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Veröffentlicht am 15.09.2016

Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens

Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens
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Aus dem kleinen chiliverrückten Mädchen Eva, das bei Tante und Onkel aufwächst, wird einmal eine unglaublich begabte Köchin werden. Doch der Weg vom Kinderzimmer in die großen Küchen ist ein weiter, bunter, ...

Aus dem kleinen chiliverrückten Mädchen Eva, das bei Tante und Onkel aufwächst, wird einmal eine unglaublich begabte Köchin werden. Doch der Weg vom Kinderzimmer in die großen Küchen ist ein weiter, bunter, aber auch steiniger Weg. Ryan Stradal nimmt uns mit auf diese kulinarische Reise, lässt uns Evas Leben durch die Augen anderer sehen. Egal ob das ihr Vater, die Cousine oder ein heimlicher Verehrer ist, alle haben ihre ganz eigene Sicht auf Eva, kennen sie mal besser, mal schlechter. Diese Erzählweise fand ich sehr außergewöhnlich und spannend, lernt man Eva doch nicht von „Innen“ kennen, sondern muss sich erst puzzleähnlich ein Gesamtbild von ihr machen. Dementsprechend fällt es etwas schwer sie als Hauptperson zu betrachten, jeder Erzähler ist in seinem Kapitel seine eigene Hauptperson, während Eva z.T. nur als Nebenfigur auftaucht. Trotzdem mochte ich sie. Diese epidsodenhafte Erzählung macht dem Leser die Orientierung manchmal etwas schwer, v.a. wenn man das Buch nicht relativ zügig lesen kann.
Stradal hat jedoch nicht nur Evas Leben in den Mittelpunkt seiner Erzählung gestellt, sondern die Liebe zum Kochen und die Blüten, die aktuelle Foodtrends der letzten Jahre so treiben. Garniert wird alles stilecht mit schönen Rezepten, die sich hervorragend in die Geschichte einbinden. Sowohl thematisch, als auch erzählerisch hat Stradal hier voll meinen Geschmack getroffen.
Fazit: Stradals Buch ist irgendwie anders, jedoch verdammt lecker und sehr unterhaltsam zu lesen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Toller Serienauftakt

Der Trümmermörder
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Winter, 1947: Hamburg liegt in Schutt und Asche. Die Menschen kämpfen ums Überleben in diesem harten Winter, es mangelt an allem. Auch an Menschlichkeit, denn eines Tages wird eine nackte Frauenleiche ...

Winter, 1947: Hamburg liegt in Schutt und Asche. Die Menschen kämpfen ums Überleben in diesem harten Winter, es mangelt an allem. Auch an Menschlichkeit, denn eines Tages wird eine nackte Frauenleiche aufgefunden. Kurioserweise mit gepflegtem Äußeren und gutem Ernährungszustand. Oberinspektor Stave nimmt die Ermittlungen auf…
Cay Rademacher hat sich von einem wahren Fall inspirieren lassen, denn im Winter 1947 trieb in Hamburg wirklich ein Trümmermörder sein Unwesen. Er fängt den Alltag der damaligen Zeit sehr gut ein: die Kälte, das Elend, den Hunger. Auch die ständige Präsenz der britischen „Befreier“ kommt gut zur Geltung. Eine Zeit, in der die „Schuldigen“ des Naziregimes hinter Gittern sitzen. Theoretisch zumindest, viel zu viele sind davongekommen und versuchen in der Masse unterzutauchen. Man weiß also immer noch nicht wem man trauen kann. Rademachers Hauptfigur Stave hat mir sehr gut gefallen. Auch an ihm sind die Kriegsjahre nicht spurlos vorübergegangen, die Frau im Bombenhagel umgekommen, der Sohn irgendwo hinter den Frontlinien vermisst. Stave kämpft für Gerechtigkeit und gegen die widrigen Umstände. Man fiebert mit ihm mit und hat immer ein bisschen Angst, dass er dem Druck nicht standhalten kann. Der Autor erzählt flüssig und ansprechend, beschönigt nichts. Historische Zahlen und Fakten werden gut eingebunden, immer wieder wird die kritische Situation an lebensechten Beispielen verdeutlicht. Die Polizei leidet ebenso unter Rationierungen wie die Bevölkerung.
Mir hat diese Mischung aus realen Fakten und Fiktion sehr gut gefallen, der Erzählstil war sehr flüssig und die Handlung spannend. Der nächste Fall von Stave darf gerne kommen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Mein Name ist Freedom

Freedom's Child
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Freedom Oliver ist eine außergewöhnliche Frau, die weiß wie der Boden der Tatsachen aussieht. Sie jobbt in einer zwielichtigen Kneipe, trinkt mit Begeisterung mal einen (oder mehrere) weit über den Durst, ...

Freedom Oliver ist eine außergewöhnliche Frau, die weiß wie der Boden der Tatsachen aussieht. Sie jobbt in einer zwielichtigen Kneipe, trinkt mit Begeisterung mal einen (oder mehrere) weit über den Durst, flucht und schimpft den lieben langen Tag. Doch hinter dieser Fassade verbirgt sich etwas ganz anderes. Freedom hieß früher mal Nessa. Früher, da hatte sie Mann und Kinder; doch dann ist Einiges schief gelaufen und Nessa wurde dank des Zeugenschutzprogramms zu Freedom. Und ist seitdem auf der Flucht vor der Vergangenheit; doch jetzt droht diese sie einzuholen.

Mein Name ist Freedom. Mit diesem Satz beginnt quasi jedes Kapitel; diese Wiederholung fand ich unglaublich gelungen, so als ob die Protagonistin sich immer selbst bestärkt. Apropos Stärke, Freedom ist eine starke Frau. Sie muss Unglaubliches aushalten, auch wenn das nicht spurlos an ihr vorüber ging. Wer Wert auf gesittete Wortwahl legt, sollte sich von Freedom fernhalten, denn ihre raue Schale spiegelt sich in einer rauen Sprache wieder. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, und das ist noch sehr beschönigt. Auch sonst ist sie kein Vorzeigefrauchen, trotzdem war sie mir sympathisch. Im Gegensatz zu so einigen anderen Figuren, die einem regelrecht widerlich anmuteten. Jax Miller hat definitiv das Talent ihren Figuren Leben einzuhauchen, Pappkameraden waren hier nicht zu finden. Ihr Erzählstil hat mir sehr gut gefallen, die derbe Sprache fand ich äußerst passend. Die Spannung ist durchgehend auf hohem Niveau und Miller kommt immer wieder mit einer Überraschung um die Ecke, sodass die rasante Story nie langweilig wird. Einige Motive waren nicht brandneu, aber Millers Interpretation schon. Freedom’s Child ist für mich ein sehr gelungenes Debut und ich hoffe, dass die Autorin bald Neues liefert.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Großartige Novelle

On Chesil Beach
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Florence und Edward sind ein Traumpaar ihrer Zeit. Anfang der 1960er Jahre sind beide 22 Jahre alt, aus ordentlichem Elternhaus, haben eine solide Ausbildung und ein Studium hinter sich. Jetzt haben sie ...

Florence und Edward sind ein Traumpaar ihrer Zeit. Anfang der 1960er Jahre sind beide 22 Jahre alt, aus ordentlichem Elternhaus, haben eine solide Ausbildung und ein Studium hinter sich. Jetzt haben sie den nächsten logischen Schritt gewagt, sind vor den Traualtar getreten. Doch schon die erste Nacht birgt Probleme. Probleme über die man in diesen Zeiten natürlich nicht offen sprechen kann, in der wage Auskünfte aus noch wageren Aufklärungsbüchern alles sind was man über das Vorgehen zwischen (natürlich ehelichen) Bettlaken erfährt.

McEwan hat zwei grundsympathische Figuren geschaffen, mit ganz gewöhnlichen Ecken und Kanten. Und doch sind sie für den Leser etwas Besonderes, man fiebert mit ihnen mit und wünscht ihnen alles Glück. Ein Glück, dem sie selbst am meisten im Wege zu stehen scheinen. Eben weil man nicht offen über Gefühle, Sehnsüchte oder Sexualität spricht. Als Leser weiß man welche Ängste, Gefühle und Gedanken beide umtreiben, kennt ihr Innenleben genau, dem Gegenüber spielen sie jedoch die von der Gesellschaft zugedachte Rolle vor. Ein paar offene Worte wünscht man den beiden, das Quäntchen Mut um aus dem starren Korsett der vorgefertigten Rollen auszubrechen.

Die Geschichte fährt auf zwei Zeitschienen, einmal befindet sich der Leser im aktuellen Geschehen des Hochzeitsabends, zum anderen nimmt uns McEwan mit in die Kindheit und Jugend der beiden Akteure. Schon anhand der Vorgeschichte kann man den Konflikt erahnen, auf den die Geschichte zusteuert, gekonnt baut McEwan Spannung auf. Dafür lässt er sich Zeit und diese Zeit kann man als Leser nur genießen. Denn diese Story ist gleichzeitig auch ein gelungenes Spiegelbild jener Jahre, die von der Freiheit der 68er Jahre noch meilenweit entfernt sind. Sehr bildhaft und lebendig wird die Geschichte, ein traurig-melancholischer Ton schleicht sich irgendwann dazu. McEwan hat großartige tragische und mitreißende Bücher wie Saturday oder Atonement geschrieben. On Chesil Beach muss sich hinter diesen wahrlich nicht verstecken.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Weiter, immer weiter

The Road
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Amerika, irgendwo in der Zukunft. Die Menschheit steht vor ihrem Ende, die Erde ist verbrannt, die Natur zerstört, die Zivilisation quasi zusammengebrochen. Ein Mann und sein Sohn gehen trotzdem ihren ...

Amerika, irgendwo in der Zukunft. Die Menschheit steht vor ihrem Ende, die Erde ist verbrannt, die Natur zerstört, die Zivilisation quasi zusammengebrochen. Ein Mann und sein Sohn gehen trotzdem ihren Weg, entlang der Straße. Gen Süden, in der Hoffnung auf… ja auf was eigentlich?

McCarthys düstere Dystopie hat Kultstatus erreicht, wurde unter anderem mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet, verfilmt und von vielen gelobt, höchste Zeit also sie mal selbst zu lesen.

Die Handlung lässt sich kurz zusammenfassen: Mann und Junge wandern auf einer Straße, buchstäblich durchs Nichts, auf dem Weg nach Nirgendwo. Und doch ist The Road viel mehr als reduzierte Handlung. Eine berührende Geschichte über Vater-Sohn-Beziehungen. Eine Geschichte über Hoffnung und starken Willen. Ein düsterer Blick auf das, was die Menschheit so schön Zivilisation und Nächstenliebe nennt. Oder zumindest das, was davon im Ernstfall übrig bleibt. Eine Betrachtung der kleinen Details des Lebens. Ein Buch mit einer reduzierten, klaren, aber gleichzeitig unglaublich intensiven Sprache, die doch so viel mehr ausdrückt als es 1000 blumige Worte gekonnt hätten. Eine deprimierende Endzeitatmosphäre, die einen bedrückt und nachdenklich macht.

McCarthy kommt ohne Kapitel aus, ohne Anführungszeichen etc. und gibt so dem Buch ein ähnlich trübes Aussehen wie der Welt selbst. Vater und Sohn bleiben namenlos, einfach weil Namen nicht mehr wichtig sind in dieser Welt aus Asche und Rauch. Zuerst fragt man sich schon warum die Welt so ist wie sie ist. Doch das tritt irgendwann in den Hintergrund, viel wichtiger die Frage ob und wie die beiden weiterleben können, während man gleichzeitig überlegt ob der Tod nicht doch gnädiger für beide wäre.

The Road hat mich auf ganzer Linie überzeugt, gerade weil McCarthy mit wenig so unglaublich viel ausdrückt.