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Veröffentlicht am 01.05.2017

Ein Jugendbuch über Freundschaft, Vertrauen, Akzeptanz und Selbstfindung

Meine Mutter, sein Exmann und ich
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In seinem Jugendbuch „Meine Mutter, sein Exmann und ich“ nutzt T.A. Wegberg das Thema Transgender als Hintergrund für die aktuellen Probleme des 15-jährigen Joschka. Wie der Titel es bereits verdeutlicht, ...

In seinem Jugendbuch „Meine Mutter, sein Exmann und ich“ nutzt T.A. Wegberg das Thema Transgender als Hintergrund für die aktuellen Probleme des 15-jährigen Joschka. Wie der Titel es bereits verdeutlicht, hat nicht Joschka Probleme mit seiner Geschlechtsidentität, sondern er hat Frust darüber, dass seine Mutter ihren Körper entsprechend ihrer männlichen Gefühle anpassen möchte. Lebenswege sind verschieden und manchmal ist es schwierig den richtigen zu finden. Joschkas Gedanken kreisen darum Wege zu finden, beispielsweise um seinen Traumberuf zu realisieren und vor allem aber, seine Freunde nicht durch die Selbstverwirklichung seiner Mutter zu verlieren. Sehr gut wird das durch das Cover visualisiert.

Joschkas Eltern sind schon längere Zeit geschieden. Als er und seine Zwillingsschwester Liska zehn Jahre alt sind, spricht ihre Mutter offen an, dass sie mit einer Therapie und einer Hormonbehandlung beginnen möchte um ihre körperliche Umwandlung zu einem Mann zu beginnen. Fünf Jahre später steht die abschließende Operation an und Joschka hat sich immer noch nicht damit arrangiert. Er nennt seine Mutter weiter „Mama“ statt bei seinem neu gewählten Vornamen Frederik und sorgt dafür, dass seine Freunde ihn nicht zu sehen bekommen. Liska dagegen hat keine Probleme damit.

Schließlich zieht Joschka zu seinem Vater, der inzwischen wieder verheiratet ist und mit seiner zweiten Frau einen weiteren Sohn hat, obwohl er dabei einen sehr viel weiteren Weg zur Schule in Kauf nimmt. Mit dem nach den Sommerferien beginnenden Schuljahr erhält er mit Alexander einen neuen Klassenkameraden der an einer Krankheit leidet, die dieser zu verbergen sucht. Erst durch die Annäherung an Alexander und der wachsenden Liebe zu seiner Mitschülerin Emma beginnen sich seine Prioritäten in Sachen Freunde zu verschieben und so langsam wächst sein Verständnis für den Wunsch seiner Mutter ein Mann zu sein.

Der Roman ist gedacht ab einem Alter von ungefähr 14 Jahren. Der Autor schreibt aus der Sicht von Joschka und konfrontiert den Leser mit den Problemen eines 15-jährigen Jungen, der sich darüber sorgt, dass er wegen der Geschlechtsumwandlung von Frederik ausgelacht und aus dem Freundeskreis ausgeschlossen wird. Joschka verfügt über keine besonderen Fähigkeiten wie sportliche oder technische Begabung mit denen er bei seinen Freunden punkten könnte. Er verhält sich gerne konform, um akzeptiert zu werden.

Sehr schön fand ich den Kontrast, den T.A. Wegberg mit Liska setzt. Von Beginn an spricht sie mit ihren Freundinnen über die Geschlechtsumwandlung und so entsteht hier kein Geheimnis, das zu irgendwelchen Missverständnissen führen kann. Liska freut sich über den Besuch von Freunden und ihr neuer Vater hat die Möglichkeit sich als Persönlichkeit zu zeigen und so akzeptiert zu werden. Joschka hat nun diesen Zeitpunkt verpasst. Und genau das baut eine gewisse Spannung im Roman auf, die mich schnell weiter lesen ließ, denn ich glaubte, dass irgendwann doch endlich einer von Joschkas Freunden auf Frederik treffen würde. Ich wartete ungeduldig darauf, wie Joschka dann reagieren würde.

Joschka erzählt in der Ich-Form und auf diese Weise wusste ich auch, was er in welcher Situation denkt. Er sucht ständig den Vergleich mit Jungen in seinem Alter. Die Probleme seiner Mutter hat er zwar registriert, aber ausgeblendet. Sein Vater und seine Stiefmutter verschließen sich seinen Problemen. Sie verlangen von ihm, dass er Verantwortung übernimmt. Aber immer wieder scheitert er daran. Das trägt nicht dazu bei, sein Selbstbewusstsein zu steigern und so lobt er sich selbst für all das, was ihm gelingt. Seine Freundschaft zu Alexander zeigt ihm, wie es ist, vor einem Geheimnis zu stehen. Als er merkt, dass er damit umgehen kann und nun auch jemanden hat, den er ins Vertrauen ziehen kann, wird es deutlich einfacher für ihn sich gegenüber anderen zu öffnen. Jugendliche Leser des Romans werden hier allerdings genau wie Joschka keine abschließenden Antworten zum Thema Transgender finden.

„Meine Mutter, sein Exmann und ist“ ist ein Buch über Freundschaft, Vertrauen, Akzeptanz und Selbstfindung und darüber, dass es nicht auf das Äußere, sondern auf die Persönlichkeit ankommt. Der Schreibstil ist locker und amüsant. Daher vergebe ich gerne eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 26.04.2017

Adel verpflichtet

Altenstein
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„Altenstein“ ist der Debütroman von Julie von Kessel. Ihre Geschichte dreht sich um den Verlust und die spätere Enteignung von Hab und Gut einer fiktiven alten Adelsfamilie in Ostpreußen. „Altenstein“, ...

„Altenstein“ ist der Debütroman von Julie von Kessel. Ihre Geschichte dreht sich um den Verlust und die spätere Enteignung von Hab und Gut einer fiktiven alten Adelsfamilie in Ostpreußen. „Altenstein“, der Sommersitz der gräflichen Familie von Kolberg, gehört dazu. Hier geht es nicht nur um Gebäude, sondern vor allem um wertvolle weitläufige Bodenflächen.

Eine der Protagonisten ist Agnes von Kolberg, die zweite Frau von Kuno, dem Erben und Oberhaupt der Familie. Sie sieht sich gern als Blume und ihre Kinder als Blütenblätter die sie ausschmücken. So ist denn sinnbildlich die Blume auf dem Cover zu verstehen mit den drei Blütenblättern auf der linken Seite, die für die drei Töchter von Agnes aus erster Ehe stehen und fünf auf der rechten Seite, die ihre zwei Töchter und drei Söhne, von denen einer bereits bei der Geburt verstorben ist, aus der Ehe mit Kuno symbolisieren. Auch Kuno hat aus seiner ersten Ehe drei Töchter.

Konrad ist der jüngste der Geschwister. Er ist ein letztes, von Agnes ertrotztes Kind und wird mitten im Krieg geboren. Neben Agnes ist er es und die nächst geborene ältere Schwester Marie Elisabeth, genannt Nona, auf denen der Fokus der Erzählung vor allem ruht. Nachdem nicht nur die Heimat in Ostpreußen verloren ist, sondern auch der Besitz von Altenstein in Brandenburg aufgegeben werden musste, findet die inzwischen verwitwete Agnes mit ihren Kindern im rheinischen Bonn eine neue Bleibe. Zwar hat sie nur noch wenig Geld zur Verfügung, legt aber weiter bei der Erziehung ihrer Kinder Wert auf Anstand und Standesbewusstsein und Respekt ihr selbst gegenüber. Nona und Konrad jedoch widersetzen sich immer wieder. Sie sind es auch die nach der Wende nach Altenstein fahren und dann nach einer Möglichkeit suchen, das Anwesen zurück zu erhalten.

Julie von Kessel stammt selbst aus einer Adelsfamilie wie sie sie im Roman beschreibt. Daher gelingt es ihr, die Charaktere im Roman authentisch zu gestalten. Bereits beim Lesen ist mir aufgefallen, dass ungewöhnlich viele Mitglieder der Familie von Kolberg im diplomatischen Umfeld arbeiten und so ist es auch in der Familiengeschichte der Autorin selbst. Diese von Beginn an weltgewandten Menschen haben auf ihren Landgütern immer eine beständige Heimat gehabt und dadurch die Möglichkeit in den „Schoss der Familie“ zurück zu kehren. Die Häuser waren groß genug um etliche Personen zusätzlich aufzunehmen. Die Güter warfen genügend Lebensmittel ab, um ohne Not weitere Familienangehörige zu ernähren. So wie die Familie von Kolberg standen viele Adelsfamilien aus Ostpreußen vor dem Nichts. Ihren Stolz und ihre Weltoffenheit haben viele dabei behalten und in neuer Form versucht, sich zu verwirklichen.

Mit Konrad bringt die Autorin auch ein Beispiel dafür, dass nicht jeder seiner Rolle gerecht wird. Nona bricht bewusst aus dem für sie durch Agnes vorgesehenen Lebensweg aus; sie wechselt den Beruf und den Ehemann. Eigentlich zählten Mädchen in der Erbfolge wenig und der Besitz fiel grundsätzlich an den ältesten Sohn. Doch Agnes hat für ihre Kinder eine andere Aufteilung vorgesehen. Als nun Hoffnung auf eine Rückgabe des Anwesens beziehungsweise einen finanziellen Ausgleich aufkeimt, kann der älteste Sohn seinen Unmut über testamentarisch Festgelegte Teilung des Erbes zurück halten. Selbst über den Tod von Agnes hinaus behalten die Geschwister mit wenigen Ausnahmen ihr Klassendenken. Konrad gibt sich auch nach außen hin immer noch gerne als Graf. Untereinander herrscht ein freundlicher Umgangston, der jedoch im Detail gesehen ruppig wird. Vor klaren Ansagen scheint keiner zurück zu schrecken. Obwohl die Hilfsbereitschaft von jedem für seine Familienangehörigen da ist, hört sie wohl bei finanziellen Angelegenheiten auf.

Julie von Kessel konfrontierte mich in ihrem Roman mit einer Familie die einen Teil deutscher Geschichte gelebt hat. Zu den geschichtlichen Hintergründen hätte ich mir an einigen Stellen mehr Informationen gewünscht. Zu Beginn des Buchs findet der Leser eine Auflistung der einzelnen Kapitel mit örtlichen Gegebenheiten und eine Aufzählung der Familienmitglieder. Doch die zeitlichen Sprünge von Kapitel zu Kapitel verbunden mit wechselnden Personengruppen forderten meine Aufmerksamkeit und störten immer wieder meinen Lesefluss.

Die Charaktere im Buch sind abwechslungsreich gestaltet, die Schauplätze manchmal ungewöhnlich und interessant. Für die Erzählung, die glaubwürdig konstruiert ist, gebe ich gerne eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 24.04.2017

Warmherzig erzählter Debütroman

Ein fauler Gott
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Ben ist im Sommer 1972 elf Jahre und hat gerade seinen Bruder Jonas verloren. Er war dabei als Jonas im Schwimmbad anfing zu krampfen und wenige Tage später im Krankenhaus verstarb. Ben glaubt, dass Gott ...

Ben ist im Sommer 1972 elf Jahre und hat gerade seinen Bruder Jonas verloren. Er war dabei als Jonas im Schwimmbad anfing zu krampfen und wenige Tage später im Krankenhaus verstarb. Ben glaubt, dass Gott keine Lust dazu hat seine Macht über die Menschen auszuüben und Freude daran findet Brüder durch den Tod zu trennen. Im Debütroman „Ein fauler Gott“ von Stefan Lohse ist das eine der unbefangenen Ansichten des Protagonisten Ben. Aber auch der verstorbene Jonas hatte seine ganz spezielle Denkweise. So lang gestreckt wie Raketen würden die Menschen in den Himmel kommen vertraut er seinem Bruder an. Die Rakete auf dem Cover lässt sich symbolisch mit Jonas verbinden, der eine solche auf dem Krankenbett als Bild visualisiert hat.

Trotz des großen Verlusts geht das Leben für Ben und seine geschiedene Mutter weiter. Ben besucht nach den Ferien die 5. Klasse des Gymnasiums und lernt neue Freude kennen. Neue Schulfächer fordern seine Aufmerksamkeit. Davon erzählt er auch zu Hause und bietet damit seiner Mutter ein wenig Abwechslung in ihrer Einsamkeit. Wie die meisten Frauen zur damaligen Zeit übt sie ihren Beruf als Fremdsprachenkorrespondenten nicht mehr aus. Es bleibt ihr genug Zeit sich in ihrem Schmerz immer tiefer zu versinken. Gegenüber Ben versucht sie Normalität zu leben, zum Weinen geht sie in ihr Schlafzimmer und lässt sich von der Wärme ihrer Heizdecke in ihrem Kummer umfangen.

Stefan Lohse schildert die Geschichte als auktorialer Erzähler in einem schlichten Stil. Er lässt sich auf Augenhöhe eines Heranwachsenden nieder und fängt damit die sorglose Kindheit umso deutlicher ein. Der Autor ist Anfang der 1970er in etwa im gleichen Alter gewesen wie Ben und auch ich habe diese Zeit entsprechend erlebt. Die Themen über die Ben sich mit seinen Freunden ausgetauscht hat, egal ob über Film, Fernsehen, Bücher oder Musik waren mir nur allzu bekannt und immer wieder tauchten dadurch meine eigenen Erinnerungen an diese Zeit auf. In den Dialogen, die er mit seinen Freunden führt, geht es um typische Sorgen und Probleme von Fünftklässlern und gerne bin ich mit Ben wieder in dieses Alter eingetaucht.

Wenn Ben nach Hause kommt findet er seine Mutter vor, die vor Trauer wie gelähmt ist und dadurch den Haushalt manchmal vernachlässigt. Ihre Gedanken kreisen um das Wie und Warum, doch Antworten findet sie nicht. Ihr geschiedener Mann ist längst wieder verheiratet und wohnt in Frankfurt, von ihm erfährt sie keinen Trost. Ihre Sorge um Ben ist seit dem Tod von Jonas gewachsen, denn sie möchte ihn nicht auch noch verlieren. Leider fehlte mir durch den Erzählstil die direkte Nähe zu ihrer Person. Das, was sie am Ende des Buchs als Lösung für sich und Ben geplant hat fand ich aus der Erfahrung heraus eher unglaubwürdig.

Ben schafft sich mit seiner Fantasie eigene Weltne in die er stundenweise versinken kann. Letztlich lässt er sogar seiner Mutter Einblick in sein Spiel nehmen und nach Wunsch daran teilnehmen. Obwohl „Ein fauler Gott“ eigentlich ein zutiefst trauriges Buch über den Tod eines Jungen ist, legt sich mit Bens unerschrockener Art der eigenen Sicht auf viele Dinge ein dicker Film Vergnügen über das Leid und rückt Freundschaft und Zusammenhalt in den Vordergrund. Lässt sich auch die Wunde des Verlusts nicht mehr heilen, so zeigt Ben dem Leser und seiner Mutter, dass eine optimistisch gedachte Zukunft für die Zurückgebliebenen möglich ist.

Das warmherzig erzählte Schicksal von Bens Familie konnte mich berühren und ließ mich dennoch aufgrund von Bens Einfällen und dem Schwelgen in eigenen Erinnerungen an die damalige Zeit nicht traurig werden; ein Buch, dass ich gerne weiterempfehle.

Veröffentlicht am 20.04.2017

Realistische Umsetzung einer fiktiven Auswanderung von Kamerun in die USA

Das geträumte Land
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Für das aus Kamerun stammende Ehepaar Jende und Neni Jonga ist die USA das Land ihrer Träume. In dem entsprechend betitelten Debütroman „Das geträumte Land“ von Imbolo Mbue suchen sie nach einem Weg, dort ...

Für das aus Kamerun stammende Ehepaar Jende und Neni Jonga ist die USA das Land ihrer Träume. In dem entsprechend betitelten Debütroman „Das geträumte Land“ von Imbolo Mbue suchen sie nach einem Weg, dort Asyl zu erhalten um dann in den Besitz von Arbeitspapieren zu kommen, damit sie legal im Land bleiben dürfen. Im Cover sind die Farben der Flagge Kameruns wiederzufinden. So wie die traditionelle farbenfrohe Kleidung der Kameruner fällt das Titelbild dem Betrachter sofort ins Auge. Doch symbolisch hat sich New York in Form von Wolkenkratzern und Freiheitsstatue aus Holz entsprechend des großen Wunschs der Jongas in den Vordergrund gespielt.

Es ist das Jahr 2008 und Jende ist bereits seit drei Jahren in New York. Vor achtzehn Monaten konnten auch Neni und sein Sohn Liomi einreisen. Gemeinsam wohnen sie in einer bescheidenen Wohnung in Harlem. Er arbeitet für einen Taxidienst und erhält eines Tages durch Beziehungen die Möglichkeit für Clark Edwards und seiner Familie als Chauffeur zu arbeiten und dessen Familienmitglieder. Clark Edwards ist Manager der Investmentbank Lehman Brothers. Diese Position als Fahrer ist gut bezahlt und Jende benötigt das Geld dringend, denn neben dem Lebensunterhalt für seine kleine Familie möchte er Neni ihren Traum erfüllen, Apothekerin zu werden. Neni arbeitet stundenweise als Pflegerin für ältere Personen. Durch Familie Edwards erhält sie die Chance in deren Ferienhaus auszuhelfen und so noch zusätzlich einiges zu verdienen. Die Erfüllung der Wünsche rückt in greifbare Nähe, doch dann muss Lehman Brothers im Zuge der Finanzkrise Insolvenz anmelden. Beide Familien, die Jongas und die Edwards, haben mit den Konsequenzen zu kämpfen. Wird es eine Zukunft für Jende und Neni in den USA geben?

Neni stammt aus einer wohlhabenden Familie aus Limbe/Kamerun. Jendes Familie ist nicht so gutsituiert und seine Chancen auf einen gesellschaftlichen Aufstiegs sind gering, weil unsichtbar gezogene Standesgrenzen das verhindern. Nenis Vater hat seine Erlaubnis für die Ehe verweigert. Das junge Paar ist seiner jeweiligen Familie und den geltenden kamerunischen ungeschriebenen Gesetzen so verbunden, dass es sich nicht spürbar dagegen auflehnt. Ein Cousin von Jende schafft den Sprung nach Amerika ins „Land der Unbegrenzten Möglichkeiten“. Jende leiht sich das Geld von ihm für seinen eigenen Start. Jende begleitet auf seinem Weg in die USA auch die Hoffnung seiner ganzen Familie auf Unterstützung. Die Sorgen seiner Verwandten, denen er sobald wie möglich Unterstützung für medizinische Hilfe, Renovierungen und anderes zukommen lässt stellt er regelmäßig vor die Erfüllung seiner eigenen Träume für die er mühsam sein Geld zusammenträgt. Je nachdem wie viel die Familie in Kamerun benötiget wächst und sinkt sein Vermögen und damit auch sein Budget, einen ordentlichen Anwalt zu bezahlen der sich für seinen weiteren Aufenthalt einsetzt.

Neni machte auf mich zunächst einen selbstbewussten Eindruck, sie hatte ein großes Ziel für sich vor Augen und schaffte es trotz Kind und Haushalt für ihr Studium zu lernen. Doch Jende trifft als Oberhaupt seiner kleinen Familie für Neni wichtige Entscheidungen die deren Zukunft beeinflussen und Neni ordnet sich dieser Ordnung unter, so wie sie es von Geburt an gewohnt ist. Obwohl also beide US-Amerikaner werden möchten bleiben sie doch in ihren Herzen Afrikaner. Für mich stellte sich daher von Beginn an die Frage, ob sie die Assimilation im fremden Land schaffen können.

Clark und Cindy Edwards leben den amerikanischen Traum. Cindy stammt aus einfachen Verhältnissen und führt jetzt an der Seite ihres Ehemanns ein sorgloses Leben. Dadurch hat sie für die Wünsche der Jongas ein gewisses Verständnis, dass aber dann aufzuhören schien als ihr eigenes Budget durch die Krise eingeschränkt wurde. Die Edwards haben gemeinsam bereits einige Sorgen geteilt. Allein durch ihr Vermögen gelingt es beiden nicht, ein wunschlos glücklich zu sein. Der ältere Sohn Vince soll in die Fußstapfen seines Vaters treten, doch er rebelliert und geht seinem eigenen Traum, im Ausland zu leben, nach. Für Cindy bricht mit Vince eine wichtige Bezugsperson in ihrer unmittelbaren Nähe weg. Ihr eigenes erhofftes und gelebtes Leben erhält deutliche Risse.

Für mich als Leser war es interessant am Alltagsleben der beiden Familien in New York teilhaben zu können. Imbole Mbue erzählt aus einer auktorialen Sichtweise. Die Probleme und Sorgen der einzelnen Personen beschreibt sie einfühlsam und wirklichkeitsnah. Mit und mit erfuhr ich durch Erinnerungen immer mehr über die Vergangenheit von Jende und Neni sowie Clark und Cindy. Das Leben in Kamerun mit den geltenden Konventionen war mir bisher unbekannt. Es war für mich schwierig, mit den Protagonisten zu sympathisieren, weil jede ihr Schwächen hatte. Vor allem Neni erschien mir letztlich arglos in Bezug auf die Umsetzung ihres Berufswunschs, der durch die frühe sorglose Liebe zu Jende zunächst unerreichbar wurde.

Imbolo Mbue vermittelte mir mit ihrem Roman ein realistisches Beispiel für die Auswanderung einer kamerunischen Familie und deren Versuch in den USA eingebürgert zu werden. Auch die Geschichte des Managers Clark Edwards und seiner Familie konnte ich gut nachvollziehen. Mir hat das Buch unterhaltsame Stunden bereitet und daher empfehle ich es gerne weiter.

Veröffentlicht am 17.04.2017

Ungewöhnliche Liebesgeschichte mit mutiger Protagonistin

Jeder Tag kann der schönste in deinem Leben werden
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Der Titel des Buchs „Jeder Tag kann der Schönste in deinem Leben werden“ von Emily Barr ist für die 17-jährige Protagonistin Flora Banks Programm, denn in ihrem 10. Lebensjahr hat eine anterograde Amnesie, ...

Der Titel des Buchs „Jeder Tag kann der Schönste in deinem Leben werden“ von Emily Barr ist für die 17-jährige Protagonistin Flora Banks Programm, denn in ihrem 10. Lebensjahr hat eine anterograde Amnesie, die durch ein Ereignis eingetreten ist bei dem ihr Gehirn so geschädigt wurde, dass sie alltägliche Dinge spätestens beim Aufwachen wieder vergessen hat. Manches kann sie sich sogar nur für Stunden merken. Wer das wunderschön gestaltete Cover mit seinen Ranken und der glänzenden erhabenen Schrift anschaut, wundert sich über einen Elch in der Mitte links und ein Flugzeug auf der rechten Seite. Sie stehen symbolisch für das Abenteuer, das Flora in diesem YA-Roman erlebt und dabei über sich selbst hinauswächst.

Alles, was sich vor der Amnesie ereignet hat, vergisst Flora nicht. Für die Sachen, die sie im täglichen Leben wissen muss, beschreibt sie ihre Arme und Hände, Zettel und Notizbücher, manchmal macht sie ein Foto mit ihrem Handy. Sie hat es wirklich nicht einfach; so zu leben wünscht man sich nicht. Doch dann hat sie nach einer Party ein neues, nie dagewesenes Erlebnis. Sie wird von dem 19-jährigen Drake in einer romantischen Situation geküsst. Und es passiert für sie das Unmögliche: sie kann sich am nächsten Tag daran erinnern! Auch an das Gespräch mit ihm. Doch Drake hat sich gerade von ihrer besten Freundin getrennt und wird zukünftig auf Spitzbergen/Norwegen studieren. Als ihr in Paris lebender Bruder dringend die Hilfe ihrer Eltern benötigt und sie allein zu Hause bleibt, sieht sie endlich die Chance aus dem ihr von ihren Eltern gesetzten Rahmen auszubrechen und alleine zu entscheiden, was sie tun und lassen möchte. Der Kuss lässt sie nicht ruhen und sie beschließt, Drake zu suchen.

Die 17-jährige Flora verharrt wissensmäßig auf dem Stand einer 10-Jährigen. Jede neue Erkenntnis, jede neue Erfahrung ist bereits nach wenigen Stunden nicht mehr abrufbar. Sie legt sich ihre Notizen sichtbar hin, um daran erinnert zu werden, dass es diese gibt. Eigentlich müsste sie stundenlang darüber nachlesen, was sie in den letzten Jahren gelernt und erlebt hat. Das geht natürlich nicht und so beschränkt sie sich auf das Wesentliche. Der Roman ist in der Ich-Perspektive geschrieben. So konnte ich durch die etlichen Wiederholungen, die Flora jeden Tag durchliest, um sich ihr Wissen mühsam erneut zu erarbeiten ein wenig davon ahnen, wie schrecklich es für sie jedes Mal sein muss, ihr Umfeld neu kennen zu lernen. Und dennoch konnte ich es kaum nachzuvollziehen, denn an das, was mich bereits anfing zu langweilen, konnte Flora sich ja jedes Mal nicht erinnern.

Flora kleidet sich meistens wie ein Kind und äußert sich entsprechend, ihr Tun wirkt auf andere häufig befremdlich. Sie selbst ist sich dessen bewusst und nichts liegt ihr mehr am Herzen als so zu sein wie Gleichaltrige. Im Buch wird ihre Pubertät nicht thematisiert, doch ihre Reize bleiben nicht verborgen und es prickelt und kribbelt in ihr als sie mit Drake allein ist. Von Drake geht für sie keine Gefahr aus, denn sie hat festgestellt, dass er sie schon eine Weile kennen muss. Weil sie sich am nächsten Tag auch an das Gespräch mit ihm erinnert sieht sie die Möglichkeit, dass sie sich an noch mehr erinnern wird und ihr Leben sich demzufolge ändert. Diese Chance ist es ihr Wert, ihn zu suchen um die Beziehung fortzusetzen, weil sie ihn für ihren Glückritter hält.

Die Autorin stellt die Liebesromanze zwischen Flora und Drake bei ihrer Erzählung in den Vordergrund. Dahinter zurück tritt das Verhältnis von Flora zu ihren Eltern, die bewusst das Verhalten ihrer Tochter in den vergangenen Jahren nach eigenem Willen geleitet haben. Für mich war es schwierig, trotz der Probleme der Mutter, dafür Verständnis aufzubringen. Flora hätte sicher durch weiteren Zugang zu sozialen Medien mehr Möglichkeiten gehabt, sich mit Gleichaltrigen auszutauschen. Zum Glück hat sie ihre Freundin Paige, die sie seit dem Kindergarten kennt. Aber auch in diese Freundschaft mischt sich ein Erwachsener ein. Floras ganz großer Rückhalt ist ihr Bruder, erst zum Ende des Buchs begreift sie und damit auch ich als Leser welche große Rolle er seit der Erkrankung für sie gespielt hat.

„Sei mutig“ liest Flora jeden Tag eintätowiert auf ihrer Hand. Wie wichtig der Mut für sie ist, um eingefahrene Gleise zu durchbrechen und Grenzen zu überschreiten liest man in dieser Geschichte. Emily Barr erzählt sehr emotional und neben der Faszination für die Kraft, die Flora aufbringt um mit ihrer Einschränkung zu leben, war ich gespannt darauf, ob es ihr gelingen wird, Drake in Spitzbergen zu finden und ob er sie wirklich liebt. Das Ende konnte manche meiner offenen Frage beantworten und ließ mich erneut staunen, was alles in Flora steckt.

„Jeder Tag kann der Schönste n deinem Leben werden“ ist eine ungewöhnliche Liebesgeschichte mit einer beherzten Protagonistin, die mir sympathisch wurde. Der Autorin ist es gelungen, einige Charaktere so zu zeichnen, dass man bis zum Schluss nicht weiß, ob sie es gut mit Flora meinen oder nicht. Ich habe Flora gerne auf ihrer Reise begleitet, die für mich gefühlsmäßig ein Abenteuer war. Gerne gebe ich hierfür eine Leseempfehlung.