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Veröffentlicht am 11.01.2024

Aufgebläht und überkonstruiert

Das Bild der Toten
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Eine Frau verschwindet, wird in Spanien tot aufgefunden. Offenbar ist sie bei einem tragischen Unglücksfall ums Leben gekommen und bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Dennoch wird sie von ihren Angehörigen ...

Eine Frau verschwindet, wird in Spanien tot aufgefunden. Offenbar ist sie bei einem tragischen Unglücksfall ums Leben gekommen und bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Dennoch wird sie von ihren Angehörigen identifiziert. Lediglich ihr Ehemann bezweifelt ihren Tod. Und es scheint, als hätte er recht, denn vierzehn Jahre später sieht er ein Urlaubsfoto von Freunden und ist sich sicher, dass die Kamera am Rand des Bildes seine angeblich verunfallte Frau eingefangen hat. Ein Fall für den hochgradig depressiven Hans Rekke und Micaela Vargas, letztere mit familiären Kontakten zum kriminellen Milieu.

Natürlich kann das berufliche Umfeld der Verschwundenen nicht außen vor bleiben, hatte diese doch als Chefanalystin während der Finanzkrise eine zentrale Rolle inne, eine Position, in der man sich nicht nur Freunde macht. Das nimmt David Lagercrantz in „Das Bild der Toten“ zum Anlass, um daraus eine aufgeblähte, abstruse Story zu konstruieren, in der neben russischen Oligarchen, der KGB und sogar Putin ihre Auftritte haben. Und als ob das noch nicht genug wäre, taucht auch noch Gabor, das kriminelle Superhirn und Brekkes Erzfeind aus Jugendtagen, auf. Und wenn wir schon bei der Vergangenheit sind, da gibt es auf Brekkes Seite auch noch einen intriganten Bruder mit politischem Einfluss. Klingelt da etwas? Sollte es, denn es ist offensichtlich, dass der Autor hier mit Conan Doyles „Sherlock Holmes“, dem literarischen Klassiker kokettiert. Diese Bezüge sind zwar ganz nett, aber um dessen Qualität zu erreichen, fehlt hier noch eine ganze Menge.

Die Handlung überkonstruiert und verworren, insgesamt heillos überfrachtet, die Charaktere sind oberflächlich und ohne besondere Tiefe entwickelt, und nicht zuletzt ist die sprachliche Umsetzung mehr als schlicht. Teil 2 einer als Trilogie angelegten Reihe, die ich nicht weiterverfolgen werde.

Veröffentlicht am 09.01.2024

Zuviel und doch zu wenig

Book Lovers - Die Liebe steckt zwischen den Zeilen
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Zwischen den Jahren lese ich gerne Bücher außerhalb meiner Komfortzone, die sich von meinen üblichen Lesevorlieben unterscheiden. Angesprochen hat mich Emily Henrys „Book Lovers“. Bereits der Titel weckt ...

Zwischen den Jahren lese ich gerne Bücher außerhalb meiner Komfortzone, die sich von meinen üblichen Lesevorlieben unterscheiden. Angesprochen hat mich Emily Henrys „Book Lovers“. Bereits der Titel weckt doch positive Erwartungen, oder etwa nicht?

Der Anfang hat gepasst, und auch später gab es durchaus Passagen, die meine Erwartungen erfüllt haben. Beispielsweise, wenn in den Dialogen literarische Anspielungen gemacht wurden oder man Details über das Arbeitsumfeld der beiden Hauptfiguren erfahren hat. Aber das tritt leider mit dem Fortschreiten der Geschichte immer mehr in den Hintergrund und muss Platz machen für völlig überhöhte und über Gebühr aufgeblähte Petitessen.

Zwei Akteure beherrschen die Bühne: Nora, Literaturagentin, pausenlos im Einsatz für ihre Klienten, und Charlie, Lektor mit Einfluss, mit dem sich ihre Wege bereits in der Vergangenheit unschön gekreuzt haben. Wir ahnen schon, wohin das führen wird. Aber beide schleppen jede Menge emotionales Gepäck mit sich herum, das über viele Seiten für das unsägliche Halb-zog-sie-ihn-halb-sank-er-hin verantwortlich ist.

Sie treffen wieder in Sunshine Falls aufeinander, einer Kleinstadt, in der Nora mit ihrer Schwester Libby einen vierwöchigen Urlaub verbringt. Libby, die, wen wundert’s, mit dem Gedanken spielt, ihren Mann zu verlassen. Puh, noch jemand, der sich mit Problemen herumschlägt.

Dazu kommen noch jede Menge Wie-sie-wurden-was-sie-sind Erklärungen mit Bezug zu Noras und Charlies persönlichen Biografien sowie künstlich überhöhte Alltagsdramen, die sich bei im Umfeld der beiden während dieser Auszeit in Sunshine Falls ergeben.

Emily Henrys Romane sind Bestseller, und schaut man sich die Bewertungen dieses Buches an, dann funktioniert das Konzept für die meisten Leserinnen. Es tut mir leid, aber mir war das einfach viel zu viel von allem, aber doch unterm Strich zu wenig.

Veröffentlicht am 07.01.2024

KIllers of the Flower Moon

Das Verbrechen
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Ab den nächsten Tagen ist „Killers of the Flower Moon“ bei einem Streamingdienst auch in Deutschland verfügbar. Eine gute Gelegenheit, um auf David Granns True-Crime-Thriller „Das Verbrechen“ hinzuweisen, ...

Ab den nächsten Tagen ist „Killers of the Flower Moon“ bei einem Streamingdienst auch in Deutschland verfügbar. Eine gute Gelegenheit, um auf David Granns True-Crime-Thriller „Das Verbrechen“ hinzuweisen, der die mysteriösen Morde an den indigenen Osage in Oklahoma zum Thema hat und die Vorlage für den Film liefert.

Ich habe das Buch kurz nach Erscheinen 2017 erstmals gelesen. Damals waren in den Nachrichten Bilder von den Protesten gegen die Verlegung der Öl-Pipeline durch das Stammesterritorium der Standing Rock Sioux allgegenwärtig. Heiliger Boden wurde entweiht, die Wasserversorgung zerstört, weil die Profitinteressen der Betreiberfirma (an der auch der damalige US-Präsident beteiligt war) an erster Stelle standen und die Besitzer des Landes ihrer Rechte beraubten.

Es war also ein guter Zeitpunkt, zu dem David Granns True Crime-Story „Das Verbrechen“ erschien, zeigte es doch, dass sich in den Vereinigten Staaten nichts am Umgang mit den Indigenen geändert hat. Vor allem dann, wenn wirtschaftliche Interessen im Spiel sind. Man muss sich nur die Vorgehensweise der Regierungsorganisationen ansehen: Ein wertloses Stück Land wird zum Reservat erklärt, der Stamm umgesiedelt, aber wehe, es werden Bodenschätze jedweder Art auf dem Gebiet vermutet, dann setzt man alles daran, die Bewohner zu vertreiben.

Ähnliches geschah zwischen 1910 und 1930 in Oklahoma im Reservat der Osage-Indianer. Es stellte sich heraus, dass der Stamm auf einem unvorstellbar großen Ölfeld saß, dessen Erträge den Menschen ungeahnten Wohlstand bescherte. Das ging solange gut, bis Außenstehende bzw. Nicht-Stammesangehörige darauf aufmerksam wurden. Und plötzlich häuften sich die mysteriösen Todesfälle unter den Osage, Dutzende fielen ihnen zum Opfer. Wer nun aber glaubt, dass man von Regierungsseite alles unternommen hätte, um diese Mordserie aufzuklären, täuscht sich. Im Gegenteil.

In der besten Tradition des amerikanischen Reportage-Journalismus, wie wir ihn beispielsweise von Jon Krakauer kennen, hat sich David Grann diesem Thema genähert und die Osage-Morde in seinem Buch „Das Verbrechen“ näher betrachtet. Er ordnet die Vorgänge in drei Bereiche: Im Zentrum des ersten Teils stehen die Osage-Frauen, repräsentiert von Mollie Burkhardt und ihrer Familie, die fast ausnahmslos der Mordserie zum Opfer fallen. Teil zwei schildert die Ereignisse aus der Sicht von Tom White als Vertreter des neu gegründeten Federal Bureau of Investigation (FBI) und zeigt, dass diese Institution weit davon entfernt ist, den Osage Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Im Gegenteil, auch die Vertreter des FBI sind vornehmlich bestrebt, sich die Taschen zu füllen. Und im dritten Teil schließlich beschreibt der Autor seine Recherche, die ihn zweifelsfrei zu dem Schluss kommen lässt, dass die Zahl der Opfer unter den Osage um ein Vielfaches größer als bisher angenommen und bekannt ist.

Granns Buch geht schonungslos ins Detail, zeigt die Skrupellosigkeit der Beteiligten, ist dabei komplex und fordert zu jedem Zeitpunkt die Aufmerksamkeit des Lesers. Ein spannendes Sachbuch, das einmal mehr ein beschämendes, schmutziges Kapitel der amerikanischen Historie ans Licht bringt. Lesen!

Veröffentlicht am 04.01.2024

Debüt mit Schwächen

Wer den Löffel abgibt
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Weil ich von „Der späte Ruhm der Mrs Quinn“ begeistert war, hat auch Jessa Maxwells „Wer den Löffel abgibt“ mein Interesse geweckt. Der Vergleich drängt sich auf, denn die Ausgangssituation ist ähnlich: ...

Weil ich von „Der späte Ruhm der Mrs Quinn“ begeistert war, hat auch Jessa Maxwells „Wer den Löffel abgibt“ mein Interesse geweckt. Der Vergleich drängt sich auf, denn die Ausgangssituation ist ähnlich: Ein Backwettbewerb mit sechs Teilnehmern, bei dem es gilt, in täglichen Challenges sein Können zu beweisen, um am Ende auf dem Siegerpodest zu stehen. Ergänzt wird dies allerdings relativ früh durch einen Leichenfund und zahlreiche Sabotageakte während des Wettbewerbs, was dem Roman einen Dreh in Richtung ‚Cozy crime‘ verpasst.

Aber sowohl die Repräsentanten des Veranstalters als auch die Teilnehmer sind samt und sonders höchst unsympathisch, verbissen und nicht wählerisch in der Wahl ihrer Mittel, wenn es darum geht, den Konkurrenten zu schaden und ihre eigene Position zu verbessern.

„Wer den Löffel abgibt“ ist nach Bilderbüchern, Comics und Graphic Novels, allesamt dialogbasierte Medien, der erste Roman der Autorin, und das merkt man. Gute Ansätze sind zwar vorhanden, aber leider so ausgeführt, dass daraus weder ein spannender Krimi noch ein befriedigender Roman wird. Nach meinem Dafürhalten liegt das in erster Linie daran, dass die Autorin kapitelweise die Perspektiven wechseln lässt und es versäumt, Verbindungen zu schaffen. Die Übergänge sind mir zu abrupt, so dass ich die aus einem Guss erzählte Story vermisst habe. Das schafft Distanz zu den Personen, die sich auch leider im Verlauf der Geschichte nicht verliert. Und was definitiv auch viel zu kurz gekommen ist, war die Spannung, denn gemordet wird erst relativ spät. Bis dahin passiert außer der eher oberflächlichen Beschreibung der einzelnen Aufgaben des Wettbewerbs reichlich wenig.

Eine Lektüre für zwischendurch. Schnell gelesen, aber leider auch schnell wieder vergessen. Kann man lesen, muss man aber nicht.

Veröffentlicht am 02.01.2024

Desperta ferro!

Essex Dogs
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Wenn ein gestandener Historiker einen Ausflug in die Belletristik unternimmt, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder hält er sich an die historisch verbürgten Fakten, behält das große Ganze im Blick, ergänzt ...

Wenn ein gestandener Historiker einen Ausflug in die Belletristik unternimmt, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder hält er sich an die historisch verbürgten Fakten, behält das große Ganze im Blick, ergänzt dieses und erweckt es in seinem Roman zum Leben, oder er greift eine einzelne Persönlichkeit bzw. ein Ereignis heraus, biegt sich im einen oder anderen Fall die Fakten zurecht und nutzt sie lediglich als Hintergrund für einen historisch inspirierten Roman, in dessen Zentrum nicht die Historie sondern individuelle Schicksale stehen.

Mit den „Essex Dogs“, Auftakt einer geplanten Trilogie, ist es dem englischen Historiker und Bestsellerautor Dan Jones gelungen, diesen beiden Möglichkeiten zu verbinden. Herausgekommen ist ein unterhaltsamer Roman über eine zehnköpfige Söldnertruppe, die 1346 in den Anfangstagen des Hundertjährigen Krieges im Auftrag des englischen Königs Edward in der Normandie an Land geht, um dessen Anspruch auf den französischen Thron im Zuge einer großangelegten Invasion durchzusetzen. Die Normandie ist allerdings nur der Anfang einer Reise, in der die Essex Dogs zahlreiche Scharmützel überleben müssen, bis die am Ende Crécy erreichen, wo die entscheidende Schlacht geschlagen wird.

Die titelgebenden Dogs sind ein bunter Zusammenschluss aus zehn Männern aus den verschiedensten Ecken Englands, die für jeden in die Schlacht ziehen, der sie bezahlt und damit ihren Lebensunterhalt sichert. Angeführt werden sie von Loveday Fitz Talbot, einem erfahrenen Veteran, der allerdings allmählich des Kämpfens überdrüssig wird. Zu viele Freunde hat er schon auf den Schlachtfeldern verloren. Ins Grübeln kommt er insbesondere dann, wenn er sich den sechzehnjährigen Romford, den jüngsten seiner drei Bogenschützen anschaut, der in der zweiten Buchhälfte als Knappe dem verzogenen Sohn des Königs zugeteilt wird.

Loveday und Romford, es sind genau diese beiden Männer, die den Beschreibungen der Schlachten, in die die Dogs involviert sind, Tiefe und Dramatik verleihen. Leider hat Jones darauf verzichtet, die Charaktere der übrigen acht Männer annähernd so detailliert wie diese beiden zu beschreiben. Umso mehr konzentriert er sich auf die Darstellung der Schlachten, das Wühlen im Dreck, die Grausamkeiten und das dreckige Handwerk des Tötens. Angereichert werden diese Beschreibungen des Söldnerlebens durch nachdenkliche Passagen, aber teilweise auch entschärft durch jede Menge Flüche und schwarzhumorige Kommentare.

Eine spannende und fesselnde Saga im Stil bekannter Serienformate, die gelungen Fakten und Fiktion verbindet, aber mehr Wert auf die Beschreibung von Actionszenen als auf historischer Genauigkeit legt. Wer sich für Militärgeschichte interessiert, wird hier weniger auf seine Kosten kommen als diejenigen, die eine unterhaltsame Story über eine von kriegerischen Auseinandersetzung geprägte Epoche des dunklen Mittelalters lesen möchten.