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Veröffentlicht am 26.11.2020

"Frauen gehören in sämtliche Positionen, in denen Entscheidungen zu fällen sind." (RBG)

Ruth Bader Ginsburg
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Als ich das Buch anfing zu lesen, hat sie noch gelebt. Am 18.9.2020 ist Ruth Bader Ginsburg im Alter von 87 Jahren gestorben. Ginsburg fing 1957 als eine von neun Frauen Rechtswissenschaften an der Harvard ...

Als ich das Buch anfing zu lesen, hat sie noch gelebt. Am 18.9.2020 ist Ruth Bader Ginsburg im Alter von 87 Jahren gestorben. Ginsburg fing 1957 als eine von neun Frauen Rechtswissenschaften an der Harvard Law School zu studieren an. Auf neun Frauen kamen 500 männliche Studenten. In ihrer darauffolgenden juristischen Karriere sticht die Amerikanerin durch ihren unermüdlichen Einsatz für Gleichberechtigung, gleiche Rechte für alle, aber vor allem für die Rechte der Frauen hervor.

In diesem Buch sind 300 Statements dieser beeindruckenden Frau abgedruckt, die sie im Laufe ihres Lebens zu unterschiedlichen Themen abgegeben hat. Im Buch werden sie inhaltlich sortiert und kapitelweise dargestellt. So findet man Aussagen zur Forderung des gleichen Rechts vor dem Gesetz, der Frauenrechtsbewegung, reproduktive Rechte, zu Gesetz und Verfassung, zum Obersten Gerichtshof sowie zu ihrem eigenen Leben.

"Es macht mich traurig, dass >>Feminismus<< in manchen Teilen der Welt als Schimpfwort gilt. Dabei heißt es nichts weiter, als der Überzeugung zu sein, dass Frauen dieselben Möglichkeiten offenstehen sollten, dass Jungen und Mädchen dieselben Möglichkeiten haben sollten, ihr gottgegebenes Talent auszuschöpfen und zu sein, was immer sie sein wollen und sein können." (RBG, S. 75)


In der Einleitung wird Ginsburgs Leben kurz umrissen und ihre unterschiedlichen Lebensabschnitte und Erfolge vorgestellt. Das fand ich sehr hilfreich, da ich eigentlich wenig über sie als Person wusste. Der Hauptteil des Buches besteht dann aus Ausschnitten unterschiedlichster Reden, Schriften, Vorträgen (?), die ein bisschen aus ihrem Kontext gerissen wurden und ich keine chronologische Ordnung finden konnte. Zum Beispiel steht ein Statement aus dem Jahr 1996 vor einem aus 1974, woraufhin eines aus 2017 folgt. Inhaltlich passen die Aussagen schon zusammen, aber mir kam das zu willkürlich vor, um einen Mehrwert daraus ziehen zu können (z.B. Vergleiche, was sie früher gesagt hat, zu heute.), da auch einzelne Beiträge zerstückelt wurden.

Es ist kein Buch, das man an einem Stück lesen kann. Ich musste immer wieder Pausen einlegen, um die Zitate wirklich auch wahrzunehmen und zu verstehen, und nicht einfach irgendwann nur mehr darüber zu lesen. In vielen Statements geht es um Klagen, bei denen Ginsburg entweder als Anwältin oder Richterin dabei war. Während des Lesens fehlte mir oft der Kontext dieser Gerichtsfälle, also worum es eigentlich wirklich ging. Erst zum Schluss habe ich entdeckt, dass hinten Meilensteine chronologisch aufgezählt wurden, wo auch die einzelnen Fälle genauer beschrieben wurden. Das bringt die Aussagen nochmal in ein ganz anderes Licht und ich hätte mir gewünscht, dass ich das schon früher entdeckt hätte.

Die schiere Kraft der Aussagen geht leider etwas in der Menge der Statements unter. Ginsburg war schon immer ihrer Zeit voraus und hat durch ihren Intellekt, ihren Scharfsinn und ihrem Sinn für Gerechtigkeit viel für die Menschen in Amerika erreicht. Die Ausschnitte motivieren und geben Anreize weiterzudenken, sie schockieren auch dahingehend, für was Ginsburg sich einsetzen musste, damit endlich Frauen
, aber auch Männer nicht mehr durch Gesetze diskriminiert werden.


Fazit

Ruth Bader Ginsburg war eine beeindruckende Frau, die sich als Anwältin und Richterin auf die Seite der Menschen und vor allem auf die Seite der Frauen
gestellt hat. Die Statements in diesem Buch zeigen, mit was für einer tollen Weitsicht sie sich durchs Leben bewegt hat. Die Strukturierung des Buches fand ich leider weniger gelungen.

Veröffentlicht am 26.11.2020

Riesige Datenlücken

Unsichtbare Frauen
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Beim Autofahren hast du immer wieder Probleme mit schlechtsitzenden Autogurten? Die Schlange vor öffentlichen Toiletten ist viel zu oft ewig lang? Du übernimmst die meiste unbezahlte Arbeit im Haushalt ...

Beim Autofahren hast du immer wieder Probleme mit schlechtsitzenden Autogurten? Die Schlange vor öffentlichen Toiletten ist viel zu oft ewig lang? Du übernimmst die meiste unbezahlte Arbeit im Haushalt und/oder mit den Kindern? Die modernen Smartphones sind viel zu groß für deine Hände oder (wenn überhaupt vorhandene) Hosentaschen? Ja?

Wenn du mehrmals mit Ja antwortest, dann gehörst du wahrscheinlich zu der Hälfte der Bevölkerung, bei der gerne mal vergessen wird, dass es sie gibt. Den Frauen. Schuld an den Problemen bist aber nicht du, schuld sind nicht die Frauen per se, sondern die Wissenschaft gemacht von Männern für Männer, die "den Mann" als Standard sieht und ihre Studienergebnisse, bei denen die Frauen oft unterrepräsentiert sind oder auf Geschlechterdifferenzen nicht eingegangen wird, als absolute Wahrheit hinstellt. Caroline Criado-Perez zeigt, wo diese weiblichen Datenlücken gefüllt werden müssen.

So werden Autos nicht verpflichtend mit weiblichen Crashtest-Dummys getestet, was für Frauen
tödlich sein kann, bzw. erst gar nicht für Frauen designt oder die für Männer ausgewiesene Toilette kann durch Pissoirs von viel mehr Männern gleichzeitig benützt werden als Frauen die ihnen zugewiesene bei gleich viel vorhandenem Platz. Das ist die Lebensrealität der Frauen, die in einer Welt leben, die auf Männer zugeschnitten ist. Das sind nur zwei der vielen Beispiele wo Frauen benachteiligt werden, die die Autorin in ihrem Buch nennt. Sie geht auf viele unterschiedliche Bereiche ein und erläutert die sogenannte "Gender Data Gap", also das Fehlen von frauenspezifischen Daten, das den Alltag, die Arbeitswelt, das Design, die Medizin und das öffentliche Leben maßgeblich für Frauen verschlechtert

Ich war nicht vorbereitet auf die Wut, die sich während des Lesens in meinem Bauch angesammelt hat oder meinen eigenen Unglauben, dass Männer so selbstverständlich von männlichen Standards ausgehen, in einer Welt die hochkomplex und jeder Mensch individuell ist. Das Buch öffnet Augen und einen neuen Blick auf die Welt, der auch dringend notwendig ist, um einen weiteren Schritt Richtung Gendergerechtigkeit gehen zu können. Beim Lesen wird klar: Es ist noch viel zu tun.

Zu bemängeln gibt es aber auch was: Die Autorin geht ohne Erklärung von einer binären Geschlechterordnung aus. Und ein großes Manko liegt in der Übersetzung bzw. im Lektorat. In einem Buch, das sich mit der Repräsentation von Frauen
beschäftigt, sollte eigentlich richtiges und einheitliches Gendern Voraussetzung sein. Das war hier ein einziges Mischmasch an unterschiedlichen Formen, wenn überhaupt.


Fazit

Nie mehr werde ich eine Schlange vor einem öffentlichen Klo mit den gleichen Augen sehen wie davor. Mein Blick auf die Welt hat sich verändert und das ist gut so. Caroline Criado-Perez macht unsichtbare Frauen sichtbar und hat mit ihrem Buch einen wichtigen Grundstein für notwendige Veränderungen in unserem Denken und Handeln gelegt. Unbedingt lesen!

Veröffentlicht am 26.11.2020

Der zukünftige Präsident von Panem

Die Tribute von Panem X. Das Lied von Vogel und Schlange
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Collins hat vermutlich mit der Vorgeschichte der Tribute von Panem-Trilogie DIE Überraschungsveröffentlichung des Jahres hingelegt. (Jedenfalls im Jugendbuchsektor) Ich habe mich sehr gefreut und die Erwartungen ...

Collins hat vermutlich mit der Vorgeschichte der Tribute von Panem-Trilogie DIE Überraschungsveröffentlichung des Jahres hingelegt. (Jedenfalls im Jugendbuchsektor) Ich habe mich sehr gefreut und die Erwartungen waren hoch. Jetzt sitze ich hier, habe das Buch fertig gelesen und versuche in Worte zu fassen, was für eine große Enttäuschung die Geschichte für mich ist. Ja, richtig gelesen: Enttäuschung.

Präsident Snow ist jedem ein Begriff, der die Trilogie gelesen hat. Seine skrupellose, menschenverachtende und manipulative Machtausübung in Panem sorgt für Angst und Schrecken. Doch was hat er alles erlebt, bevor er Präsident wurde? Wie wurde er zu dem Menschen, der er zu Katniss' Lebzeiten ist? Die ersten Schlüsselereignisse geschehen, als er 18 Jahre alt ist und beim ersten Mentorenprogramm überhaupt als Mentor für die 10. Hungerspiele ausgewählt wird. Von dort nimmt alles seinen Lauf. Coriolanus Snow ist der Hauptcharakter in diesem Buch.

Nicht zu viel zu spoilern ist hier wirklich sehr schwierig. Aber ich versuche es mal. Im Grunde wird die Zeit kurz vor, während und nach den Hungerspielen erzählt, bei denen Snow Mentor des Mädchens aus Distrikt 12 ist. Die schon im Klappentext angedeutete Liebesgeschichte fand ich schon nach den ersten Seiten nervig, aber eben (oder gerade weil) für den Verlauf der Geschichte notwendig. Anders als in der Trilogie wird "Die Tribute von Panem X" aus der dritten Person erzählt (Katniss war eine Ich-Erzählerin). Trotzdem gibt uns Collins einen sehr, sehr detaillierten Einblick in Snows Gedankenwelt. Das sollte wohl Tiefe in seinen Charakter bringen, trotzdem hat sie es nicht wirklich geschafft, dass er für mich greifbar wurde. Anfangs wird er noch sehr zwiegespalten dargestellt. Seine herzlose Seite hatte er damals schon, aber hin und wieder zeigte er eben doch noch seine besseren Eigenschaften. Zum Schluss gibt sich Collins echt viel Mühe, ihn so unsympathisch wie möglich darzustellen.

Auch die Nebencharaktere bleiben sehr blass und distanziert. Die Dialoge waren für mich sehr konstruiert und gestelzt geschrieben und grundsätzlich mochte ich den Schreibstil der Autorin nicht so gern. Es kommt überhaupt kein Spannungsbogen auf und die Geschichte wirkt sehr unausgereift, auch wenn sie so viel wie möglich in Snows Leben gepackt hat, damit es spannend sein könnte. Es ist zeitweise wirklich langatmig und langweilig. Wenn man ein bisschen mehr gekürzt hätte, hätte es auch nicht geschadet. Im Panem damals ist noch sehr viel anders, als man es später kennenlernt. Die Hungerspiele sind bei weitem noch nicht das Event, zu dem sie mal werden, auch die Menschen im Kapitol sind noch nicht so stark von der Propaganda manipuliert. Kritik an den Hungerspielen und am System blitzt durchaus zwischen den Seiten hervor. Der Krieg ist noch viel zu frisch im Gedächtnis. Trotzdem hätte ich mir die Spiele nach neun Jahren fortschrittlicher vorgestellt.

Was sehr spannend ist, sind die ganzen Informationen, die man bekommt. Wie die Hungerspiele entstanden sind oder die Hintergründe des "Hanging Tree" Liedes, warum Snow so gerne Rosen hat. So ganz überzeugen konnten mich die Erklärungen zum Krieg und den Hungerspielen aber nicht. Vor allem, dass sich letztere überhaupt durchsetzen konnten. Hier hätte sie durchaus noch genauer auf die Vergangenheit eingehen können.

Musik ist sehr wichtig in diesem Buch und es werden sehr viele Liedtexte zwischendrin abgedruckt. Die haben meinen Lesefluss aber manchmal sehr gestört und ich hab sie irgendwann nur mehr angelesen bzw. überlesen. Und ganz wichtig: Die Easter-Eggs für Fans. Also Sachen, die man aus der Trilogie kennt und hier aufgegriffen werden, damit man eine Verbindung herstellen kann. Das sind zum Beispiel bekannte Namen, Schauplätze oder andere Parallelen. Sowas hatte ich mir im Vorhinein erhofft und auch erwartet, auch wenn es an einigen Stellen dann zu viel des Guten war.


Fazit

Nur der Fanservice und die Hintergrundinfos waren mir leider zu wenig, um mich wirklich begeistern zu können. Der Plot, die Charaktere und der Schreibstil konnten mich allesamt nicht packen. "Das Lied von Vogel und Schlange" bleibt hinter meinen Erwartungen zurück.

Veröffentlicht am 26.11.2020

Grausame Realität

Das wirkliche Leben
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Diese Geschichte ist eine echte Wucht. Eine Warnung vorweg: Es gibt viel Gewalt - psychische wie körperliche gegen Menschen und Tiere. Erzählerin ist ein Mädchen ohne Namen, das zurück blickt auf eine ...

Diese Geschichte ist eine echte Wucht. Eine Warnung vorweg: Es gibt viel Gewalt - psychische wie körperliche gegen Menschen und Tiere. Erzählerin ist ein Mädchen ohne Namen, das zurück blickt auf eine Kindheit und Jugendzeit mit einem gewalttätigen Vater, einer teilnahmslosen Mutter und dem jüngeren Bruder Gilles, der durch einen schlimmen Vorfall traumatisiert wird, und die Ereignisse aus vier (oder fünf) hintereinander folgenden Sommern schildert.

Die Entwicklung, die sie dabei durchmacht finde ich großartig. Es beginnt, als sie zehn Jahre alt ist. Sie will sich selbst nicht als Opfer sehen und handelt auch nicht so. Trotzdem zeigt sie Schwäche und das ist gleichzeitig ihre Stärke. Der Autorin gelingt es mit ihrer direkten, schonungslosen, gleichzeitig brutalen wie zarten Sprache eine Atmosphäre zu erschaffen, bei der man von einer ständigen Bedrohung ausgeht, bildlich dargestellt im Buch durch die Hyäne, deren Kopf als Jagdtrophäe im Haus hängt, die alles sieht und alles Positive verschlingt. Diese Geschichte fordert einen heraus, denn hier wird die grausame Realität, hier wird das wirkliche Leben abgebildet.

Diese Beklemmung hält sich die ganze Zeit über, man möchte unbedingt wissen wie es weitergeht, aber man möchte auch nicht diese schlimmen Sachen lesen. Vor ein paar Szenen musste ich mich innerlich wappnen, bevor ich weiterlesen konnte. Es war echt nervenaufreibend. Der Vater als Tyrann wird wirklich sehr gut dargestellt. Die Mutter blieb sehr blass und - wie die Beziehung des Mädchens zu ihr - sehr distanziert. Das fand ich etwas schade, da ihre Figur viele Fragen aufwirft und ich gerne mehr von ihren Hintergründen erfahren hätte. Das Leben von Frauen, die eine Beziehung mit einem gewalttätigen Mann führen, ist komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Am gruseligsten waren die Beschreibungen der Entwicklung des Bruders, zu dem das Mädchen eine bedingungslose Geschwisterliebe empfindet

Manche Szenen und Elemente mochte ich nicht so gerne. Da ist zum Beispiel eine Sexszene, die ich abstoßend fand. Sie war zwar einvernehmlich, aber trotzdem auf sehr einseitige Befriedigung ausgelegt und die Konstellation der beiden Menschen ging für mich gar nicht. Das Ende ist gut, ich habe atemlos das Buch zugeschlagen und konnte kaum fassen, wie spannend es war, was ich da gerade gelesen hatte. Trotzdem gibt es diese eine Sache, die nicht ganz zum Rest passt. Die Autorin spielt hier mit einer Möglichkeit, die zwar im übertragenen Sinne sehr schön ist und Hoffnung gibt, aber doch ein paar Zweifel übrig lässt.


Fazit

Eine Geschichte, die an Grenzen geht, die auch im wirklichen Leben sehr wohl sehr oft übertreten werden. Durch die kindliche Wahrnehmung wird die brutale Realität in dieser Familiengeschichte zu einer Jagd auf Leben und Tod. Große Leseempfehlung zu diesem spannenden Roman!

Veröffentlicht am 26.11.2020

An der Grenze des Erträglichen

Mrs Fletcher
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Brendan geht aufs College und seine geschiedene, 46-jährige Mutter Eve (Mrs Fletcher) ist plötzlich mit ihrem verlassenen "Nest" konfrontiert. Mit ihrer neu gewonnenen Freiheit umzugehen, ist für sie anfangs ...

Brendan geht aufs College und seine geschiedene, 46-jährige Mutter Eve (Mrs Fletcher) ist plötzlich mit ihrem verlassenen "Nest" konfrontiert. Mit ihrer neu gewonnenen Freiheit umzugehen, ist für sie anfangs nicht leicht und sie merkt, dass sie sich selbst neu (er)finden muss, um mit den Veränderungen klarzukommen. Bei beiden steht ein Neustart an.

Aus unterschiedlichen Perspektiven, zwei davon sind Brendan und Eve, wird eine nicht vorhandene Handlung auf mehr als 400 Seiten in die Länge gezogen. Der Autor Tom Perrotta wollte viel, hat aber wenig mit seiner Geschichte geschafft. Ein Klischee reiht sich an das andere, die Darstellung der Frauen ist grenzwertig bis abartig, Hautfarben werden besonders hervorgehoben und von sexueller Freiheit sind die Protagonisten noch weit entfernt, auch wenn die Geschichte daherkommt, als würde sie das alles kritisch betrachten. Vielleicht habe ich auch einfach Perrottas Humor nicht verstanden, heißt es doch am Klappentext, es sei ein rasend komischer Roman. Gelacht habe ich nie. Mir kopfschüttelnd an die Stirn gegriffen dagegen öfters.

Die Gender-, Feminismus- und Sex-Thematik zieht sich durch das ganze Buch. Lobenswert zu erwähnen ist hier, dass es meistens einfach selbstverständlich in der Geschichte vorkommt, ohne eine große Sache daraus zu machen. Aber es liest sich mehr so, als hätte der Autor eine Liste neben sich liegen gehabt und wollte alle Punkte darauf abhaken: Transidentität, verschiedene sexuelle Orientierungen, Menschen mit Behinderungen, psychische Gesundheit, Pornografie, Mobbing, (Patchwork-)Familie, Datingapps, sexuelle Belästigung.

Jemand, der/die eine heteronormative Weltanschauung besitzt, wird sich mit diesem Buch schwertun, aber viele Ansätze finden, wie unterschiedlich Menschen wirklich sein können. Durch die Überladung an Themen gelingt es Perrotta nur, diese an der Oberfläche anzukratzen und viele lose Fäden in die Geschichte einzuführen, die dann im Nichts verlaufen. Den roten Faden habe ich vergeblich gesucht. Die Charaktere handeln und denken oft im genauen Gegenteil, was der Autor eigentlich vermitteln wollte, bzw. was ich annehme, das er vermitteln wollte. Eve und vor allem Brendan waren mir so unsympathisch, aufrichtige Tiefe habe ich bei beiden schmerzlich vermisst.


Fazit

Leider hat der Autor keine wirkliche Ahnung wovon er schreibt. "Mrs Fletcher" ist eine schwammige Geschichte, deren großer Aufhänger "Neustart" durch wenig Tiefe, Intensität und Spannung die Erwartungen nicht erfüllen kann.