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Veröffentlicht am 20.03.2018

Wagemutiges Abenteuer eines verwegenen Helden, der seinen Träumen nachging

Louis oder Der Ritt auf der Schildkröte
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Der Roman mit dem verwegenen Titel „Louis oder Der Ritt auf der Schildkröte“ ist der erste aus der Feder von Michael Hugentobler. So ein wenig lässt der Titel bereits ahnen, dass die Geschichte in Richtung ...

Der Roman mit dem verwegenen Titel „Louis oder Der Ritt auf der Schildkröte“ ist der erste aus der Feder von Michael Hugentobler. So ein wenig lässt der Titel bereits ahnen, dass die Geschichte in Richtung Abenteuer geht. Louis ist der Protagonist des Romans, Louis de Montesanto hat der Autor seinen Protagonisten mit vollständigem Namen benannt. Das fiktive Leben der Hauptfigur ist angelehnt an eine reale Person, nämlich an die des Schweizers Louis de Rougemont. Der Titel steht in Bezug zu einem Foto, das den Louis des Romans gemeinsam mit einer Schildkröte zwischen den Beinen zeigt, so dass leicht der Eindruck entsteht, er würde auf ihr reiten. Aber vielleicht hat er das ja auch.

Geboren wurde Louis als Hans Roth in einem kleinen Dorf in den Schweizer Bergen Mitte des 19. Jahrhunderts. Sein Vater war Kutscher und starb vier Jahre nach seiner Geburt. Im Verhältnis zu seinem Kopf war sein Körper recht klein, so dass er physisch auffiel. Bereits als Kind wurde er verspottet und daher verließ er seine Heimat mit dreizehn Jahren, um sein Glück in der Fremde zu suchen. Nach einigen Monaten beim Pfarrer im Tal nahm er dort seinen Abschied und zog durch die Gegend. Seinen Lebensunterhalt sicherte er mehrere Jahre lang durch Gelegenheitsjobs. Als er die Schauspielerin und Schriftstellerin Emma kennen lernt folgt er ihr nach Paris, um ihr den Haushalt zu führen. Hier wird Hans zu Louis. Das ist jedoch erst der Beginn einer langen Reise, die ihn nach England, Amerika, Australien und viele weitere Orte der Welt bringt. Kurz vor der Jahrhundertwende wird er für seine Reiseerzählungen bekannt und bei einem wichtigen Vortrag in London als Lügner tituliert.

Michael Hugentobler liebt das Reisen und lässt seine Leidenschaft in seinen Roman einfließen. Mit Louis de Rougemont hat er ein Vorbild für seinen Protagonisten gefunden, das wenig bekannt, aber überaus interessant ist. Was von den Geschichten, die der reale Louis erzählte, tatsächlich wahr ist, bleibt rätselhaft. Für seinen eigenen Louis erfindet der Autor einen ganz eigenen Ablauf der Erlebnisse, die heldenhaft, verträumt, versponnen und manchmal auch grotesk sind. Unterbrochen werden die Schilderungen durch einen Sprung in die 1960er Jahre in der eine Australierin, offensichtlich auf den Spuren von Hans Roth, die Szene betritt. Diese rätselhafte Gestalt nimmt im Laufe der Erzählung immer mehr Konturen an. Neben unerwarteten Wendungen im Leben von Louis sorgt sie für einen geheimnisvollen Touch der Erzählung.

Der Roman zeigt auf, dass die Menschen sich immer schon für tollkühne, aberwitzige Geschichten besonders interessiert haben, wenn sie gut erzählt und präsentiert wurden. Dazu reichte das Printmedium der Zeitschrift oder Zeitung bereits aus, unterstützt von Mund-zu-Mund-Propaganda. Auch die damaligen Konsequenzen ähneln den heutigen, denn sobald ein vermeintliche Lüge aufgedeckt wird, echauffieren sich die Gutgläubigen, wenden sich im besten Fall ab und im schlechteren sorgen sie für weitere Häme des Betroffenen.

„Louis oder der Ritt auf der Schildkröte“ ist das wagemutige Abenteuer eines verwegenen Helden, der seinen Träumen nachgegangen ist und sich dabei gelegentlich in ihnen verstrickt hat. Der Roman erzählt von der Liebe, dem Leben eines Freigeistes, nicht ohne dabei die Schattenseiten der Unabhängigkeit zu vergessen. Ich empfehle den Roman allen Leser, die sich gedanklich gerne auf ereignisreiche Reisen begeben.

Veröffentlicht am 16.02.2018

Romantisch und mystisch

Die Rückkehr der Wale
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„Die Rückkehr der Wale“ von Isabel Morland nahm mich als Leser mit auf die Inselgruppe der Hebriden in eine karge und rauhe Landschaft, die sagenumwoben ist. Schon das Cover spiegelt etwas von der grandiosen ...

„Die Rückkehr der Wale“ von Isabel Morland nahm mich als Leser mit auf die Inselgruppe der Hebriden in eine karge und rauhe Landschaft, die sagenumwoben ist. Schon das Cover spiegelt etwas von der grandiosen Kulisse mit endlos erscheinendem Sternenhimmel und magischem Licht wieder. Dazu passen mystische Geschichten zum Beispiel von einem Leuchtturm wie er rechts auf dem Titel zu sehen ist von denen die Autorin einige im Roman erzählt. Der Titel nimmt Bezug auf das Ende des Buchs, denn nicht nur die Rückkehr der Wale wird sehnlichst von der Protagonistn erwartet.

Kayla wohnt auf Harris, einer der Hebrideninseln. Seit einigen Jahren ist sie mit dem früh verwitweten Dalziel verheiratet. Ihr inzwischen erwachsener Stiefsohn hat sich gerade dazu entschlossen, sein Glück in der Fremde zu suchen. Ihr Mann gibt ihr dafür die Schuld wie für so vieles Anderes. Die beiden haben sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Fortführung ihrer Ehe, die eigentlich nur noch deshalb besteht, weil Kayla nicht weiß, wovon sie nach einer Trennung leben soll. Eines Tages kommt der gut aussehende Brannan auf die Insel auf der Suche nach Arbeit. Kayla und er teilen sich die Liebe zur Musik und fühlen sich entgegen den Regeln der Vernunft zueinander hingezogen. Kann es für die beiden eine gemeinsame Zukunft geben?

Isabel Morland schafft für ihren Roman einen grandiosen Hintergrund. Nicht nur die Landschaftsbeschreibungen, sondern auch mystische Erzählungen ließen mich in eine ganz eigene Atmosphäre der Hebriden eintauchen. Interessant fand ich auch die in die Geschichte eingeflochtenen Traditionen und Bräuche. Sie vermittelten mir, dass die Menschen der Inseln zusammenhalten und sich in Gefahrensituationen gegenseitig unterstützen. Dennoch hatte ich als davon beeindruckte Leserin Verständnis für die Jugendlichen auf den Inseln, die es in die Ferne zieht, um sich von den eingetretenen, für sie vorgesehenen Pfaden ihrer Eltern zu lösen.

Dalziel war mir von Beginn an unsympathisch. Er trauert weiter der guten Ehe mit seiner ersten Frau nach, während er für nichts die Verantwortung übernehmen und Kayla dazu bringen möchte, ihre Ehe nach seinen Ansichten zu führen. Zum Glück greifen Freunde und Familienmitglieder schon mal begütigend ein. Für Kayla ist Brannan daher ein Trost. Von ihm erhält sie die Zuneigung, die ihr in ihrer Ehe fehlt. Für beide hoffte ich, dass sie zueinander finden werden. Die Eigenschaften der Charaktere sind eher statisch. Jedoch gibt es einige unerwartete Wendungen und ein Ende, das teilweise offen ist und zum Träumen einlädt.

„Die Rückkehr der Wale“ unterhält den Leser nicht nur mit einer romantischen, berührenden Geschichte, sondern vermittelt auch einiges von der Lebenskultur auf den Hebriden. Wer Liebesromane mag, die von einem Hauch Mystik ummantelt sind, dem kann ich dieses Buch gerne empfehlen.

Veröffentlicht am 30.10.2017

Bürokratie der Europäischen Kommission unterhaltend dargestellt

Die Hauptstadt
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In Brüssel spielt ein großer Teil der Handlung des Romans „Die Hauptstadt“ von Robert Menasse, der dafür den Deutschen Literaturpreis 2017 erhalten hat. Der Roman heißt aber nicht nur so, weil Brüssel ...

In Brüssel spielt ein großer Teil der Handlung des Romans „Die Hauptstadt“ von Robert Menasse, der dafür den Deutschen Literaturpreis 2017 erhalten hat. Der Roman heißt aber nicht nur so, weil Brüssel die Hauptstadt Belgiens und nebenbei auch Sitz der Europäischen Kommission ist, sondern weil es nach einem der Charaktere endlich an der Zeit ist, nachnational zu denken und eine Hauptstadt für Europa zu bauen, funktionell vergleichbar mit Brasilia.

Die Protagonisten des Romans lernte ich im Prolog kennen, der umklammert wird von einem Tier, nämlich einem Schwein. Man könnte meinen, hier wird dem Sprichwort nach eine Sau durchs Dorf getrieben, aber erstens rennt es geschlechtslos durch eine Stadt und zweitens ist die Ursache dazu nicht sichtbar, allerdings ist ihm Aufmerksamkeit auf der ganzen Ebene sicher. Und dabei bleibt es nicht nur für diese kurze Begebenheit, sondern das Thema „Schwein“ zieht sich durch den Roman in vielerlei Form.

Soviel Interesse wie für das Schwein wünscht sich die Leiterin der Generaldirektion Kultur der EU auch für ihr Ressort. Denn der Kultur kommt bei weitem nicht die Beachtung zu wie etwa der Wirtschaft oder der Energie verbunden mit der Diskussion um den Klimawandel. Eine Jubiläumsfeier zum 50. Jahrestag der Gründung der Europäischen Kommission soll daher das Image und damit die Bedeutung der Kultur aufwerten. Nach einer Idee der Festausrichtung wird gesucht und gefunden, doch die Umsetzung gestaltet sich schwierig durch die Notwendigkeit der Zustimmung auf nationaler Ebene der angeschlossenen Staaten.

Während die EU-Mitarbeiter an den Planungen feilen, bereitet sich einer der letzten Überlebenden von Auschwitz, der in Brüssel lebt, auf seine letzten Tage vor und ein Kommissar versucht ein vertuschtes Verbrechen aufzudecken, dass in einem zentral gelegenen Hotel Brüssels geschehen ist just an dem Tag, an dem das Schwein durch die Straßen rannte. Robert Menasse greift die losen Fäden der Erzählung auf und führt den Leser unter verschiedenen Berührungspunkten stringent durch den Roman bis hin zu einem besonders traurigen Moment in Brüssel im März 2016, der uns alle erschüttert hat.

Mit Martin Schulz und Armin Laschet sind zwei führende Politiker in diesem Jahr ins Rampenlicht getreten, die eine politische Vergangenheit auf europäischer Ebene haben und die mir vorher nur deshalb bekannt waren, weil sie hier im Grenzland zu den Niederlanden zur lokalen Prominenz gehören. Sollte ich heutige Europapolitiker nennen, käme ich ins Grübeln und ich glaube, dass es sehr vielen so geht. „Die Hauptstadt“ hat mein Augenmerk auf einen wichtigen Part unserer Geschichte gelenkt, auf die Zusammenarbeit der Staaten mit den vielen, nötigen, oft kleinteiligen Abstimmungen zur Steuerung des Schiffs Europa. Am Rand seines Romans blickt der Autor auf die Gründe zurück, die zur Zusammenarbeit der ersten Länder Europas führten.

Um seine Schilderung authentisch zu gestalten ist Robert Menasse für eine Weile nach Brüssel gezogen. Er hat dort das Alltagsleben beobachtet, den Flair der Stadt aufgenommen und vor allem Gespräche mit Arbeitnehmern der Europäischen Kommission geführt bei Kaffee und Zigarette, damit er sich in deren Denkweise hineinversetzen konnte. Seine Charaktere bringen Europa mit in die multikulturelle Hauptstadt Belgiens. Die meisten Mitarbeiter verlassen ihre Heimat, um hier zu arbeiten wie beispielsweise die Griechin und Zypriotin Fenia oder der Österreicher Martin. Der Autor blickt auf deren familiären Hintergründe und schweift in seinen Schilderungen gern mal ab auf Begebenheiten, die mir weitere Zusammenhänge in der Europapolitik aufzeigten. Und immer wieder ist auf allen Ebenen ein großer bürokratischer Aufwand zu bewältigen. Doch ich konnte die Figuren auch im Privaten Ebene begegnen: der liebenden Frau mit Hintergedanken, dem eher unwirschen und dennoch besorgten Bruder, dem auf einer Idee beharrenden und seiner Frau nachtrauernden Emeritus und auch dem Mörder.

Gewürzt mit einer Portion Sarkasmus und einer Prise Ironie gelingt es dem Autor, die große Politik Europas verbunden mit dem Intrigenspiel und Machtgerangel der Funktionäre auf allen Ebenen und taktischen nationalen Abwägungen, ob man den Vorschlägen der Europäischen Kommission zustimmen soll und will, in einer nachvollziehbaren, ansprechenden Geschichte darzustellen. Meiner Meinung nach, hat „Die Hauptstadt“ den Deutschen Buchpreis zu Recht erhalten und ich wünsche dem Roman noch viele weitere Leser.

Veröffentlicht am 27.02.2017

Vielschichtige Familiengeschichte mit gut gehüteten Geheimnissen

Meer des Schweigens
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Ein Geheimnis, eine Lüge und eine Rache sind grob gefasst nach Angabe des Klappentextes die Zutaten zum Buch „Meer des Schweigens“, dem Debütroman der gebürtigen Deutschen, heute aber in Namibia wohnenden ...

Ein Geheimnis, eine Lüge und eine Rache sind grob gefasst nach Angabe des Klappentextes die Zutaten zum Buch „Meer des Schweigens“, dem Debütroman der gebürtigen Deutschen, heute aber in Namibia wohnenden Iris Grädler. Wie auf dem Coverbild ziehen über einem kleinen Küstenort Cornwalls dunkle Wolken auf, als zuerst ein toter Hund und drei Tage später eine männliche Leiche, die in eine Plane gewickelt ist, angeschwemmt werden. Für den zuständigen Detective Inspector Collin Brown ist es der erste Mordfall seit er sich vor einigen Jahren von Southhampton an die Küste versetzen ließ. Entsprechend ungewohnt für die Teammitglieder ist die Vorgehensweise, da sie eher an beschaulich vonstattengehende Ermittlungen gewöhnt sind. Doch die Bewohner befürchten weitere Morde und drängen auf eine schnelle Aufklärung. Diese Sorge fand ich etwas zu übertrieben dargestellt. Aber zunächst sieht es so aus als ob das Meer sein Geheimnis nicht preisgeben will, wer der Tote ist und warum er ermordet wurde.

Die Erzählung besteht aus drei Erzählsträngen, die parallel verlaufen und zu denen die Autorin ohne festen Rhythmus wechselt. Neben den Mordermittlungen lernt der Leser Elisabeth kennen, die aus Australien nach Southhampton zur Beerdigung ihres Bruders Anthony gereist ist, mit dem sie zuletzt vor 20 Jahren Kontakt hatte. Warum das so, offenbart sich im Laufe des Romans. Anthonys beste Freundin und Exfrau Martha zweifelt den attestierten natürlichen Tod von ihm an.

In einer dritten Geschichte geht es um den gutsituierten, allein stehenden Frührentner Elroy Smitton und Su, die mit ihrer Tochter in einer Wohnung auf seinem Grundstück lebt. Su hat bisher wenig Glück gehabt und sieht es nun als ihre Aufgabe sich nebenher ein wenig um Elroy zu kümmern mit der Hoffnung auf eine Beziehung. Argwöhnisch und misstrauisch beobachtet sie, dass Elroy eine andere Frau kennenlernt, der er offensichtlich sehr zugeneigt ist. Unterbrochen werden die Handlungen von insgesamt zehn Geboten, die jedoch mit den allgemein Bekannten der Bibel wenig zu tun haben, sondern stattdessen einem kranken Geist zuzuordnen sein können. Der Zusammenhang wird wie so vieles es ganz zum Ende hin begreifbar.

Diese drei Erzählungen stehen zunächst ohne Zusammenhang nebeneinander bevor die erste Verknüpfungspunkt erscheint. Iris Grädler widmet sich den einzelnen Figuren ihrer Geschichte sehr ausführlich. Es entsteht jeweils eine facettenreiche Charakterisierung, die dem Leser interessante Persönlichkeiten näher bringen. Ihnen ist meistens bereits viel Unbill im Leben widerfahren. Manches mal blickt sie dabei auch unter die Oberfläche der Gesellschaft. Der Leser könnte nun aufgrund der ausführlichen Schilderungen begreifen, warum die Personen so und nicht anders handeln, wenn die Autorin nicht die wohldosierten Hintergrundinformationen erst nach und nach offenlegen würde, so dass sich auf der Suche nach weiteren Fakten ein schnelles Weiterlesen lohnt. Das trägt zum Spannungserhalt bei. Überhaupt bleibt der Spannungsbogen bis zum Schluss bestehen, flacht aber mittig durch allzu weite Ausschweifungen etwas ab. Eine der Geschichten wird unerwartet erst zum Ende hin weiter- und mit den anderen beiden Erzählungen zusammengeführt.

Ebenso wie die Personen vermag die Autorin die Umgebung so ausführlich zu beschreiben, dass man sich diese sehr gut vorstellen kann. Irritierend war jedoch eine Dienstreise Collins nach Manchester, also in den Norden Englands, in deren Zusammenhang aber mehrmals von Schotten und Schottland gesprochen wurde. Etwas übertrieben fand ich die Sorge der Bewohner des Küstenstädtchens in Hinsicht auf weitere Morde.

„Meer des Schweigens“ ist ein Kriminalroman, aber auch eine vielschichtige Familiengeschichte mit gut gehüteten Geheimnissen. Immer im Hinterkopf blieb mir die im Klappentext erwähnte Rache, die denn am Ende als Handlungsmotiv die Erzählungen miteinander verbindet und das Buch zu einem lesenswerten und unterhaltsamen Buch macht.

Veröffentlicht am 16.09.2016

Wunderbar köstlicher Lesegenuss

Leben ist keine Art, mit einem Tier umzugehen
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Als Unterprimanerin habe ich auf die Frage „Was ist der Sinn des Lebens?“ mit „nach dem Sinn des Lebens zu suchen“ geantwortet. Das hatte ich vorher irgendwo gelesen und war stolz darüber einen so sinnvollen ...

Als Unterprimanerin habe ich auf die Frage „Was ist der Sinn des Lebens?“ mit „nach dem Sinn des Lebens zu suchen“ geantwortet. Das hatte ich vorher irgendwo gelesen und war stolz darüber einen so sinnvollen Beitrag zum Unterricht geleistet zu haben. Dass die Antwort auf die Frage sich denn doch nicht ganz so einfach und pauschal abtun lässt, zeigt Emma Braslavsky mit ihrem Roman „Leben ist keine Art mit einem Tier umzugehen“. Ihre Protagonisten sind auf der Suche nach dem Lebenssinn, nach einer besseren Welt und nach sich selbst. Tiere sind nicht nur im Titel enthalten, sondern finden in vielfältiger Form Eingang in diesen Roman, beispielsweise als Kosewort, verkleideten Akteuren, Redewendungen oder auch wenn einer der Protagonist eine Annäherung zwischen Tier und Mensch durch die Nutzung von aufblasbaren Einhorn-Hörnern vorschlägt, die so wie die Installation auf dem Cover sie trägt, überzustülpen sind.

In mehreren Erzählsträngen, die mehr oder weniger zufällig am Ende zusammenlaufen, finden sich Suchende jeglicher Couleur. Da ist einerseits ein in Berlin lebendes Pärchen. Jivan Haffner Fernandez, Mitte 40, kommt aus reichem Haus und muss sich schon wegen seines Erbes keine Sorgen um seine finanzielle Zukunft machen, wäre da nicht die eine einzige klitzekleine Bedingung die sein Vater daran geknüpft hat. Woher die Familie vor langer Zeit das Fundament zum heutigen Vermögen erworben hat, will man als Leser lieber nicht so genau wissen. Leider hält Jivan sich nicht nur selbst für unwiderstehlich, sondern auch das Online-Pokerspiel. Durch seinen Beruf als Bunkerarchitekt ist er nicht eben ausgelastet und hat so jede Menge Zeit mit seinen Ideen seine Frau Jo dabei zu unterstützen, auf der Karriereleiter bei einem Unternehmen, das sich für eine bessere Umwelt einsetzt, hochzuklettern. Jo lebt sehr gut auf Kosten ihres Mannes. Die Beziehung der beiden funktioniert fast nur noch auf sexueller Ebene. Um ihre Ansprüche durchzusetzen, geizt Jo selten mit ihren Reizen. Doch die Verfolgung ihrer Karriere verbunden mit dem festen Willen die Welt zu verbessern neigt ihre Seite der Beziehungswaage immer mehr.

Andererseits befindet sich die erst 19 Jahre alte Spanierin Roana auf einer väterlich verordneten Suche. In der Einsamkeit einer Vulkanlandschaft Argentiniens soll in ihr der Wunsch entstehen, in das Bauunternehmen ihres Vaters einzusteigen. Niemand kann es ihr verdenken, dass sie sich aus Langeweile stattdessen nach Buenos Aires begibt, um dort den Weg zu finden, der sie zu höherem bestimmt. Auf diesem Weg begegnet sie menschlichen Gorillas, Kabbalisten und den Schriften von Borges. Ihrem jugendlichen Alter sei es geschuldet, dass sie ihr Fähnchen hauptsächlich danach ausrichtet, wer ihr einen Schlafplatz und Essen gibt.

Die Erzählung springt zwischen diesen beiden Handlungen und wird unterbrochen durch aktuelle Neuigkeiten aus aller Welt, die auf dem Blog N-Global bekannt gemacht werden und sich schließlich immer mehr auf eine neue, aus dem Meer aufgestiegene Insel mit vermuteten, beachtlichen Rohstoffvorkommen konzentrieren, die Staaten und Organisationen gerne für sich requirieren würden. Immer wieder begegnet der Leser auch Noah Hoffmann, der gemeinsam mit seiner Freundin Jule aus dem Alltag ausgestiegen ist und nun sein Leben in einer paradiesischen Bucht frönt, auch wenn schon mal ein Schatten darüber fällt. Und dann gibt es noch ein paar Kapitel in denen man sich beim Lesen einfach dem niedergeschriebenen Gedankengang hingeben kann wenn beispielsweise ein Haar auf seine Reise geht.

Die Autorin glänzt in diesem Roman mit lebendigen Ideen, humorvoll und kurios. In einer geschliffenen Sprache gibt sie dem Leser Denkanstöße zu Umweltschutz, Weltanschauungen, alternativen Lebensweisen und vielem mehr. In den Erzählabschnitten mit Jivan als Protagonisten übernimmt ein allwissender Erzähler die Schilderung der Ereignisse in zeitlicher Reihenfolge. Dennoch liest man, durch kursive Schrift hervorgehoben, die Gedanken Jivans, oft auch als seine Reaktion auf den vorigen Text. Auf diese Weise rechtfertigt er häufig sein Tun, manchmal fühlt man aber auch seinen Kampf mit den inneren Dämonen, die aus seiner Erziehung heraus seinen Charakter geformt haben und gegen die er nun nicht anzukommen weiß, auch wenn er das auch eigentlich gar nicht will.

Roana dagegen erzählt in der Ich-Form, wodurch der Leser, den sie als ihren Verbündeten anspricht, ihrer Gedanken- und Gefühlswelt sehr nahe kommt. Sie erzählt aus der Gegenwart heraus im Rückblick auf die letzten Wochen und Monate. Sie ist also bereits da, wo der Leser erst am Ende des Buchs sein wird. Ihr Ziel ist es, sich den Respekt ihres Vaters zu verdienen. Sie trägt ihr Herz auf der Zunge und spricht eine unter jungen Leuten übliche Alltagssprache. Bewundernswert fand ich ihren Mut sich gegen die Wünsche ihres Vaters aufzulehnen, sich tief sinken zu lassen, das Gemeinwohl zu schätzen und sich in dessen Dienst zu stellen, wenn auch nicht uneigennützig. Von Beginn an weiß man, dass sie schwanger ist und nicht nur der Leser stellt sich die Frage nach dem Vater.

Emma Braslavsky zielt mit kleinen wohl dosierten Spitzen gegen Weltverbesserer, Sinnsuchende, Forscher und Politiker. Es ist spannend nachzuvollziehen, inwieweit die von ihr genannten Entwicklungen auf verschiedenen Gebieten dem tatsächlichen heutigen und dem zukünftig möglichem Stand der Dinge entsprechen. Welchen Weg der Einzelne gehen möchte, muss letztendlich jeder selbst bestimmen.

„Leben ist keine Art mit einem Tier umzugehen“ ist ein amüsanter, kreativer, abenteuerlicher, wunderbar köstlicher Lesegenuss, dem ich meine besten Empfehlungen gebe.