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Veröffentlicht am 15.09.2021

Unterhaltsame Mischung aus Urban Fantasy, Thriller, Mystery und schwarzem Humor

The Stranger Times
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„The Stranger Times“ füllt eine Marktlücke auf dem Zeitungsmarkt, denn sie beschäftigt sich mit bizarren und übernatürlichen Ereignissen in Manchester. Sonderlich erfolgreich ist sie nicht, und deshalb ...

„The Stranger Times“ füllt eine Marktlücke auf dem Zeitungsmarkt, denn sie beschäftigt sich mit bizarren und übernatürlichen Ereignissen in Manchester. Sonderlich erfolgreich ist sie nicht, und deshalb befinden sich die Redaktionsbüros auch in einer schäbigen Kirche, in der die Fenster mit Brettern vernagelt sind.

Geleitet wird sie von Banecroft, dem Redakteur und zynischen Alkoholiker ohne Manieren, aber auch die anderen Redaktionsmitglieder sind etwas speziell. Die Empfangsdame Grace, die die Flüche ihres Chefs zählt, Reginald, der sich jeden Montag vom Dach der Kirche in den Tod stürzen will, Ox, der sich immer wieder bemüht, ihn davon abzubringen, Stella, mit ihren unentdeckten Talenten, Simon, der Teenager, der unbedingt zum Team gehören möchte, und natürlich Hannah, die sich nach ihrer überstürzten Flucht aus London unerwartet in der Position der stellvertretenden Redakteurin, der „neuen Tina“, wiederfindet.

Üblicherweise wird die Berichterstattung der „Stranger Times“ von der Öffentlichkeit nicht weiter beachtet, aber als sich in Manchester seltsame Vorkommnisse und merkwürdige Todesfälle häufen, steckt das Team seine gebündelte Energie in die Recherche und kann so zeigen, wozu es wirklich fähig ist.

Das Buch ist eine unterhaltsame Mischung aus Urban Fantasy, Thriller, Mystery und schwarzem Humor. Getragen wird die Story aber von dem schrägen Personal, das mich sehr an Mick Herrons „Slow Horses“ erinnert, was nicht unbedingt die schlechteste Referenz ist. Ein Nachfolgeband (im Original) ist für Januar 2022 angekündigt, und offenbar gibt es auch bereits Pläne für eine TV-Produktion. Wir dürfen gespannt sein.

Veröffentlicht am 14.09.2021

Barcelonas Aufbruch in die Moderne

Die Tränen der Welt
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Barcelona zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Auf der einen Seite die dunklen Elendsquartiere der Arbeiter, auf der anderen Seite die opulente, strahlende Pracht der Ramblas. Zeit für Veränderungen. Frauen ...

Barcelona zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Auf der einen Seite die dunklen Elendsquartiere der Arbeiter, auf der anderen Seite die opulente, strahlende Pracht der Ramblas. Zeit für Veränderungen. Frauen und Kinder gehen voran. Sie fordern „Mehr Arbeit und bessere Löhne. Kürzung der Arbeitszeiten. Abschaffung der Kinderarbeit. Schluss mit der Macht der Kirche. Mehr Sicherheit. Angemessene Wohnverhältnisse. Vertreibung der Geistlichen. Gesundheitsfürsorge. Weltliche Schulbildung. Bezahlbare Lebensmittel.“ (Zitat, Seite 11)

Dalmau Sala, ein talentierter Künstler, dessen Broterwerb das Entwerfen von Motiven für Keramikfliesen ist, führt ein Leben zwischen zwei Welten. Hier seine Familie und seine Freundin Emma, überzeugte und aktive Unterstützer der Rebellion, dort sein Förderer und Arbeitgeber Don Bello, frömmelnder Besitzer einer Keramikwerkstatt, der ihn mit den Vorzügen des bourgeoisen Lebens lockt. Er muss Position beziehen, sich entscheiden, welchen Weg er gehen will. Seine Kunst verraten und weiter japanischen Blütenmotive entwerfen oder sich treu bleiben und die Seelen der Menschen in seinen Bildern einfangen, die durch die Straßen ziehen?

Falcones‘ Romane werden oft mit denen von Ken Follett verglichen. Nicht zu unrecht, wie ich meine. Die Ausgangssituation ist bei beiden ähnlich. Ein mittelloser, aber begabter junger Mann muss sich im Laufe seines Lebens zahlreichen Herausforderungen stellen und Schicksalsschläge erleiden, um seinen Weg zu finden. Aber da, wo Follett Historisches mit Zwischenmenschlichem übertüncht und so dessen Relevanz eher klein hält, konzentriert sich der gebürtige Katalane auf die Geschichte seines Heimatlandes, greift bedeutende Ereignisse, auch aus der Kulturhistorie, heraus. Wer sich dafür interessiert und schon einmal in Andalusien oder Barcelona unterwegs war, wird auf alle Fälle sehr viele Informationen erhalten, denn Falcones bleibt nah an den verbrieften Fakten. Das macht die Lektüre gerade zu Beginn bisweilen etwas sperrig, aber, wenn man sich eingelesen hat, umso fesselnder und befriedigender, weil informativer. Lesen!

Veröffentlicht am 13.09.2021

Beeindruckende Stofffülle

Ritchie Girl
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1946 in Deutschland, der Zweite Weltkrieg ist zu Ende, in den Nürnberger Prozessen wird über Kriegsverbrecher Gericht gehalten. Aber machen wir uns nichts vor, viele von ihnen sind durch die Maschen geschlüpft, ...

1946 in Deutschland, der Zweite Weltkrieg ist zu Ende, in den Nürnberger Prozessen wird über Kriegsverbrecher Gericht gehalten. Aber machen wir uns nichts vor, viele von ihnen sind durch die Maschen geschlüpft, fliegen unter dem Radar, sitzen in einflussreichen Positionen, machen schon wieder ihre Geschäfte mit Duldung der Siegermächte.

„Ritchie Girl“ Paula Blohm ist zurück in dem Land, in dem sie aufgewachsen ist. Als Tochter einer deutschen Mutter und eines amerikanischen Vaters hat sie Deutschland in Richtung Amerika verlassen, später ein Studium absolviert, danach Anwerbung durch das US-Militär und Ausbildung für Geheimdienstoperationen in Camp Ritchie, dem „Military Intelligence Training Center“ der Streitkräfte in Maryland. Danach wegen ihrer Sprachkenntnisse nach Europa geschickt, schließlich in einer Einrichtung der Amerikaner in Frankfurt gelandet, wo sie die Identität Johann Kupfers klären soll, der von sich behauptet, der berühmt-berüchtigten Spion „Sieben“ zu sein. Allerdings kommt ihr dabei ein persönliches Interesse in die Quere, da sie glaubt, dass dieser Informationen über den Verbleib Georgs, ihrer ersten Liebe, hat.

Paulas Geschichte ist nur der fiktionale Aufhänger für die Unmenge an historischen Fakten, die Andreas Pflüger in diesen Roman eingearbeitet hat. Es geht nicht nur um diese Zeit unmittelbar nach Kriegsende, um die Doppelmoral, in der die blütenweiße Weste der amerikanischen Befreier hässliche Flecken abbekommt, da auch sie schützend ihre Hand über Nazis halten, die für sie von Nutzen sind. Interessant sind vor allem die Rückblicke, die einen entlarvenden Blick auf die Verflechtungen von Wirtschaft, Kunst und Kultur mit dem Nationalsozialismus offenbaren. Jede Menge bekannte Namen von Politikern, Industriellen, Autoren, Künstlern, die nach Kriegsende schnell wieder in Amt und Würden sind.

Es ist eine beeindruckende Stofffülle, die der Autor hier verarbeitet hat und die deshalb konzentriertes Lesen erfordert. Und ein Roman, dem ich viele Leser wünsche. Lesen. Unbedingt.

Veröffentlicht am 12.09.2021

190 Seiten großes Kino

Herren der Lage
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„Herren der Lage“, ist der dritte Band der Reihe, in der Castle Freeman seine Leser wieder nach Cardiff mitnimmt, ein Kaff im hintersten Winkel von Vermont. Und was man nun wirklich nicht von dem Autor ...

„Herren der Lage“, ist der dritte Band der Reihe, in der Castle Freeman seine Leser wieder nach Cardiff mitnimmt, ein Kaff im hintersten Winkel von Vermont. Und was man nun wirklich nicht von dem Autor behaupten kann, ist, dass er geschwätzig wäre und uns mit ellenlangen, nichtssagenden Beschreibungen langweilen würde. Im Gegenteil. Das eint ihn mit Sheriff Lucian Wing, der sich um dort um Recht und Ordnung kümmert. Unterstützt wird von seinem eher einfach gestrickten Deputy und, eher weniger gewollt, von Wingate, seinem Vorgänger im Amt, den das Rentnerdabei langweilt. Er ist zwar mittlerweile etwas tüttelig, hat es aber immer noch drauf.

Die Bewohner bleiben unter sich, denn es verirrt sich kaum jemand nach Cardiff, und wenn doch, dann stört das die Ruhe beträchtlich. Wie an dem Tag, als dieser arrogante Typ auftaucht und von Lucian verlangt, nach zwei Teenagern zu suchen, die sich in den umliegenden Wäldern verstecken. Er findet die beiden, behält das aber für sich. Die richtige Entscheidung, das wird ihm klar, als bewaffnete Schläger auftauchen und das Versteck der jungen Leute dem Erdboden gleichmachen…

Freeman beschreibt dieses Katz-und-Maus Spiel so lakonisch, dass es eine Freude ist. Jedes Wort sitzt, da gibt es kein überflüssiges Drumherumgerede. Und obwohl er alles auf das Wesentliche reduziert, hat man zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, unzureichend informiert zu werden. Ganz im Gegenteil, man freut sich an Lucians unaufgeregtem Umgang mit diesen Unsympathen, die meinen, ihm Befehle erteilen zu können. Amüsiert sich köstlich über die wortkargen Unterhaltungen der Dörfler, bei denen jede ihrer von trockenem Humor geprägten Bemerkungen ins Schwarze trifft.

190 Seiten schnörkellose Prosa, gut strukturiert, mit einer überschaubaren und dennoch nie langweilenden Story sowie liebenswerten Hauptfiguren. Lest es. Genießt es!

Veröffentlicht am 11.09.2021

Wütend, kraftvoll, lebendig, einfühlsam und provokativ

Diese Frauen
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Zwei Romane von Ivy Pochoda sind bisher in der Übersetzung erhältlich. „Wonder Valley“ nimmt uns mit in eine Heiler-Kommune in der Mojave-Wüste östlich von Los Angeles, „Visitation Street“ nach Red Hook, ...

Zwei Romane von Ivy Pochoda sind bisher in der Übersetzung erhältlich. „Wonder Valley“ nimmt uns mit in eine Heiler-Kommune in der Mojave-Wüste östlich von Los Angeles, „Visitation Street“ nach Red Hook, Brooklyn/New York, in ein Arbeiterviertel im Umbruch. Nun folgt mit „Diese Frauen“ die Nummer 3, Handlungsort West Adams, ein trostloses Viertel in South Central Los Angeles. Was alle diese Romane eint, sind zum einen die Handlungsorte fernab des üblichen Großstadt-Glamours, zum anderen der Blick der Autorin auf Menschen, die zwar registriert, aber nicht wahrgenommen werden.

Im Zeitraum zwischen 1999 und 2014 treibt ein Mörder in South Central sein Unwesen. Seine Opfer: junge Frauen, die er auf der Straße aufliest. Die Polizei unternimmt nichts, ignoriert die Angehörigen, die nach Antworten suchen. Das ändert sich erst, als die Mutter eines Opfers an die Neue, Detective Perry, gerät…

„Diese Frauen. Diese Frauen, so schön und ungezähmt. Außer Kontrolle. Diese Frauen, die er mit einer Wildheit liebte, die er nicht beherrschen konnte. Mit einer Leidenschaft, die er nicht begriff. Diese Frauen, die ihn quälten und peinigten. Diese Frauen, die reizten, lockten und starben. Diese Frauen, die er liebte und hasste und zerstörte.“ (Zitat, Seite 351)

„Diese Frauen“, bereits in der Formulierung steckt die ganze Verachtung, die Geringschätzung, die man ihnen entgegenbringt. Sind doch selber schuld, wenn ihnen etwas passiert. Hätten sie sich doch nicht so aufreizend gekleidet. Wären sie doch zuhause geblieben, anstatt auf der Straße oder in Clubs anzuschaffen.

Fünf Frauen, von Pochoda in den Fokus gerückt. Fünf Frauen, denen sie eine Stimme gibt. Fünf Frauen, von der Gesellschaft ausgegrenzt. Fünf Frauen, die kein Mitleid zu erwarten haben, als wertlos angesehen werden. Fünf Leben, an denen wir teilhaben dürfen. Wütend, kraftvoll, lebendig, einfühlsam und provokativ. Zurecht für den Edgar nominiert.