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Veröffentlicht am 24.10.2023

Turbulenter Roman mit kriminalistischen Elementen

Kalmann und der schlafende Berg
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Kalmann ist wütend. Als Leserin des nach ihm betitelten Romans von Joachim B. Schmidt ahnte ich, dass das nicht gut ist, weil dieser besondere Protagonist dann zu unberechenbaren Handlungen neigt. Zu Beginn ...

Kalmann ist wütend. Als Leserin des nach ihm betitelten Romans von Joachim B. Schmidt ahnte ich, dass das nicht gut ist, weil dieser besondere Protagonist dann zu unberechenbaren Handlungen neigt. Zu Beginn der Fortsetzung „Kalmann und der schlafende Berg“ sinniert die Titelfigur als Ich-Erzähler über die vergangenen Ereignisse, die ihn zornig gestimmt haben. Dabei erhielt ich einige Hinweise darauf, was seit den Begebenheiten im ersten Teil geschehen ist, den man für das Verständnis nicht gelesen haben muss, aber sonst ein Lesevergnügen verpasst hat. Ich erfuhr, dass Kalmanns Großvater gestorben ist und sein US-amerikanischer Vater Kontakt zu ihm aufgenommen hat. Außerdem las ich davon, dass er in Folge dieser beiden Fakten der Einladung nach Amerika gefolgt ist und dort vom FBI verhaftet wurde.

Als die FBI-Agentin beim Verhör Kalmann nach dem Grund seiner Reise befragt, wandern die Gedanken des Protagonisten zurück in die Vergangenheit auf der Suche nach einem Ausgangspunkt für seine Erklärung. Dabei gelangt er zu einem Punkt vor dem Tod seines Großvaters, als dieser bereits im Heim lebte. Schrittweise erfuhr ich mehr darüber, wie er in die ungewöhnliche Lage geraten ist, in der er sich nun befindet und wie er sich später in eine noch bedrohlichere Situation bringen wird, von der er am Beginn des Romans noch nichts ahnt.

Kalmann ist zu seiner Mutter in eine Kleinstadt gezogen, obwohl er sich zu seinem früheren Wohnort Raufarhöfn hingezogen fühlt. Joachim B. Schmidt konfrontiert den vor Ort heimlich zum Helden gewordenen Protagonisten mit den Problemen unserer Zeit. Die Handlung spielt vom Herbst 2020 bis zum Frühjahr des nächsten Jahrs während der Pandemie, deren Auswirkungen auch in Island spürbar sind. Während seines Aufenthalts in den USA gerät Kalmann in eine politisch bedeutsame Situation. Der Autor sprüht im vorliegenden Band vor Einfällen, die manchmal übertrieben sind, aber amüsant und vor allem unterhaltend.

Auf dem titelgebenden Berg kommt es am Ende des Buchs zu einem Showdown. Bis dahin erlebte ich Kalmann zwischen Hoffen und Bangen. Sein bester Freund Noi pflanzt ihm einen unglaublichen Gedanken in Bezug auf den Tod seines Großvaters ein. Bei den Mitarbeitern im Heim und auch in Raufarhöfn ist er beliebt und bekannt, so dass es ihm kaum Mühe bereitet, Hilfe auf die aufgeworfenen Fragen zu finden. Wie auch im ersten Band führt die Arglosigkeit des Protagonisten dazu, den Lesenden in manchen Dingen nachdenklich zu stimmen.

Joachim B. Schmidt hat mit dem Buch „Kalmann und der schlafende Berg“ erneut eine turbulente Romanhandlung mit kriminalistischen Elementen geschrieben ganz im Stil des ersten Bands der Reihe „Kalmann“. Aufgrund der sehr guten Konstruktion hält die Geschichte eine gewisse Hintergrundspannung, welche sich zum Schluss hin nochmal deutlich steigert. Der Protagonist ist, abgesehen von seinen Wutanfällen, ein liebenswerter Charakter, der mit seiner besonderen Art und Weise zu handeln, den Lesenden für sich einnimmt. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 13.10.2023

Lässt Geschichte lebendig werden

Die Waffen des Lichts
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Mit seinem Roman „Die Waffen des Lichts“ kehrt Ken Follett nach Kingsbridge zurück, dem von ihm für sein Bestsellerbuch „Die Säulen der Erde“ erdachten Ort im Süden Englands. Es ist bereits der fünfte ...

Mit seinem Roman „Die Waffen des Lichts“ kehrt Ken Follett nach Kingsbridge zurück, dem von ihm für sein Bestsellerbuch „Die Säulen der Erde“ erdachten Ort im Süden Englands. Es ist bereits der fünfte Band der Reihe, der aber unabhängig von den anderen gelesen werden kann. Bei einigen Gelegenheiten nimmt der Autor Bezug auf vergangene Ereignisse in Kingsbridge, an die man sich als Lesender mit Vorwissen gerne erinnert.

Die Handlung von „Die Waffen des Lichts“ spielt im Zeitraum 1792 bis 1824. In diesem Zeitraum schaut in England der Adel mit Besorgnis auf die Revolution in Frankreich und ihre Folgen und fragt sich, ob ein solcher Umschwung auch bei ihnen möglich wäre. Daher versucht die Aristokratie mit entsprechenden Gesetzen ein Aufbegehren der niedrigeren Stände zu verhindern. Währenddessen beginnen Maschinen die Handwerker nicht nur zu unterstützen, sondern sie auch zu ersetzen. In Kingsbridge ist davon auch der Berufsstand der Spinner und Weber betroffen.

Nachdem ihr Mann durch einen Unglücksfall zu Tode gekommen ist und sie gegen die Obrigkeit aufbegehrt hat, verschlägt es die Spinnerin Sal vom Land nach Kingsbridge. Bereits ihr sechsjähriger Sohn Kit hilft ihr dabei, eine innovative Spinnmaschine zu bedienen, damit sie von dem Verdienst leben können. Der junge Tuchhändler Amos übernimmt nach dem plötzlichen Tod seines Vaters dessen marodes Geschäft und bemüht sich darum seine Arbeiter(innen) fair zu behandeln und dennoch das Unternehmen zu sanieren. Elsie, die Tochter des anglikanischen Bischofs von Kingsbridge, buhlt um die Liebe von Amos, der sich der erstarkenden methodistischen Religion zugewendet hat. Außerdem liegt ihr die Gründung einer Sonntagsschule am Herzen, um auch den ärmsten Kindern ein Mindestmaß an Bildung zukommen zu lassen.

Wie man es von Ken Follett gewohnt ist, setzt er seinen Figuren, die rechtschaffene Ziele haben, einige Widersacher entgegen. Meistens handelt es sich dabei um Personen mit Rang und Namen, die ihre Macht gegenüber ihren Untergebenen geltend machen. Allerdings kann sich England schließlich nicht den Umwälzungen auf dem europäischen Kontinent entziehen und greift in das Kriegsgeschehen ein, von dem im Laufe der Zeit sämtliche Protagonist(inn)en betroffen sind.

Der Autor erzählt das Geschehen in chronologischer Reihenfolge. Die Handlungsstränge um verschiedene Figurengruppen laufen parallel, kreuzen sich aber gelegentlich und spielen ineinander über. Mit dem Unfall zu Beginn des Buchs verdeutlicht er die herrschenden Klassenunterschiede in der Gesellschaft und Sal konnte meine Sympathie gewinnen. Danach hoffte und bangte ich über Höhen und Rückschläge hinweg, dass sie für sich und ihren Sohn das angestrebte Ziel erreichen wird, in der sie nicht mehr täglich um das Stillen ihres Hungers kämpfen muss.

Immer wieder führte Ken Follett mir beispielhaft vor Augen wie vor zweihundert Jahren die untere Gesellschaftsschicht durch eine entsprechende Gesetzgebung niedrig gehalten wurde. Seine Ausführungen enden teilweise mit drakonischen Strafen, die leider der harten Realität entsprechen. Dagegen wehren sich seine Hauptfiguren im Rahmen ihrer Möglichkeiten, was sie aus der Menge ihrer Mitbürger(innen) herausstechen lässt. Über die Jahre hinweg lernen die Protagonist(inn)en aus ihren Erfahrungen und passen sich an neue Gegebenheiten an.

Wieder einmal zeigt Ken Follett in seinem Roman „Die Waffen des Lichts“, dass er ein brillanter Unterhalter ist, dem es gelingt, politisch weltbewegende Ereignisse auf kleinem Raum in der fiktiven Stadt Kingsbridge widerzuspiegeln. Durch das Kreieren interessanter Figuren und abwechslungsreich gestalteter Handlungen lässt er Geschichte lebendig werden. Sehr gerne empfehle ich das Buch an Lesende historischer Romane weiter.

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Veröffentlicht am 01.10.2023

Abwechslungsreiche Erzählung in der die Figuren Höhen und Tiefen erleben

Die Frauen vom Lindenhof - Gemeinsam der Zukunft entgegen
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Im dritten Band der Trilogie „Die Frauen vom Lindenhof“ vom Autorinnenduo Andrea Bottlinger und Claudia Hornung, das die Reihe unter dem Pseudonym Katharina Oswald geschrieben hat, steht ein Generationenwechsel ...

Im dritten Band der Trilogie „Die Frauen vom Lindenhof“ vom Autorinnenduo Andrea Bottlinger und Claudia Hornung, das die Reihe unter dem Pseudonym Katharina Oswald geschrieben hat, steht ein Generationenwechsel bei Familie Wagner an, die seit etwa vierzig Jahren eine Schreinerei für Puppenmöbel in der Nähe von Hall in Baden-Württemberg betreibt. Wer bald die Geschicke des Unternehmens leiten wird und damit entsprechend dem Untertitel „Gemeinsam der Zukunft entgegen“ steuert, entscheidet sich erst zum Ende des Buchs hin.

Marianne, die einst in den 1950ern die Schreinerei ihres verstorbenen Vaters weitergeführt hat, aber seit einem Unfall selbst nicht mehr in der Werkstatt arbeiten kann, gibt das letzte Wort bei wichtigen Entscheidungen nicht ab. Das erfährt auch Franziska, die kurz nach ihrer Geburt von Mariannes Tochter Corinna adoptiert wurde. Schon als junges Mädchen beschäftigt sie sich gerne mit Holz. Während ihre Mutter sie vor einer unüberlegten frühen Entscheidung der Berufswahl schützen möchte, wendet Franziskas Großmutter sich an ihre ältere Nichte, der sie Leitungskompetenz zuschreibt, um ihr die Führung des Unternehmens anzuvertrauen. Die 18-jährige Franziska entscheidet sich dazu, den Sommer des Jahres 1999 im Erzgebirge zu verbringen und dort die besondere Holzkunst der Seiffener zu erkunden. Außerdem findet sie bei dem Sozialpädagogen Christian eine Schulter zum Anlehnen.

Während die beiden ersten Bände zeitlich über mehrere Jahre spielen, zieht sich die Handlung des dritten Teils lediglich über wenige Monate hinweg. Als Leserin lernte ich einiges über die Seiffener Kunst der Herstellung von Spielzeug. Zwar hatte ich noch nie von der erzgebirgischen Tradition des Reifendrehens gehört, die im Roman erläutert wird, aber Räuchermännchen, Pyramiden und Schwibbögen sind mir schon lange bekannt und ebenso typisch für die Region.

In der Zeit, die seit den Handlungen in Band 2 vergangen ist, hat die Jugend mehr Freiheit erlangt, ungehindert ihre Meinung zu äußern und gehört zu werden. Mit Christian führen die Autorinnen eine Figur ein, dessen Beruf ihn mit Jugendlichen zusammenarbeiten lässt. Dadurch werden einige gegenwartsnahe Probleme aufgezeigt.

Im durchgehend abwechslungsreichen Geschehen der Geschichte haben die Protagonistinnen der Familie Wagner einige Sorgen zu ertragen. Die Autorinnen schildern deren bewegende Gefühle im Umgang damit und auch, dass man sich manchmal professionelle Hilfe bei der Bewältigung einholen sollte. Eine Person an der Seite zu wissen, der man sich anvertrauen kann, gibt Mut. Ein offener und ehrlicher Umgang miteinander vermittelt Sicherheit darüber, auf welchen Tatsachen man seine Entscheidungen treffen kann.

Auch im abschließenden Band der Serie „Die Frauen vom Lindenhof“ lässt Katharina Oswald ihre Figuren über viele Höhen und Tiefen gehen, was die Erzählung abwechslungsreich gestaltet. In dritter Generation steht Franziska bereit in den Betrieb der Schreinerei der Familie Wagner einzusteigen und wird noch vor ihrem ersten Arbeitstag mit den Unwägbarkeiten des Berufs konfrontiert. Liebe und Hass, Hoffnung und Resignation führen den Lesenden über die Seiten hinweg. Die Geschichte hat mich bestens unterhalten und daher empfehle ich sie gerne weiter.

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Veröffentlicht am 01.10.2023

Verständliche und unterhaltsame Erzählung über den Wettlauf zur Entwicklung der Polio-Impfung

Die Formel der Hoffnung
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In ihrem Roman „Die Formel der Hoffnung“ beschreibt Lynn Cullen den Werdegang der Ärztin und Forscherin Dr. Dorothy Millicent Horstmann, die sich über viele Jahre ihres Lebens hinweg für eine Prävention ...

In ihrem Roman „Die Formel der Hoffnung“ beschreibt Lynn Cullen den Werdegang der Ärztin und Forscherin Dr. Dorothy Millicent Horstmann, die sich über viele Jahre ihres Lebens hinweg für eine Prävention gegen Kinderlähmung eingesetzt hat. Sie starb 2001 im Alter von 90 Jahren. Als Leserin konnte ich die Wissenschaftlerin in der Zeit von 1940 an bis zum Jahr 1963 begleiten.

Dorothy M. Horstmanns Eltern sind deutscher Herkunft. Wenige Jahre nach ihrer Emigration wird die Mutter zur Alleinverdienenden, doch sie setzt alles daran, Dorothy den Weg für eine Karriere zu ebnen. Die Ärztin fällt immer wieder durch ihre Größe auf und überragt meist ihre Kollegen. Doch bei ihrer Stellensuche wird ihre Bewerbung bewusst übergangen, denn es ist damals schwierig, als Frau eine leitende Position zu erhalten. Nur durch einen Irrtum gelingt ihr der berufliche Einstieg in einem Assistenzprogramm. Doch unbeirrt geht sie ihren Weg, denn ihr Ziel ist es, Kindern eine Zukunft ohne Sorge vor Lähmungen und Tod zu geben.

Der Weg zu einem Impfstoff gegen Polio ist gefüllt mit Hoffnung und vielen Rückschlägen. Es gibt mehrere Virologen, die sich am Wettlauf zur Entwicklung einer Impfung beteiligten. Zweien von ihnen gelingt es schließlich, entsprechende Fortschritte zu verzeichnen. Lynn Cullen verdeutlicht, dass deren Forschung abhängig von Geldgebern war, was für Dorothy ein Problem darstellte. Immer wieder wird sie aufgrund ihres Geschlechts übergangen. Einer Frau wurden Haushalt und Familie zugestanden und erwartet, dass sie ihren Beruf nach einer Heirat aufgab. Die Autorin führt dazu im Roman zahlreiche Beispiele in Form von historischen, weiblichen Personen an. Im Roman spielen sie zwar nur eine Nebenrolle, aber sie in der Realität leisteten sie wichtige Beiträge, damit der Impfstoff gefunden werden konnte, ohne dass ihr Name in Abhandlungen zum Thema Eingang gefunden hat.

Vermutlich blieb Dr. Dorothy M. Horstmann auch deshalb unverheiratet und ohne Kinder, weil sie aufgrund häufig spontan anfallender Reisetätigkeiten in den Fällen von Polioausbrüchen rund um die Welt, immer wieder und auch manchmal lange andauernd von Daheim abwesend war. Dennoch erdenkt die Autorin sich für die Wissenschaftlerin eine Liebe, die sich ganz natürlich in deren Leben einfügt.

Die Ärztin sichert sich die Schätzung ihrer Kollegen durch die Entdeckung, dass das Virus über das Blut in die Nervenbahn eindringt. Obwohl ihr damit eine Ehrung durch einen Nobelpreis verwehrt bleibt, wie sicherlich vielen weiteren Wissenschaftlern auch, erarbeitete sich Dr. Horstmann immer mehr Respekt unter den mit der Erforschung von Polio Beschäftigten.

Lynn Cullen verknüpft in ihrem Roman „Die Formel der Hoffnung“ die ihr durch eine sehr gute Recherche bekannten Fakten des Lebens der Ärztin Dr. Dorothy M. Horstmann mit erdachten, aber überaus passenden Begebenheiten und bringt damit einem breiten Publikum eine bedeutende, aber eher unbekannte weibliche Persönlichkeit näher. Nebenher übt sie Kritik an der Gesellschaft in den mittleren Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts im Umgang mit Frauen, die eine berufliche Karriere anstreben. Als Leserin erfuhr ich viele Details über den Wettlauf zur Entwicklung des Impfstoffs gegen Polio, die die Autorin verständlich und auf unterhaltsame Weise in ihre Erzählung einfließen lässt. Sehr gerne empfehle ich das einfühlsam geschriebene Buch weiter.

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Veröffentlicht am 22.09.2023

Zwischen Wahrheit, Legenden und Flunkereien

Nincshof
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Im Burgenland, direkt an der Grenze zu Ungarn, liegt das fiktive Örtchen Nincshof. Wohlüberlegt hat die Autorin Johanna Sebauer den Haupthandlungsort ihrer Geschichte so genannt, denn „nincs“ bedeutet ...

Im Burgenland, direkt an der Grenze zu Ungarn, liegt das fiktive Örtchen Nincshof. Wohlüberlegt hat die Autorin Johanna Sebauer den Haupthandlungsort ihrer Geschichte so genannt, denn „nincs“ bedeutet im ungarischen „es gibt keins“. Die Verschwörung dreier Bewohner will genau das erreichen, nämlich nichts Geringeres, als dass das Dorf aus dem Gedächtnis der Welt verschwindet. Alten Legenden nach war das früher so und brachte den Vorteil, dass sie staatlichen Verpflichtungen wie zum Beispiel dem Zahlen von Steuern und der Wehrpflicht entgingen. Sie möchten wieder frei in allen ihren Entscheidungen werden. Die große Herausforderung stellen die heutigen sozialen Medien dar und ich war von Beginn an nicht nur gespannt, wie sie ihr Ziel erreichen wollen, sondern natürlich auch, ob sie erfolgreich sind.

Als erstes werben die Oblivisten, wie die Verschwörer sich nennen, die bereits über achtzigjährige Erna für ihr Vorhaben an. Nebenher hat deren Mitwirken den Effekt, dass sie einen Versammlungsort in ihrer Küche haben und sich gerne von ihr mit leckeren Snacks versorgen lassen. Der Zuzug einer Familie aus Wien trübt ihre Erfolge, denn mit deren Plan, einer Irrziegenzucht Touristen anzulocken, stehen sie konträr dazu, das Dorf dem Vergessen anheim zu geben.

Der Roman ist eine herrliche Komödie, die mit vielen eigenartigen Ideen aufwartet zu denen Ernas nächtliche Besuche im Swimmingpool der Nachbarn gehören, Pusztafeigen und deren Wirkung sowie jede Menge Einfälle und deren Umsetzung durch die Oblivisten. Die Figuren sind liebevoll gestaltet, voller Eigenleben und ausgestattet mit zahlreichen Macken. Zwischen der amüsanten Geschichte schwingt das Thema des Heischens nach Aufmerksamkeit. Viele versuchen in der Öffentlichkeit auf sich aufmerksam zu machen und inszenieren sich entsprechend, wobei sie andere ungewollt ins Rampenlicht rücken und ihre Entscheidungsfreiheit dabei ein Stück einschränken. Johanna Sebauer weist dadurch darauf hin, dass dies eins der Dinge des Zuviels ist, die neben zu viel Arbeit, zu viel Essen und zu wenig Zeit an unserer Gesundheit knabbern.

Wahrheit, Legende und Lügen sind in Nincshof eng beieinander angesiedelt und die Erzählungen über die Vergangenheit und die Ereignisse der Gegenwart lassen sich nicht einfach zuordnen, was sehr zum Vergnügen des Lesenden beiträgt. Ich habe das Buch sehr genossen und vergebe gerne eine Leseempfehlung.

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