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Veröffentlicht am 14.07.2018

Die Geschichte eines Wiener Grantlers

Horak hasste es, sich zu ärgern
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Der Dackel auf dem Cover ist nicht Horak. Nein, das wird Moritz vom Hern Oberndorfer sein. Der lebt, genau wie Professor Erwin Horak in der Wiener Josefstadt, dem 8. Bezirk in der Pfeilgasse 28. Horak, ...

Der Dackel auf dem Cover ist nicht Horak. Nein, das wird Moritz vom Hern Oberndorfer sein. Der lebt, genau wie Professor Erwin Horak in der Wiener Josefstadt, dem 8. Bezirk in der Pfeilgasse 28. Horak, der alte Griesgram, lehrt am Gymnasium Albertgasse Mathematik und Physik, mag keine Hitze, keinen Schweiß auf der Stirn, keine gurrenden Tauben auf den Dächern ringsum, keine Autos, die sich durch die Gassen quälen. Er kann seine Nachbarn nicht leiden, seine Schüler erst recht nicht. Nur mit Kurt Gruber, den er seit über 30 Jahren kennt, spielt er einmal in der Woche im Cafe Hummel Karten. Aber würde er Kurt als seinen Freund bezeichnen? Bestimmt nicht. Ausserdem ist Kurt nun in Rente und will mit seiner Frau Resi das Leben genießen. Horaks Leben ändert sich von einem Tag auf den Anderen, als sich Elfriede Steiner, die eine Trafik führt, zu ihm an den Tisch setzt und versucht mit ihm ein Gespräch zu beginnen...

Mir hat die Geschichte der beiden Menschen, die Karoline Cvancara hier erzählt und die ca. eine Woche dauert, sehr gut gefallen. Der Professor wird hier trotz seiner ruppigen, humorlosen, abweisenden und unfreundlichen Art so liebevoll gezeichnet, dass ich Elfriede Steiner gut verstehen kann, dass sie unbedingt zu seinem, wie sie hofft, weichen Kern durchdringen will. Die beiden sehe ich immer mal wieder wie Loriots Müller-Lüdenscheid und Doktor Kloebner in der Badewanne sitzen und über Nichtigkeiten diskutieren. Horak und Elfriede sitzen in einem Wiener Traditionscafe, dem Hummel, das sich beide als ihr "Wohnzimmer" für den Abend auserkoren haben. Horak will hier in Ruhe essen, seine Zeitung lesen, eine Zigarre rauchen und vor allem in Ruhe gelassen werden. Elfriede will sich nach des langen Tages Mühen einfach nur entspannen und landet, als sie keinen freien Tisch findet, ausgerechnet am Tisch von Horak.

Ganz langsam entspinnt sich, naja ein Gespräch kann man es nicht nennen, ein minimaler Dialog und Gedankenaustausch zwischen den Beiden, der anfangs eigentlich nur von Elfriede am laufen gehalten wird. Sie ist nicht gewillt, Horak in seiner selbst gewählten Grimmigkeit zu belassen und setzt sich von nun an jeden Abend an Horaks Tisch. Ich habe das Gefühl, direkt neben den Beiden zu sitzen, Mäuschen zu spielen und ich warte darauf, was gleich geschieht.
Aber eigentlich geschieht nichts. Ausser, dass Elfriede jeden Abend ein ganz klein wenig näher an den Griesgram heran kommt. Und er scheint es zu genießen. Denn Elfriede lässt sich nicht von ihm einschüchtern und das scheint Horak zu gefallen.

Eine ganz wunderbare Geschichte über zwei so unterschiedliche Menschen, die doch ganz langsam zueinander finden. Und das alles in einem wunderbaren Cafe, wo ich bei meinem nächsten Wien-Besuch auf alle Fälle mal eine Wiener Melange trinken und das einzigartige Wiener Flair genießen werde.

Veröffentlicht am 13.07.2018

Eine unerfüllte Liebe in Lappland

Helle Tage, helle Nächte
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Als Anna Albinger die Diagnose Krebs bekommt, will sie unbedingt noch ein paar Sachen regeln. Sie schreibt Briefe. Einen dieser Briefe soll ihre Nichte Frederike nach Lappland zu Petter Svakko bringen, ...

Als Anna Albinger die Diagnose Krebs bekommt, will sie unbedingt noch ein paar Sachen regeln. Sie schreibt Briefe. Einen dieser Briefe soll ihre Nichte Frederike nach Lappland zu Petter Svakko bringen, der andere ist für Frederike selbst. Wer dieser Petter ist, darüber schweigt sich Anna aus.
Mit ihrem roten VW-Bus macht sich Frederike auf den mehr als 3000 km langen Weg von Süddeutschland über Berlin, Rostock, Trelleborg, Stockholm, Uppsala, Härnosand nach Jokkmokk. Unterwegs wundert sie sich immer wieder, woher sie die schwedische Sprache so gut versteht?

Hiltrud Baier erzählt in ihrem Debütroman eine Familiengeschichte über mehrere Generationen, besonders aber von zwei starken, sympathischen Frauen – Anna und Frederike. Es ist aber auch die Geschichte der von Annas Schwester Marie, ihrer schwedischen Mutter Ibba, die in dem kleinen Ort Beuren nie heimisch geworden ist, von Maries Tochter Frederike und deren Tochter Paula.

Abwechselnd lassen mich Anna und Frederike an ihrem derzeitigen Leben teilhaben. Jede für sich lässt ebenso in Gedanken ihr Leben an sich vorbei ziehen. Anna will endlich ihre Lebenslüge aufdecken mit der sie zwei Menschen ungemein weh getan zu haben glaubt. Petter braucht Zeit für sich um Annas Brief zu verdauen und Frederike ist einfach nur wütend und enttäuscht und braucht ebenfalls Zeit, die sie in der Einsamkei von Petters Hütte findet. Gerade Petters Reaktion und seine Kommentare zu diesem Brief haben mir sehr gut gefallen.

Durch die detailgenauen, sehr persönlichen und eindringlichen Beschreibungen von Anna und Frederike, kann ich mich sowohl in die eine, als auch in die andere sehr gut hineinversetzen. Dadurch kann ich die lauten, erbosten und wütenden Momente gut nachvollziehen und verstehen. Es gibt in diesem Buch aber auch viele stille, sehr einfühlsame und nachdenkliche Momente an denen ich teilhaben darf und die ich sehr genossen habe.

Die Geschichte bietet einige sehr schöne Gelegenheiten zum Nachdenken. Ich habe mit Frederike und Anna, die beide eine ganz andere Sicht auf verschiedene Dinge haben, gelitten und geschmunzelt. Ich habe mit Frederike die Schönheit eines kleinen Flecken Lapplans erkundet; habe mit Anna gegen ihre Krankheit gekämpft. Und ganz zum Schluss ist bei mir eine kleine Träne geflossen.

Hiltrud Baier hat mich mit dieser Geschichte über drei sehr verschiedene Menschen sehr berührt und mir ein Leseerlebnis geschenkt, das ich so schnell nicht vergessen werde.

Veröffentlicht am 11.07.2018

Eine fesselnde Familiengeschichte

Als die Tage nach Zimt schmeckten
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"Als die Tage nach Zimt schmeckten" erzählt die Geschichte von dem aus Russland stammenden Zod, dessen Lebensgeschichte ich in Rückblicken immer näher komme. Sie erzählt auch die Geschichte von Noor, die ...

"Als die Tage nach Zimt schmeckten" erzählt die Geschichte von dem aus Russland stammenden Zod, dessen Lebensgeschichte ich in Rückblicken immer näher komme. Sie erzählt auch die Geschichte von Noor, die zusammen mit ihrem Bruder Mehrdad vom Vater nach Amerika geschickt wurde um sich hier, wie viele Perser damals, ein neues Leben aufzubauen. Ich lerne verstehen, warum Zod seine Kinder ins ferne Amerika geschickt hat.

Ich sehe vor meinen Augen, wie Zod jeden Tag vor dem Cafe Laila sitzt und auf den Postboten wartet, der hoffentlich an diesem Tag einen Brief aus dem fernen San Francisco von seiner Tochter Noor bringt. Bis sie nach der Trennung von ihrem Mann Nelson zusammen mit Tochter Lilly nach 30 Jahren vor der Tür ihres schwerkranken Vaters steht. Sehr anschaulich erfahre ich, welchen Problemen, Risiken und Gefahren Frauen auch heute noch im Iran ausgesetzt sind. Lilly, die voll und ganz Amerikanerin ist und kein Wort Farsi spricht, hat es im Land ihres Großvaters nicht leicht.

Wie ein Märchen aus Tausend und eine Nacht, das man in die reale Welt hineingeworfen hat, bringt mir die Geschichte Persien, die Menschen dort und auch die Küche nahe.

Donja Bijan hat eine sommerlich leichte, manchmal tiefgründige Familiengeschichte geschrieben und mich kurzzeitig in eine andere Welt versetzt.
Mir hat dieses Buch, bis auf die Zeitsprünge, an die ich mich erst gewöhnen musste, sehr gut gefallen.
Ich bin gefesselt von einer Geschichte, die mir an manchen Stellen richtig ans Herz gegangen ist.

Veröffentlicht am 10.07.2018

Ein Leben als Hermaphrodit

Middlesex
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Middlesex ist die Geschichte von Cal bzw. Calliope Stephanides, einem Hermaphroditen aus Detroit und ihrer Familie.
Sie erzählt die Geschichte ihrer Großeltern, den Geschwistern Desdemona und Lefty, die ...

Middlesex ist die Geschichte von Cal bzw. Calliope Stephanides, einem Hermaphroditen aus Detroit und ihrer Familie.
Sie erzählt die Geschichte ihrer Großeltern, den Geschwistern Desdemona und Lefty, die wegen des Türkisch-Griechischen Krieges 1920 aus der Türkei zuerst nach Smyrna und von dort nach Amerika fliehen. Bei der Überfahrt mit dem Schiff heiraten sie. Großmama Desdemona erfährt erst kurz vor ihrem Tod welche Folgen sie mit ihrer Heirat und ihrer Liebe, die nicht hätte sein dürfen, herbei geführt hat.
Ich lese vom Zusammenkommen ihrer Eltern und ihrer Geburt. Erst im letzten Drittel geht es um ihn/sie selbst, die beide Geschlechter in sich trägt. Wie geht eine junge Frau damit um, wenn sie mit 22 Jahren erfährt, dass sie auch ein Junge ist? Der Intersex wird aber nicht Hauptthema, sondern fließt scheinbar nebensächlich, vor allem sehr leicht, aber doch eindringlich in die Geschichte ein.

Dieser Roman ist einer der besten, die ich bisher gelesen habe. Eine Familiengeschichte, in der ich meine seit fast 90 Jahren dabei bin. Ich lerne die einzelnen Familienmitglieder recht gut kennen und nehme an allen Abschnitten ihres Lebens teil. Egal ob ihr Leben gerade im Aufwind steht oder sie sich in einer Talsohle befinden. Es ist schön, dabei sein zu dürfen. Denn auch die Alltäglichkeiten haben ihren Reiz und werden niemals langweilig.

Ich mag den feinen, einfallsreichen, farbigen Schreib- und Erzählstil von Jeffrey Eugenides, der hier so vielfältige, vielschichtige und unterschiedliche Personen erschaffen hat, hier sehr. Haben mich die 700 Seiten zuerst abgeschreckt, fand ich es am Schluss sehr schade, dass die Geschichte schon auserzählt war.

Eine wunderbare Geschichte voller Menschlichkeit, Humor, Spannungen, Leichtigkeit und Tiefe, manchmal mit einer Träne im Auge, vor allem aber absolutem Lesevergnügen.

Veröffentlicht am 09.07.2018

Ein Leben zwischen München und Mallorca

Gruppentherapie
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Ben Valdern ist gerade mal 30 Jahre alt, als der bodenständige Architekt aus München-Schwabing sein Architekturbüro und damit seine Existenz in den Sand setzt. Sein guter Freund Sascha vermittelt ihm einen ...

Ben Valdern ist gerade mal 30 Jahre alt, als der bodenständige Architekt aus München-Schwabing sein Architekturbüro und damit seine Existenz in den Sand setzt. Sein guter Freund Sascha vermittelt ihm einen Auftrag nach Mallorca an den Ballermann. Hier verdient Ben ab jetzt im "UNIVERSUM" als Partysänger Benny Biber sein Geld. Bis er eine neue Stelle als Architekt im Büro Zöllner & Zöllner angeboten bekommt und sich die Tochter des Inhabers auch noch in ihn verliebt. Ab jetzt steht Ben unter Stress mit 2 Jobs. Denn den Ballermann und die Liason mit der Barfrau Eva will er nicht aufgeben.

Für mich ist "Gruppentherapie" das erste Buch von Autor Friedrich Kalpenstein. Aber es wird definitiv nicht das letzte sein.
Ich bin von seinem Schreib- und Erzählstil begeistert. Spritzige Dialoge, Situationskomik vom Feinsten und eine Geschichte, die einfach perfekt passt. Die kulturellen Unterschiede in Bens Leben, einerseits seine Auftritte am Ballermann, andererseits sein Leben an Clarissas Seite in der Münchner High Society, werden sehr klar dargestellt.
Mit Ben "Benny Biber" Valdern hat der Autor einen sehr sympathischen Protagonisten kreiert, den ich mir mit seiner schwarzen Perücke und der riesen Sonnenbrille auf Malle auch im wahren Leben gut vorstellen kann. Genauso aber auch in Anzug mit Kravatte in seinem seriösen Beruf im Architekturbüro.
Bei seinem dauernden Hin und Her zwischen München und Malle, zwischen Clarissa und Eva, sind Schwierigkeiten ja eigentlich schon vorprogrammiert. Aber lange Zeit meistert er dieses Doppelleben mit Bravur. Er kann sowohl mit seinen zumeist angetrunkenen Fans im UNIVERSUM umgehen, aber macht sich auch sehr gut bei den Abendveranstaltungen seines Schwiegervaters in spe. Wobei mir Vater Frank Zöllner und Tochter Clarissa von Anfang an nicht sonderlich sympathisch waren. Ganz im Gegensatz zu Bens Freund Sascha, der Bens Musik und Texte für die Sause auf Malle schreibt, und Clarissas Schwester Tina, die in München einen Dritte Welt Laden führt. Auch die anderen Handelnden haben ihre Ecken, Kanten und Macken und sind sehr gut vorstellbar. Hier und da sehe ich mich mit den Ballermann-Fans vor der Bühne stehen, kann die Songs von der CD mitsingen und feiere einfach mit.
Was mir wie immer, wenn eine Geschichte in meinem Lebensmittelpunkt München angesiedelt ist, besonders gut gefällt, dass ich mit Ben vom Architekturbüro Zöllner in Schwabing über den Karlsplatz zur Sonnenstraße, wo Sascha sein Tonstudio hat und weiter zu seiner Wohnung in der Nymphenburger Straße ziehen kann und immer genau vor Augen habe, wo ich mich gerade befinde. 

Witzige Situationskomik, spritzige Dialoge, eine amüsante Geschichte, Partyhits vom Ballermann und viele Klischees – so sehen die Zutaten für einen humorvollen Sommerroman aus. Meine Mundwinkel ziehen sich immer noch nach oben.