themas hat das Buch auch viele humorvolle Passagen, die ausgleichend wirken und es ist insgesamt dramatisch, lebendig und mitreißend.

Eine Lesempfehlung von ganzem Herzen.

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Veröffentlicht am 09.02.2023

Gänsehaut bleibt auf der Strecke

Das Sanatorium
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Man, was hatte ich mich auf dieses Buch gefreut. Das tolle Cover, die Empfehlung von Reese Witherspoons Bookclub, der coole bedruckte Buchschnitt und der Klappentext versprachen so viel und konnte es letztlich ...

Man, was hatte ich mich auf dieses Buch gefreut. Das tolle Cover, die Empfehlung von Reese Witherspoons Bookclub, der coole bedruckte Buchschnitt und der Klappentext versprachen so viel und konnte es letztlich meiner Meinung nach nicht halten.

In den Schweizer Alpen wird nach großen Protesten ein Luxushotel eröffnet, in dem sich zuvor ein Tuberkulosesanatorium befunden hat. Aus Großbritannien reist Elin Warner an, die sich in einer Lebenskrise befindet. Seit Monaten ist die Kommissarin freigestellt, weil es bei einem Einsatz zu einem Zwischenfall kam, den sie noch nicht verarbeitet konnte. Gemeinsam mit ihrem Freund Will trifft Elin im Hotel ihren Bruder Isaac, der dort seine Verlobung mit Laure feiern möchten. Laure lebt, wie Isaac, schon lange in der Schweiz und arbeitet im Hotel als Assistenz der Geschäftsführung, ist aber auch eine Jugendfreundin von Elin. Sowohl die Geschwister, als auch Elin und ihre ehemalige Freundin verbindet eine Vergangenheit, die aufgearbeitet werden muss. Über allem schwebt der tragische und frühe Unfalltod des kleinen Bruders von Isaac und Elin, das wird relativ früh thematisiert, daher ist das kein Spoiler.

So, wer bis hierhin gelesen hat, hat noch keine Gänsehaut. Und das ist das Problem: Die Handlung ist von diesen Problemen überfrachtet, sie nehmen viel Raum ein und ständig muss der Gemütszustand von Elin besprochen werden. Der Charakter hat mich nicht für sich eingenommen und blieb auf Distanz.

Das Setting ist nicht neu: Menschen, die an einem abgeschiedenen Ort von der Außenwelt abgeschnitten sind und sich einer tödlichen Gefahr gegenübersehen. Aber die Atmosphäre stimmte nicht. Das Hotel ist riesig, wird als extrem modern, kalt, unnahbar, spartanisch und (warum?) mit schlechter Küche beschrieben. Ein paar ungemütliche Requisiten machen noch kein Horrorszenario a la "Shining" aus. Das subtile Unheimliche, das einem langsam den Rücken hoch krabbelt, fehlt hier.

Als es Elin nach fast 400 Seiten dämmert, dass es vielleicht gar nicht um das Hotel geht, sondern um das Sanatorium, tja, da dachte ich: Hättest du mal den Titel gelesen.

Insgesamt ein durchschnittlicher Thriller, der mir nicht länger im Gedächtnis bleiben wird. Zur arg konstruierten und teilweise unlogischen Handlung kommen die schon erwähnten Kritikpunkte. Ohne Zweifel kann die Autorin schreiben, den Text liest man so weg und das Ende verspricht eine Fortsetzung. Sicherlich wird das Buch auch begeisterte Leser:innen finden, ich gehöre leider, leider nicht dazu. Wahrscheinlich war die Erwartung einfach zu hoch und dann ist es die Fallhöhe auch.

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Veröffentlicht am 05.02.2023

"Ich mag Interviews"

The Doors und Dostojewski
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1978 interviewte Jonathan Cott vom Rolling Stone Magazin die amerikanische "Multiintellektuelle" Susan Sontag. Das Interview begann in der Pariser Wohnung von Sontag und wurde fünf Monate später in ihrem ...

1978 interviewte Jonathan Cott vom Rolling Stone Magazin die amerikanische "Multiintellektuelle" Susan Sontag. Das Interview begann in der Pariser Wohnung von Sontag und wurde fünf Monate später in ihrem New Yorker Loft beendet. Insgesamt zwölf Stunden dauerte das Gespräch.

Der Titel bezieht sich auf die Wertschätzung Sontags, die sie sowohl der sogenannten Hochkultur als auch der Pop(ulär)kultur entgegenbrachte. Dieser Ansicht hat sie in ihrer Essaysammlung "Kunst und Antikunst" (1966) Ausdruck verliehen und stieß damit in vielen Teilen der Intellektuellen auf Unverständnis. Die eifrige Kinogängerin Sontag, die sich für alles begeistern konnte, war aber ihrer Zeit weit voraus. Denn was bestimmt heute den Alltag? Ist es die Hoch- oder die Populärkultur? Es hat eine Verschiebung stattgefunden, an die die Medien einen damals unvorstellbaren Anteil haben. In einer anderen ihrer bekannten Essaysammlungen, "Über Fotografie" (1977), kommen Gedanken zum Tragen, die sich auf die heutige Social-Media-Generation anwenden lassen. Im Interview spricht sie von einer "Vereinnahmung" durch die Kamera (S. 67). Andere spannende Passagen des Gespräches beziehen sich auf die Krebserkrankung der Autorin und die "Metaphern", die damit verbunden sind. Das Buch "Krankheit als Metapher" (1977) räumt mit vielen Vorurteilen gegenüber der Krankheit auf und macht bewußt, wie wir sprachlich damit umgehen. Es sei eine sehr ernste Krankheit, aber eben keine selbstverschuldete oder gar ein Stigma.

Das verschriftlichte Interview ist mit 127 Seiten bequem an einem Nachmittag zu lesen. Ein erläuterndes Vorwort sowie ein hilfreiches Personen- und Titelregister runden das Büchlein ab. Mir hat es wirklich gefallen und es liest sich auch gut, weil Sontag quasi druckfähig - großartig ausformuliert - in ganzen Absätzen auf die Fragen von Cott eingeht. Da haben die Antworten wirklich Substanz und man kann Gedanken der Autorin nachvollziehen. In Ergänzung zu ihren Texten und Biographien über sie (Schreiber gefällt mir besser als Moser) kann ich das Interview sehr empfehlen.

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Veröffentlicht am 01.02.2023

Die Reise zu den Netsukes

Der Hase mit den Bernsteinaugen
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"Ich weiß nicht mehr, ist es ein Buch über meine Familie, über Erinnerungen, über mich, oder immer noch ein Buch über kleine japanische Sachen?" (S. 387)

Das fragt sich der Autor, als er auf seiner Reise ...

"Ich weiß nicht mehr, ist es ein Buch über meine Familie, über Erinnerungen, über mich, oder immer noch ein Buch über kleine japanische Sachen?" (S. 387)

Das fragt sich der Autor, als er auf seiner Reise in die Vergangenheit endlich in Odessa ankommt. Dort hat seine Familiengeschichte ihren Ausgang genommen. Edmund de Wall ist ein Spross der weit verzweigten und einstmals unfassbar reichen Familie Ephrussi. Als er von seinem in Japan lebenden Großonkel Iggie eine Sammlung Netsuke [ sprich: ˈnɛt͡ske] erbt, ist dies der Anlass für eine zwei Jahre dauernde Recherche.

De Wall erzählt seine Familiengeschichte anhand der Netsuke (kleine geschnitzte Figuren aus z.B. Elfenbein oder Holz), deren Reise er nachzuzeichnen versucht. In Paris gelangten sie in den Besitz der Familie und wurden als Hochzeitsgeschenk für die Urgroßeltern des Autors nach Wien geschickt; über Tokio kamen sie schließlich nach London.

Das hört sich zunächst etwas trocken an, aber die Geschichte der Familie Ephrussi hat mich packt. Der Autor ist Künstler (Keramiker und seit 2004 Professor für Keramik an der University of Westminster in London) und hat dadurch eine ganz besondere Sicht auf die Dinge. Seine Beschreibungen von Architektur und Kunst, die Analyse von Gesellschaft und Politik haben einen ganz besonderen Stil. Er schreibt so, wie er den Schreibstil seines Onkel Charles benennt, den ersten Besitzer der Netsuke: akademisch, deskriptiv und poetisch (S. 71). Das macht die Geschichte gleichzeitig klug, spannend, interessant und sehr lesenswert: Den Aufstieg und die Vernichtung der jüdischen Bankiersfamilie. Die Zerstörung von Lebenswerken, "das systematische Auslöschen von Geschichten, das Auseinanderreißen von Menschen und ihren Besitztümern, dann von Menschen und ihren Familien, ihrer Umgebung." (S. 393f.)

Mir war nicht klar, mit welcher Geschwindigkeit die Nationalsozialisten im März 1938 in Wien die Regierungsgeschäfte an sich gerissen haben. Innerhalb von Stunden änderte sich das Leben der Juden in Österreich. Das bringt de Wall eindrucksvoll zu Papier. Er bleibt dabei zurückhaltend, er ist Beobachter und verliert sich nicht in Gefühlsduselei oder Anklagen. Er benennt die Tatsachen und dennoch trifft er den richtigen Ton, um das Entsetzen auf die Leser zu übertragen. Und wäre nicht Anna mit ihrer Schürze gewesen, wären auch die 264 kleinen Figuren in die Fänge der neuen Machthaber gelangt.

Ein Buch mit Sogwirkung, das ich wahnsinnig gerne gelesen habe. Die vielen Abbildungen verhelfen der Familiengeschichte zu großer Lebendigkeit und bereichern das Buch sehr.

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