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Veröffentlicht am 08.04.2024

Das Rätsel um den Hirschen

Die Dämmerung (Art Mayer-Serie 2)
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In ihrem zweiten gemeinsamen Fall haben es Art Mayer und seine junge Kollegin Nele mit einem höchst seltsamen Leichenfund zu tun, der schnell die Aufmerksamkeit der Medien erregt. Die Tote war zudem selbst ...

In ihrem zweiten gemeinsamen Fall haben es Art Mayer und seine junge Kollegin Nele mit einem höchst seltsamen Leichenfund zu tun, der schnell die Aufmerksamkeit der Medien erregt. Die Tote war zudem selbst eine Person des öffentlichen Lebens und Mitglied der Berliner Society. Als augenfällige Verdächtige bietet sich schnell die Tochter der Ermordeten an. Leo ist aktive Klimaaktivistin und stand mit ihrer Mutter und deren Lebensstil auf Kriegsfuß, ihr grausamer Tod scheint sie kaum zu berühren.

Den ersten Teil der Reihe habe ich total gerne gelesen, deswegen war auch "Dämmerung" Pflichtlektüre. Neben den Protagonisten tauchen auch schnell wieder die anderen Charaktere aus dem Kosmos um Art Mayer auf, der als eher grummeliger Einzelgänger doch immer wieder seine soziale Ader zeigt. Mit seiner Diabetes, der schwierigen Kindheit und der Verbindung zum Bundeskanzler und seiner Frau ist Autor Marc Raabe eine spannende Figur gelungen, der ich sehr gerne durch die Handlung des Thrillers gefolgt bin. Heimlicher Star ist für mich (für viele andere auch) die kleine Milla, die sich längst in Arts Herz und nun auch in seine Wohnung geschlichen hat.

Wirklich gegruselt habe ich mich beim Lesen nicht, aber die Story ist verwickelt und birgt reichlich Überraschungen. Die Vorgeschichte der aktuellen Handlung wird mittels einer dubiosen Kassette vermittelt, die immer wieder eigene Kapitel erhält und so im Laufe des Romans komplett abgespielt wird.

Das Buch hat mich wirklich gut unterhalten. Die kurzen Kapitel, Wendungen und der dynamische Schreibstil in Verbindung mit Art Mayers Charakter lassen einen das Buch ziemlich schnell weglesen. In der Mitte hatte ich mal einen Durchhänger, aber dann ging es um so rasanter weiter. Die Neugier auf die weiteren privaten Entwicklungen, die hier angestoßen werden, lassen die Zeit bis zum nächsten Band ziemlich lang werden.

Fun Fact: Im Roman erwischt Art die kleine Milla, als sie gerade "Blutmond" von Jo Nesbø liest, das ich auch gerade erst gelesen habe.

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Veröffentlicht am 01.04.2024

Wherever you go, you always take the weather with you

Big Sky Country
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Im Nordwesten der USA, an der Grenze zu Kanada, liegt Big Sky Country - Montana. Ein riesiger Bundesstaat, größer als Deutschland und mit lediglich etwas über einer Million Einwohnern (entspricht der Einwohnerzahl ...

Im Nordwesten der USA, an der Grenze zu Kanada, liegt Big Sky Country - Montana. Ein riesiger Bundesstaat, größer als Deutschland und mit lediglich etwas über einer Million Einwohnern (entspricht der Einwohnerzahl von Köln) selbst für die USA extrem dünn besiedelt. In dieses, von den Rocky Mountains durchzogenem Land, verschlägt es August nach der Trennung einer Eltern. Hatte er zuvor auf einer kleinen Milchfarm in Michigan gelebt, ist Montana mit seiner grandiosen Landschaft eine Umstellung für den Jungen. Aber er arrangiert sich mit seiner Mutter, findet Freunde, spielt Football und wird langsam erwachsen.

Mit einer extrem ruhigen und unaufgeregten Sprache erzählt uns der Autor von Augusts Kindheit und Jugend, die mehr oder weniger typisch amerikanisch ist. August ist selbst eher schweigsam und wortkarg, sein Charakter spiegelt sich also in der Sprache wider. Dies wird sicherlich im Original noch besser spürbar sein, weil auch die sprachlichen Eigenheiten der unterschiedlichen Staaten dargestellt werden können. Interessant sind die Telefonate zwischen August und seinem Vater in Michigan. Die beiden stehen sich sehr nahe und doch reden sie fast ausschließlich über eher belanglose Dinge wie das Wetter oder das Vieh. Im letzten der drei Kapitel des Buches, kommt der Vater von selbst auf diese Telefonate zu sprechen.

Neben dem ganz dichten Beobachten von August und anderen Charakteren, fließt auch die gesellschaftliche und politische Realität in die Geschichte mit ein: Der 11. September, der Einsatz in Afghanistan, die Ängste der Viehzüchter vor der wirtschaftlichen Zukunft.

Ich habe den Roman sehr gerne gelesen. Er hat trotz der seltsam still dahinfließenden Geschichte eine gewisse Spannung. Immer wieder tauchen Fragen auf, die die jungen Charaktere beschäftigen: Will ich es so machen wie meine Eltern? Was ist das Richtige? Was ist der Sinn?

Das letzte und sehr kurze Kapitel fasst nochmal vieles zusammen und ich habe mir zahlreiche Sätze markiert.

"Er [August] kam langsam zu der Überzeugung, dass jede Kindheit aus einer eigentümlichen Kombination von Problemen bestand und dass leben, wie es alle nannten, nur der Versuch war, im Nachhinein zu entschlüsseln, was zum Teufel mit einem passiert war." (S. 378f)

Triggerwarnung: Es gibt auch brutale Szenen in dem Roman.

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Veröffentlicht am 15.03.2024

Die Sucht nach Ruhm und Liebe

Die Kinder sind Könige
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Sehr greifbar und präzise schildert De Vigan, wie Mélanie Claux von Kindesbeinen an vom Fernsehen, besonders von Reality-Shows, fasziniert ist. Schließlich schafft sie es eines Tages selbst in die erste ...

Sehr greifbar und präzise schildert De Vigan, wie Mélanie Claux von Kindesbeinen an vom Fernsehen, besonders von Reality-Shows, fasziniert ist. Schließlich schafft sie es eines Tages selbst in die erste Folge einer Dating Show. Ein "mächtiges Suchtmolekür" wird in ihrem Hirn freigesetzt (S. 30). Jahre später kann sie sich dieser Sucht völlig hingeben: Sie hat mit ihren beiden kleinen Kindern als "Stars" bei YouTube und auf Instagram Millionen von Followern, die praktisch am gesamten Leben der Familie teilnehmen. Bis eines Tages die sechsjährige Kimmy verschwunden ist ...

Der Polizistin Clara, die mit den Ermittlungen betraut ist, ist diese künstliche Welt völlig fremd. Akribisch recherchiert sie und stellt fest, dass Kimmy immer wenig Lust hatte, in den von ihrer Mutter aufwendig produzierten Videos mitzuwirken. Aus Claras Sicht wird uns die Absurdität dieser Inszenierungen vor Augen geführt. Aktionen, die nicht nur sinnfrei sind, sondern völlig überzogen, oberflächlich, teilweise gar gesundheitsgefährdend. Und wenn Mélanie an einer Stelle behauptet, die Kinder seien bei ihr Könige (S. 222), dann steht das im Kontrast zu ihrem Wunsch nach einer idealen Traumwelt, in der sie selbst die Königin ist (S. 95).

Das Buch hat mich gefangengenommen, ich habe es sehr schnell durchgelesen. Einerseits wollte ich natürlich wissen, was mit Kimmy passiert ist, andererseits ist das Thema wahnsinnig interessant. Indem die Autorin der nach Außen orientierten, in einer künstlichen Welt lebenden Mélanie, die pragmatische, zurückgezogene Clara gegenüberstellt, wird der Wahnwitz dieser Sucht nach fremder Anerkennung und Liebe durch die Generierung von Likes und Followern um jeden Preis überdeutlich. Äußerst raffiniert ist der Blick in die Zukunft, zehn Jahre nach den geschilderten Ereignissen.

Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Es regt zum Nachdenken an. De Vigan übt Gesellschaftskritik und das macht sie auf eine wahnsinnig anschauliche, spannende und eindrucksvolle Weise, auch wenn der Schreibstil eher nüchtern ist. Diese Nüchternheit spiegelt Claras Charakter wider, wird aber auch durch die im Text verteilten Verhörprotokolle und Aktennotizen unterstützt.

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Veröffentlicht am 09.03.2024

Amerika von unten

Hotel Amerika
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Maria Leitner ist eine der "vergessenen" Autorinnen der Weimarer Republik. "Hotel Amerika" gehörte bereits im Frühsommer 1933 zu den Büchern, die von den Nazis verbrannt wurden. Jetzt wurde der Roman von ...

Maria Leitner ist eine der "vergessenen" Autorinnen der Weimarer Republik. "Hotel Amerika" gehörte bereits im Frühsommer 1933 zu den Büchern, die von den Nazis verbrannt wurden. Jetzt wurde der Roman von 1930 von Reclam in der Klassikerinnen-Reihe neu aufgelegt.

Wir verbringen einen Tag in einem New Yorker Luxushotel, jedoch nicht als Gast, sondern als jemand aus dem Heer der kleinen Arbeiter und Arbeiterinnen. Während für eine Millionärs-Hochzeit ein ganzer Dschungel mitsamt importierten Schmetterlingspuppen arrangiert wird, hetzt ein Fahrstuhlführer seinem Fahrstuhl nach, der sich verselbständig hat. Weil den Zimmermädchen abends die Kraft fehlt, auch noch ihre eigenen Zimmer zu reinigen, liefern sich Staubflocken und Ungeziefer dort ein Wettrennen zwischen den ausrangierten Betten und Matratzen. Genau in der Mitte des Romans ist auch der halbe Tag vorbei und in der Kantine der Angestellten wird der "Kartoffelaufstand" geprobt. Es gelingt jedoch, die Aufsässigen zu zerstreuen, bis auf die Wäscherin Shirley, die meint, nichts mehr zu verlieren zu haben, da das große Geld und ein Verehrer auf sie warten. Sie schätzt die Dinge jedoch ebenso falsch ein, wie das mittlere Management des Hotels, denn der Keim des Widerstands ist gesät.

Zunächst hat mich die detaillierte Beschreibung des Arbeitsalltages der verschiedenen Hotelbereiche (Wäscherei, Küche etc.) stark beeindruckt und meine Annahme hat sich im Nachwort bestätigt, dass nämlich die Autorin diese Szenen mit eigenen Erfahrungen gefüllt hat. 1925 ging sie für drei Jahre nach Amerika und arbeitete dort in ca. 80 verschiedenen unskilled jobs, also Jobs, für die sie keine Qualifikation benötigte, sondern sich sie erst während des arbeitens aneignete. Ebensolche Arbeiten werden auch im Hotel verrichtet. So wird Fritz durch die Großküche weitergereicht, bis er dort ankommt, wo er am besten hinpasst. Wenn ich mich recht erinnere, war das die Kartoffelschälmaschine. Besonders faszinierend: Maria Leitner hatte keine Absicherung durch den Verlag, für den sie als "Undercover-Sozialreporterin" (S. 242) unterwegs war, sie war in Amerika (New York, Alabama, Florida etc.) auf sich selbst gestellt.

Die Sprache des Romans hat für mich den Lesefluss zu Beginn gehemmt. So wird immer von Herr, Frau und Fräulein gesprochen und nicht von Mr. und Mrs. Einige für uns völlig geläufige Begriffe werden "übersetzt", so steht statt Greenhorn im Text Grünhorn, während der Begriff Union (für Gewerkschaft) bestehen bleibt. Das hatte für mich keine Kontinuität, aber möglicherweise war das beim Erscheinen des Romans anders.

Der Roman lebt nicht von seiner Story, sondern von dem Blick von unten, vom Anprangern der Ungerechtigkeit. Dies wird überdeutlich durch die Gegenüberstellung des verschwenderischen Luxus' für die Hochzeit und den Zuständen in den Schlafräumen und Kantinen der Angestellten. Eindrucksvoll ist die schiere Ohnmacht der Gäste, als das Personal nach dem mittäglichen Kartoffelaufstand eine halbe Stunde auf sich warten läßt. Da ist niemand in der Lage, selbst nach einer Zeitschrift zu suchen oder ein Kleidungsstück aufzuheben. Als es am Abend zu einem weiteren Aufstand eines Teils der Angestellten kommt, wendet sich das Blatt und plötzlich wird deutlich, wie wichtig die kleinen Räder im Getriebe sind und was man gemeinsam erreichen kann.

Besser als im Nachwort kann man den Roman nicht zusammenfassen: "Unter seiner schlichten Oberfläche" gehe es um Probleme, "die nichts an Aktualität verloren haben", es gehe "um nichts weniger als den Umgang mit Differenz und die Möglichkeiten gemeinsamen politischen Handelns." (S. 248) Insgesamt ist das Nachwort eine absolute Bereicherung für diesen Roman, auch um sich über das tragische Leben der mir bisher völlig unbekannten Autorin ein zumindest kleines Bild zu machen.

Hervorzuheben ist die wirklich schöne Aufmachung des Buches, mit passender Schrifttype auf dem Cover, Goldprägung und Lesebändchen. Jede Kapitelüberschrift und auch die Seitenzahlen werden von kleinen Ornamenten im Art Deco-Stil begleitet. Das sind liebevolle Details und die kann man ruhig mal erwähnen.

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Veröffentlicht am 12.01.2024

Im dunklen, dunklen Wald

Dunkelhaus
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Der pensionierte Hauptkommissar Harald Uteng ist endlich bereit, in einem Krimipodcast über einen seiner alten Fälle zu sprechen. Gerade ist die erste Folge aufgenommen, da ist Uteng auch schon tot. Alles ...

Der pensionierte Hauptkommissar Harald Uteng ist endlich bereit, in einem Krimipodcast über einen seiner alten Fälle zu sprechen. Gerade ist die erste Folge aufgenommen, da ist Uteng auch schon tot. Alles sieht nach einem Unfall aus, denn der Pensionär hat ganz gerne mal einen Schluck getrunken. Anton Brekke, Kommissar in Oslo, läßt dieser Tod jedoch keine Ruhe. Hat vielleicht alles mit dem alten Fall von 1991 zu tun, in dem er selbst ermittelt hat? Der Mörder der 17-jährigen Malin wurde jedoch verurteilt, denn die Beweise waren erdrückend. Der kleine Ort Aremark wird nun nochmals erschüttert.

Die Handlung wird auf zwei Zeitebenen erzählt. Die aktuellen Ermittlungen wechseln sich mit den Ereignissen von 1991 ab. Wir lernen die jeweiligen Akteure des Dorfes kennen und wissen bereits, dass hier irgendwo mindestens noch ein Täter unterwegs sein muss. In kurzen Kapiteln wird die Geschichte schnell vorangetrieben. Die Handlung ist gespickt mit Verdächtigen und unheimlichen Momenten. Kommissar Brekke ist jedoch kein auffälliger Charakter und beherrscht deswegen den Roman auch nicht, er bleibt ein wenig blass. Der Thriller liest sich sehr gut, man ist schnell mitten im Geschehen und verfolgt, wie sich Spuren ergeben und wieder im Sande verlaufen.

Insgesamt ein solider Thriller, der alle erforderlichen Kriterien erfüllt. Es gibt zahlreiche Fährten und man ist nie ganz sicher, ob man jetzt auf das "richtige Pferd" gesetzt hat oder nicht. Für ein absolutes Highlight reicht es jedoch nicht.

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