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Veröffentlicht am 11.10.2021

Wer sucht der findet

Der Sucher
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In „Der Sucher“ betritt Tana French gleich zweifach Neuland. Während alle ihre bisherigen Romane im städtischen Umfeld angesiedelt sind, verortet sie hier die Handlung im ländlichen Westen Irlands. Nix ...

In „Der Sucher“ betritt Tana French gleich zweifach Neuland. Während alle ihre bisherigen Romane im städtischen Umfeld angesiedelt sind, verortet sie hier die Handlung im ländlichen Westen Irlands. Nix los, für die jungen Menschen gibt es hier nichts zu holen. Keine Arbeit, keine Perspektive. Also träumen sie von einem aufregenden Leben in der Stadt, von dem einen großen Coup, der sie dort rausholt.

Und auch die Hauptfigur Cal Hooper schert aus dem bekannten Muster aus. Kein Ire, sondern Amerikaner. Ein Ex-Cop, der sein Leben neu sortieren muss. Die Ehe gescheitert, die Tochter erwachsen, den Job beim Chicago PD, der sich nicht mehr mit seiner persönlichen Moral vereinbaren lässt, hingeschmissen. Ein Neuanfang, das heruntergekommen Häuschen, dessen Renovierung ihn tagtäglich auf Trab hält. Ein Leben in und mit der Natur in Ardnakelty. Eine abgeschottete, überschaubare und eingeschworene Dorfgemeinschaft, die den Fremden aufnimmt, sein Tun interessiert beäugt. Ihm das Gefühl vermittelt, er könne irgendwann dazugehören, wenn er die Herausforderungen besteht.

Doch dann wird seine Alltagsroutine von Trey unterbrochen, einem verwahrlosten Kind, das mit Mutter und Geschwistern außerhalb des Dorfes lebt. Zuerst beobachtet es lediglich misstrauisch Cals Tun, nähert sich ihm dann aber vorsichtig. Nach und nach rückt das scheue Kind damit heraus, weshalb es den Kontakt sucht. Brendan, der große Bruder, ist ohne Abschied spurlos verschwunden. Und offenbar hat es im Dorf schon die Runde gemacht, dass Cal früher Polizist war. In Treys Augen dafür prädestiniert, Antworten zu finden. Widerstrebend lässt Cal sich darauf ein und muss im Verlauf seiner Nachforschungen feststellen, dass unter der idyllischen Oberfläche des Dorfes Gefahren lauern, die identisch mit denen seines alten Wirkungsortes sind. Die ihn aber viel stärker anfassen, weil er zu den Beteiligten persönliche Beziehungen aufgebaut hat und sich für Trey verantwortlich fühlt.

Wer nun glaubt, er/sie hielte einen Thriller in Händen, liegt falsch. Man kennt es bereits aus den anderen Romanen der irischen Autorin, sie lässt sich Zeit, entwickelt ihre komplexen Charaktere sorgfältig, gibt Hinweise, die mit dem Fortschreiten der Handlung die ungute Erwartung wecken, dass sich eine Katastrophe anbahnen könnte. Und das stellt zu keinem Zeitpunkt die Geduld der Leser/in auf die Probe, großartig und kurzweilig ihre Beschreibungen des dörflichen Lebens. French beherrscht ihr Handwerk meisterhaft, geizt auch nicht mit unerwarteten Wendungen, lässt aber die großen Themen wie Menschlichkeit, Moral und persönliche Integrität nicht außen vor. Dabei verweigert sie aber die einfachen Antworten auf die Frage nach dem Bösen, das sich so einfach nicht abgrenzen lässt. Und auch die „Helden“ kommen am Ende nicht unbeschadet davon. Keine strahlenden Sieger, sondern alle angezählt, in ihren Grundfesten erschüttert und beschädigt in ihrem persönlichen Leben.

Ganz große Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 11.10.2021

Nachdrücklich empfohlen!

Die Stadt, das Geld und der Tod
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Handlungsort Hamburg, die Hansestadt, in der sich die krummen Geschäfte vom Kiez hinein in die Villenviertel verlagert haben und im Nadelstreifenanzug abgeschlossen werden.

Handlungsort Hamburg, die Hansestadt, in der sich die krummen Geschäfte vom Kiez hinein in die Villenviertel verlagert haben und im Nadelstreifenanzug abgeschlossen werden.

Veröffentlicht am 09.10.2021

Diese Leute

Liebe deine Nachbarn wie dich selbst
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2019 gewinnt Louise Candlish den British Book Award Crime & Thriller für „Our House“ und verweist so namhafte Kollegen wie Ian Rankin und Jo Nesbø auf die Plätze. Ein Grund, sich ihre Romane einmal genauer ...

2019 gewinnt Louise Candlish den British Book Award Crime & Thriller für „Our House“ und verweist so namhafte Kollegen wie Ian Rankin und Jo Nesbø auf die Plätze. Ein Grund, sich ihre Romane einmal genauer anzuschauen. Vierzehn mehr oder weniger erfolgreiche Bücher hat die Autorin seit 2004 veröffentlicht, die auch teilweise in deutscher Übersetzung vorliegen. Das wiederkehrende Thema ist die Variation der Toxizität zwischenmenschlicher Beziehungen, die Dynamik, die entsteht und außer Kontrolle gerät, wenn Außenstehende in ein geschlossenes System eindringen.

In „Liebe deinen Nachbarn wie dich selbst“ ist das Lowland Way im fiktiven Londoner Vorort Lowland Gardens, eine propere Enklave der gehobenen Mittelschicht. Häuser und Gärten sind gepflegt, das Miteinander rücksichtsvoll. Eine harmonische Idylle. Bis, ja bis Darren und Jodie ihre geerbte Doppelhaushälfte beziehen. Und „diese Leute“ (der Originaltitel „Those People“ hätte viel besser gepasst) scheren sich nicht um die unausgesprochenen Regeln und Erwartungen der Nachbarn, die die Verwandlung des Grundstücks in ein Katastrophengebiet (O-Ton) mit Besorgnis beobachten. Rücksichtnahme auf die Alteingesessenen? Fehlanzeige. Toleranz gegenüber den Neuankömmlingen? Keine Spur. Die anfängliche Verärgerung weicht bald unverhohlener Aggressivität. Es kommt zu Drohungen, verbalen Übergriffen, der Umgangston wird rauer. Auf beiden Seiten. Bis die Situation schließlich eskaliert und jemand stirbt.

Diese Eskalationsstufen schildert Candlish minutiös, indem sie uns die Innenansichten der jeweiligen Beteiligten im Detail präsentiert. Und so fragt man sich mit zunehmendem Verlauf, ob mit „diesen Leuten“ tatsächlich die beiden Neuen in der Straße gemeint sind. Oder möchte sie uns vielmehr die Bruchlinien innerhalb dieses sozialen Mikrokosmos aufzeigen? Den Snobismus und die Heuchelei der angepassten, zivilisierten Bewohner demaskieren?

Ein Thriller? Nein, eher eine psychologische Fallstudie zum Thema Gruppendynamik und menschliches Verhalten in Ausnahmesituationen. Und gerade deshalb sehr interessant.

Veröffentlicht am 24.09.2021

Ein zeitloser, unaufgeregter Roman über elementare Themen

Drei Sommer
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„Drei Sommer“ ist der zweite Roman der Autorin Margarita Liberaki, erstmals 1946 (d.h. unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs) im Original veröffentlicht, und mittlerweile ein moderner Klassiker ...

„Drei Sommer“ ist der zweite Roman der Autorin Margarita Liberaki, erstmals 1946 (d.h. unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs) im Original veröffentlicht, und mittlerweile ein moderner Klassiker in Griechenland. Interessanterweise werden die Kriegsjahre, die Entbehrungen, unter denen die Menschen litten, mit keinem Wort erwähnt. Nein, es ist eine Geschichte vom Erwachsenwerden in einer vordergründigen Idylle, in der es an nichts fehlt.

Drei Sommer, drei Schwestern. Maria, die Älteste, ist pragmatisch, verkörpert die Traditionen, die nicht hinterfragt werden. Ihr Lebensweg gleicht dem klassischen Frauenleben, ist mit Heirat und Mutterschaft vorgezeichnet. In Frage stellt sie das nicht, Selbstverwirklichung und die große Liebe haben darin wenig Platz.

Infanta, die Mittlere, ist die Widersprüchige. Weiß noch nicht, was sie vom Leben will und erwartet. Auf der einen Seite sucht sie die Freiheit bei ihren täglichen Ausritten, andererseits widmet sie sich ausdauernd ihren Handarbeiten. Sie orientiert sich an ihrer Tante Teresa, die nach einer traumatischen Erfahrung die Gesellschaft von Männern meidet und nie geheiratet hat, ein erfülltes Leben ohne Männder führt.

Katerina hingegen, die jüngste der drei Schwestern, hat klare Vorstellungen davon, was sie mit ihrem Leben anfangen möchte. Sie nimmt sich die abwesende und geschmähte Großmutter zum Vorbild, für sie das Ideal einer Frau, die ihren eigenen Weg gegangen ist, Mann und Kinder verlassen hat, um ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen.

Drei Jahre, drei griechische Sommer, in denen die Wege der Schwestern sich verändern, in verschiedene Richtungen auseinanderdriften.

Ein zeitloser, unaufgeregter Roman über elementare Themen. Über die Liebe und das Leben, über Identitätsfindung und Erwartungshaltungen, über familiäre Prägungen und individuelle Träume. Mit wunderschönen Naturbeschreibungen und intensiven Charakterstudien äußerst stimmungsvoll in Szene gesetzt.

Veröffentlicht am 23.09.2021

Zwei Frauenleben...ein Blick zurück

Todsichere Rezepte für die moderne Hausfrau
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Titel und Cover von „Todsichere Rezepte für die moderne Hausfrau“. lassen einen Blick zurück in eine Zeit vermuten, in der das Leben der Frauen im Wesentlichen von den drei K - Küche, Kinder, Kirche – ...

Titel und Cover von „Todsichere Rezepte für die moderne Hausfrau“. lassen einen Blick zurück in eine Zeit vermuten, in der das Leben der Frauen im Wesentlichen von den drei K - Küche, Kinder, Kirche – bestimmt wurde. In Ansätzen mag das zumindest bei einer der beiden Protagonistinnen stimmen, aber dennoch hat das Buch mehr zu bieten. Mit den beiden Handlungssträngen zeigt uns die Autorin zwei Paarbeziehungen, zwei Frauenleben, gefangen in den gesellschaftlichen Konventionen der jeweiligen Zeit.

2018 kehrt Alice, ehemals in einer New Yorker PR-Agentur angestellt, dem hektischen Großstadtleben den Rücken und bezieht mit ihrem Mann Nate eine renovierungsbedürftige Villa in einen Vorort der Metropole. Sie träumt von einem Leben als Schriftstellerin, aber die Umgewöhnung fällt ihr schwer, sie stirbt fast vor Langeweile. Und auch mit ihrem Buchprojekt geht es nicht voran. Eine Schreibblockade und keine Ideen, eine Katastophe für jede angehende Autorin. Für Nate hingegen markiert der Umzug einen Wendepunkt in der Beziehung, wünscht er sich doch nichts sehnlicher, als die Familie mit ein Kind zu komplettieren. Ein Gedanke, mit dem sich Alice nicht wirklich anfreunden kann.

Als sie eines Tages den Keller durchstöbert, findet sie nicht nur alte Frauenzeitschriften sondern auch ein handgeschriebenes und mit persönlichen Bemerkungen versehenes Kochbuch der Vorbesitzerin Nellie und taucht allmählich in deren Leben ein, bekommt eine Vorstellung von deren Leben an der Seite eines übergriffigen Mannes in den fünfziger Jahren.

In alternierenden Kapiteln stellt Karma Brown die beiden Leben gegenüber. Die jeweiligen Abschnitte sind mit Zitaten aus real existierenden Druckwerken überschrieben, entlarvende Ratschläge und gleichzeitig Zeitzeugnisse, die Ehefrauen unmißverständlich dazu auffordern, ihre Identität zugunsten der Bedürfnisse ihrer Männer hinten anzustellen. Das mag auf den ersten Blick amüsant wirken, aber setzt man es in Beziehung zum Verhalten von Alice, ist es eher ernüchternd. Die Sprachlosigkeit in der Beziehung, die Unfähigkeit, die eigenen Wünsche zu artikulieren, sich über die Erwartungshaltung des Umfelds hinwegzusetzen, dem Druck standzuhalten. Der Kompromiss am Ende, nun ja, da war Nellie dann doch konsequenter.

Dennoch ist dieser Roman ist ein interessanter und spannender Blick zurück, denn er zeigt an den beiden Hauptfiguren die Auswirkungen, die die Erwartungshaltung einer patriarchalischen Gesellschaft auf die Realisierung weiblicher Lebensentwürfe hat. Und ja, es gibt noch immer viel zu tun!